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Kofi Annan für Reform der UNO-Friedenssicherungseinsätze

Pressekonferenz zur Vorlage des Brahimi-Berichts

Aus einer Pressemitteilung über die Vorlage des Brahimi-Berichts am 23. August 2000

Generalsekretär Annan verspricht grundlegende Reform der UNO-Friedenssicherungseinsätze
Expertenbericht empfiehlt tiefgreifende Struktur- und Einsatzänderungen,
Mitgliedstaaten sollen mehr Mittel bereitstellen und Entscheidungsprozesse verbessern


NEW YORK, 23. August 2000 - UNO-Generalsekretär Kofi Annan hat die Regierungen der Mitgliedstaaten heute aufgefordert, mit ihm gemeinsam die Umsetzung der tiefgreifenden Struktur- und Einsatzänderungen bei der Durchführung von friedenserhaltenden Missionen der Vereinten Nationen anzugehen, die von einem Gremium internationaler Experten empfohlen wurden. Der heute veröffentlichte Bericht der Expertengruppe spricht von der "absoluten Notwendigkeit" raschen Handelns, um "die Vereinten Nationen als Friedenskraft wirklich glaubwürdig zu machen". Die Experten empfahlen eine Reihe von Reformen, u.a. eine weitgehende Neugliederung der UNO-Hauptabteilung für Friedenssicherungseinsätze (DPKO); die Schaffung einer neuen Einheit für Information und Strategieanalyse, die allen mit Friedens- und Sicherheitsfragen befassten Hauptabteilungen der Vereinten Nationen zuarbeiten soll; die Bildung einer integrierten Arbeitsgruppe am Sitz der Vereinten Nationen, die jeden einzelnen Friedenssicherungseinsatz von Anfang an planen und unterstützen soll; sowie den systematischeren Einsatz der Informationstechnologie.

Zahlreiche der vorgeschlagenen Reformen erfordern politische, finanzielle oder operationelle Beschlüsse der Mitgliedstaaten. So legen die Experten etwa dem Sicherheitsrat nahe, solange keine Resolution über die Genehmigung großer Friedenssicherungsmissionen zu verabschieden, bis die dazu erforderlichen Truppen und Mittel seitens der Mitgliedstaten zugesagt wurden. Außerdem empfehlen die Experten eine Erhöhung der Mittel zur Stärkung der für die Planung und Durchführung von Friedenssicherungseinsätzen zuständigen Sekretariatabteilung in New York. In seinem Begleitschreiben, mit dem der Generalsekretär den Expertenbericht an die Generalversammlung und den Sicherheitsrat weitergeleitet hat, wies Kofi Annan darauf hin, dass er seine Stellvertreterin, Frau Louise Fréchette, beauftragt hat, die Umsetzung der Empfehlungen weiter zu verfolgen und der Generalversammlung einen diesbezüglichen Zeitplan zur Beratung auf ihrer Herbsttagung vorzulegen. Der Generalsekretär äußerte die Hoffnung, dass der Bericht auch die Aufmerksamkeit der Staats- und Regierungschef finden werde, die Anfang September in New York zum Millenniumsgipfel zusammentreffen. Generalsekretär Annan hat das Expertengremium im März eingesetzt, nachdem er im Vorjahr in zwei Berichten das Versagen der Vereinten Nationen eingeräumt hatte, den Völkermord in Ruanda 1994 nicht verhindert und die Bewohner von Srebrenica (Bosnien und Herzegowina) 1995 nicht geschützt zu haben. "Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, damit sich solche Schreckensbilder nie wieder wiederholen", sagte Kofi Annan, als er dem Expertengremium den Auftrag erteilte, "eindeutige Empfehlungen darüber auszusprechen, wie es die Vereinten Nationen im gesamten Bereich von Frieden und Sicherheit in Zukunft besser machen können".

