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US-Bomben und deutsche Waffen gießen Öl ins Feuer

Ein Kommentar zu Obamas Rede, worin er seine Kriegsstrategie gegen den "Islamischen Staat" erläutert

Von Christine Buchholz *

US-Präsident Obama hat in einer Rede die amerikanische Bevölkerung auf einen langen Krieg gegen die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) eingestimmt. Er hat nicht nur die Intensivierung der laufenden Luftangriffe auf den Irak angekündigt, sondern darüber hinaus die Bombardierung von Zielen in Syrien. Im Vorfeld hat die Regierung in Washington die Unterstützung anderer Staaten organisiert, darunter Türkei, Jordanien und Saudi-Arabien. Über die Waffenlieferungen an die Peschmerga ist Deutschland zu einem Teil in diesem Bündnis geworden. Auch Iran und Russland sind bereits tief in die Bürgerkriege in Syrien und Irak verstrickt.

Diese Maßnahmen werden den Terror nicht stoppen. Stattdessen internationalisieren sie die in beiden Ländern tobenden Bürgerkriege. Bereits 1991 und 2003 haben die USA an der Spitze einer internationalen Koalition den Irak bombardiert. Hunderttausende Menschen fielen diesen Kriegen zum Opfer. Mit dem Ergebnis, dass der Irak heute Schauplatz eines ethnisch-religiösen Bürgerkriegs geworden ist. Obama tritt in die Fußstapfen seines Vorgängers George W. Bush. Obamas Bomben gießen Öl ins Feuer der Bürgerkriege in Nahost.

Der Westen schwieg zu Verbrechen

"Al-Qaeda im Irak", die Vorläuferorganisation des IS, entstand überhaupt erst infolge der US-Invasion. Anders als andere Widerstandsgruppen hat diese Gruppe den Kampf gegen die amerikanische Besatzungsmacht nach 2003 mit einem religiös-sektiererischen Krieg gegen alle Schiiten verbunden. Sie verübte Anschläge auf schiitische Heiligtümer und von Schiiten frequentierte Marktplätze.

Dieser Terror konnte nur deshalb an Einfluss gewinnen, weil die US-Besatzungsmacht in Bagdad ein Regime auf ethnisch-religiöser Grundlage installierte. In dem neuen Staat kam es zu einem Machtpoker zwischen den schiitischen, sunnitischen und kurdischen Eliten. Dies führte zum Auseinanderfallen der irakischen Gesellschaft und zur Ausgrenzung der Sunniten. Die sunnitische Provinz Anbar ist heute das Armenhaus des Irak.

In Bagdad setzte sich ein korrupter schiitischer Clan um Ministerpräsident Maliki durch, der sich an den sprudelnden Erdöl-Einnahmen bereicherte. Im Dezember 2013 kam es gegen diese Politik zu friedlichen Massendemonstrationen in den mehrheitlich sunnitischen Städten Falludscha und Ramadi. Maliki ließ die beiden Orte einkreisen und über Monate bombardieren. Der Westen schwieg zu diesen Verbrechen. Der IS nutzte dies aus und stellte sich an die Spitze der von Bagdad provozierten militärischen Auseinandersetzungen.

IS hat kein Monopol auf Kriegsgräuel

Auch unter dem neuen Ministerpräsidenten Haidar Al-Abadi hat sich der Charakter des Regimes nicht verändert. Abadi stammt aus derselben Partei wie sein Vorgänger. Maliki ist nun sein Stellvertreter. Diese Personen sind keine Bündnispartner im Bemühen um Frieden und sozialen Fortschritt.

Der IS ist Teil eines Bürgerkriegs, in dem sunnitische bewaffnete Kräfte gegen kurdische und schiitische Milizen um Territorien und Ressourcen kämpfen. Anders, als uns die Bundesregierung weiß machen will, hat der IS kein Monopol auf Kriegsgräuel. Am 22 . August wurden in der Provinz Diyala rund 70 sunnitische Gläubige in einer Moschee von Unbekannten mit Maschinenpistolen erschossen. Die irakische Zeitung As-Saman meldete am 9. September, dass schiitische Kräfte mit US-Luftunterstützung und Peschmerga 50 sunnitische Dörfer in der Umgebung der Stadt Amerli erobert hätten. Eine schiitische Miliz hat sie dann niedergebrannt und achtzehn Sunniten hingerichtet. Es kam dabei zu Enthauptungen.

Diese Verbrechen, die jenen des IS entsprechen, haben in Obamas Rede keine Rolle gespielt. Denn er hat ein internationales Bündnis geschmiedet, das auf die Unterstützung schiitischer wie kurdischer Kräfte im Irak hinausläuft, ungeachtet deren menschenrechtlicher Bilanz.

Deutschland als Teil einer Kriegskoalition

Mit der Lieferung von Waffen in Höhe von 70 Millionen Euro nach Irak ist Deutschland zu einem Teil dieser US-geführten Kriegskoalition geworden. Niemand weiß, ob nicht auch diese Waffen künftig bei der Eroberung sunnitischer Gebiete Verwendung finden, in deren Zusammenhang es zu Menschenrechtsverletzungen kommt.

Die Lieferungen ziehen unweigerlich weitere Schritte nach sich. Bereits vorab sind Bundeswehrsoldaten entsandt worden, um die Verteilung der Waffen zu regeln. Die Bedienung der Milan-Panzerabwehrwaffen erfordert eine Unterweisung durch militärische Ausbilder. Diese Ausbilder müssen geschützt werden. Die Bundesregierung ist dabei, Deutschland in einen Nahostkrieg zu verstricken, dessen weiterer Verlauf unabsehbar ist.

Präsident Obama hat angekündigt, sich in der UNO um eine nachträgliche Legitimierung für seine Luftangriffe auf Irak und Syrien zu bemühen. Ob ihm das gelingt, ist noch offen. In jedem Fall würde dies nichts an dem Charakter dieser militärischen Eskalation ändern. Das US-Luftbombardement muss eingestellt werden, die bereits entsandten Soldaten müssen abgezogen werden. Die Bundesregierung muss jede Beteiligung an den militärischen Auseinandersetzungen im Irak einstellen. Waffenexporte in die Region und darüber hinaus müssen verboten werden. Es darf kein weiteres Öl ins Feuer gegossen werden.

* Christine Buchholz ist verteidigungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.
Erstveröffentlichung auf www.linksfraktion.de, 11. September 2014


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Von Phyllis Bennis (15. September 2014)




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