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Das Handy als Mordwaffe

Internationale Kooperation soll der Terrorgefahr wirksam begegnen

Von Wolfgang Kötter *

Wirksame Antiterrorstrategie gesucht

In den Koalitionsverhandlungen haben Union und Freien Demokraten heftig über das Verhältnis von Bürgerrechten und innerer Sicherheit gestritten. Die Auseinandersetzung um diesen Zielkonflikt wird sowohl innerhalb der Regierung als auch in der gesamten Gesellschaft anhalten. Zurzeit geht es vor allem um eine Güterabwägung zwischen dem privatrechtlichen Schutz der Bürger und notwendigen Abwehrmaßnahmen gegen terroristische Anschläge. In zahlreichen Terrordrohungen wird der sofortige Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan gefordert. Nach Informationen der Washington Post befinden sich seit Januar mindestens dreißig deutsche Islamisten zur paramilitärischen Ausbildung in Trainingslager im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Etwa zehn Rekruten seien in diesem Jahr bereits in die Bundesrepublik zurückgekehrt, berichtet die Zeitung. Die Sorge vor neuen Attentaten gegen Ziele in Europa sei deshalb gewachsen. El Kaidas Vize-Chef Aiman el Sawahiri hat erst jüngst in einer Videobotschaft mit weiteren Anschlägen gegen den Westen gedroht, um damit Gewalt gegen Muslime zu rächen. Es werde solange weiteres Blutvergießen und Angriffe auf die Wirtschaft geben, bis der Westen seine „Verbrechen" beende.

Von Washington bis Berlin gehen die Regierungen unterschiedlich mit den Terrordrohungen um. Letztlich jedoch wird nur eine umfassende weltweite Strategie Erfolgschancen haben. Im Rahmen der UNO wurden bisher insgesamt 16 rechtsverbindliche Abkommen gegen den Terrorismus vereinbart. Sie behandeln unter anderem den Schutz des internationalen Zivilluftverkehrs und der Seeschifffahrt die Sicherheit für Diplomaten und Botschaften, die Verhinderung von Geiselnahmen generell, Maßnahmen gegen den Nuklearterrorismus und zum physischen Schutz von Kernmaterial, nicht zuletzt auch das Trockenlegen von Finanzierungsquellen für Terroraktionen. Der UN-Sicherheitsrat hat mit dem Antiterrorausschuss http://www.un.org/sc/ctc/ und dem Komitee zur Verhinderung des Terrors mit atomaren, biologischen und chemischen (ABC-)Massenvernichtungswaffen http://www.un.org/sc/1540/ gleich zwei Gremien geschaffen, die sich mit diesem brisanten globalen Problem befassen.

Das Internationale Anti-Terror-Institut (ICT) veranstaltete im September seine traditionelle Tagung in der israelischen Küstenstadt Herzlia nördlich von Tel Aviv. Teilnehmer aus über 50 Ländern berieten über eine verstärkte globale Kooperation bei der Prävention und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Zu den erörterten Themen gehörte der Zusammenhang zwischen demographischer Entwicklung in den westlichen Gesellschaften, Immigration und Terrorismus. Die Teilnehmer diskutierten sehr intensiv über die Gefahr des Terrorismus mit ABC-Massenvernichtungswaffen. am Fallbeispiel Gaza-Krieg kamen auch ethische Herausforderungen im Antiterrorkampf zur Sprache. Die Experten analysierten außerdem den Nahost-Konflikt und seine Auswirkungen auf den internationalen Terrorismus. Es ging ebenfalls um Rechtsfragen bei der Strafverfolgung von Terroristen. Schließlich versuchten die Teilnehmer, zukünftige technologische Entwicklungen bei terroristischen Anschlägen einzuschätzen und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Terrorbekämpfung abzuleiten. Es gehe darum, so die Meinung von Konferenzteilnehmern, den Terroristen immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Zweifel daran weckt jedoch ein aktuelles Beispiel.

Das Handy als Mordwaffe?

