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400 Seiten im Dienst der Extremismustheorie

Der Verfassungsschutz schreibt sich seine "wissenschaftlichen" Grundlagen im Kampf gegen die Antifa selbst

Von Florian Osuch *

Eine Studie zu antifaschistischen Bewegungen in Deutschland stellt die Arbeit von Nazigegnern als linksextremistische Agitation dar. Die Autorin ist eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes.

Im Berliner »Tagesspiegel« erschien Ende Januar ein vieldiskutierter Kommentar mit dem Titel »Danke, liebe Antifa!«. Es ist die Bekundung eines Anhängers (»Wäre die Antifa nicht da, gäbe es viel mehr Nazis in meinem Leben.«), nicht eines Aktivisten, und der Beitrag hatte wütende Leserzuschriften zur Folge. Die Zeitung sei »von allen guten Geistern verlassen«, meinte der langjährige Berliner Finanzsenator und Autor Thilo Sarrazin, und später schrieb Frank Jansen im »Tagesspiegel« zu »Verdiensten, Versagen und Verbrechen« der Antifa.

Im Nomos-Verlag ist jetzt die Studie »Deutschland einig Antifa? ›Antifaschismus‹ als Agitationsfeld von Linksextremisten« erschienen. Die Autorin Bettina Blank ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für »Linksextremismus« beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg.

Der 400-seitige Band erscheint in der Serie »Extremismus und Demokratie«, laut Programm des Nomos-Verlags wird darin eine »besondere Aufmerksamkeit [auf die] strukturellen Gemeinsamkeiten, Wechselwirkungen, Interdependenzen und Interaktionen der Extremismen« gelegt. Herausgegeben wird die Reihe von den Professoren und selbst ernannten Extremismusforschern Eckhard Jesse und Uwe Backes.

Obwohl die Extremismustheorie inzwischen von Experten als unwissenschaftlich zurückgewiesen wird, sind es genau solche Bücher wie das vorliegende, die im Wissenschaftsbetrieb viel Beachtung finden. »Deutschland einig Antifa?« wird vermutlich als Handreichung für Bachelor- und Masterarbeiten ebenso wie für Promotionen dienen. Journalisten werden voraussichtlich daraus zitieren, und Gerichte könnten sich darauf stützen, wenn sie antifaschistische Proteste verbieten. Es ist das alte Spiel: Mitarbeiter und engste Vertraute des Verfassungsschutzes publizieren in Wissenschaftsverlagen Bücher. Der Verfassungsschutz führt solche Publikationen in seinen Jahresberichten und Broschüren als Belege aus der neuesten Forschung an.

Die Hauptaussage des Buches lautet: Feinde der Demokratie – in diesem Fall aus dem linken Lager – nutzen das gut gemeinte und von vielen unterstützte Anliegen des Antifaschismus als Deckmantel für umstürzlerische Agitation. Das ist Quatsch, was insbesondere die Massenmobilisierung von Antifagruppen nach Dresden in den vergangene Jahren gegen Nazis gezeigt haben, wo bewusst auf revolutionäre Rhetorik verzichtet wurde. Die baden-württembergische Verfassungsschützerin wärmt in ihrem Buch auf, was Kollegen aus der Hauptstadt schon 1999 publizierten, damals hieß das Heft der Berliner Abteilung des Geheimdienstes »Antifa heißt Angriff: Antifaschismus als Deckmantel für Gewalt«.

Und was erfährt man sonst in dem Buch? Bettina Blank analysiert die verschiedenen Praxen – Demonstrationen, Recherche- und Bildungsarbeit – von Nazigegnern und insbesondere von DKP, VVN-BdA, der Linkspartei und von unabhängigen Antifagruppen. Im letzten Kapitel schreibt Blank in klassischer Extremismusdoktrin von »Parallelerscheinungen« zwischen Neonazis und Antifagruppen. Der Erwerb des Buches ist daher nicht zu empfehlen. Jeder, der schon einmal eine Gedenkstätte für die Opfer des Faschismus, ein ehemaliges Konzentrations- oder Vernichtungslager oder eine andere Mordstätte der Nazis besucht hat, weiß, dass es weder »Gemeinsamkeiten« noch »Übereinstimmungen« zwischen Faschisten und Nazigegnern gibt, wie es die Autorin in dem Buch darstellt. Die 64 Euro sind besser investiert als Spende an die VVN oder eine örtliche Antifainitiative.

Bettina Blank, »Deutschland, einig Antifa«? »Antifaschismus« als Agitationsfeld von Linksextremisten, 412 Seiten, Nomos-Verlag, Baden-Baden 2014, 64 €.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 9. April 2014


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