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Ferngesteuerte Waffensysteme senken die Angriffsschwelle

Was Sie über "Drohnen" und andere High-Tech-Waffen wissen sollten

Von Florian Rötzer
(12.02.2002)

Im Internet-Nachrichten-Magazin "telepolis" werden sehr viele hochinteressante Beiträge veröffentlicht, die sich ausgesprochen kritisch mit der modernen Kriegführung befassen. Der nachfolgende Beitrag handelt vom Afghanistan-Krieg und davon, dass die High-Tech-Waffen doch nicht immer halten, was sie versprechen. Wir dokumentieren den Beitrag von Florian Rötzer in gekürzter Form (wir verzichten auch auf die Anmerkungen einschließlich der vielen Links). Empfohlen sei ein gelegentlicher Blick in Telepolis.

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Die Kombination von Hightech mit konventionellen oder gar archaischen Mitteln wie Pferden oder Säbeln, die von amerikanischen Spezialtruppen am Boden im Afghanistan-Krieg benutzt wurden, hat das Pentagon auch als erfolgreiches Modell für das Führen von künftigen militärischen Aktionen hervorgehoben. Premiere hatte vor allem auch der Einsatz von unbemannten Aufklärungsflugzeugen, die mit Raketen ausgestattet waren. Aus der Ferne gesteuert sollte damit die zeitliche Verzögerung zwischen der (Fern)Erkennung eines Gegners und dessen Vernichtung durch Beschuss minimiert werden. Wirklich bestätigte Erfolge kann das Pentagon jedoch im bislang "genauesten Krieg", so General Tommy Frank, der Oberkommandierende des afghanischen Feldzugs, nicht vorweisen., vielmehr weist der Einsatz der bewaffneten Drohnen auf eine bedenkliche Entwicklung hin, die aus dem Distanzkrieg im Informationszeitalter entsteht.

Die angeblichen Erfolge, die sich auch in größeren Rüstungsausgaben für unbemannte bewaffnete Drohnen (UCAVs) niederschlagen, haben natürlich eine Vorgeschichte. Angeblich soll bin Ladin schon im Herbst 2000 im Visier der Kameras einer Drohne deutlich zu sehen gewesen sein, aber der Blick aus der Ferne eröffnete noch nicht die Möglichkeit, unmittelbar zuzuschlagen. Bei den Drohnen handelt sich um die 3 Millionen Dollar teuren Predators. Das sind propellergetriebene UAVs (unmanned air vehicle), die über 7.000 Meter hoch, 700 km weit und bis zu 24 Stunden lang fliegen können und bislang mit Kameras für Tag- und Nachtsicht ausgestattet sind. Über eine Satellitenschüssel werden die Bilder zur Bodenstation übertragen.

Aber dann gab es eine erste "Erfolgsgeschichte", die zum Anlass wurde, vom Krieg der Zukunft und von einer Revolution der Kriegsführung zu sprechen. Auf der Flucht der Taliban vor den unter dem Schutz der amerikanischen Bombardements angreifenden Kämpfern der Nordallianz aus Kabul in den Süden sollen mit Nachtsichtkameras und erstmals auch mit Hellfire-Raketen ausgestattete Predators des CIA eine Gruppe von Fahrzeugen ununterbrochen verfolgt haben, in der sich al-Quaida-Mitglieder befunden haben sollen. Um der Verfolgung zu entgehen, benutzten die Fliehenden mit ihren Fahrzeugen nicht die Hauptstraße, sondern kleine Nebenstraßen und kamen nur langsam voran. Am zweiten Abend hatte der Konvoi in einem kleinen Städtchen gehalten. In einem Hotel fand offenbar ein Treffen statt. Der Predator lieferte über Satellitenverbindungen Echtzeit-Bilder vom Hotel, von den geparkten Wagen und den nervösen Fahrern an die Kommandozentrale in Tampa, Florida, von der aus Tom Franks, der Oberkommandierende der US-Truppen, den Einsatz aus der Ferne steuerte - was auch eine Premiere in der Kriegsgeschichte war. Von dort aus wurden die Bilder über sichere Netzwerke an das Hauptquertier der CIA in Langley, Virginia, sowie an das Pentagon weiter geschickt. Drei F-15-Kampfflugzeuge, die gerade über Kabul kreisten und immer wieder getankt wurden, um auf "emerging targets" Jagd zu machen, erhielten den Befehl, das Hotel zu bombardieren, in dem man hohe Al-Qaida-Mitglieder vermutete.

