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Globales Geschäft mit Trinkwasser

Von Norbert Suchanek*

"Blut wurde nicht nur für Öl vergossen, sondern auch für die Kontrolle über Wasser."
(Vandana Shiva)

Richard Holbrooke war einst US-Sonderbeauftragter für Bosnien. Als er beim Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen vorsprach, bat er allerdings nicht um Hilfe für Bosnien, sondern diente als "Türöffner" für Azurix, der Wassertochter des US-Konzerns Enron. Azurix wollte damals die Berliner Wasserwerke übernehmen. Die Sonderpädagogin Gunda Röstel war einst als Sprecherin an der Spitze von Bündnis 90/Die Grünen. Für die Tochter des Atomenergiekonzerns EON, Gelsenwasser, macht sie sich heute als Managerin für die Privatisierung der Wasserversorgung vor allem in Ostdeutschland stark. George Shultz war früher Staatssekretär unter Präsident Ronald Reagan. Unter George W. Bush plädierte Shultz in vorderster Front als Vorsitzender des Pro-Kriegs-Komitees sowie als Ex-Präsident und Aufsichtsratmitglied des Bechtel-Konzerns, der auch den Wahlkampf von Bush mitfinanzierte, für den Irakkrieg. Bechtel bekam anschließend von der Bush-Regierung einen 680 Millionen Dollar-Auftrag zum Wiederaufbau der Infrastruktur im Irak, zu der auch die Trinkwasserversorgung der irakischen Bevölkerung gehört. Drei Beispiele dafür, dass im Geschäft mit Wasser nichts heilig und im Gegenzug viel zu verdienen ist. So schätzte das US-Wirtschaftsmagazin Fortune vor einiger Zeit den Umsatz der Wasserindustrie auf 400 Milliarden Dollar jährlich ein.

"Blut wurde nicht nur für Öl vergossen, sondern auch für die Kontrolle über Wasser." Als die indische Ökologin Vandana Shiva dies 2003 über den Irak-Krieg sagte, dachte sie auch an die katastrophale Wasserpolitik Bechtels in Bolivien. Auf Druck der Weltbank hat das auf Schuldenerlass hoffende Bolivien Ende der 1990er Jahre begonnen, die Wasserversorgung zu privatisieren. Ein Tochterunternehmen der Bechtel-Gruppe bekam 1999 den Zuschlag für die Wasserwerke der bolivianischen Stadt Cochabamba mit über 500.000 Einwohnern. Als Folge davon stieg der Wasserpreis um bis zu 200 Prozent. Die mehrheitlich indianische Bevölkerung musste schließlich für die Wasserversorgung Monat für Monat bis zu 30 Prozent des Durchschnittseinkommens bezahlen. Was bezogen auf deutsche Einkommensverhältnisse einen monatlichen Wasserpreis von rund 500 Euro bedeutete. Das machten die Menschen Cochabambas freilich nicht mehr mit und gingen auf die Straße. Es kam zu Massenprotesten, die selbst nach der Verhängung des Notstands und einem blutigen Militäreinsatz nicht endeten. Schließlich kündigte die Regierung im Jahr 2000 einseitig den Vertrag mit Bechtel, der nun im Gegenzug Bolivien auf 25 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt hat.

Vandana Shiva: "Als Bechtel den ersten Vertrag für den Wiederaufbau des Irak erhielt, war dies ein offensichtliches Beispiel für die Intransparenz, die Geheimhaltung und Korruption mit der die Herrschaft der Konzerne etabliert wird. Ob es sich um die Wasserprivatisierungsverträge in Bolivien oder Indien handelt, jedes Mal kennzeichnen Geheimhaltung und mangelnde Demokratie die Methoden, mit denen man sich Märkte und Profite aneignet. Freier Handel ist in Wirklichkeit total unfrei. Er ist erzwungen, korrupt, betrügerisch und gewaltsam."