Unter dem Vorsitz des ehemaligen algerischen Außenministers Lakhdar Brahimi gehörten dem Gremium Experten aus allen sechs Kontinenten an, die über weitreichende Erfahrungen auf dem Gebiet der humanitären Hilfe, der Entwicklungs- und Polizeiarbeit und der militärischen Friedenssicherung verfügen.

Weitere Empfehlungen

Doktrin und Strategie: Die Experten forderten wirksamere Konfliktpräventionsstrategien und wiesen darauf hin, dass "Vorbeugung für jene, die sonst unter den Folgen eines Krieges zu leiden hätten, bei weitem besser und für die internationale Staatengemeinschaft weniger kostspielig ist als militärische Einsätze, humanitäre Nothilfe oder Wiederaufbaumaßnahmen nach dem Krieg".
Friedenssoldaten müssen in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen. Ihre Mandate müssen "robuste Einsatzregeln" enthalten, um auch gegen jene Seiten vorgehen zu können, die ihre Zusagen nicht einhalten oder den Friedensprozess mit Gewalt untergraben wollen. Das Sekretariat soll einen Plan zur Entwicklung besserer Friedensbildungsstrategien ausarbeiten.
Friedenssicherer und Friedensschaffer seien "untrennbare Partner", denn nur ein selbsttragender Friede bietet eine "gangbare Exitstrategie" für die Friedenstruppen, heißt es in dem Bericht der Experten.

Mandate: Das Sekretariat "muss dem Sicherheitsrat sagen, was er wissen muss, nicht was er hören will, wenn er die Einsatzmandate einer Mission festlegt oder ändert".

Übergangszivilverwaltung: Ein Gremium internationaler Rechtsexperten soll die Idee eines Übergangsstrafrechtskodex näher prüfen, der dort Verwendung finden könnte, wo den Vereinten Nationen temporäre Regierungsgewalt übertragen wird, wie derzeit im Kosovo und in Ost-Timor, bis die Herrschaft des Rechts und die Fähigkeit zur Rechtsdurchsetzung vor Ort wieder hergestellt sind.

Fristen: "Traditionelle" Friedenssicherungsmissionen der Vereinten Nationen (Überwachung eines Waffenstillstands oder einer Truppentrennung nach zwischenstaatlichen Konflikten) sollen innerhalb von 30 Tagen zum Einsatz kommen; komplexere Friedenseinsätze, die zur Beendigung innerstaatlicher Konflikte beitragen sollen, innerhalb von 90 Tagen.

Personal: Die Mitgliedstaaten sollen zusammenarbeiten, um "kohärente, multinationale Truppen in Brigadestärke" aufzubauen, die im Rahmen dieser Fristen wirksam eingesetzt werden können. Außerdem sollen die Länder eine nationale Reserve von zivilen Polizeikräften für solche Einsätze bilden. Das Expertengremium fordert kein stehendes Heer der Vereinten Nationen. Vielmehr soll das Sekretariat Verzeichnisse von rund 100 "abrufbereiten" Soldaten und Polizeibeamten sowie Zivilexperten aus dem Bereich der nationalen Armeen und der Polizei anlegen, die innerhalb von sieben Tagen für den Aufbau einer Kommandostelle für eine neue Friedensmission vor Ort entsandt werden können. Auch die Anstellungs- und Arbeitsbedingungen für zivile Spezialisten sollen so angepasst werden, dass die Vereinten Nationen qualifizierteres Personal erhalten und gute Leistungen mit besseren Karriereaussichten belohnen können.

Schnelligkeit und Effizienz: Der Generalsekretär soll Mittel erhalten, um mit der Planung einer Mission beginnen zu können, bevor der Sicherheitsrat diese Mission genehmigt, damit diese, sobald die Genehmigung vorliegt, zügig zum Einsatz gebracht werden kann. Missionen im Feld sollen bei der Verwaltung ihrer eigenen Budgets größere Handlungsfreiheit erhalten. Darüber hinaus sollen "start-up" Ausrüstungspakete für Friedenseinsätze im Logistiklager der Vereinten Nationen in Brindisi bereitstehen.

