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Die Causa Trinkaus

Thüringer Verfassungsschutz verstieß gegen Vorschriften und Gesetze. V-Mann hätte nicht angeworben werden dürfen

Von Markus Bernhardt *

Geheimdienste sind und bleiben nicht kontrollierbar. So dürfte eine Erkenntnis der Aufarbeitung des mannigfaltigen Treibens des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz lauten. In der vergangenen Woche diskutierte der Landtag des Freistaates den Abschlußbericht des sogenannten Trinkaus-Ausschusses.

Kai-Uwe Trinkhaus war in den Jahren 2006 und 2007 als V-Mann für das Landesamt für Verfassungsschutz tätig. Schon 2005 war der Mann Mitglied der neofaschistischen NPD geworden und dort flugs zum stellvertretenden Kreisvorsitzenden avanciert. Über Jahre hinweg – schon lange vor seiner Spitzeltätigkeit – gehörte Trink­aus zu den umtriebigsten Neonazis in Thüringen. So sollen allein in den Jahren zwischen 1996 und 2011 insgesamt 21 Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden sein. Trotzdem erhielt der V-Mann insgesamt mehrere tausend Euro als Lohn für seine Spitzeldienste – obwohl er als unzuverlässiger politischer Provokateur galt.

Trinkaus hatte sich damals in verschiedene demokratische Vereine und Parteien eingeschlichen, um diese zu diffamieren und in den Schmutz zu ziehen. So hatte er etwa einen Gesinnungsgenossen in die Landtagsfrak­tion der Linkspartei eingeschleust mit dem Ziel, daß er dort größtmöglichen Schaden verursachen sollte. Tatsächlich hatte ein eingeschleuster Neonazi bald darauf einen Linke-Abgeordneten sexueller Übergriffe bezichtigt.

Erst Ende 2012 hatte Trinkaus sich gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) selbst enttarnt, woraufhin der Landtag noch im Dezember des gleichen Jahres auf Antrag aller Fraktionen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß einsetzte. Das Gremium sollte dabei vor allem der Frage nachgehen, inwiefern das Landesamt für Verfassungsschutz das Treiben des V-Mannes unterstützt beziehungsweise davon gewußt habe.

Als der Abschlußbericht am vergangenen Freitag im Thüringer Landtag diskutiert wurde, herrschte unter den Abgeordneten aller Fraktionen weitgehende Einigkeit – zumindest in der Einschätzung, daß seitens des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes erhebliche Fehler gemacht worden waren. Offen sei hingegen geblieben, ob Mitarbeiter des Landesamtes im Vorfeld von den Diskreditierungsplänen gegen Abgeordnete informiert gewesen seien, stellte der Obmann der Linksfrak­tion, Bodo Ramelow, klar. Trinkaus hatte das in seiner Vernehmung so dargestellt. In den lückenhaften Akten des Landesamtes – es fehlte eine Reihe an Berichten von Treffen mit Trinkaus – habe sich allerdings kein weiterer Hinweis finden lassen, sagte Ramelow.

»Wenn die geltenden rechtlichen Bestimmungen eingehalten worden wären, hätte auch eine Verpflichtung niemals erfolgen dürfen«, konstatierte Marian Koppe, Obmann der FDP im Untersuchungsauschuß. Die Mitglieder des Gremiums hatten sich schon am Dienstag letzte Woche bei der Übergabe des 330 Seiten umfassenden Abschlußberichtes an die Landtagspräsidentin Birgit Diezel (CDU) für eine bessere Kontrolle des Verfassungsschutzes ausgesprochen. Es habe sich gezeigt, daß die Fachaufsicht des Innenministeriums über den Inlandsgeheimdienst oft mangelhaft gewesen sei, konstatierte die Ausschußvorsitzende Evelin Groß (CDU).

Ramelow sieht sich hingegen in seiner Skepsis gegenüber Geheimdiensten bestätigt. Als wichtiges Arbeitsergebnis hob der Fraktionschef der Thüringer Linkspartei die Rehabilitation der von Trinkaus’ Diffamierungen Betroffenen hervor – darunter die Linke-Landtagsabgeordneten Knut Korschewsky, Susanne Hennig und Frank Kuschel. Sie waren heftigsten öffentlichen Diskreditierungsversuchen durch Trinkaus und sein Umfeld ausgesetzt und mußten sich seinerzeit juristisch zur Wehr setzen (jW berichtete). Ramelow verwies auch darauf, daß das Landesamt für Verfassungsschutz vorliegende Erkenntnisse über von Neofaschisten begangene Straftaten nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben habe. Hinweise auf Täter aus der Neonaziszene, die am 1. Mai 2007 einem Journalisten die Kamera raubten, seien vom Landesamt wegen »Quellenschutzes« nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergegeben und sogar der amtsinternen Auswertung vorenthalten worden, kritisierte Ramelow.

Für Bündnis 90/Die Grünen sprach sich am Freitag deren Landtagsabgeordneter Dirk Adams für die Absetzung des amtierenden Innenstaatssekretärs Bernhard Rieder aus. Er war Mitte der 2000er Jahre für die Fachaufsicht des Verfassungsschutzes im Thüringer Innenministerium verantwortlich. Auch Gerd Lang, den heutigen Leiter der Polizeischule in Meiningen, der während des Trinkaus-Skandals Vizechef des Inlandsgeheimdienstes war, solle nach den Enthüllungen von Innenminister Jörg Geibert (CDU) von seinem Posten entheben.

Daß es im Vorfeld der für den 14. September in Thüringen anstehenden Landtagswahlen tatsächlich noch zu Konsequenzen für den Thüringer Verfassungsschutz kommt, gilt als weitestgehend ausgeschlossen. Sollte es Linke-Fraktionschef Ramelow hingegen tatsächlich gelingen, als erster Ministerpräsident seiner Partei aus den Wahlen im September hervorzugehen, könnte der Inlandsgeheimdienst vor gehörigen Problemen stehen. Hatte Ramelow doch in der Vergangenheit mehrfach betont, den Spitzeldienst schließen zu wollen.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 23. Juli 2014


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