Breivik wäre ohne bin Laden nicht möglich gewesen
Eine Kolumne von Jan Guillou *
Es gibt eine direkte Verbindung zwischen dem 11. September in New York und dem 22. Juli auf Utøya. Der Terrorist Anders Behring Breivik ist ein konsequentes Geschöpf des „Krieges gegen den Terrorismus“, der jetzt zehn Jahre alt wird. Der Krieg, den Osama bin Ladin gewonnen hat.
Denn das hat er, wenn wir jetzt nach zehn Jahren einen Schlussstrich ziehen würden. Und er
gewann, ohne auch nur einen Schuss abzugeben oder dass es ihm gelang, auch nur eine einzige
Terrorattacke nach New York zu organisieren. Selbst sein Tod wurde zu einem Sieg über die
Demokratie. Statt in einem langen Gerichtsverfahren mit westlichen demokratischen
Rechtssicherheitsregeln erniedrigt zu werden, gelang es ihm, entsprechend nicht demokratischen
Regeln, seinen eigenen, ermordet und damit zu einem Märtyrer zu werden und danach mystisch
verschwunden zu sein, das heißt ebenso wie Mohammed ins Himmelreich aufgestiegen zu sein.
George W. Busch übernahm von Bill Clinton eine USA, die schuldenfrei war und sich im Plus
befand. Osama bin Laden hat ihn dazu gebracht, zwei hoffnungslose Kriege – mit chinesischen
Krediten – zu beginnen, die die stärkste Wirtschaft der Welt, und Demokratie, zu einer
Konkursmasse mit mehreren tausend Milliarden Dollar Schulden verwandelt hat.
Und was die Demokratie angeht, führten die USA, sehr bald mit Europa im Schlepptau, in
manischer Aktivität antidemokratische Gesetze in Bezug auf die „muslimischen“ Einwohner und
Bürger in unseren eigenen Ländern ein. Die USA nahmen sich sogar das Recht heraus,
Konzentrationslager für Unerwünschte zu errichten und führten das seit vierhundert Jahren
verbotene Rechtsmittel Folter wieder ein. Noch ein strahlender Sieg für Osama bin Laden. Vor dem
11. September 2001 war der Kampf gegen das Böse in der Welt diffuser. Dass es auf irgendeine Art
um uns in der demokratischen Welt gegen den „Islam“ ging, war klar. Aber trotzdem etwas
seltsam.Als z.B. Großbritannien Anfang der 90er Jahre beschloss, sein teures System mit
atombombenbestückten Angriffsubooten zu behalten – dazu bestimmt, die Sowjetunion, die es nicht
mehr gab, zu bekämpfen – war die Begründung im britischen Parlament so eindeutig zu bizarr, um
sie überhaupt ernst zu nehmen: Die Atom-U-Boote würden zur Bekämpfung des Islam benötigt.
Atom-U-Boote gegen eine Religion? Wie bombardiert man eine Religion mit Atomwaffen?
Aber die eindeutig wahnsinnige Rhetorik hielt sich bei den westlichen Medien und Politiker. Das,
was einst die gelbe Gefahr war, oder die sowjetische Gefahr, wurde jetzt die muslimische Gefahr. Das sah aus wie der Aufmarsch für einen neuen Heiligen Krieg.
Nach dem 11. September wurde es klarer. Spontan erklärte George W. Bush, vermutlich ohne die
Sprengkraft seiner Wortwahl zu begreifen, einen „Kreuzzug“. Osama bin Laden hat vermutlich
gejubelt und Gott gedankt. Von jetzt an befand sich die Welt in der Ära, die noch immer der Krieg
gegen den Terrorismus genannt wird.
Auf der internationalen Bühne zeigt sich dieser Krieg in der Okkupation zweier muslimischer
Länder und einem unbegrenzten Recht für unbemannte amerikanische Flugzeuge, Verdächtige, wo
man sie auch sieht, zu meucheln, oder wo man glaubt, sie zu sehen (es gibt nennenswerten
Schwund an unschuldigen, aber ja nur „muslimischen“ Menschenleben). Noch ein Sieg für Osama
bin Laden, wo all dieses Morden beweist, dass das Gerede der Demokratien über Menschenrechte
nur Heuchelei ist.
