"Gezielte Tötungen sind völkerrechtswidrig"
Norman Paech über die rechtsstaatlich bedenkliche Erschießung Osama bin Ladens *
Die USA und viele weitere Staaten bejubeln beziehungsweise begrüßen den Tod des Terroristen Osama bin Laden. Über die zweifelhafte Rechtmäßigkeit der Tötung sprach mit Norman Paech, emeritierter Professor für Öffentliches Recht und ehemaliger außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Aert van Riel für das "Neue Deutschland" (ND).
ND: Vieles weist darauf hin, dass Osama bin Laden gezielt von US-Soldaten getötet wurde. Offenbar scheint es in der US-Regierung, wie auch bei ihren Verbündeten, unter anderem in Deutschland, keine Bedenken zu geben, dass eine solche Tötung völkerrechtswidrig ist, wenn die Person nicht aktiv an Kampfhandlungen beteiligt ist?
Paech: Wenn er wirklich gezielt getötet wurde, so ist es gleichgültig, ob man dies mit einem Spezialkommando getan hat oder mit einer Drohne. Beides ist völkerrechtswidrig. Diese Praxis hat es in Pakistan bereits gegeben, als mit Drohnen Menschen getötet wurden, bei denen nicht klar war, ob es sich um Kombattanten handelte. Das sind völkerrechtswidrige Exekutionen und Liquidationen.
Kann man von einer Exekution Bin Ladens ausgehen?
Das ist eine der beiden Alternativen. Die andere lautet, dass man versucht hat, ihn gefangen zu nehmen, und ihn in dieser Auseinandersetzung getötet hat. Welche Version stimmt, wird man wohl nur erfahren, wenn Wikileaks Depeschen dazu veröffentlichen sollte. Der Leichnam wurde bestimmt nicht aus Ehrfurcht vor dem Toten ins Meer versenkt, sondern um Beweismittel auf ewig zu verschütten. Das Reguläre wäre ein Prozess gegen Bin Laden gewesen, aber dabei wären vielleicht Dinge offenbart worden, die man ungern in der Öffentlichkeit hat.
US-Präsident Obama meint, nun sei die »Gerechtigkeit« wiederhergestellt worden. Welches Rechtsverständnis steckt dahinter?
Das ist das Rechtsverständnis eines Sheriffs. Ähnlich wird auch mit der Familie von Libyens Staatschef Gaddafi umgegangen. Das ist nicht das, was man von einem Juristen aus den USA erwartet. Die Tötung war ein symbolischer Akt. Es ist eine symbolische Gerechtigkeit. Ein tief gekränktes Amerika hat nun seinen Demütiger ebenfalls gedemütigt. Das ist aber in den Kategorien des Rechtsstaates und des Völkerrechts keine adäquate Reaktion.
Ist es nicht auch völkerrechtlich bedenklich, dass die Tötung auf pakistanischem Territorium durch US-Soldaten durchgeführt wurde?
Dazu gibt es unterschiedliche Meldungen. Die einen sagen, dass es gegenüber Pakistan geheim gehalten wurde. Dann wäre es eine Souveränitätsverletzung. Andererseits haben die Pakistanis dem Präsidenten sofort gratuliert und keine Einwände erhoben. Deshalb kann man davon ausgehen, dass es eine vorherige oder nachträgliche Zustimmung zu dieser Souveränitätsverletzung gegeben hat.
Bin Laden wird indes vorgeworfen, für die Tötung Tausender verantwortlich zu sein. Wäre für ein Verfahren gegen ihn der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag zuständig gewesen?
Ja. Aber es hätte auch die Möglichkeit gegeben, weil es sich um einen Anschlag gegen die USA handelte, dass er vor einem US-Gericht gestanden hätte. Allerdings nicht vor einem Militärgericht à la Guantanamo, sondern vor einem unabhängigen Gericht.
Auch der UN-Sicherheitsrat hat die Tötung Bin Ladens ausdrücklich begrüßt. Ist es möglich, dass der »Tyrannenmord« künftig völkerrechtlich legitimiert sein wird?
Das ist eine politische Stellungnahme des UN-Sicherheitsrates unter dem dominanten Einfluss der USA. Ich hoffe nicht, dass das solche Weiterungen hat und bestimmte Personen für vogelfrei erklärt werden. Das würde eine Verlotterung des Völkerrechts und rechtsstaatlicher Kategorien bedeuten. Außerdem könnte sich dieses Instrument irgendwann gegen die Machthaber, die es derzeit anwenden, selbst wenden. Eine gezielte Tötung wird auch weiterhin völkerrechtswidrig bleiben, weil das Gewaltverbot des Artikels 2, Ziffer 4 der UN-Charta eindeutig dagegen spricht. Dieses ist nicht durch eine völkergewohnheitsrechtliche Praxis änderbar.
* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011
Dokumentiert: Die Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats
Im Folgenden dokumentieren wir die Erklärung des gegenwärtigen Präsidenten des UN-Sicherheitsrats zum Tod Osama bin Ladens vom 2.Mai 2011. Die Präsidentschaft hat für den Monat Mai Frankreich bzw. dessen UN-Botschafter Gérard Araud inne; er gab die Erklärung "im Namen des Sicherheitsrats" ab.
Statement by the President of the Security Council
At the 6526th meeting of the Security Council, held on 2 May 2011, in
connection with the Council’s consideration of the item entitled “Threats to
international peace and security caused by terrorist acts”, the President of the
Security Council made the following statement on behalf of the Council:
“The Security Council recalls its resolutions regarding Osama Bin Laden,
and its condemnation of the Al-Qaida network and other associated terrorist
groups for the multiple criminal terrorist acts aimed at causing the deaths of
numerous innocent civilians and the destruction of property.
“The Security Council also recalls the heinous terrorist attacks which
took place on 11 September 2001 in New York, Washington, D.C., and
Pennsylvania and the other numerous attacks perpetrated by the network
throughout the world.
“In this regard, the Security Council welcomes the news on 1 May 2011
that Osama bin Laden will never again be able to perpetrate such acts of
terrorism, and reaffirms that terrorism cannot and should not be associated
with any religion, nationality, civilization or group.
“The Security Council recognizes this critical development and other
accomplishments made in the fight against terrorism and urges all States to
remain vigilant and intensify their efforts in the fight against terrorism.
“The Security Council expresses once again its deepest sympathy and
condolences to the victims of terrorism and their families.
“The Security Council reaffirms the importance of all its resolutions and
statements on terrorism, in particular resolutions 1267 (1999), 1373 (2001),
1624 (2005), 1963 (2010) and 1904 (2009), as well as other applicable
international counter-terrorism instruments, stresses the need for their full
implementation, and calls for enhanced cooperation in this regard.
“The Security Council further reaffirms its call on all States to work
together urgently to bring to justice the perpetrators, organizers and sponsors
of terrorist attacks and its determination that those responsible for aiding,
supporting or harbouring the perpetrators, organizers and sponsors of these
acts will be held accountable.
“The Security Council reaffirms that Member States must ensure that any
measures taken to combat terrorism comply with all their obligations under international law, in particular international human rights, refugee and
humanitarian law.
“The Security Council stresses that no cause or grievance can justify the
murder of innocent people and that terrorism will not be defeated by military
force, law enforcement measures, and intelligence operations alone, and can
only be defeated by a sustained and comprehensive approach involving the
active participation and collaboration of all States and relevant international
and regional organizations and civil society to address the conditions
conducive to the spread of terrorism and to impede, impair, isolate and
incapacitate the terrorist threat.”
** Source: Website of the United Nations, Security Council, 2 May 2011; S/PRST/2011/9; www.un.org
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