Finanzierung von Unterstützungsmaßnahmen für Friedenseinsätze: Nach 52 Jahren ist es an der Zeit, die Friedenssicherung als "zentrale Tätigkeit" anstatt als "temporäre Aufgabe" der Vereinten Nationen anzusehen, betonen die Experten. Unterstützende Maßnahmen vom Amtssitz der Organisation aus sollen daher hauptsächlich aus dem ordentlichen Haushalt der Vereinten Nationen bestritten werden, anstatt durch ein "Unterstützungskonto", das Jahr für Jahr und Posten für Posten neu gerechtfertigt werden muss.

Die Mitglieder des Gremiums

Lakhdar Brahimi (Algerien)
Vorsitzender der Expertengruppe, ehemaliger algerischer Außenminister (1991-1993); seit 1997 Untergeneralsekretär für besondere Aufgaben zur Unterstützung der vorbeugenden und friedenstiftenden Bemühungen des Generalsekretärs. War Sonderbeauftragter des Generalsekretärs und UNO-Missionsleiter in Haiti (1994-1996), Sonderbeauftragter des Generalsekretärs für Südafrika und Leiter der UNO-Beobachtermission (1993-1994), sowie Sondergesandter des Generalsekretärs für Zaire (1993), Jemen (1994) und Afghanistan (1997-1999).

J. Brian Atwood (USA)
Präsident von "Citizens International"; ehemaliger Präsident des "National Democratic Institute"; ehemaliger Administrator der US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID). Botschafter Colin Granderson (Trinidad und Tobago) Exekutivdirektor der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)/Internationale Zivilmission der Vereinten Nationen in Haiti (1993-2000); Leiter der OAS-Wahlbeobachtungsmissionen in Haiti (1995 und 1997) und in Suriname (2000).

Dame Ann Hercus (Neuseeland)
Ehemaliges Kabinettsmitglied und Ständige Vertreterin Neuseelands bei den Vereinten Nationen; Missionsleiterin der Friedenstruppe der Vereinten Nationen in Zypern (UNFICYP), 1998-1999.

Richard Monk (Großbritannien)
Ehemaliges Mitglied der Königlichen Polizeiinspektion und Regierungsberater für internationale politische Angelegenheiten; Kommissar der Internationalen Polizeieinsatztruppe der Vereinten Nationen in Bosnien und Herzegowina (1998-1999).

General a.D. Klaus Naumann (Deutschland)
Generalinspekteur der Bundeswehr (1991-1996); Vorsitzender des Militärausschusses der NATO (1996-1999), verantwortlich für die Operationen der multinationalen Durchführungstruppe (IFOR) bzw. Stabilisierungstruppe (SFOR) unter Führung der NATO in Bosnien und Herzegowina sowie für den NATO-Lufteinsatz im Kosovo.

Hisako Shimura (Japan)

Rektorin der Tsuda Universität in Tokio; bis 1995 insgesamt 24 Jahre beim UNO-Sekretariat tätig, zuletzt als Direktorin der Abteilung Europa und Lateinamerika in der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze.

Botschafter Wladimir Schustow (Russische Föderation)
Sonderbotschafter, 30jährige Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen; ehemaliger Stellvertretender Ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen in New York und Vertreter Russlands bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

General Philip Sibanda (Simbabwe)
Stabschef für Operationen und Ausbildung im Armeehauptquartier in Harare; ehemaliger Truppenkommandant der Verifikationsmission der Vereinten Nationen für Angola III (UNAVEM III) und der UNO-Beobachtermission in Angola (MONUA), 1995-1998.

Dr. Cornelio Sommaruga (Schweiz)
Präsident der Stiftung für moralische Aufrüstung in Caux und des Internationalen Zentrums für humanitäre Minenräumung in Genf; ehemaliger Präsident des Internationalen Komitees für das Rote Kreuz (1987-1999).

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