Seltsame Begriffe zierten kürzlich die Schlagzeilen der Berichterstattung: „Bombe im Bauch“ „Tödliche Zäpfchen“, und „Al-Kaida testet rektale Bomben“. Was war geschehen? Am späten Abend des 28. August nähert sich dem saudiarabischen Vize-Innenminister - der auch Chef der Anti-Terror-Operationen und Leiter des Integrationsprogramms für aussteigende Dschihadisten ist - bei einem Empfang zum Fastenbrechen der bekannte Al-Kaida-Terrorist Abdullah Hassan al-Assiri. Er wolle sich angeblich den Behörden stellen. Dann zieht er jedoch sein Handy aus der Tasche und drückt auf die Taste. Die Explosion tötet den Attentäter sofort, Prinz Mohammed ben Nayef erleidet nur eine leichte Handverletzung. Den Wachleuten an den Sicherheitsschleusen war bei ihren Leibesvisitationen jedoch kein Sprengsatz aufgefallen. Doch sie trifft keine Schuld, denn die aus einem halben Kilo Sprengstoff bestehende Bombe war im Körper des Terroristen versteckt.

Was bisher nur bei Drogenkurieren anzutreffen war, könnte zukünftig auch von terroristischen Selbstmordattentätern genutzt werden. Terroristen würden Sprengkörper wie ein Zäpfchen bei sich einführen, so durch Passagier-Kontrollen gelangen und sich im gegebenen Moment per Handy-Signal in die Luft sprengen. Wie die französische Zeitung „Figaro“ berichtet, sehen die Anti-Terror-Spezialisten des französischen Inlandsgeheimdienstes DCRI eine neue "Operationsweise" von Al-Kaida. Damit seien die bestehenden Schutzvorkehrungen im Flugverkehr in Frage gestellt: „Unsere Airports sind zwar mit Metallsuchrahmen ausgerüstet. Bei solchen Attentaten lässt sich der Sprengstoff jedoch nur durch Röntgen entdecken“, so ein Beamter. Ob die Gefahr mit Massen-Röntgenkontrollen oder einem totalen Handy-Verbot auf Flügen entschärft werden kann, bleibt jedoch umstritten. Zwar könnte ein Röntgengerät im Gegensatz zu herkömmlichen Metalldetektoren im Körper versteckte Bomben sichtbar machen. Doch bei einer massenhaften Durchleuchtung von Fluggästen mit Röntgenstrahlen wären die gesundheitlichen Risiken aus medizinischer Sicht unverantwortlich groß. Röntgenkontrollen sind außerdem sehr teuer, praktikabler wäre hingegen ein allgemeines Handyverbot auf Flügen. Das aber ist wahrscheinlich nur schwer zu kontrollieren. Natürlich rufen derartige Zwischenfälle sofort die Überwachungsanhänger auf den Plan. So fordert Frankreichs Innenminister Brice Hortefeux, dem Luftterror auf europäischer Ebene durch die Übermittlung umfangreicher Passagierdaten wie Adressen, Zahlungsweise und Kontaktpersonen von den Fluggesellschaften an die Polizei vorzubeugen. Doch mögen die Überwachungsmechanismen auch noch so ausgeklügelt sein, ohne den sozio-ökonomischen und ideologischen Nährboden des Terrorismus auszutrocknen, läuft es vermutlich immer wieder auf einen Wettlauf zwischen Hase und Igel hinaus.