Besonders im globalen Wassergeschäft scheint das Unternehmensprinzip zu lauten: Geschäfte hinter verschlossenen Türen, möglichst ohne das die kritische Bevölkerung etwas vom Ausverkauf Ihrer Lebensgrundlage mitbekommt. Dass das die Konzerne so haben wollen, ist aufgrund der so zu erzielenden hohen Profite verständlich und legitim. Aber warum machen so viele Volksvertreter dabei mit? Liegt es daran, dass Versicherungsvertreter Versicherungen verkaufen und Volksvertreter das Volk, wie es ein Kabarettist formulierte?

Mit Wasser Löcher stopfen

Für CDU-Bürgermeister Diepgen war wohl die Triebfeder des "Verkaufs" der Berliner Wasserbetriebe das chronische Finanzloch von rund 2 Milliarden Markt im Haushalt der Stadt, das es 1998 zu stopfen galt. Zwar gab Diepgen trotz Holbrookes Bemühungen 1999 nicht der Wassertochter des US-Konzerns Enron - der 2001 spektakulär zusammenbrach - den Zuschlag, sondern einem von der Allianz finanzierten Konsortium der beiden Wasserkonzerne Vivendi (heute Veolia) und RWE, das dafür 3,1 Milliarden Mark auf den Tisch legte. Damit konnte die Stadtregierung zwar rückwirkend das Haushaltsloch von 1998 und die Lücken des laufenden Haushalts füllen, aber schon im nächsten Jahr, war wieder ein Minus im Haushalt auszugleichen. Mit dem "Verscherbeln" des Allgemeinguts Wasser kann man eben dauerhaft keine Löcher stopfen.

Umgekehrt war das Interesse der Konzerne an Berlinwasser in erster Linie strategischer Natur. "Die Berliner Beteiligung ermöglichte den Brückenschlag zum noch wenig erschlossenen mittel- und osteuropäischen Wassermarkt. Gleichzeitig schalteten die Branchenführer Vivendi und RWE die Berliner Wasserbetriebe als missliebigen Konkurrenten aus, der ihnen bei Privatisierungen in Osteuropa schon mehrmals in die Quere gekommen war", schreiben Lisa Stadler und Uwe Hoering in ihrem Buch "Das Wasser-Monopoly."

Aber warum ist das Interesse der großen Konzerne - ob sie nun EON, RWE, Nestlé oder Coca Cola heißen - am Business mit Wasser so groß? Erstens ist abzusehen, dass das Trinkwasser mit zunehmender Verschmutzung, fortschreitendem Rückgang der Grundwasserressourcen und mit zunehmender Weltbevölkerung immer knapper und damit immer wertvoller wird. Längst spricht man vom "Blauen Gold". So schreibt das Fortune Magazine: "Wasser wird für das 21. Jahrhundert, was Erdöl für das 20. Jahrhundert war". Und schließlich: Wer Wasser an eine Stadt oder Region liefert hat faktisch ein Monopol, eine Maschine zum Gelddrucken. Es macht nämlich wirtschaftlich keinen Sinn mehrere Wasserleitungen verschiedener Wasseranbieter durch die Städte und in die Häuser zu legen. Und Wasser verschiedener Anbieter ähnlich wie bei der Elektrizität durch die selben Rohre zu leiten, gilt als ökologisch und technisch sehr bedenklich. Obwohl auf den ersten Blick gleich, hat Trinkwasser je nach Herkunft unterschiedliche physikalische, chemische und mikrobiologische Eigenschaften. Deshalb müsste der Mix aus verschiedenen Wässern erst einmal chemisch aufbereitet werden. Außerdem könnte der Wassercocktail zur Korrosion der Rohrleitungen führen, was auf die Dauer sehr teuer und überdies gesundheitsschädlich ist.

