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Nukleare Sicherheit und die Gefahr terroristischer Anschläge

Von Götz Neuneck*

Leo Szilard, der Kernphysiker ungarischer Herkunft, der als einer der ersten die Folgen der Kettenreaktion erkannte und nicht nur Einsteins Brief an Roosevelt initiierte, sondern auch Zeit seines Lebens für nukleare Abrüstung eintrat, schrieb in einem Memorandum an Präsident Roosevelt im Frühjahr 1945: „Das einzige, was nötig ist, ist eine vergleichsweise kleine Anzahl von [Atom-] Bomben in jeder unserer großen Städte zu deponieren und sie später zu zünden. Die Vereinigten Staaten haben eine sehr lange Küste, die es möglich macht, solche Bomben in Friedenszeiten einzuschmuggeln und sie mit Lastwagen in unsere Städte zu transportieren. Die lange Küstenlinie, die Struktur unserer Gesellschaft und unsere heterogene Bevölkerung machen eine effektive Kontrolle solch eines ‚Verkehrs’ praktisch unmöglich.“

Diese noch heute gültigen Worte zeigen nicht nur das inhärente Terrorpotenzial von Atomwaffen auf, sondern auch die Schwierigkeiten, Nuklearmaterial so zu kontrollieren, dass eine Nuklearexplosion, die eine ganze Stadt auslöschen könnte, unmöglich wird. Der 60. Jahrestag der beiden verheerenden Atomexplosionen über Hiroshima und Nagasaki hat ein weiteres Mal bewusst gemacht, welche zerstörerische Kraft mittels Atomspaltung freigesetzt werden kann. In wenigen Sekunden wurden zwei Städte dem Erdboden gleich gemacht, und dies mittels zweier Bomben. Besteht nun angesichts überfüllter Nukleararsenale die Gefahr, dass auch Einzelpersonen oder Gruppen solch einen enormen Schaden anrichten können?

Szilard machte immer wieder auf die enorme Zerstörungskraft aufmerksam, die bei einer unkontrollierten Freisetzung von Kernenergie entfesselt wird. Über sechzig Jahre nachdem diese Erkenntnis den Regierungen bekannt wurde, gibt es fünf offizielle Nuklearwaffenstaaten sowie vier Schwellenstaaten, die über eine Atombewaffnung und riesige Mengen an waffenfähigem Material verfügen. Viele Staaten haben sich zwar im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages verpflichtet, nur den Weg einer „friedlichen Atomenergie“ zu verfolgen, jedoch besitzen auch Staaten, die eine zivile nukleare Infrastruktur betreiben, die technischen Möglichkeiten, Nuklearwaffen in kurzer Zeit herzustellen, oder sie verfügen über Nuklearmaterial oder Anlagen, die nukleare Gefahren auslösen können.

In Erklärungen der internationalen Gemeinschaft wird spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird immer wieder darauf verwiesen, dass in Zukunft auch Terroristen,[1] d.h. Einzelpersonen, Massenvernichtungswaffen einsetzen könnten. Insbesondere die Zündung eines „primitiven nuklearen Sprengsatzes“ durch „substaatliche Akteure“ wird in Betracht gezogen. Eine Studie der Harvard-Universität kommt zu dem Schluss, dass die Explosion einer einfachen 10-Kilotonnen-Bombe in Manhattan eine halbe Million Menschen töten könnte.[2] Abgesehen von der zu erwartenden Panik und Lähmung der Metropole rechnet man mit direkten Kosten in Höhe von einer Billion Dollar.[3] Weitere ökonomische und gesellschaftliche Folgen wären unabsehbar.

