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NSU, NSA, Normalität

Der Bundesverfassungsschutz stellt seinen Bericht für das Jahr 2013 vor: Für Rechtsterrorismus gibt es »keine Anhaltspunkte« mehr, dafür sind Linke »ruppiger« zu Polizisten

Von Sebastian Carlens *

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hat schwere Jahre hinter sich: Der Skandal um den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU), die Aktivitäten der amerikanischen NSA auf deutschem Boden – und ein Geheimdienst, der im ersten Fall wohl vielfach Hilfestellung leistete, im zweiten eng kooperiert haben soll – und in Zukunft noch enger zusammenarbeiten will (jW berichtete). Hans-Georg Maaßen, Präsident des BfV, sollte im Amt aufräumen und »Vertrauen zurückgewinnen«. Mit dem Vertrauen hat es noch nicht so ganz geklappt, doch in anderer Hinsicht war der neue Mann durchaus erfolgreich: Seine Behörde arbeitet wieder wie gehabt.

Am Mittwoch haben Maaßen und sein Dienstherr, Innenminister Thomas de Maizière (CDU), in Berlin den »Verfassungsschutzbericht 2013« präsentiert. Sowohl im »rechts-« als auch im »linksextremistischen« Milieu sei das Personenpotential rückgängig, konnte de Maizière feststellen. Trotzdem hätten in beiden »Phänomenbereichen« die Gewalttaten massiv zugenommen. Gegenüber 2012 seien fremdenfeindliche Übergriffe um 20,4 Prozent angestiegen. »Statistisch wird jeden Tag in Deutschland mindestens eine fremdenfeindlich motivierte Gewalttat begangen«, heißt es in dem Bericht. Keine Gefahr scheint hingegen mehr von rechtsterroristischen Strukturen auszugehen: Hatte es im BfV-Bericht für das Jahr 2012 noch etwas gewunden geheißen, daß »potentielle Nachahmer« durch die Taten des NSU »motiviert« werden könnten und ein – wenn auch »geringes« – Personenpotential Terrorismus »als Handlungsoption in Erwägung zieht«, ist diese Gefahr nun, ein Jahr später, gebannt: »Aus den Reaktionen des rechtsextremistischen Spektrums zum NSU-Komplex können jedoch keine unmittelbaren Anhaltspunkte für ein mögliches rechtsterroristisches Handeln abgeleitet werden.« Das ist nichts Neues: »Keine Anhaltspunkte« für Rechtsterrorismus hatte das BfV schon einmal solange gesehen, bis der NSU aufflog.

Die Spitzel können sich nunmehr wieder auf ihre Kernkompetenz besinnen: Das »linksextreme Spektrum« habe eine neue Kultur der »Ruppigkeit gegenüber Uniformträgern« im öffentlichen Dienst entwickelt, stellten de Maizière und Maaßen fest: Gegenüber »Sachbearbeitern in der Grundsicherung und in Ausländerämtern«, insbesondere aber gegenüber Polizisten sei »die Hemmschwelle gesunken und die Gewaltbereitschaft gestiegen«, so der Innenminister. Belegt wird dies mit den Vorkommnissen rund um das linke Kulturzentrum »Rote Flora« in Hamburg. In zeitlicher Nähe zu Protesten gegen eine geplante Räumung des Zentrums war es am 28. Dezember vergangenen Jahres zu einer Attacke auf eine Hamburger Polizeiwache gekommen – die Täter sind bis heute nicht gefaßt, Zeugenaussagen zogen die Darstellung der Polizei in Zweifel. Doch den Hamburger Beamten haben die vermeintlichen Angriffe durch Linke eine Finanzspritze von zehn Millionen Euro beschert, der Verfassungsschutz hat sein angestammtes Feindbild zurück.

Den größten Kummer bereiten Minister und Amtschef die Salafisten – diese radikale Spielart des Islam sei »auf dem Vormarsch«: »Wir sind weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen«, warnte Maaßen. Eine »Sonderauswertung« der Vorwürfe gegen die amerikanische NSA wegen des Ausspähens deutscher Bürger sollen Maaßen zufolge »keine Ergebnisse« erbracht haben. Dafür warnt das Amt vor Rußland und China: Deren Dienste hätten ihre Tätigkeit »mit Blick auf die Ukraine-Krise« intensiviert.

Vor drei Jahren, direkt nach Auffliegen des NSU, hatte selbst die FAZ die Zerschlagung des Verfassungsschutzes gefordert. Davon ist natürlich längst keine Rede mehr, im Gegenteil: Es gibt wieder gut zu tun für Maaßen und seine Spitzel, V-Leute und verbeamteten Burschenschaftler.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Juni 2014

Verfassungsschutzbericht im Internet:

Hier können sie den kompletten Verfassungsschutzbericht herunterladen: pdf-Datei (externer Link)

Eine Kurzzusammenfassung des Berichts ist hier erhältlich: Kurzfassung, pdf (externer Link)




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