Es ist den USA streng verboten, mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenzuarbeiten
US-Senat verabschiedet den "American Servicemembers' Protection Act" - Notfalls mit Gewalt gegen das Recht
SPIEGEL-online titelte am 12. Juni 2002: "US-Kongress droht Niederlanden mit Invasion". Worum es geht? Die US-Administration behält sich Schritte jeglicher Art vor für den Fall, dass ein oder mehreren US-Bürger wegen des Verdachts, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder andere Kriegsverbrechen begangen zu haben, vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag der Prozess gemacht wird. Das ICC wird im Juli 2002 seine Arbeit aufnehmen, nachdem eine ausreichende Zahl von Staaten (mindestens 60) das entsprechende Statut ratifiziert haben. "Heute sind mehr als 60.000 amerikanische Soldaten auf der ganzen Welt in dem Krieg gegen den Terror stationiert - über 7.000 in Afghanistan, andere auf den Philippinen, im Jemen und der Republik Georgien ...", sagte Präsident Bush in seiner Rede zur Einrichtung eines neuen Ministerium für "innere Sicherheit" am 6. Juni. Da kann es natürlich schon vorkommen, dass mal ein GI in den Verdacht gerät, es mit der Genfer Konvention nicht so genau zu nehmen. Und damit er dann nicht unversehens in Den Haag landet, wird vorsorglich gedroht: notfalls sei man bereit, auch militärische Mittel einzusetzen, um die eigenen Boys vor einer solchen Schmach zu bewahren. Wem das alles zu weit hergeholt erscheint, der lese nachfolgenden Beitrag aus dem Internetdienst "Telepolis", den uns dankenswerterweise der (Mit-)Autor Ekkehard Jännicke zugemailt hat.
US-Bürger und Alliierte sollen auch mit Gewalt vor dem Zugriff des Internationalen Gerichtshofs geschützt werden
Von Ekkehard Jänicke und Florian Rötzer
Der US-Senat hat am 6. Juni die US-Regierung den sogenannten "American
Servicemembers' Protection Act" (ASAP) als Anhang zu einem zusätzlichen
[1]Budgetgesetz H.R. 4775 mit einer Mehrheit von 75 zu 19 Stimmen
gebilligt. Der ASAP, auch "The Hague Invasion Act" tituliert, wurde
ursprünglich von Senator Jesse Helms eingebracht und passierte bereits
am 24. Mai 2002 das Repräsentantenhaus. Nach dem Gesetz wäre es dem
US-Präsidenten möglich, amerikanische Angeklagte vor dem
Internationalen Gerichtshof, der in Den Haag eingerichtet wird, auch
mit militärischer Gewalt zu "befreien" ( [2]Startschuss für den
Internationalen Strafgerichtshof). Für die Politiker, die hinter der
amerikanischen Hegemonie-Politik von Präsident Bush stehen, ist das
Gesetz wichtig, um die wachsende Präsenz von US-Truppen und deren
Interventionen in vielen Ländern auf der ganzen Welt zu schützen und in
einem rechtsfreien Raum zu lassen.
Nachdem das Gesetz nun in zwei verschiedenen Fassungen vorliegt, muss
vor dessen Inkrafttreten noch eine gemeinsame Version von Senat und
Repräsentantenhaus erzielt werden. Das könnte noch einige Wochen
dauern, wobei auch möglich ist, dass es zumindest abgemildert werden
könnte.
Die US-Regierung selbst scheint dem Gesetz gegenüber nicht abgeneigt
zu sein, hat sie doch erst unlängst mit einem bislang einmaligen
Schritt die Unterschrift unter das Statut von Rom zurückgezogen, um so
jede Anerkennung des Internationalen Gerichtshofs (ICC) zu vermeiden.
Vor dem ICC soll Menschen der Prozess gemacht werden, die sich schwerer
Verbrechen schuldig gemacht haben (Völkermord, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, Kriegsverbrechen in Form von schweren Verletzungen der
Genfer Konventionen oder anderen schweren Verstößen gegen Abkommen für
bewaffnete Konflikte und "Verbrechen der Aggression", die allerdings
erst später näher definiert werden sollen).
Anfang April hatten mehr als 60 Staaten das Statut ratifiziert,
wodurch der ICC ins Leben gerufen werden kann ( [3]Der Ständige
Internationale Strafgerichtshof wird kommen). Die US-Regierung fürchtet
eine "Politisierung der Justiz" und hat Sorge, dass amerikanische
Soldaten, Staatsangestellte oder Politiker im Ausland willkürlich
angeklagt und vor den Gerichtshof gestellt werden könnten. Aufgrund der
von den USA vorgebrachten Einwände wurden bereits viele
Sicherheitsmaßnahmen für den ICC eingebaut, die im Grunde verhindern,
dass jemals ein US-Soldat angeklagt und verurteilt werden könnte.