Expertenorganisationen und Fachleute warnen seit langem vor einem Einsatz von Nuklearwaffen und den Gefahren des Nuklearterrorismus durch „substaatliche Akteure“. Der Grund für die gestiegene Gefahr liegt im Erbe des Kalten Krieges und des Atomzeitalters, in dem weltweit in Nuklearenergie investiert und enorme Mengen an Nuklearmaterial (Sprengköpfe, Reaktoren, Atommüll, Brennstofflager etc.) angehäuft wurden. Dieses Erbe ist potenzielles Ziel eines Anschlags oder eine mögliche Quelle für die heimliche Abzweigung oder den Diebstahl von waffenfähigem Material. Eine Befragung von Nichtverbreitungsexperten durch das Büro von US-Senator R. Lugar ergab, dass fast 79% der Befragten glauben, dass Terroristen eine Nuklearexplosion verursachen könnten, während 21% befürchten, dass Atomwaffen innerhalb der nächsten zehn Jahren von Regierungen eingesetzt werden könnten.[4] Als wahrscheinlichste Quelle für die Beschaffung eines nuklearen Sprengkörpers wird der nukleare Schwarzmarkt angesehen. Damit stellt sich nicht nur die Frage nach der Beschaffung und der Herstellung von waffenfähigem Material, sondern auch nach der Sicherheit und Kontrolle vorhandener Arsenale.

Die Terroristen vom 11.9. überschritten mit ihren Taten eine Schwelle, die vorher als unwahrscheinlich eingestuft wurde. Dies nährt die Befürchtung, dass in Zukunft substaatliche Akteure auch „unkonventionelle“, also z.B. nukleare, Materialien nutzen könnten, um ihre Ziele zu erreichen. Bisher sind terroristische Anschläge mit so genannten Massenvernichtungswaffen selten geblieben und beschränkten sich auf begrenzt wirkende Terrorakte mit chemischen und biologischen Substanzen. Allerdings gibt es immer wieder Hinweise, dass terroristische Organisationen Interesse am Erwerb von Nuklearmaterialien oder –komponenten haben. Auszuschließen sind Angriffe auf Nuklearanlagen oder die Freisetzung radioaktiver Substanzen bis hin zur Auslösung einer Nuklearexplosion nicht, solange es viele „ungeschützte“ Nuklearanlagen gibt, die Sicherheit riesiger Arsenale an waffenfähigem Nuklearmaterial nicht gegeben ist und es Einzeltäter gibt, die vor nichts zurückschrecken.

Vier Wege sind gangbar, um nukleare Schadenswirkungen zu erzielen: (1) der Diebstahl oder die unerlaubte Weitergabe von Nuklearwaffen oder Komponenten, (2) der Bau improvisierter nuklearer Sprengkörper, (3) der Bau radiologischer Waffen und (4) der Angriff auf Nuklearanlagen. Die Wege 1 und 2 können bei Überwindung der jeweiligen Schutz- und Sicherungsmaßnahmen und bei einem Diebstahl einer intakten Nuklearwaffe zur Auslösung einer Kettenreaktion und damit zu einer verheerenden Atomexplosion führen; die Wege 3 und 4 führen zu einer lokalen radioaktiven Verseuchung, sind leichter umzusetzen und für Terroristen durchaus realisierbar. Sie haben keine militärische Bedeutung, passen jedoch gut zu den Zielen, die Terroristen haben, nämlich möglichst viel Aufmerksamkeit und eine große Verunsicherung der Bevölkerung zu erzeugen.

Szenario Nr. 1: Gestohlene Sprengköpfe

Zum einen können Nuklearsprengköpfe, die in staatlichen Waffenprogrammen entwickelt worden sind, durch Diebstahl, illegalen Verkauf oder gewaltsame Entwendung in die Hände von Terroristen gelangen. Sorge muss hier der ungesicherte Status vorhandener Arsenale der Nuklearwaffenstaaten, allen voran Russland, bereiten. Eine Studie der US-amerikanischen National Academy of Science sieht insbesondere in Russland und mittelfristig auch in Pakistan eine „signifikante Bedrohung“ in Bezug auf die Entwendung von funktionsfähigen Sprengköpfen.[5] Eine absolute Kontrolle durch das Militär, mechanische oder elektronische Sperren, die die nicht-autorisierte Auslösung eines Sprengkopfes unmöglich machen, und die Abrüstung überschüssigen Materials sind die einzigen Wege, ein solches Szenario zu verhindern.

