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Für manche ist die UNO nur ein Papiertiger

Zwei Beispiele für ignorierte Beschlüsse

Von Jürgen Reents *

Mehrere UN-Sicherheitsratsresolutionen werden ignoriert – zum Beispiel von Israel in Bezug auf palästinensische und syrische Gebiete oder von Marokko im Falle der Westsahara.

Vom 5. bis 10. Juni 1967 fand der Sechstagekrieg zwischen Israel auf der einen und Ägypten, Jordanien und Syrien auf der anderen Seite statt. An seinem Ende kontrollierte Israel die Golan-Höhen, die Sinai-Halbinsel, den Gaza-Streifen und das Westjordanland einschließlich Ost-Jerusalem. Die Golan-Höhen wurden Ende 1981 weitgehend von Israel annektiert, bis auf einen kleinen Puffer, der unter UN-Kontrolle gestellt worden war. Die Sinai-Halbinsel wurde 1982 an Ägypten zurückgegeben. Aus dem Gaza-Streifen zog Israel im August 2005 seine Armee zurück und räumte alle Siedlungen, doch es bombardierte das Gebiet im Konflikt mit der Hamas seitdem mehrfach und marschierte auch vorübergehend wieder ein. Der Gaza-Streifen ist Teil der seit 1994 existierenden Palästinensischen Autonomiegebiete, wie auch das Westjordanland. Das dazu gehörende Ost-Jerusalem wurde samt Umgebung 1980 von Israel annektiert, in übrigen Teilen des Westjordanlandes werden mehrere hundert israelische Siedlungen und Militärstützpunkte aufrechterhalten.

Der UN-Sicherheitsrat beschloss ein knappes halbes Jahr nach Ende des Sechstagekrieges, am 22. November 1967, seine Resolution 242: Mit dieser wurden die »Unzulässigkeit des Gebietserwerbs durch Krieg« festgelegt und der »Rückzug der israelischen Streitkräfte aus (den) Gebieten, die während des jüngsten Konflikts besetzt wurden« gefordert. Dass in der englischen Fassung ein israelischer Rückzug »aus Gebieten«, in der französischen Fassung »aus den Gebieten« verlangt wird, führte nachfolgend zu strittiger Interpretation, die nie verbindlich geklärt wurde. Die zunächst mit dem französischen Text identische spanische Fassung wurde später der englischen angeglichen.

Nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 wurde die Resolution 242 durch die Resolution 338 bekräftigt. Am 20. August 1980 erklärte der UN-Sicherheitsrat in seiner Resolution 478 die israelische Annexion von Ost-Jerusalem für nichtig und im Dezember 1981 mit seiner Resolution 497 ebenso die Annexion der Golan-Höhen. Zwei dieser vier Resolutionen (242 und 497) wurden einstimmig, die beiden anderen (338 und 478) einstimmig bei Enthaltung Chinas beziehungsweise der USA angenommen. Alle vier Beschlüsse werden von Israel anhaltend ignoriert.

Wiederholt beklagte der UN-Sicherheitsrat darüber hinaus eine israelische Verletzung von Menschenrechten in den besetzten palästinensischen Gebieten, verurteilte den anhaltenden israelischen Siedlungsbau und forderte Israel insbesondere auf, den Status von Jerusalem zu respektieren – so in seinen Resolutionen 252 (1968), 267 (1969), 298 (1971), 446 (1979), 465 (1980), 592 (1986), 605 (1987), 681 (1990), 694 (1991), 726 (1992) und weiteren. Alle diese Resolutionen wurden ohne Gegenstimmen im Sicherheitsrat angenommen, häufig gab es eine bis vier Enthaltungen, darunter regelmäßig die USA.

Nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 im Gaza-Streifen und deren faktischer Machtübernahme in diesem Teil der Palästinensischen Autonomiegebiete wurde in zahlreichen weiteren UN-Resolutionen die Gewaltanwendung auf beiden Seiten verurteilt und zu Waffenstillständen und friedlichen Lösungen aufgefordert. Für Verletzungen dieser Resolutionen sind beide Seiten verantwortlich.

Mit seiner Resolution 1397 im März 2002 forderte der UN-Sicherheitsrat erstmals – einstimmig bei wiederum einer Enthaltung, diesmal von Syrien – eine Lösung des Konflikts durch »zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite lebend, in sicheren und anerkannten Grenzen«. Verwirklicht wurde diese »Vision« bislang nicht. Seit Ende 2012 anerkennt die UN-Generalversammlung durch ihre Resolution 67/19 die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) jedoch als »Beobachtenden Nicht-Mitgliedstaat« und damit Palästina (die Palästinensische Autonomiebehörde) völkerrechtlich als Staat.

Ein weiteres Beispiel für die Nicht-Einhaltung von UN-Resolutionen ist der Fall Westsahara: Das an der afrikanischen Atlantikküste gelegene Territorium wurde 1975 nach dem Rückzug der einstigen Kolonialmacht Spanien durch Marokko annektiert. Dies geschah unter Missachtung einer UN-Inspektion, die zuvor den Wunsch nach Unabhängigkeit der Sahrauis und eine Verankerung der Befreiungsorganisation Frente Polisario in der Bevölkerung der Westsahara festgestellt hatte. Die Polisario rief daraufhin 1976 die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. Diese wurde 1984 in die Organisation für Afrikanische Einheit (inzwischen Afrikanische Union) aufgenommen, von den UN jedoch nicht anerkannt.

Ein Referendum, das die UN zusammen mit der Dekolonialisierung seit rund 50 Jahren fordern, wurde bislang nicht abgehalten. Aufforderungen, die Besetzung der Westsahara zu beenden (u.a. mit der Resolution 34/37 der UN-Generalversammlung Ende November 1979) werden seit Jahrzehnten durch Marokko ignoriert. Nach Teilerfolgen der Polisario gegen die marokkanische Armee ist die Westsahara faktisch geteilt: 1991 schlossen beide Seiten einen Waffenstillstand, Marokko hält etwa zwei Drittel des Territoriums weiterhin besetzt. Das zunächst für 1992, dann für 1997 vorgesehene Referendum über eine Unabhängigkeit oder Integration der Westsahara in den marokkanischen Staat scheiterte, weil Marokko und die Polisario sich nicht einigen konnten, wer abstimmungsberechtigt ist. Ein Vermittlungsvorschlag der UN wurde von der Polisario akzeptiert, nicht hingegen von Marokko. Das Mandat der UN-Mission zur Überwachung des Waffenstillstands und zur Beobachtung und Begleitung eines Referendums (MINURSO) wurde mehrfach verlängert und gilt aktuell bis zum 30. April 2015 (Resolution 2152 des UN-Sicherheitsrates, April 2014).

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 25. September 2014


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