Mit der wenig verbindlichen Unterschrift wären die USA nur
verpflichtet gewesen, die Arbeit des ICC nicht zu behindern. Wirklich
Gefahr gelaufen wären jedoch wohl Regierungsmitglieder, Soldaten oder
andere US-Vertreter nicht, außerhalb der USA in einem Mitgliedsland
aufgegriffen und vor den ICC gestellt zu werden. Gleichwohl hatte neben
dem Argument, dass US-Bürgern vor dem UN-Gericht nicht alle Rechte
zukommen würden, die ein US-Bürger habe, eben das die US-Regierung als
wesentlichen Grund für die Zurückziehung der Unterschrift genannt. Vor
allem im Rahmen des von den USA geführten Kriegs gegen den Terrorismus,
dessen Spielregeln die US-Regierung unter Umgehung aller
internationaler Abkommen selbst absteckt, will man weiterhin freie Hand
haben und nicht belangt werden können. Pierre-Richard Prosper, der
Gesandte der amerikanischen Regierung für Kriegsverbrechen, sagte in
einem Interview für das [4]Crimes of War Project , man stimme
"prinzipiell" mit dem ASAP überein, dass Regierungsangestellte
geschützt werden müssen: "Es geht nur darum, die Einzelheiten
auszuarbeiten, wie man diesen Schutz am besten gewährleistet."
"In addition to exposing members of the Armed Forces of the United
States to the risk of international criminal prosecution, the Rome
Statute creates a risk that the President and other senior elected and
appointed officials of the United States Government may be prosecuted
by the International Criminal Court. Particularly if the Preparatory
Commission agrees on a definition of the Crime of Aggression over
United States objections, senior United States officials may be at risk
of criminal prosecution for national security decisions involving such
matters as responding to acts of terrorism, preventing the
proliferation of weapons of mass destruction, and deterring aggression.
No less than members of the Armed Forces of the United States, senior
officials of the United States Government should be free from the risk
of prosecution by the International Criminal Court, especially with
respect to official actions taken by them to protect the national
interests of the United States."
Das jetzt vom Senat gebilligte [5]Gesetz im Rahmen des H.R.4775 (2002
Supplemental Appropriations Act for Further Recovery From and Response
To Terrorist Attacks on the United States) würde den US-Präsidenten
ermächtigen, alle Maßnahmen bis hin zur militärischen Invasion für den
Fall zu ergreifen, dass einem US-Bürger oder einem Angehörigen eines
alliierten Staates wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die
Menschlichkeit der Prozess vor dem ICC in Den Haag gemacht werden
sollte. Die Sprache wurde zwar gegenüber vorherigen Versionen gemäßigt,
aber das Spektrum möglicher Aktionen schließt Gewalt nicht aus: "The
President is authorized to use all means necessary and appropriate to
bring about the release of any person described in subsection (b) who
is being detained or imprisoned by, on behalf of, or at the request of
the International Criminal Court."
Der ASAP verbietet überdies kategorisch die Zusammenarbeit der USA mit
dem ICC und soll auch eine Beteiligung der USA an friedenssichernden
Einsätzen der UN so lange verhindern, bis die amerikanischen Soldaten
von der Strafverfolgung durch den ICC ausgenommen worden sind. In
früheren Fassungen war vorgesehen, keine militärische Hilfe an die
Staaten zu leisten, die den ICC-Vertrag ratifiziert haben und nicht der
Nato angehören oder wichtige Verbündete wie Ägypten, Israel oder Taiwan
sind. Dieser Passus wurde dann auf Druck der Regierung abgeändert, so
dass nun der Präsident die Entscheidung über weitere Ausnahmen treffen
kann.
Gleichzeitig soll das Gesetz aber die eigenen Interessen bei der
Verfolgung von Kriegsverbrechen und die Zusammenarbeit mit anderen
Staaten oder Organisationen zu diesem Zweck nicht behindern:
"Nichts in diesem Gesetz soll es den USA verbieten, internationale
Bemühungen zu unterstützen, Saddam Hussein, Slobodan Milosevic, Usama
bin Ladin, andere Mitglieder von al-Qaida, Führer des Islamischen
Dschihad und andere Staatsangehörige anderer Länder, die des
Völkermords, der Kriegsverbrechen oder der Verbrechen gegen die
Menschlichkeit beschuldigt werden, der Gerechtigkeit zuzuführen."
Gefragt sind jetzt die Alliierten im Kampf gegen den internationalen
Terrorismus von ihrer uneingeschränkten Solidarität abzurücken und
solchen, von der US-Regierung unterstützten Bestrebungen eine klare
Absage zu erteilen, die jeden Schritt in eine rechtlich verbindliche
globale Gerechtigkeit unterminieren könnten und den Weltfrieden
nachhaltig beeinträchtigen würden.
Fußnoten/Links
-
http://thomas.loc.gov/cgi-bin/query/z?c107:H.R.+4775:
- http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12250/1.html
- http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/12302/1.html
- http://www.crimesofwar.org/
- http://thomas.loc.gov/cgi-bin/bdquery/z?d107:HR04775:@@@L&summ2=m&
Aus: Telepolis, 12. Juni 2002;
Artikel-URL: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/12716/1.html
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