Brot für die Welt macht Aktion gegen Wasserprivatisierung

Das Beispiel der bolivianischen Stadt Cochabamba zeigt, dass die Privatisierung von Wasserressourcen und Wasserversorgung trotz zahlreicher Lobbyisten Weltbank und Politik kein unabwendbares Schicksal der Menschheit ist. Wir alle, die Bürger einer Gemeinde, einer Stadt eines Staates haben es in der Hand, den Konzerne den Zugriff auf unser Lebensmittel Nr. 1 zu verweigern. "Eine zukunftsfähige Wasserversorgung erfordert uneingeschränkte öffentliche Verantwortung", so Danuta Sacher, Koordinatorin der Wasserkampagne bei "Brot für die Welt". Die evangelische Entwicklungsorganisation beobachtet "mit Sorge die Tendenz, dass privatwirtschaftlichen Lösungen immer mehr der Vorrang eingeräumt wird, auch in der bundesdeutschen Entwicklungszusammenarbeit." Deshalb startete Brot für die Welt März 2003 seine Kampagne "MenschenRechtWasser", die Menschen in Bewegung bringen will - für das Menschenrecht auf Wasser.

In diesem Jahr nun wurde die Kampagne mit der "Aktion Schutzdeich gegen Wasserprivatisierung", getragen von einem breiten Bündnis von verschiedenen Organisationen wie FIAN, BUND, Attac, verdi und dem Netzwerk "Wasser in Bürgerhand" verstärkt. Gemeinsam mit "Brot für die Welt" fordern die Bündnispartner: "Konzentration der Entwicklungshilfe auf Wasserprojekte für die Ärmsten und Ressourcenschutz! Wasser raus aus internationalen Handelsverträgen! Schutz der Wasserver- und Abwasserentsorgung in Deutschland als öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge." Jeder ist aufgefordert mitzumachen und die Forderungen zu unterstützen. Brot für die Welt: Mit Hilfe von möglichst vielen einzelnen Postkarten wird ein großer Schutzdeich gegen die Privatisierung von Wasser gebaut werden. Die einzelnen kleinen Deiche, die überall in Deutschland entstehen, werden schließlich zu einem gemeinsamen Schutzdeich zusammengefügt. Dieser wird als Zeichen des Protestes gegen Wasserprivatisierung zum 4. Weltwasserforum eingesetzt werden. Die Wasserkonzerne wollen nämlich zusammen mit ihren Lobbyisten im Rahmen der GATS-Verhandlungen der Welthandelsorganisation am 4. Weltwasserforum im März 2006 in Mexiko die Liberalisierung von Wasserver- und Abwasserentsorgung noch weiter vorantreiben.

"Weltwasserforum" klingt zwar recht hochtrabend und nach einer Veranstaltung, bei der die Welt anwesend ist. Tatsächlich aber ist dieses Forum einer Erfindung des Weltwasserrats, der wiederum 1996 von den privaten Wasserkonzernen wie Bechtel, RWE und Vivendi zusammen mit der Weltbank gegründet wurde. Für unser Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unter Leitung von Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul und der Grünen Staatssekretärin Uschi Eid gilt dieser Weltwasserat als "ein Instrument der internationalen Entwicklungspolitik". Der Weltwasserrat, schreibt das BMZ, "versteht sich vor allem als ein `think tank´, der im ständigen Dialog mit allen Beteiligten sinnvolle Leitlinien zum Schutz der Wasserressourcen formuliert." Internationale Kritiker allerdings sehen den Weltwasserrat lediglich als Industrielobby und als "Politbüro der Privatisierung."

* Norbert Suchanek, geb. 1963 in Würzburg, studierte Technische Chemie; arbeitete bei Greenpeace und anderen NGOs, seit 1988 freier Journalist; Bücher: "Ausgebucht" (2000), "Mythos Wildnis" (2001), beide im Schmetterlings-Verlag.
Quelle: www.bio100.de


Weitere Informationen:
Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e. V. für die Aktion "Brot für die Welt",
Stafflenbergstraße 76, 70184 Stuttgart,
Danuta Sacher E-Mail: d.sacher@brot-fuer-die-welt.de
E-Mail: wasser@brot-fuer-die-welt.de
www.menschen-recht-wasser.de


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