Auf der nationalen Bühne haben wir eine umfassende Terrorgesetzgebung, die gegen wirkliche oder
vermeintliche Moslems gerichtet ist, auf jeden Fall gegen Menschen mit orientalischem Namen,
gegen die die Terrorpolizei in welcher Morgendämmerung auch immer zuschlagen kann ohne
andere Beweise als Anzeigen oder Vermutungen.
Wenn jetzt der Staat und die demokratische Führung in dem Land Schweden, wie in Holland, wie in
Dänemark, wie in Norwegen, so gründlich und brutal klar macht, dass wir einen inneren Feind in
Form von wirklichen oder vermeintlichen Moslems haben, hat das unerbittliche antidemokratische
Effekte.
Jimmie Åkesson und seine Sverigedemokrater (schwedische Rechtsaußenpartei, Anm. d. Übers.),
können sich ja auf den früheren Justizminister Thomas Bodström verlassen, der meinte, dass „das
Problem ist, dass ein Teil dieser Menschen schwedische Bürger geworden sind“, als er die
Terrorgesetzgebung auf schwedische Bürger ausweiten wollte. Was keinen Widerspruch hervorrief. Weil wir ja alle wissen, dass solche Gesetze ja nur für „diese Menschen“ gelten.
Jimmie Åkesson hat sogar begonnen, sich Demokrat zu nennen, ein Ausdruck, der am Beginn
seiner Bewegung ein Schimpfwort war. Sie waren ja Nazis. Und folglich auch Antisemiten. Jetzt
sind sie zu Israelfreunden geworden, da Israel unzweifelhaft Moslems bekämpft, und beschimpfen,
komisch genug, ihre Widersacher als Antisemiten.
Und sie haben die Ursprungsideen von einer jüdischen Weltkonspiration ausgetauscht gegen eine
muslimische – die größte Gefahr für Schweden seit dem zweiten Weltkrieg, um mit Åkesson zu
sprechen. Die muslimische Konspiration gegen Europa besteht darin, die Macht durch
Kindergebären und arglistige heimliche Islamisierung zu erobern. Dafür gibt es eine Anzahl
Mitläufer, Verräter, Kulturmarxisten und so weiter. Das ist der nazistische Rassegedanke im
Zerrspiegel.
Die weltumspannende Hysterie über die muslimische Gefahr ist die Voraussetzung für Jimmie
Åkesson und alle seinesgleichen überall in Europa. Und weil Kulturmarxisten, Landesverräter,
Multikultiliebhaber und Sozialdemokraten den Weg für die muslimische Weltkonspiration bereiten,
muss jeder Patriot sein Äußerstes tun, auch unter äußerster Aufopferung, tun, um die ahnungslosen
Massen aufzuwecken.
In dieser Gedankenfigur wird Anders Behring Breivik zu einem Gesinnungsgenossen von Åkesson
und seinen Sverigedemokrater. Mit dem Unterschied, dass der tapfer zur Tat geschritten ist, statt nur
zu reden.
Und er wäre nicht möglich gewesen ohne Osama bin Laden. Genau so, wie wir keine
Sverigedemokrater im Reichstag gehabt hätten ohne Osama bin Laden, den Terroristen, der niemals
hätte die Möglichkeit haben dürfen, unsere Demokratie bedrohen zu können. Der uns aber dazu
brachte, es selbst zu tun.
Und das war sein größter Sieg.
[Übersetzung aus dem Schwedischen: Renate Kirstein]
* Diese Kolumne erschien am 11. September 2011 in der Stockholmer Zeitung "Aftonbladet". Mit freundlicher Genehmigung durch den Autor Jan Guillou.
Jan Guillou, geb. 1944 in Södertälje, schwedischer Journalist und Romanautor. Jan Guillou wurde international vor allem durch seine Spionage-Thriller über den schwedischen Geheimagenten Graf Carl Hamilton alias Coq Rouge bekannt. Bisher hat er über 30 Bücher veröffentlicht (darunter Belletristik, Reportagen und kontroverse Bücher). Darüber hinaus hat er Theaterstücke und Fernsehspiele geschrieben.
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