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Fairness als staatliche Herausforderung

In die deutschen Vergaberichtlinien ist – längst überfällige – Bewegung gekommen

Von Knut Henkel *

Immer mehr Bundesländer gehen dazu über, ihre Einkäufe nach sozialen und ökologischen Standards zu tätigen. Da das Volumen des öffentlichen Einkaufs immens ist, entsteht dadurch ein beachtlicher Druck auf die Lieferanten. Für die Männer und Frauen in den Ländern, wo Baumwollkittel, Granitplatten oder Computer produziert werden, wäre das ein echter Hoffnungsschimmer. Vorreiter ist das Bundesland Bremen, welches sich vor einem Jahr zur fairen Beschaffung bekannt hat.

»Ein paar Monate ist es her, da wollte die Hansestadt Bremen erstmals unter fairen Bedingungen produzierte Arbeitskittel, im Fachjargon Überwurfschürzen genannt, einkaufen. Doch es gab echte Schwierigkeiten, in Deutschland überhaupt Anbieter ausfindig zu machen, die nachweislich fair produzieren lassen«, erklärt Christopher Duis, der Geschäftsführer des entwicklungspolitischen Netzwerks in Bremen.

Nicht nur gefühlter Unterschied

Der Auftrag für die rund tausend Kittel ging deshalb ins benachbarte Holland. Beim nächsten Auftrag muss das nicht mehr so sein, denn seit Ende Juni gibt es auch einen deutschen Anbieter, der mit der fairen Konkurrenz aus Holland mithalten kann. Das Kölner Traditionsunternehmen Bierbaum-Proenen ist seit Ende Juni Mitglied in der Fair Wear Foundation, und mit dem Beitritt bekommt der markante Werbeslogan »Feel the difference« (Fühl den Unterschied) einen vollkommen neuen Zungenschlag. Die in den Niederlanden ansässige Multi-Stakeholder Initiative gilt derzeit als die Organisation mit dem weitestreichenden Verhaltenskodex im Textilsektor. Das kann Ute Müller, die Verantwortliche für Qualitätsmanagement bei Bierbaum-Proenen, nur bestätigten. »Ich war beeindruckt wie gründlich die Auditoren gearbeitet haben. Da wurden Arbeiter auch außerhalb der Fabrik befragt und alle Ergebnisse sind offen einsehbar«.

Die Auftraggeber des 1722 gegründeten Familienbetriebs, der zu den großen Arbeitskleidungsanbietern in Deutschland gehört, können sich also sicher sein, dass die Ware unter fairen Arbeitsbedingungen produziert wird. Darauf legen immer mehr Kunden Wert und deshalb hat man bei Bierbaum-Proenen den Schritt vollzogen. »Wir wollen glaubwürdig sein und negative Beispiele gibt es schließlich genug«, erklärt Ute Müller. Dabei hat das Unternehmen aus der Kölner Innenstadt auch neue Kunden im Visier.

Dazu zählen auch die öffentlichen Beschaffer, sei es aus Bremen, Hamburg oder Berlin. Die ordern immer öfter nach fairen Kriterien, wie das Bremer Beispiel zeigt. Dort ist im November 2009 das bis dato wohl progressivste Vergabegesetz verabschiedet worden. Aber auch andere Bundesländer wie Berlin, wo seit Juni 2010 ein neues Vergabegesetz gilt, oder Thüringen, das Saarland oder Rheinland-Pfalz sind aktiv und bereiten entsprechende Gesetze vor. Es ist Bewegung in die deutschen Vergaberichtlinien gekommen. »Das ist auch überfällig«, erklärt Helmut Horn. »Wir brauchen die Vergabe, um Druck auf die Händler und Produzenten auszuüben«, erklärt der Professor, der in Bremen dem BUND vorsteht. Laut Horn reicht der Einfluss der bewussten Konsumenten allein nicht aus, um Sozial- und Ökostandards in der Produktion durchzusetzen.

Vom billigen zum fairen Einkauf

»Beim Kauf eines Fernsehers spielen Sozialkriterien keine Rolle. Da geht es nach Leistung und Preis, wie eine Leserumfrage der Stiftung Warentest gezeigt hat«, mahnte Horn auf einer Tagung zur bis dahin weitgehend unverantwortlichen öffentlichen Beschaffung im September in Berlin. Das gleiche gilt für die IT-Branche. Computer gibt es genauso wenig wie Kopierer und Bildschirme aus fairer Produktion. Eine Tatsache mit der sich Carsten Schulz von Immobilien Bremen derzeit herumschlagen muss. Er ist einer der Beschaffer der Hansestadt Bremen und sein Arbeitsbereich wird gerade zum Dienstleistungszentrum für den nachhaltigen öffentlichen Einkauf weiterentwickelt. Der stößt immer wieder an Grenzen, denn es gibt zwar eine ganze Reihe von Labeln und Siegeln wie Fairtrade oder den blauen Umweltengel, an denen sich die öffentlichen Einkäufer orientieren können. Aber in vielen Bereichen fehlt eine derartige Orientierung.

