UN-Resolution gegen den Terrorismus - Entschließung mit weitreichenden Folgen?
Ein Beitrag von Otfried Nassauer in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator): Die Staatengemeinschaft will dem Morden und Brandschatzen der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ nicht mehr tatenlos zuschauen. In der vergangenen Woche hat der UN-Sicherheitsrat einvernehmlich eine Resolution verabschiedet, mit der die Staaten verpflichtet werden, konsequent gegen die Dschihadisten und ihre Anhänger vorzugehen. Doch ist die Resolution 2178 wirklich eine Entschließung, die letztlich das Völkerrecht stärkt und die Welt sicherer macht? Otfried Nassauer ist dieser Frage nachgegangen.
Manuskript Nassauer
Auf den ersten Blick glaubt man, es sei zweifellos richtig und unproblematisch: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat eine Resolution verabschiedet, die es Terrorgruppen schwerer machen soll, Kämpfer im Ausland zu rekrutieren und sie in ein Kampfgebiet reisen zu lassen. Anlass war die massive Beteiligung ausländischer Kämpfer an den Operationen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ im Irak und in Syrien. Dieser Beschluss fiel einstimmig.
Barack Obama, US-Präsident und Initiator der Resolution, vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen:
O-Ton-Obama (overvoice)
"Die Resolution ist rechtlich verbindlich. Sie etabliert neue Verpflichtungen, die Nationen einhalten müssen. Insbesondere sind die Staaten gefordert, 'die Rekrutierung, die Organisation, den Transport und die Ausstattung' ausländischer terroristischer Kämpfer zu verhindern und zu unterbinden, sowie 'die Finanzierung ihrer Reisen und Aktivitäten'. Die Staaten müssen 'die Bewegung von Terroristen und Terrorgruppen' durch ihr Staatsgebiet verhindern und sicherstellen, dass ihre Gesetze eine Strafverfolgung solcher Bewegungen ermöglichen."
Vordergründig wendet sich die Resolution gegen die Terror-Organisation "Islamischer Staat", die syrische Al-Nusra-Front und andere Al-Qaida-nahe Gruppen. Allein in den Reihen der Terrormiliz "Islamischer Staat" sollen nach Schätzung der zuständigen UN-Beobachtergruppe mittlerweile mehr als 13.000 ausländische Kämpfer aktiv oder aktiv gewesen sein. Barack Obama nannte sogar eine noch größere Zahl:
O-Ton Obama (overvoice)
"Unsere Geheimdienste schätzen, dass mehr als 15.000 ausländische Kämpfer aus mehr als 80 Ländern in den vergangenen Jahren nach Syrien gereist sind."
Der Beschluss des Sicherheitsrates fällt unter Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen, also in jenen Bereich, in dem sogar die Anwendung militärischer Gewalt durch die Vereinten Nationen autorisiert werden kann. Damit wird ein entschiedenes Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft signalisiert.
Ganz so einfach ist es um diese Resolution jedoch nicht bestellt. Sie birgt Risiken und Missbrauchsmöglichkeiten. Obwohl sie einstimmig verabschiedet wurde, kann sie noch erheblichen Streit hervorrufen. Warum?
Diese Resolution gilt nicht nur für die ausdrücklich erwähnten Terror-Organisationen wie „Islamischer Staat“, Al-Nusra oder Al-Qaida, sondern für alle terroristischen Gruppen. Das berührt eine alte Streitfrage: Wer ist eigentlich ein Terrorist? Welche Organisationen sollen als Terrororganisationen gelten? Die Vereinten Nationen konnten darüber seit Jahrzehnten keine Einigkeit erzielen.
Obwohl die UNO es wiederholt versucht hat: Eine weltweit akzeptierte Definition des Terrorismus oder eine klare Abgrenzung, wer als Terrorist oder Terrororganisation zu gelten hat, konnte bislang nicht erreicht werden. Der Grund ist nachvollziehbar. Etwas flapsig formuliert: Wer für einen Teil der UN-Mitglieder als Terrorist galt, der war meist für andere ein Befreiungs- oder ein legitimer Widerstandskämpfer. Jassir Arafat, der verstorbene Palästinenserführer, militante Kämpfer und Friedensnobelpreisträger, brachte dies bereits 1974 in einer Rede vor den Vereinten Nationen exemplarisch zum Ausdruck. Wörtlich sagte er damals:
Zitat Arafat
"Der Unterschied zwischen Revolutionären und Terroristen liegt in der Zielsetzung, für die sie kämpfen. Wer immer für eine gerechte Sache kämpft und für die Freiheit und Befreiung seines Landes von Eindringlingen, Siedlern und Kolonialisten, der kann wohl kaum als Terrorist bezeichnet werden. Ansonsten wären die Amerikaner bei ihrem Kampf um die Befreiung von britischer Kolonialherrschaft Terroristen gewesen. Auch der europäische Widerstand gegen die Nazis wäre Terrorismus. Und viele hier in dieser Versammlung müssten als Terroristen angesehen werden."