Szenario Nr. 2: Bau einer einfachen Atombombe

Der zweite Weg, eine Kettenreaktion auszulösen, besteht darin, sich waffenfähiges Material zu beschaffen, einen einfachen, improvisierten Sprengsatz zu bauen und diesen zur Explosion zu bringen. Das Wissen zum Bau einer Atombombe ist heute frei verfügbar. Voraussetzung für ein solches Szenario ist der Erwerb von Plutonium-239 (PU) oder hoch angereichertem Uran (HEU). Zur realen Umsetzung sind zusätzlich Ingenieurkenntnisse nötig. Die kritische Masse liegt bei HEU je nach Anreicherungsgrad zwischen 6 und 30 kg oder mehr. Eine PU-Bombe ist weitaus schwerer herzustellen als eine Uran-Bombe, für die nicht einmal ein Test von Nöten ist, um das Funktionsprinzip auszuprobieren. Eine Uran-Bombe wäre auch für talentierte Spezialisten „machbar“, wenn sie in den Besitz einer genügenden Menge HEU gelangen. Lediglich zur Herstellung einer ausgereiften „militärischen“ Nuklearwaffe wären mehrere Jahre Experimente unter dem Schutz eines Staates bei guter Ausstattung erforderlich. Entscheidend bleibt also ein schneller Zugriff auf HEU oder PU. Deutlich wird hier, dass die Sicherheit von waffenfähigem Material, insbesondere PU und HEU, zur Verhinderung eines solchen Szenarios entscheidend ist. Ist das Material erst einmal aus Lagerstätten verschwunden, ist es schwer wieder zu beschaffen und kann folglich durch Weitergabe auch in Terroristenhand geraten und für eine Kettenreaktion mit unübersehbaren Folgen gebraucht werden.

Die Hauptsorge bezüglich globaler nuklearer Sicherheit muss sicherlich dem russischen Nuklearkomplex gelten. Der Bericht der National Academy of Science stellte fest, dass das Risiko der Abzweigung von Nuklearmaterial in Russland „hoch“ ist, „da große Inventare von speziellem Nuklearmaterial an zu vielen Orten gelagert werden, bei denen eine Kontrolle offensichtlich nicht vorhanden ist.“[6] Bezüglich der Lagerorte, des Standes der Sicherheitssysteme und der Moral der Wachmannschaften gibt es umfangreiche Studien, die zeigen, wie prekär die Situation ist. Die Nuklearstatistik des Bundeskriminalamtes bzw. der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) verzeichnet zwar eine Abnahme der Fälle von Nuklearschmuggel mit waffenfähigen Spaltmaterial, dafür steigt die Zahl der Zwischenfälle mit radioaktiven Quellen. Die Datenbank der IAEO zählte seit 1993 rund 650 Fälle von Diebstahl oder Schmuggel nuklearer Materialien. Die Statistik sagt allerdings nur etwas über den Misserfolg von Nuklearschmuggel aus, nichts jedoch über gelungene Versuche, die unentdeckt blieben. Diebstahlfälle bei Forschungsreaktoren deuten darauf hin, dass auch diese unzureichend geschützt sind.

Entscheidend ist bis heute die Frage, inwieweit es substaatlichen Akteuren tatsächlich gelingen kann, in den Besitz von waffenfähigem Material zu kommen. Wichtig bleibt damit, die Sicherheit der Arsenale der Großmächte USA und Russland, aber auch der kleineren Nuklearmächte, zu gewährleisten. Alleine 46 Staaten verfügen über Inventare waffenfähigen Urans. Die Nuklearwaffenstaaten verfügen über ca. 500 Tonnen abgetrennten Plutoniums, das jeweils zur Hälfte dem militärischen und dem zivilen Sektor zugerechnet wird, sowie über 1.500 bis 2.000 Tonnen HEU, das reichen würde, um zusätzlich ca. 100.000 Nuklearwaffen zu bauen. Es müssen folglich Anstrengungen unternommen werden, die überschüssigen Arsenale zu sichern, abzubauen und irreversibel zu vernichten. Da HEU besonders für terroristische Zwecke geeignet ist, sollte dieses Material unbedingt und schnell mit niedrig angereichertem Uran vermischt („downblending“) und „waffenunfähig“ gemacht werden. Leider ist dies bisher nur in geringem Maße geschehen, und entsprechende Vorschläge wurden zum Spielball ökonomischer Interessen.

