Foltern und Morden für den Islamischen Staat
Vor seinen tödlichen Schüssen im Jüdischen Zentrum in Brüssel hat ein Franko-Algerier in Syrien gefoltert
Von Ralf Klingsieck, Paris *
Aus Irak und Syrien nach Frankreich zurückkehrende Dschihadisten sind tickende Zeitbomben. Das erkennt endlich auch die Regierung und will gegensteuern.
Der 29-jährige Franko-Algerier Mehdi Nemmouche, der am 24. Mai im Jüdischen Zentrum in Brüssel drei Menschen erschossen hat und wenige Tage darauf in Marseille verhaftet werden konnte, kämpfte in den Monaten zuvor bei den Milizen des Islamischen Staates (IS) in Nordirak und Syrien und hat dort ausländische Geiseln gefoltert. Das hat eine dieser Geiseln, der Journalist Nicolas Hénin, in dieser Woche den Medien gegenüber erklärt.
Die drei anderen Geiseln, die wie er am 20. April freigelassen wurden und nach Frankreich zurückkehren konnten, haben Nemmouche auf Fotos ebenfalls wiedererkannt. Allerdings hätten sie es vorgezogen, weiter darüber zu schweigen, um nicht andere Geiseln zu gefährden, die dort immer noch in der Gewalt der »Gotteskrieger« sind.
Die französischen Justiz- und Sicherheitsbehörden waren informiert, hielten die Erkenntnisse jedoch bislang geheim. »Ich bin Al Qaida«, hat Nemmouche den Geiseln gegenüber geprahlt und sie so brutal gefoltert, dass mehrfach sogar seine Chefs eingreifen mussten, die die Franzosen einigermaßen unversehrt brauchten, um Lösegeld erpressen zu können. Am Montag wurde durch Presseberichte bekannt, dass sich Nemmouche den Geiseln gegenüber auch damit gebrüstet hat, er werde bei der Parade am 14. Juli auf den Pariser Champs-Elysées ein Attentat verüben, das »fünfmal größer ist als die Tat von Merah«. Mohammed Merah hatte im März 2012 vor einer jüdischen Schule in Toulouse sowie in Montauban insgesamt sieben Menschen ermordet, war dann beim Sturm der Polizei auf seine Wohnung erschossen worden und wird seitdem in radikal-islamistischen Kreisen in Frankreich als Märtyrer verehrt.
Innenminister Bernard Cazeneuve hat inzwischen dementiert, dass am jüngsten Nationalfeiertag spezielle Sicherheitsmaßnahmen ergriffen wurden, doch über die tatsächlichen Pläne von Nemmouche, seine Möglichkeiten und die von eventuellen Mittätern tappen er und seine Dienste offenbar nach wie vor im Dunkeln. Für Polizei und Geheimdienste ist die Abwehr der Terrorgefahr, die von den zum Äußersten bereiten radikal-islamistischen Kräften ausgeht, eine der Hauptaufgaben geworden. Von den auf mehr als 1000 geschätzten Franzosen, die in Irak und Syrien für den IS kämpfen oder gekämpft haben, sind 946 den französischen Sicherheitsbehörden namentlich bekannt. Mindestens 39 von ihnen haben dort ihr Leben verloren.
Die meisten waren zuvor in der Heimat als Kriminelle im Gefängnis und sind dort durch fanatische Salafisten »radikalisiert« oder überhaupt erst zum Islam bekehrt worden. Das Anti-Terror-Gesetz, das in der nächsten Woche im Parlament behandelt wird, zielt nun auf eine effizientere Überwachung in den Gefängnissen, um derlei Beeinflussungen nach Möglichkeit zu verhindern, indem die Beteiligten getrennt und in unterschiedliche Gefängnisse verlegt werden.
Hilfe erhofft man sich auch durch Gefängnisimame, die den meist selbst ernannten fanatischen »Imamen« islamkundig entgegentreten können. Außerdem ermitteln die Sicherheitsbehörden gegen »Rekruteure« in sozialen Problemvierteln oder im Internet und kontrollieren in Zusammenarbeit mit den Fluggesellschaften alle Fluggäste in Richtung Nahost oder Türkei.
So konnten sie bereits mehrere hundert Jugendliche daran hindern, nach Syrien zu reisen und sich dem »Dschihad« gegen die »Ungläubigen« anzuschließen. Doch die größte Gefahr geht nach Überzeugung der Sicherheitskräfte von den Kämpfern aus, die wieder nach Frankreich zurückkehren und hier zu einer potenziellen Terrorgefahr werden. Dass deren Kontrolle und Überwachung hier noch lückenhaft und längst nicht auf dem erforderlichen Niveau ist, das haben ganz besonders die Fälle von Mohammed Merah 2012 und von Mehdi Nemmouche in den zurückliegenden Monaten gezeigt. Hier soll das neue Gesetz die Handhabe für Anklagen wegen »Beteiligung an Terrorakten im Ausland« und für eine strenge Kontrolle auf französischem Boden liefern.
* Aus: neues deutschland, Samstag 13. September 2014
Frankreich will mitbomben
Hollande in Irak / CIA: Bis zu 31 500 IS-Kämpfer
Bei einem Besuch in der irakischen Hauptstadt Bagdad hat Frankreichs Staatschef François Hollande der dortigen Regierung seine Unterstützung zugesagt. Er wolle mit seinem Besuch »die Unterstützung und Solidarität Frankreichs« bekräftigen, sagte Hollande am Freitag nach einem Treffen mit dem irakischen Präsidenten Fuad Masum. Frankreich liefert im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) bereits Waffen an die irakischen Kurden und schickt Hilfsgüter. Paris hat zudem Bereitschaft signalisiert, sich an der Seite der USA an den Luftangriffen gegen IS in Irak zu beteiligen - wenn dies »nötig« sei, wie Außenminister Laurent Fabius vor wenigen Tagen sagte.
Der US-Geheimdienst CIA schätzt die Zahl der Dschihadisten in Irak und Syrien auf »20 000 bis 31 500« und damit deutlich höher als bisher. Die neuen Zahlen basierten auf Geheimdienstberichten aus der Zeit von Mai bis August, erklärte CIA-Sprecher Ry- an Trapani am Donnerstag. Seit der Ausrufung eines »Kalifats« Ende Juni durch den IS und nach Bodengewinnen habe die Gruppe verstärkt Kämpfer rekrutiert, erklärte Trapani weiter.
(nd, 13.09.2014)
Zurück zur Terrorismus-Seite
Zur Terrorismus-Seite (Beiträge vor 2014)
Zur Frankreich-Seite
Zur Frankreich-Seite (Beiträge vor 2014)
Zurück zur Homepage