Genau darum geht es: Nur dann, wenn ausschließlich die Gewaltanwendung durch Staaten – und seien es brutalste Diktaturen oder Besatzungsregime – legitim und legal wäre, nur dann wäre es auch klar, dass jede Gewaltanwendung durch nicht-staatliche Organisationen als Terrorismus gebrandmarkt werden könnte. Dann gäbe es keinerlei Recht auf bewaffneten Widerstand gegen Regierungen. Erkennt man dagegen die Existenz eines Rechtes auf bewaffneten Widerstand an, so wird es immer Akteure geben, die für die einen Freiheitskämpfer und für die anderen Terroristen sind. Solange wird es auch keine allgemein anerkannte Definition geben, wer Terrorist ist und wer legitimer Widerstands- oder Freiheitskämpfer.
Es wird also ein Ausnahmefall bleiben, wenn sich die internationale Staatengemeinschaft darauf einigen kann, dass ein nicht-staatlicher Gewaltakteur als Terrororganisation gelten soll. Al-Qaida oder die Terror-Organisation „Islamischer Staat“ sind bislang solche Ausnahmefälle. Sie ermöglichen es der internationalen Staatengemeinschaft, ausnahmsweise gemeinsam zu handeln, möglicherweise auch militärisch.
In den meisten anderen Fällen wird es dagegen auch künftig unterschiedliche Sichtweisen geben. Das wird bereits in der gleichen Krisen-Region deutlich. Die Türkei betrachtet die kurdische PKK als Terrororganisation. Ähnlich stuft sie die verbündeten kurdisch-syrischen Volksverteidigungseinheiten YPG ein. Beide tragen jedoch wesentliche Teile der Last des Kampfes gegen die Terror-Miliz „Islamischer Staat“. Trotzdem wird die Türkei darauf bestehen, dass die neue UN-Resolution auch auf die PKK angewandt wird. Ankara wird darüber hinaus seine zögerliche Beteiligung an der Bekämpfung der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ auch nutzen wollen, um die kurdischen Kräfte zu schwächen, obwohl diese die Terror-Organisation IS bekämpfen. Viele westliche Länder haben zwar schon vor Jahren dem türkischen Wunsch entsprochen, die PKK als Terrororganisation einzustufen, aber nicht alle werden Ankaras Interesse folgen wollen, die kurdischen Kräfte jetzt als Terroristen zu diskreditieren.
Würde Israel die Anwendung dieser UN-Resolution auf die Palästinenserorganisationen PLO, Hamas und Hisbollah verlangen, so würde ein solcher Vorstoß ebenfalls auf Widerspruch stoßen. Das gleiche gälte für Russland, wenn es eine Anwendung auf den tschetschenischen Widerstand verlangen würde oder für China, wenn es eine Einstufung des Widerstandes der Uiguren als Terrorismus einfordern würde.
Diese Beispiele machen deutlich: Die Entscheidung, wer von wem als Terrorist eingestuft wird, unterliegt einem willkürlich getroffenen Urteil. Dieses Urteil erfolgt zumeist auf der Basis von Werten oder auf Basis nationaler Interessen oder simpler Machtinteressen. Ein Konsens über diese Beurteilung ist in der Internationalen Gemeinschaft dann aber oft ein Ding der Unmöglichkeit.
Mehr noch: Sind Werturteile oder Interessen eine wesentliche Voraussetzung dafür, ob eine internationale Norm umgesetzt werden kann, so droht ein weiteres Dilemma. Die Norm wird meist nur dann angewendet, wenn es ausreichende starke Kräfte gibt, um sie auch durchzusetzen. Weil das nicht immer der Fall ist, kann sie keine Allgemeingültigkeit erlangen. Wird eine solche Norm unter Rückgriff auf eine Koalition der Willigen und das Recht des Stärkeren durchgesetzt, so widerspricht das der Grundidee der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen durch eine ständige Stärkung des Völkerrechts.
Zum wiederholten Mal verdeutlicht diese Resolution ein Phänomen, das die Vereinten Nationen seit dem Ende des Kalten Krieges bereits mehrfach geschwächt hat: Ähnlich wie das Konzept der Schutzverantwortung postuliert die neue Resolution eine neue weltweit gültige Rechtslage, die nur dann durchgesetzt werden kann, wenn es auch Staaten gibt, die dafür sorgen können. Tun wichtige Staaten dies nicht, so bleibt die neue Rechtslage wirkungslos. Genau dies liegt oft im Interesse starker Staaten, die solche Vorschläge für eine neue Rechtslage einbringen und sie auch durchsetzen können. Sie wollen sich Optionen schaffen, ihr Eingreifen unter Rückgriff auf das Recht des Stärkeren auch dann völkerrechtlich zu rechtfertigen, wenn sie von den Vereinten Nationen kein Mandat für ihr Eingreifen bekommen, weil andere Staaten ihr willkürliches Werturteil nicht teilen. Für die Vereinten Nationen und das Völkerrecht ist das keine gute Entwicklung.
* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 4. Oktober 2014; www.ndr.de/info
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