Szenario Nr. 3: Wahrscheinlicher, aber „keine Massenvernichtung“: die „schmutzige Bombe“

Die dritte Gefahr besteht in dem Einsatz einer radiologischen Waffe. Hier müssen in geeigneter Weise radioaktive Materialien mit einem Sprengstoff kombiniert und zur Explosion gebracht werden. Eine Kettenreaktion kommt nicht zustande, und die Auswirkungen sind abhängig von der Art der Verbreitung, den lokalen Umweltbedingungen, der Frühwarnung etc. Das größte Sicherheitsproblem liegt darin, dass es radioaktives Material für viele medizinische, industrielle und wissenschaftliche Anwendungen gibt. Forschungsanlagen, Kliniken, Fabriken und Nuklearanlagen, die über radioaktives Material verfügen, sind in Deutschland unterschiedlich geschützt. Modellrechnungen zur Freisetzung von Kilogramm-Mengen Cäsium und Plutonium zeigen, dass große Gebiete für längere Zeit unbewohnbar gemacht würden.[7] Eine Dekontaminierung alleine reicht möglicherweise nicht. Ein Abtragen des Bodens oder der Häuseraußenflächen könnte nötig werden, wenn die Dekontaminierung nach der Freisetzung nicht schnell genug erfolgt. Eine Planübung in Dänemark ergab, dass Dänemark weder über einen nationalen Notfallplan noch über ein geeignetes Krisenmanagement verfügt.[8] Die IAEO hat in den letzten Jahren technische Standards zur Kategorisierung und Meldung radioaktiver Quellen sowie einen Code of Conduct for Safety and Security of Radioactive Sources ausgearbeitet. Technische Schutzmaßnahmen und Geräte zur Nachsorge sind im Aufbau.

Szenario Nr. 4: Angriff auf zivile Nuklearanlagen und die Freisetzung von Nuklearmaterial

Ein Problem, das nicht zu unterschätzen ist, wäre ein gezielter Angriff auf Nuklearanlagen, der so wirkungsvoll ist, dass dort lagerndes Nuklearmaterial frei gesetzt wird. Mögliche Ziele wären Kernkraftwerke (KKW), Abklingbecken, Zwischenlager oder Wiederaufarbeitungsanlagen. Entscheidend ist hier, wie gut KKW gegen „Angriffe von außen“ geschützt sind. Analysen und Modellrechnungen sind nötig, um künftige „Terrorszenarien“ abzudecken. Diskutiert wird z.B. die Frage, welchen „Erfolg“ Angriffe auf Abklingbecken oder Transportbehälter haben könnten. Klar ist, dass die Folgen eines Angriffs von dem Design des KKW und der Größe und „Professionalität“ des Angriffs abhängt. In Deutschland wurden im Auftrag des Bundesministeriums für Umweltschutz Untersuchungen durch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit unternommen.

Einige Maßnahmen der internationalen Gemeinschaft

Die internationale Gemeinschaft hat in den letzten Jahren diverse Initiativen initiiert, um der Gefahr der Verwendung von Uran, Plutonium oder anderen waffenfähigen Materialien für terroristische Anschläge vorzubeugen. Zu unterscheiden sind hier Abrüstungsmaßnahmen, die waffenrelevantes Material identifizieren, in ungefährliche Substanzen konvertieren oder endgültig vernichten, von Schutzmaßnahmen sowie Grenz- oder Exportkontrollen, die den Fluss von Nuklearmaterial kontrollieren sollen.[9]

