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"Die Reform beläßt einen Rettungsanker"

Die UNO und die Präventivkriege der USA

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das die Zeitung "junge Welt" mit dem Hamburger Völkerrechtler Norman Paech führte. Anlass war das am 2. Dezember veröffentlichte Papier einer von Kofi Annan eingesetzten UNO-Reformkommission.


Interview: Rüdiger Göbel

Frage: Die Vereinten Nationen waren in den vergangenen 60 Jahren immer Verbündete oder positiver Bezugspunkt der Friedensbewegung. Was wird daraus, wenn die Vorschläge der UN-Reformkommission umgesetzt werden und der Sicherheitsrat künftig Präventivkriege legitimieren kann?

Norman Paech: Dialektisch gesehen kann man zwei Positionen nennen: Einerseits müssen wir uns angesichts der realpolitischen Perspektive US-amerikanischer Kriegsführung darauf einstellen, daß auf Basis der neuen Sicherheitsstrategie Washingtons Präventivkriege auch für die Zukunft in Aussicht stehen, und zwar auch mit Einsatz von Nuklearwaffen und egal, wie die UNO dazu steht. Auf der anderen Seite gibt es innerhalb der UNO seit einiger Zeit die Diskussion, wie man künftigen Gefahren begegnen kann. Alle Vorschläge, eventuell präventiv militärische Maßnahmen einzusetzen, betonen aber ausdrücklich, daß dies nur im Rahmen der UNO und auf Basis eines UN-Mandats geschehen darf. Hier gibt es also weiter eine für die Friedensbewegung wichtige Begrenzung.
Auch die von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte Reformkommission setzt eine Grenze gegen willkürliche und beliebige unilaterale Maßnahmen. Wenn es dabei bleibt, daß militärische Präventivmaßnahmen nur im Rahmen des Kapitel 7 der UN-Charta durch den UN-Sicherheitsrat beschlossen werden können, haben wir einen Rettungsanker und einen Anknüpfungspunkt für die Friedensbewegung.

F: Eine »Amerikanisierung« der UNO droht also nicht?

Es wäre außerordentlich fatal, wenn die UNO daranginge, den »Präventivschlag« in die Charta aufzunehmen. Das hieße, eine Strategie, die auf Basis der US- Militärstrategie entwickelt worden ist, zu einem Teil der UN-Charta zu machen. Es gab einen ähnlichen Vorgang im Rahmen des Völkerbundes im Jahr 1919. Seinerzeit ist es den USA gelungen, die Monroe-Doktrin zum Teil der Völkerbundsatzung zu machen. Diese Doktrin, die eigentlich die Abwehr imperialer Gelüste europäischer Staaten bedeutete, diente den USA letztlich zu nichts anderem, als die eigenen imperialen Ambitionen zu untermauern.
Ich möchte ausdrücklich davor warnen, durch eine bestimmte Formulierung amerikanische Strategiewünsche zum Bestandteil der UN-Charta zu machen. Das wäre fatal.

F: Wie wichtig ist die von der Kommission vorgeschlagene Vergrößerung des UN-Sicherheitsrates von 15 auf 24 Mitglieder?

Letztlich ist das eine alte Diskussion, ausgehend von der Frage, wie der Sicherheitsrat handlungsfähiger werden kann. Hinter dieser Debatte stehen jene Kreise, die das Gewaltmonopol des Sicherheitsrats durchbrechen wollen, um ihn stärker für militärische Einsätze instrumentalisieren zu können.
Die jetzigen Vorschläge laufen auf eine Vergrößerung des Sicherheitsrates hinaus, die so dimensioniert ist, daß Afrika, Lateinamerika und Asien stärker berücksichtigt werden. Es geht also nicht darum, daß nur die ohnehin bei den mächtigen G8 Mitwirkenden wie die BRD und Japan zum UN-Sicherheitsrat hinzukommen. Außerdem ist klar, daß weder die BRD noch Japan als weitere ständige Mitglieder ein Vetorecht bekämen. Insofern wird sich grundsätzlich kaum etwas ändern.

F: Wie berechtigt ist der deutsche Anspruch auf einen Sitz in dem Gremium? Die EU-Staaten Großbritannien und Frankreich stellen zwei der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder. Braucht es da noch einen weiteren europäischen Sitz?

Eine Aufnahme der BRD allein als weiteres ständiges Mitglied wäre eine vollkommene Aushebelung des Gleichheitssystems. Es wäre eine weitere Verstärkung jener Kräfte, die im atlantischen Rahmen sowieso schon als großer Machtblock gegenüber den Forderungen der Dritten Welt, gegenüber Lateinamerika, Asien und Afrika agieren. Wenn sich Europa schon nicht darauf einigen kann, als EU im Sicherheitsrat mit einer Stimme zu agieren, so wäre die Aufstockung europäischer Stimmkraft nur dann für alle anderen zu verdauen, wenn die Stimmgewichtung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas im Rahmen auch der Ständigen Vertreter verstärkt wird.

Aus: junge Welt, 4. Dezember 2004


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