Sie warfen drei GBU-15-Präzisionsbomben ab, die ihr Ziel mit Infrarotkameras an der Spitze ansteuern. Danach wurden noch zwei Hellfire-Raketen von der Drohne abgeschossen. Angeblich seien an die 100 Menschen getötet worden. Anfangs hieß es auch noch, dass sich darunter Mohammed Atef befunden haben soll, der als militärischer Kommandeur von al-Qaida gilt. Die Taliban bestätigten zunächst dessen Tod, stritten diese Behauptung dann aber wieder ab. Mit den Kameras der Predators alleine ließ sich nicht feststellen, wie viele Menschen und vor allem wer den Tod gefunden hat. Auch später kam es zu keinen Präzisierungen, wer die Toten gewesen sein könnten.

Tatsächlich hüllt sich das Pentagon bei seinem Kampf gegen den internationalen Terrorismus obligatorisch in Stillschweigen, was die Zahl der möglichen Opfer unter der Zivilbevölkerung angeht (Fiktionen humaner Kriegführung). Nicht immer mag man glauben, dass dies der "genaueste Krieg" war, den die USA mit ihren Präzisionsbomben jemals geführt haben, denn zumindest das Abwerfen zahlreicher Streubomben wird man nicht gerade als präzise Treffer auslegen können. Schließlich waren auch "nur" 60 Prozent der Bomben und Raketen, die auf Ziele in Afghanistan hinuntergingen, Präzisionswaffen. Die Präzisionsbomben seien, so Verteidigungsminister Rumsfeld beschwichtigend und versichernd, zu "85-90 Prozent" genau.

Neben den möglichen Folgen einer Flächenbombardierung, bei der sich "Kollateralschäden" kaum vermeiden lassen, hat sich als ein Problem der "Präzisionsbomben" die Zieleinstellung erweisen. Mehrmals wurden ganz offensichtlich zivile Einrichtungen und Dörfer bombardiert, die keine Stellungen der Taliban oder von al-Qaida waren. "Präzise" getroffen wurden auch Gebäude des Roten Kreuzes oder der UN und - wahrscheinlich am wenigsten unabsichtlich - das Redaktionsbüro des arabischen Senders al-Dschasira in Kabul.

Am 20.12.2001 hatten US-Bomber einen Fahrzeugkonvoi angegriffen und Dutzende von Menschen getötet, die angeblich Angehörige von al-Qaida gewesen sein und zuerst mit Luftabwehrraketen geschossen haben sollen. Überlebende des Angriffs haben dies nicht bestätigt, sondern behauptet, dass die Fahrzeuge mit lokalen Stammesführern nach Kabul unterwegs waren, um bei der Einführung des Interimspräsidenten anwesend zu sein. Am 24. Januar hatten amerikanische Spezialtruppen mehr als 20 Menschen getötet. Zwei der Leichen sollen gefesselt gewesen sein. Angeblich waren es wieder keine Taliban- oder al-Qaida-Mitglieder. Das Pentagon untersuchte die "unklare Situation" und kam zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Irrtum gehandelt hatte. Das Pentagon spricht von 15 Toten, Afghanen von 21. Die Amerikaner nahmen überdies 27 Männer gefangen, von denen einige nach ihrer Freilassung behaupteten, von den amerikanischen Soldaten geschlagen und misshandelt worden zu sein. Ironischerweise handelte es sich bei den Afghanen um Polizisten und Mitglieder einer Kommission zur Entwaffnung. Überdies waren unter den Getöteten zwei hohe Kommandeure des afghanischen Präsidenten Karsai. ...

Neben anderen Vorfällen, bei denen das Pentagon zunächst immer die übliche Abwehrhaltung einnahm und darauf setzte, dass das Interesse wohl schnell erlahmt, kam es dann am Montag vor einer Woche wieder mit der Wunderwaffe einer UCAV zur Tötung von "einigen al-Qaida-Führern", wie das Pentagon mitteilte. Man habe allerdings wegen des schlechten Wetters nicht herausbekommen, wie viele Menschen getötet wurden und wer dies war. Nach Berichten in anderen Medien glaubte man bei der CIA offenbar, von der die Drohne ferngesteuert wurde, dass es sich womöglich nicht nur um hohe al-Qaida-Angehörige gehandelt habe, sondern dass der Topterrorist Usama bin Ladin unter ihnen gewesen sein soll (...). Ein "US official", wer immer das gewesen sein mag, erzählte jedenfalls Reuters, dass mindestens ein Mensch getötet worden sei, man aber nicht wisse, wer es gewesen ist. Die bärtige Person sei groß und schlank gewesen, was auch auf Bin Ladin zutrifft. Neben diesem Gemunkel sagte aber ein anderer "US official", wer immer dies auch gewesen sein mag, dass leider einige hohe al-Qaida-Mitglieder wie al-Zawahri auch so aussehen.