Verschiedene Programme und Konventionen zur Sicherung und Zerstörung von Nuklearmaterial wurden in den 1990er Jahren vereinbart. Zu nennen ist hier die G-8 Initiative Global Partnership Against the Spread of Weapons and Materials of Mass Destruction, die die G-8 im Juni 2002 in Kananaskis/Kanada starteten. Die USA verpflichteten sich, über zehn Jahre zehn Milliarden USDollar für Abrüstungshilfe im Bereich der ehemaligen Sowjetunion, insbesondere in Russland, der Ukraine, Usbekistan und Georgien auszugeben. Die EU beteiligt sich finanziell in gleicher Weise. Hierdurch sollen die nuklearen, aber auch andere Proliferationsrisiken verringert werden. Wichtige Projekte sind die Entsorgung russischer Atom-U-Boote und Spaltmaterialien, die Weiterbeschäftigung ehemaliger Waffenforscher, aber auch die Sicherung von biologischen und chemischen Waffen. Weitere technische, finanzielle und organisatorische Hilfe zur Transportsicherung von waffenfähigem Material, Sicherung der Lagerstätten und Verbesserung von Exportkontrollen, Ausbildung des Personals, Zerstörung von Trägersystemen etc. sollte verstärkt gewährt werden. Neben den G8-Staaten haben sich 14 weitere Geberländer gefunden. Bisher wurden lediglich Zusagen für 17 Mrd. US-Dollar gemacht, und ein großer Teil des Geldes ist noch nicht in konkrete Projekte überführt worden. Die zur Verfügung gestellten Mittel reichen bei weitem nicht aus, um eine gefahrlose und dauerhafte Konversion des russischen Militärsektors in kurzer Zeit sicherzustellen. Behördliche Trägheit und rechtliche Hindernisse erschweren eine schnelle Umsetzung.

Die Vereinten Nationen verabschiedeten am 13. April 2005 eine Internationale Konvention zur Unterdrückung von nuklearem Terrorismus. Die Konvention verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Personen strafrechtlich zu verfolgen, die sich widerrechtlich Nuklearmaterial angeeignet haben. Schwere Strafen drohen Personen, denen ein Anschlag nachgewiesen werden kann. Die Meldung solcher Delikte sowie eine bessere Koordination der Behörden soll erreicht werden. Im März 2003 wurde in einem Aufruf an alle IAEO-Mitglieder das Radiological Threat Reduction Programme gestartet, bei dem hochradioaktive Quellen und weiteres radioaktives Material identifiziert und sichergestellt werden sollen. Diese Maßnahmen erleichtern die Strafverfolgung und Früherkennung und dürften einen Abschreckungseffekt haben. Die Entschlossenheit von Terroristen, Anschläge mit der Freisetzung von Nuklearmaterial zu begehen, werden erschwert, aber nicht unmöglich gemacht, solange so viel Nuklearmaterial im zivilen wie militärischen Bereich existiert, wie dies heute der Fall ist.

Schlussfolgerungen

Die Möglichkeit, selbst waffenfähiges Plutonium oder Uran herzustellen, liegt jenseits dem Vermögen von Einzelpersonen oder Gruppen, es sei denn, sie werden durch einen Staat gestützt und können unbehelligt und materiell gut ausgestattet an der Produktion von Nuklearmaterial arbeiten. Für „substaatliche Akteure“ ist es durchaus möglich, in den Besitz eines einfachen Nuklearsprengkörpers mit HEU als Ausgangsmaterial zu gelangen. Die heutigen enormen Arsenale an waffenfähigem Material sind in den Händen der bekannten Nuklearwaffenstaaten. Darüber hinaus befinden sich radioaktive Anlagen und Quellen in allen Staaten, die über eine Nuklearindustrie oder militärische Nuklearkomplexe verfügen. Diese könnten das Ziel von Terroranschlägen werden. Der Sicherung und Reduktion von Nuklearwaffen und Nuklearmaterialien kommt deshalb höchste Priorität zu. Besonders der Verringerung der HEUBestände in Russland sollte höchste Dringlichkeit eingeräumt werden. Ist das Material erst einmal entwendet, ist es kaum mehr kontrollierbar.

Somit hängen nukleare Sicherheit, Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nuklearterrorismus unmittelbar zusammen. Dies gilt nicht nur für die klassischen Nuklearmächte, sondern auch für Schwellenstaaten wie Pakistan, wo die Sicherheit von nuklearwaffenfähigem Material besorgniserregend ist. Eine mehrstufige Abwehr, beginnend bei frühzeitiger Aufklärung entsprechender Akteure und Ziele, ist ebenso notwendig wie die Einübung und Koordination eines effizienten Katastrophenmanagements oder die Installation von Radioaktivitätsmeldern in Häfen, Grenzstationen und auf Flugplätzen. Allerdings ist der dauerhaft sicherste Weg die irreversible Vernichtung oder Endlagerung von waffenfähigem Material.

