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2012 - ein verlorenes Jahr

Politik befreite sich nicht aus der Geiselhaft der Wachstumsabhängigkeit

Von Michael Müller *

Die Bilanz des abgelaufenen Jahres fällt für den Umwelt- und Naturschutz ernüchternd aus. Die Chancen wurden nicht genutzt.

2012 war für den Natur- und Umweltschutz ein verlorenes Jahr, das wichtigste Ereignis, der UN-Erdgipfel Rio plus 20, wurde zur Enttäuschung. Nichts war mehr zu spüren von dem gemeinsamen Willen von 1992, zu einer sozial-ökologischen Weltinnenpolitik zu kommen. Aber auch national spiegelte sich der reale Bedeutungsverlust wider im jähen Fall des Norbert Röttgen und dem blitzartigen Aufstieg, aber auch bereits eingesetzten Niedergang seines Nachfolgers Peter Altmaier. Zuerst platzte Röttgens Karriere, der den Leitungsbereich des Umweltministeriums mit seinen Gefolgsleuten aufblähte, aber in der Sache nichts auf die Kette brachte. Nie zuvor war der Widerspruch zwischen Ankündigungen und Taten so groß, wurde die Wiedervorlage beim Minister zur Beerdigung erster Klasse. Nach der verlorenen Landtagswahl in NRW musste Röttgen gehen, die Bundeskanzlerin traute ihm die Energiewende nicht zu. Es folgte der schnelle Aufstieg des Peter Altmaier. Doch als Everybody's Darling geriet er zwischen alle Fronten, der klare Kompass für den Umbau fehlt. Nun muss er sich gegen wachsende Kritik wehren, die nicht zuletzt auch in den eigenen Reihen von FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler geschürt wird.

Röttgen und Altmaier sind höchst unterschiedliche Charaktere und doch entsprechen beide dem Typ des Politikers, der bei Bundeskanzlerin Angela Merkel hoch im Kurs steht. Als Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion organisierten sie die Machtsicherung der Politik des Durchmauschelns, nicht aber die programmatische Erneuerung der Union, schon gar nicht die Herkulesaufgabe einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft. Das Desaster der Energiewende und der Stillstand in der Ökologie sind auch eine Folge der Entideologisierung der Politik.

Dabei erleben wir durch die Entbettung der Ökonomie aus den sozialen und ökologischen Bindungen erneut eine Transformation. Die Welt verändert sich radikal, eine sozial-ökologische Gestaltung ist dringend geboten. Dabei könnte die Ökologie zum Motor für Innovationen, Gerechtigkeit und Demokratie werden. Andernfalls werden die Gesellschaften noch tiefer gespalten, kommen die Volkswirtschaften nicht auf die Beine, nehmen unsichere Beschäftigungsverhältnisse zu, schreitet die Naturzerstörung schnell voran. Vier Beispiele belegen das ökologische Versagen der Politik:

Energiewende: Es gibt keinen anderen »Wendebereich«, der so intensiv erforscht wurde, aber so wenig begriffen ist, wie der von der fossilen Verschwendungswirtschaft zu solaren Energiedienstleistungen. Bereits 1980 legten die Umweltverbände ein erstes Szenario vor, in dessen Zentrum die Stärkung der Stadtwerke stand. Seitdem belegen unzählige Studien, dass in kurzer Zeit sowohl der Umbau in eine Effizienz- und Solarwirtschaft als auch der Atomausstieg möglich wären. Erst der Super-GAU von Fukushima zwang die Bundesregierung 21 Jahre nach dem ersten Konzept, eine Energiewende anzukündigen. Viel Zeit wurde vertan, aber was geschah bisher tatsächlich? Der Verkauf der Stromnetze an private Betreiber, die Verstümmelung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die Aushebelung des Naturschutzes, eine Umverteilung der Kosten zu Lasten kleiner Verbraucher. Energiesparen und Effizienzrevolution spielen nur eine Nebenrolle. Und erstmals deckelt ein Umweltminister den Ausbau der erneuerbaren Energien.

Wer die Energiewende will, kommt an der Machtauseinandersetzung mit den großen Energiekonzernen nicht vorbei, um vom zentralisierten Verbundsystem mit nuklearen und fossilen Großkraftwerken zu dezentralen Energiedienstleistungen auf solarer Basis zu kommen, die auf die Vermeidung eines hohen Energieverbrauchs ausgerichtet sind. Doch die Bundesregierung spricht nur isoliert über Netzausbau, Strom und erneuerbare Energien, nicht aber über eine neue Systemlogik und die Integration von Strom, Wärme und Mobilität. Aber eine wirkliche Energiewende ist nur so möglich.

Das Ende des Ölzeitalters: Mit der Massenmotorisierung stieg Öl in den letzten 50 Jahren zur Weltmacht auf. In dieser Zeit kamen fast 80 Prozent des billigen, hochwertigen Öls aus den großen Feldern an Land. Aber auf diesen »Giant Fields« geht die Produktion weltweit zurück. Sogar der »World Energy Outlook« der OECD, wahrlich kein Hausblatt der Ökologiebewegung, spricht vom Ende des leicht zu fördernden Öls. »Peak Oil«, also der Höhepunkt der Förderung, ist erreicht. Einige Länder versuchen mit Hilfe von Fracking aus Ölschiefer oder Bitumen die Knappheit auszugleichen. Doch das ist nur für eine kurze Frist möglich und verursacht gewaltige Schäden an der Natur und hohe CO2-Emissionen. Was aber macht der Umweltminister, um zu einer Verkehrswende zu kommen? Dabei sind Energie- und Verkehrswende entscheidende Schlüsselfragen, um unser Land nachhaltig zu machen.

Klimawandel: Auch 2012 nahmen die Alarmsignale zu, der Klimawandel beschleunigte sich. Wissenschaftler warnen davor, dass selbst das eigentlich unzureichende Ziel, die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu beschränken, nicht mehr eingehalten werden kann. Die Bundeskanzlerin, die sich vor fünf Jahren noch als Klimakanzlerin hat feiern lassen, tauchte ab, setzte sich in der EU nicht für eine Reduktion der Treibhausgase um 30 Prozent bis zum Jahr 2020 gegenüber 1990 ein. Der Bundesumweltminister bewertete das Desaster der UN-Klimakonferenz in Doha, wo die Weltgemeinschaft versagt hat, auch noch als Meilenstein.

Arbeit und Umwelt: Neben der Regulierung der Finanzmärkte ist eine Stabilisierung der Realwirtschaft dringend notwendig, um zu mehr Beschäftigung und Innovationen zu kommen. Kein anderer Bereich bietet sich für eine Restrukturierung einer modernen keynesianischen Wirtschaftspolitik national, europäisch und global so vorteilhaft an wie die ökologische Sanierung und Modernisierung. Das ist unverändert wichtig, aber bis heute hat der Bundesumweltminister keinen Vorschlag für ein Programm Arbeit und Umwelt gemacht.

Es müsste die Stunde der Politik sein. Aber die Chancen werden nicht genutzt, Impulse für ein nachhaltiges Deutschland in einem nachhaltigen Europa zu geben. Der Umweltminister verliert sich in immer neuen Ankündigungen, statt den grundlegenden Umbau in Wirtschaft und Gesellschaft anzustoßen und die Politik aus der Geiselhaft der Wachstumsabhängigkeit zu befreien. 2012 - ein verlorenes Jahr nicht nur für den Umwelt- und Naturschutz.

* Michael Müller: Der frühere Umweltstaatssekretär ist Vorsitzender der NaturFreunde Deutschlands.

Aus: neues deutschland, Montag, 31. Dezember 2012



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