Internationale Intervention in Afghanistan
Die Uno als Subunternehmer
Von Norman Paech
Von Norman Paech, Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und
Politik, Hamburg, haben wir zum Afghanistan-Einsatz bereits ein juristisches Gutachten veröffentlicht. Im folgenden Text, den wir der Schweizer Wochenzeitung (WoZ) entnommen haben, geht es um eine rechtliche Würdigung der UN-Sicherheitstruppe ISAF.
Seit einem Vierteljahr durchpflügt die modernste und spektakulärste
Militärmaschinerie der Welt eines der ärmsten und schwächsten Länder
des Globus – mit Mitteln, über die das allgegenwärtige CNN der
Generalität Schweigen gelobte. Zugleich ist die zugegebenermassen wenig
attraktive afghanische Herrschaftsstruktur vollständig umgekrempelt und
durch eine hoffentlich vertrauenerweckendere ausgewechselt worden. Die
USA und ihre europäischen Vasallen sind um ein Protektorat reicher und
dabei, es zumindest militärisch vollständig in den Griff zu bekommen. Das
alles läuft unter der offiziellen Begründung der «Selbstverteidigung» (Art. 51
Uno-Charta) gegen den Terrorismus. Das wird wohl auch noch eine Zeit
lang so laufen und droht auf andere, jeweils neu zu definierende Länder
(wie Somalia, Irak, Jemen) überzugreifen, ohne dass die immer krasser
werdende Absurdität des Selbstverteidigungsarguments die Akteure
sonderlich stört.
Man kann den USA diesmal nicht wie im Falle des Nato-Krieges gegen
Jugoslawien vorwerfen, die Uno schlicht übergangen zu haben. Die
US-Regierung hat sie schon am Tag nach den Terroranschlägen vom 11.
September um Unterstützung nachgesucht. In zwei Resolutionen (1368
und 1373) signalisierte der Uno-Sicherheitsrat, den geplanten US-Feldzug
gegen den Terrorismus nicht mit eigenen Initiativen und Begrenzungen zu
stören. Er hat den USA zwar kein Mandat gegeben, aber ihnen den Vortritt
gelassen – in der resignierten Erkenntnis, dass sie ihn sich sowieso
genommen hätten. Doch nun ist der Feldzug weitgehend erfolgreich
abgeschlossen, und die verstärkte Einschaltung der Uno lässt keine quer
laufenden Interessen im Neuordnungsprozess Afghanistans mehr
befürchten. Im Gegenteil, die aktive Beteiligung der Uno bringt Vorteile. Der
grösste ist wohl die nachträgliche Legitimation der kriegerischen
Operationen, die auch von den schärfsten KritikerInnen nur schwer
widerlegt werden kann. Zudem erweitert die Einbeziehung der Uno die
Legitimations- und Operationsbasis durch Arbeitsteilung. Diese überträgt
anderen Staaten die Sicherungs- und Ordnungsaufgaben, die zwar
notwendig sind, aber nicht unbedingt von den USA selbst übernommen
werden müssen – sofern deren strategisches Oberkommando
unangetastet bleibt.
Das sind die politischen Voraussetzungen für die jüngste Resolution 1386
des Uno-Sicherheitsrats, die er am 20. Dezember in nur wenigen Minuten
einstimmig verabschiedete. Sie schafft die völkerrechtliche Voraussetzung
für die Einsetzung einer «International Security Assistance Force» (Isaf) für
Afghanistan, in Deutschland in freimütiger Anknüpfung an die
unvergessene Kolonialpraxis «Schutztruppe» genannt. Die Isaf ist keine
Truppe der Blauhelme, die der Zustimmung der Regierung des Gaststaates
bedürfen. Die schnell wahrnehmbare Abneigung der noch nicht einmal
installierten neuen Machthaber in Kabul gegen zu viele ausländische
Truppen und das Fehlen eines Kampfauftrags für Blauhelme liessen eine
wesentlich robustere Uno-Truppe angebracht erscheinen. So bediente sich
der Sicherheitsrat des VII. Kapitels der Uno-Charta und erklärte die
Situation in Afghanistan auch «weiterhin zu einer Bedrohung des
Weltfriedens und der internationalen Sicherheit» (Art. 39 Uno-Charta).
Damit schafft er sich die Möglichkeit, auf die militärischen Massnahmen
nach Art. 42 Zugriff zu nehmen. So ermächtigte er «die an der
Sicherheitsbeistandstruppe (Isaf) teilnehmenden Mitgliedstaaten, alle zur
Erfüllung ihres Mandats notwendigen Massnahmen zu ergreifen». Das ist
die Formulierung, die der Sicherheitsrat schon in der Resolution 678 vom
November 1990 benutzt hatte, um die irakischen Truppen aus Kuweit zu
vertreiben; sie eröffnet weitreichende Operationsmöglichkeiten. Ihre
Begrenzung auf die «Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und
Umgebung» entspricht schon nicht mehr dem neuesten Stand der Dinge,
da über eine Ausweitung auf weitere Städte und Regionen bereits
verhandelt wird.
Die Resolution 1386 weicht vom bis anhin gewahrten «Solidaritätsprinzip»
bei der Finanzierung ab, das alle Uno-Mitgliedstaaten mit abgestuften
Beiträgen zur Deckung der Militärmissionen heranzieht. Für die Isaf aber
sollen die beteiligten Staaten ihren Einsatz selbst bezahlen. Das
privilegiert die Nato-Staaten, die trotz allem Gejammer immer
zahlungskräftig sind, wenn es ums Militär geht. Und es schliesst die
Beteiligung jener ärmeren Staaten aus, die weniger unter Verdacht stehen,
mit einem Einsatz auch eigene ökonomische und strategische Ziele zu
verfolgen. Der einzurichtende Treuhandfonds für freiwillige Beiträge wird
diese Benachteiligung nicht kompensieren können.
Der britische Aussenminister Jack Straw hat in einem Brief an den
Sicherheitsrat vorgängig angeboten, dass Britannien die Führung der
Streitkräfte übernimmt. Der Sicherheitsrat hat das Angebot akzeptiert und
auf das Schreiben Straws «mit Genugtuung» verwiesen, ohne in der
Resolution auf seinen weiteren Inhalt einzugehen. Straw unterstellt darin
die Isaf dem Oberbefehl des «United States Central Command» der
«Enduring Freedom»-Truppe, um von vornherein Konflikte der parallel
operierenden Kontingente zu vermeiden. Das «US-Central Command» in
Florida hat eine Dependance in Kabul, den «Joint Coordinating Body»,
dem nun auch die Isaf angegliedert wird. Die Nachfolger der Briten in der
Führung der Isaf, die Türken, werden an dieser Befehlskette nichts ändern.
Die Uno werden so zum Subunternehmer der USA. Diese dehnen ihre
Militäreinsätze zeitlich und territorial beliebig aus, da auch noch im letzten
Wüstenloch ein al-Kaida-Terrorist vermutet werden kann. Währenddessen
wird der Uno die weit schwierigere Aufgabe übertragen, die rivalisierenden
Fraktionen der labilen afghanischen Regierungsallianz in Schach zu
halten, worüber das «US Central Command» wacht. Dies mag man als
Meisterleistung der US-Diplomatie bewundern und als Vollendung der
Neuen Bush-Weltordnung erkennen – eine Perspektive für die Uno und den
Frieden in der Welt bietet es allerdings nicht.
Aus: WoZ, 10. Januar 2002
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