Die international gestarteten Initiativen zur Verbesserung der nuklearen Sicherheit insbesondere im Bereich der ehemaligen Sowjetunion bilden einen ersten wichtigen Schritt, dennoch reichen die bisher eingesetzten finanziellen und technischen Mittel bei weitem nicht aus. Zum einen ist die Umsetzung recht langsam, zum anderen ist fraglich, ob das investierte Geld effizient eingesetzt wird. Die bereits erwähnte Untersuchung der Harvard-Universität aus dem Jahre 2003 kommt zu dem Schluss, dass in Russland lediglich die Hälfte der Programme überhaupt umgesetzt wurden und viele Tonnen waffenfähigen Materials noch gar nicht „gesichert“ wurden.[10] Die nukleare Sicherheit in weiteren Staaten, die über Nuklearwaffen verfügen, wie z.B. Pakistan, darf nicht vernachlässigt werden. Anschläge mit „radiologischen Waffen“ sind aufgrund der generellen Verfügbarkeit von radioaktiven Quellen wahrscheinlich, jedoch nicht dem Bereich Massenvernichtungswaffen zuzurechnen.

Noch heute gibt es zu viele ungesicherte Lagerstätten, Nuklearanlagen und Mülldeponien, die Ziel von terroristischen Anschlägen werden könnten, sei es, dass sie direkt angegriffen werden, sei es, dass waffenfähiges Material entwendet wird. Der Diebstahl oder Bau einer einfachen Nuklearwaffe mit 30–50 kg HEU kann eine verheerende Nuklearexplosion auslösen, die eine Stadt zerstören kann. Der Harvard-Wissenschaftler Graham Allison erklärte 2004: „Wenn wir nur das tun, was wir jetzt tun, ist ein nuklearer Angriff unvermeidlich.“[11]

Fußnoten
  1. Der oft beliebig benutzte Begriff Terrorist wird hier nicht näher spezifiziert. Er steht einfach für „substaatliche“ Einzeltäter, die Terror erzeugen wollen.
  2. Die über Hiroshima gezündete Atomwaffe hatte eine Sprengkraft von ca. 13 Kilotonnen.
  3. M. Bunn, A. Wier, J.P. Holdren: Controlling Nuclear Warheads and Materials. A Report Card and Action Plan, commissioned by the Nuclear Threat Initiative, März 2003, S.15.
  4. Richard G. Lugar, Chairman, Senate Foreign Relations Committee: The Lugar Survey on Proliferation Threats and Responses, Washington D.C., Juni 2005, S.14.
  5. National Research Council: Making the Nation Safer: The Role of Science and Technology in Countering Terrorism, The National Academies Press, Washington D.C., 2002, S. 43ff.
  6. Ebenda, S.44.
  7. Testimony of Dr. Henry Kelly, 6. März 2002 [http://www.fas.org/ssp/docs/030602-kellytestimony.htm].
  8. A. Dalgaard-Nielsen, L. Selmer-Friborg, M.F. Jakobson: Targeting Europe: The Threat from Dirty Bombs. Findings and Policy Recommendations, Danish Institute for International Studies, Copenhagen, 2004.
  9. Jan Kuhn und Götz Neuneck: Der Schutz kritischer Infrastrukturen, Hamburg, 2005 (IFAR Working Paper Nr.6) [http://www.ifsh.de/IFAR/serv_bp.htm].
  10. Bunn/Wier/Holdren, op.cit., S. 78ff.
  11. Carnegie Endowment, Proliferation Brief Vol. 7(1), September 2004.
* Götz Neuneck ist wissenschaftlicher Referent am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg. Götz neuneck erferierte zu diesem Thema auch beim Tschernobyl-Kongress der IPPNW im April 2006.

Quelle: Dossier Wissenschaft und Frieden 1/2006 (Beilage zur Zeitschrift W&F)


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