Chronik von Terroranschlägen 2001-2009

Datum / Ort Anschlag / Opfer
18. Oktober 2009
Pischin
Die sunnitische Rebellengruppe Dschundallah („Gottessoldaten") verübt einen Selbstmordanschlag auf die iranischen Revolutionsgarden. Der Angriff ereignet sich in der südostiranischen Provinz Sistan-Balutschistan an der Grenze zu Afghanistan und Pakistan.
mehr als 40 Tote
Oktober 2009
Shangla,Alpuri,Peshawar,
Rawalpindi, Lahore, Saddar
Eine Serie von Überfällen und Selbstmordattentaten der pakistanischen Taliban-Organisation Tehreek-e-Taliban (TTP) erschüttern das Land. Allein in den ersten zwei Oktoberwochen sterben mehr als 100 Menschen.
etwa 2.200 Tote
8. Oktober 2009
Kabul
Ein Selbstmordattentäter der radikalislamischen Taliban zündet eine Bombe von einem Geländewagen aus nahe der indischen Botschaft. Die gewaltige Explosion reißt einen tiefen Krater in die Straße, eine schwarze Rauchwolke steigt auf. Am Anschlagsort sind Leichenteile, Trümmer und zerstörte Autos zu sehen, in den umliegenden Geschäften gehen Schaufenster zu Bruch.
17 Tote
5. Oktober 2009
Islamabad
Ein pakistanischer Taliban verübt einen Selbstmordanschlag auf die Zentrale des UN-Welternährungsprogramms (WFP). Mehrere Personen werden bei der Explosion in dem stark gesicherten Gebäude getötet oder teils schwer verletzt. Die Hilfsorganisation schloss daraufhin bis auf weiteres alle seine Büros in Pakistan.
5 Tote
Juli 2008
Kabul
Viele der Opfer standen Schlange vor der indischen Botschaft, um ein Visum abzuholen, als ein Attentäter sein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug gegen die Absperrgitter am Eingang zur Vertretung Indiens in Afghanistan steuert. Unter den Toten sind auch der indische Militärattaché, indische Sicherheitsleute und afghanische Polizisten.
mehr als 60 Tote
11. April 2007
Algier
Der nordafrikanische Flügel von Al-Kaida löst in der algerischen Hauptstadt Explosionen aus. Selbstmordattentäter lassen zwei mit jeweils 800 Kilogramm Sprengstoff beladene Lastwagen vor dem Regierungspalast detonieren. Unter den Opfern sind auch elf Mitarbeiter der Vereinten Nationen.
33 Tote
11. Juli 2006
Mumbai
In der indischen Großstadt lassen Terroristen sieben Bomben in dichter Abfolge in mehreren Vorortzügen explodieren.
Über 200 Tote
7. Juli 2005
London
Bei einer Serie von Bombenexplosionen in U-Bahnen und einem Nahverkehrsbus sterben mehr als 50 Menschen, Hunderte werden verletzt.
Über 50 Tote
1. September 2004
Beslan
Tschetschenische Terroristen bringen mehr als 1.100 Kinder und Erwachsene in einer Schule in in Nordossetien in ihre Gewalt. Die Geiselnahme endete nach drei Tagen in einer Tragödie – bei der Befreiung durch russische Einsatzkräfte starben viele der Geiseln.
331 Tote
11. März 2004
Madrid
Bombenanschläge auf den zentralen Bahnhof der spanischen Hauptstadt Atocha und andere Nahverkehrszüge.
191 Tote
6. Februar 2004
Moskau
Selbstmordattentat mit vermutlich tschetschenischen Hintermännern auf die U-Bahn der russischen Hauptstadt.
41 Tote
15. und 20. November 2003
Istanbul
Selbstmordattentäter zünden Autobomben vor jüdischen Synagogen, wenige Tage später zielen Terroristen auf britische Einrichtungen in der Türkei.
57 Tote
12. Mai und 8. November 2003
Riad
Terrorangriffe auf Ausländersiedlungen in der saudi-arabischen Hauptstadt.
43 Tote
16. Mai 2003
Casablanca
Selbstmordattentäter verüben Anschläge auf jüdische und ausländische Einrichtungen in der marokkanischen Metropole.
33 Tote
12. Oktober 2002
Bali
Bombenattentate in Discotheken auf der indonesischen Ferieninsel Bali. Unter den Opfern sind vor allem australische Urlauber.
202 Tote
11. April 2002
Djerba
Terroristen bringen einen Kleinlaster vor der Synagoge auf der tunesischen Ferieninsel Djerba zur Explosion. Die Opfer sind vorwiegend Touristen, darunter 14 aus Deutschland.
21 Tote
11. September 2001
New York / Washington
Al-Kaida-Terroristen fliegen mit drei entführten US-Verkehrsflugzeugen Angriffe auf die Twin-Towers des World Trade Center und das Pentagon. Ein viertes Flugzeug stürzt ab, bevor es sein Ziel erreicht.
Fast 3000 Tote


* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung "Freitag", 20. Oktober 2009


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