Wie auch immer, geschossen wurde anscheinend aus der Ferne von der Drohne auf Jemanden oder auf Mehrere, nachdem man eine verdächtige Fahrzeugkolonne bemerkt und verfolgt hatte. In der Nähe von Zhawar Kili, einem al-Qaida-Trainingslager, parkte die Kolonne - und weil gerade keine Bomber da waren, beschloss man offenbar, sicherheitshalber einmal eine Hellfire-Rakete auf die Gruppe zu schießen. Auch hier soll es sich wieder um Afghanen gehandelt haben, die möglicherweise nur nach Waffen oder anderen Dingen gesucht haben, die sie verkaufen konnten. Der Gouverneur Mushfiq der Region sagte zu dem Vorfall, dass die Amerikaner "das falsche Spiel spielen" und am Boden über keine gute Aufklärung verfügen. Am Wochenende hatte das Pentagon Soldaten an die Stelle geschickt, um den Vorfall zu untersuchen. Der Einsatz von Spezialtruppen, die heimlich agieren, und vor allem die Verwendung von ferngesteuerten Waffensystemen senken die Schwelle zur Ausübung von Gewalt aus zwei Gründen. Einmal gibt es bei gezielten Einsätzen und Bombardements weniger Opfer, auch wenn sie versehentlich angegriffene Ziele und damit "Kollateralschäden" sind, zum Zweiten sorgt beim Cyber-Fernkrieg die Sicherheit der Angreifenden, die etwa im CIA-Hauptquartier sitzen, für eine Sinken der Angriffsschwelle. Im Augenblick scheint das Pentagon von der Maxime auszugehen, lieber eher einmal irrtümlich Menschen zu töten, als al-Qaida-Mitglieder entwischen zu lassen.

Bedenklich ist auch, dass solche Aktionen einem Terroranschlag ziemlich nahe kommen, zumindest aber eine gezielte Ermordung einzelner Personen darstellen, wie dies auch die israelische Regierung schon des längeren macht. Vom Kongress hat der US-Präsident die Befugnis erhalten, gegen Staaten, Organisationen und Individuen als oberster Kriegsherr vorzugehen, die die Anschläge vom 11.9. geplant, befohlen, unterstützt oder ausgeführt haben. Das betrifft auch die weitere Prävention von Anschlägen. Ob die gezielte Ermordung von Einzelpersonen aber noch als militärische Aktion zu bezeichnen wäre, bleibt fraglich. Die Executive Order vom 13. November spricht nicht von der Tötung, sondern nur von der Ergreifung und der Einrichtung von Militärgerichten.

Eigenmächtig darf der CIA eigentlich nach der von Präsident Gerald Ford 1975 erlassenen "Executive Order" (11905) sich nicht mehr an Mordanschlägen beteiligen, nachdem es zu vielen Skandalen gekommen ist. Bestätigt wurde das Verbot auch durch weitere "Executive Orders" der Präsidenten Jimmy Carter und Ronald Reagan. Präsident Clinton ging noch weiter und untersagte den Geheimdiensten die Anwerbung von Mitarbeitern oder Informanten, die Verbrechen oder Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Vizepräsident Cheney forderte denn auch kurz nach den Anschlägen vom 11.9., dass Geheimdienste wieder die Ermordung von Gegnern planen und auch selbst ausführen sowie Agenten anwerben dürfen sollen, die mit Terroristen verbunden sind oder Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Und der rechte republikanische Kongressabgeordnete Bob Barr hatte vorausschauend bereits Anfang März 2001 den "Terrorist Elimination Act" (HR 19) eingebracht, der die Executive Orders aufhebt und es ermöglichen soll, gegen Einzelpersonen mit allen Mitteln vorzugehen, einschließlich der Lizenz zum Töten.

Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/special/info/11821/1.html


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