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Hoffentlich kein Schnellschuss

Nationales Waffenregister soll demnächst funktionsfähig sein

René Heilig *

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) informierte am Montag über die Arbeiten am Nationalen Waffenregister. Es soll bis Ende des Jahres aufgebaut sein. Ende 2014 muss ein vergleichbares computergestütztes EU-Register existieren.

Am 26. August 2002 hatte der 19-jährige Robert Steinhäuser zwölf Lehrer, eine Sekretärin, zwei Schüler und einen Polizisten beim Amoklauf durch das Gutenberg-Gymnasium in Erfurt erschossen, bevor er sich selbst richtete. Am 11. März 2009 erschoss Tim Kretschmer in seiner früheren Realschule in Winnenden und auf der anschließenden Flucht 15 Menschen und sich selbst. Die Bluttaten haben Deutschland erschüttert. Politiker versprachen, Schlussfolgerungen zu ziehen - rasch und gründlich. Das Versprechen ist nur teilweise erfüllt.

Ein schärferes Waffenrecht und Krisenpläne für den Ernstfall sollen helfen, dass sich solche Taten wie in Thüringen und Baden-Württemberg nicht wiederholen. Nach den Novellen müssen beispielsweise Personen unter 25 Jahren, die erstmals eine Waffe legal besitzen wollen, ein ärztliches oder psychologisches Attest vorlegen, das ihre »geistige Reife« bestätigt. Der Besitz von Pumpguns mit Pistolengriff - so eine trug der Erfurter Mörder - ist untersagt. Die Altersgrenze für das Sportschießen mit Großkalibern wurde von 14 auf 18 Jahre angehoben. Auch die Kontrollen zur Waffenaufbewahrung in Privatwohnungen wurden verschärft. Nun sind verdachtsunabhängige Kontrollen ohne Vorankündigung möglich. Möglich. In der Realität jedoch kaum machbar, weil die dafür zuständigen kommunalen Behörden restlos überfordert sind.

Eine Hilfe gegen Taten wie sie in Erfurt und Winnenden geschehen sind, soll künftig auch ein nationales Waffenregister (NWR) sein. Vor dem Sturm auf eine Wohnung kann man sich über das Arsenal des Mieters informieren, und auch bei der Aufklärung von Kriminalfällen kann die Datei hilfreich sein. Der prophylaktische Wert dagegen ist gering. Immerhin erhält man so aber eine grobe Übersicht über die Arsenale in deutschen Wohnungen. Bis dato beruhen Angaben zur Anzahl von Besitzern und Waffen auf Schätzungen. Solche Daten werden bei 577 Waffenbehörden verwaltet. Die haben unterschiedliche Unterstellungen, sind nicht vernetzt.

Nun müssen die vorhandenen Daten an das Bundesverwaltungsamt in Köln übermittelt werden. Ab Jahresende sollen dort alle wesentlichen Informationen zu erlaubnispflichtigen Schusswaffen - elektronisch aufbereitet - verfügbar sein. Der gesamte Lebenszyklus jeder Waffe - vom Hersteller über Käufer bis zur möglichen Verschrottung - soll nachvollziehbar sein. So bestimmt es ein entsprechendes Gesetz, das im März durch den Bundestag ging.

Im Register gespeichert sind bei natürlichen Personen: Familienname, frühere Namen, Geburtsname, Vornamen, Doktorgrade, Tag, Ort und Staat der Geburt, Geschlecht, Staatsangehörigkeiten, derzeitige Anschriften und Sterbetag. Bei juristischen Personen und Personenvereinigungen sind Namen, frühere Namen, Firma, derzeitige Anschriften und bei wirtschaftlichen Unternehmen die Branche, Waffe, Waffenkategorie, Kaliber- oder Munitionsbezeichnung, Herstellerbezeichnung, Modellbezeichnung, Seriennummer vermerkt.

Soweit die Theorie. Es gab bislang einen einzigen Test mit nur zehn Waffenbehörden. Ob die Einbeziehung von lediglich zwei Prozent der Ämter, die nach unterschiedlichsten Systematiken, nach verschiedenen Softwarestandards und zum Teil noch mit Karteikarten arbeiten, aussagekräftig sind? Minister Friedrich, so der Linksfraktions-Bundestagsabgeordnete Frank Tempel - von Beruf Kriminalpolizist - sei für große Worte und kleine Taten bekannt. Und schon sind erste Tricks aufgeflogen, die an einen »Schnellschuss« à la Friedrich denken lassen. So wird es erst in einer weiteren Ausbaustufe möglich sein, den Weg einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe bis zum Hersteller oder Importeur nachzuzeichnen. Doch bis spätestens Ende 2014 muss alles klappen. Dann tritt die EU-Waffenrichtlinie und mit ihr eine Art EU-Waffenregister in Kraft, das national »gefüttert« werden muss.

Mit der Zeugenvernehmung ist am Montag der zweite Prozess gegen den Vater des Amokläufers von Winnenden fortgesetzt worden. Gehört wurden frühere Klassenkameraden. Der Vater steht seit vergangener Woche erneut vor Gericht, weil er die spätere Tatwaffe unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrt hatte. 2011 war er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden, doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil wegen eines Verfahrensfehlers auf.


Man schätzt, dass es in Deutschland 2,5 Millionen legale Waffenbesitzer gibt: Jäger, Sportler, Sammler und Leute, die sich Schutz versprechen. Das sind 2,5 Millionen Wähler.

In den USA leben legal rund 309 Millionen Menschen. Durch Schusswaffen sterben jährlich rund 30 000 - knapp 60 Prozent durch Selbstmorde, 40 Prozent werden umgebracht. Das sind weitaus mehr Menschen als in US-Kriegseinsätzen sterben.

In der EU leben gut 500 Millionen Einwohner. Es gibt - geschätzt - jährlich zwischen 4000 und 8000 Tote durch Schusswaffengebrauch.

In Schleswig-Holstein sind rund 58 000 Waffenbesitzer mit insgesamt 219 000 erlaubnispflichtigen Schusswaffen registriert. Allein im Rheingau-Taunus-Kreis sind rund 23 800 Schusswaffen erfasst.

Waffen können durch Erben erworben werden. Man muss nur innerhalb eines Monats nach Annahme der Erbschaft den Antrag auf Ausstellung einer Waffenbesitzkarte oder die Eintragung der Waffen in eine bereits ausgestellte Waffenbesitzkarte stellen. Ein Sachkundenachweis ist nicht nötig.



* Aus: neues deutschland, Dienstag, 20. November 2012

Mehr Sicherheit bringen nur weniger Waffen. Das Waffenregister registriert nur die Gefährdung der Sicherheit.

Heribert Prantl in einem Kommentar ("Ein Kataster der Unsicherheit") in der Süddeutschen Zeitung, 20.11.2012.




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