Derzeit wird in Bremen ein Rahmenvertrag für Multifunktions-Kopiergeräte für Bremen ausgeschrieben. Der erste Vertrag seiner Art, denn neben ökologischen sollen auch soziale Kriterien berücksichtigt werden. Bisher kann das jedoch kein Hersteller garantieren und deshalb ist Bremen im Dialog mit den Herstellern, so ist aus dem Hause der Finanzsenatorin zu hören, die sich für das Bremer Vergabegesetz eingesetzt hat.

Mehr Orientierung wünscht sich auch Peter König. Der arbeitet in Berlin in einem Logistikcenter der Stadt, vergibt öffentliche Aufträge und sucht händeringend nach stichhaltigen Informationen. Ein echtes Problem für die öffentlichen Beschaffungsstellen in Deutschland. »Rund 30 000 gibt es landesweit und dort wird in aller Regel nicht nach sozialen und ökologischen Kriterien bestellt«, so Vanessa Hübner von der Berliner Energieagentur. Sie arbeitet bei »Buy Smart«, einer mit Geldern der Europäischen Union finanzierten Infoagentur für die ökologische Beschaffung. Unternehmen können sich genauso wie Behörden und staatliche Einrichtungen an die Einrichtung wenden und sich informieren.

An derartigen Einrichtungen fehlt es und deshalb haben die Experten vom Netzwerk für Unternehmensverantwortung (Cora) – einem Zusammenschluss von rund dreißig Nichtregierungsorganisationen – bereits angeregt, eine nationale Servicestelle für die Nöte der öffentlichen Beschaffer einzurichten, so Volkmar Lübke vom Netzwerk. Das ist seit Jahren eine treibende Kraft für eine faire Beschaffung auf allen Ebenen. Für Beschaffer wie Peter König oder Carsten Schulz wäre das eine enorme Erleichterung, denn in der Praxis ist es alles andere als einfach, nach ökologischen und sozialen Kriterien zu ordern. Dabei hat eine McKinsey-Studien im Auftrag des Umweltministeriums ergeben, dass die Marktmacht der öffentlichen Hand durchaus für nachhaltige Veränderungen bei den Anbietern sorgen und den Klimaschutz vorantreiben könnte.

Einen »Nachhaltigkeitsschub« versprechen sich viele Nichtregierungsorganisationen, wie die in Münster ansässige Christliche Initiative Romero (CIR), von einem entsprechenden Wandel in der Politik. »Doch auf Bundesebene tut sich wenig. Bei den Ländern liegt derzeit die Initiative und wir hoffen, dass sie von dort auf die Kommunen übergeht«, moniert der CIR-Vorsitzende Thomas Krämer-Broscheid am Rande der bereits erwähnten Vergabe-Tagung in Berlin.

Auch ein Grund, weshalb bei Anbietern wie Beschaffern derzeit eine gewisse Orientierungslosigkeit herrscht. »Natürlich sind wir an öffentlichen Auftraggebern interessiert, aber derzeit herrscht noch Rechtsunsicherheit. Die Frage, was passiert, wenn die Konkurrenz klagt, ist nicht geklärt«, so Ute Müller von Bierbaum-Proenen. Ein berechtigter Einwand – auch in Bremen arbeiten die Juristen noch an der nötigen Rechtsverordnung. Das ist in anderen Bundesländern nicht anders, de facto wird schließlich Neuland beschritten. Länderübergreifende Wirkung

»Extrem wichtig dabei ist der gute Wille in der Verwaltung«, sagt Christopher Duis vom entwicklungspolitischen Netzwerk in Bremen. Dort wurden rund fünfzig Verwaltungsmitarbeiter geschult und sensibilisiert. Für Duis ein Rezept, von dem auch andere Bundesländer lernen können. Das wirkt sich auch länderübergreifend aus, denn Bremen kauft gemeinsam mit Hamburg und Niedersachsen nicht nur Computer zentral ein. Die Bremer Initiative trägt also im Norden schon erste Früchte.

Öffentliche Beschaffung

360 Milliarden Euro werden derzeit jährlich ausgegeben, um Waren und Dienstleistungen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene einzukaufen. Das sind rund siebzehn Prozent des Bruttoinlandprodukts und bisher wird diese immense Summe zumeist ohne spezifische Ansprüche an ökologische und soziale Kriterien ausgegeben. Das soll sich ändern, denn es ist die öffentliche Hand, die mehr als zehn Prozent der Computer bezieht, die das Gros an Materialien für den Straßenbau ordert und auch ein wichtiger Abnehmer von Textilien ist. Größter Auftraggeber sind dabei die Kommunen, auf die rund sechzig Prozent der Beschaffung entfällt. Entscheiden sich Bund, Länder und Kommunen, die Vergabe ihrer Aufträge an soziale und ökologische Kriterien zu koppeln, müssen sich die Arbeitsbedingungen in den Lieferländern merklich verbessern. Das kostet nicht unbedingt mehr, denn zum einen liegt der Lohnanteil vieler Produkte im niedrigen einstelligen Prozentbereich, zum anderen halten fair und ökologisch produzierte Produkte oftmals länger.



* Aus: Neues Deutschland, 27. November 2010


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