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Schauprozeß in Guantánamo

Fünf angebliche Drahtzieher der Terroranschläge vom 11.9. ab heute vor Gericht

Von Alexander Bahar *

Erstmals müssen sich fünf mutmaßliche Al-Qaida-Mitglieder wegen der Terroranschläge vom 11. September 2001 vor einem militärischen Sondertribunal im US-Gefangenenlager Guantánamo auf Kuba verantworten. Die Anklage lautet auf Terrorismus, Verschwörung, Mord und Sachbeschädigung. Den fünf Männern, darunter Khalid Scheich Mohammed, angebliches »Hirn« der Attentate, sowie Ramzi Binalshibb, mutmaßlicher Verbindungsmann der Flugzeugentführer zur Al-Qaida-Führung, droht im Falle ihrer Verurteilung die Todesstrafe.

Die im Oktober 2006 durch den Military Commissions Act (MCA) etablierten Kommissionen sprechen allen rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn. Neben geheimen Beweisen sowie Beweisen vom Hörensagen erlauben sie auch die Zulassung von unter Zwang abgelegten Geständnissen. Die Verteidiger der fünf Angeklagten hatten vergeblich versucht, den Termin der Anklageverlesung hinauszuzögern. Sie wollten eine für diesen Monat erwartete Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs in Washington abwarten, der über die Rechtmäßigkeit der Militärkommissionen urteilen soll.

Darüber hinaus erklärten einige der Angeklagten, in US-Gewahrsam gefoltert worden zu sein. Die CIA hat inzwischen eingeräumt, den mutmaßlichen Chefplaner Sheich Mohammed dem so genannten »Waterboarding« unterzogen zu haben, einer beliebten CIA-Technik, bei der das Opfer an den Rand des Ertrinkens gebracht wird. In den Verhören soll Scheich Mohammed ein abenteuerliches Geständnis abgelegt und die Verantwortung für nicht weniger als 30 geplante bzw. ausgeführte Terroranschläge auf sich genommen haben.

Unterdessen hat der ebenfalls in Guantánamo gefangengehaltene Kanadier Omar Khadr, Sohn eines angeblichen hohen Al-Qaida-Führers, einen juristischen Teilsieg errungen. Am 23. Mai entschied der Oberste Gerichtshof Kanadas der hartnäckigen Weigerung der kanadischen Regierung zum Trotz, daß Ottawa einige zentrale Dokumente an das Verteidigerteam Omar Khadrs aushändigen muß.

Der damals 15jährige Omar Khadr war im Sommer 2002 von der US-Armee bei einem Feuergefecht in der Nähe von Khost (Afghanistan) gefangengenommen worden. Er wird beschuldigt, einen US-Soldaten mit einer Handgranate getötet zu haben. Khadr selbst erlitt während seiner Gefangennahme mehrere Schußwunden. Im Oktober 2002 wurde er als illegaler »feindlicher Kämpfer« nach Guantánamo gebracht. In einer beeidigten schriftlichen Erklärung schilderte Khadr detailliert seine Behandlung in den beiden Gefängnissen. Demnach wurde er in Isolationshaft gehalten, über längere Zeit in Streßpositionen gezwungen, physisch mißhandelt und mit Vergewaltigung bedroht.

Unter der Verletzung internationaler Gesetze über Kindersoldaten und der Genfer Konventionen wurde er im Jahr 2007 vor einer Militärkommission einer langen Liste von Verbrechen, einschließlich Mord, Verschwörung, Spionage und Unterstützung des Terrorismus, angeklagt. Khadr ist der letzte Bürger eines westlichen Landes, der in Guantánamo gefangen gehalten wird.

Kanada hat sich bislang nach Einschätzung von Amnesty International kaum für seinen Staatsbürger Omar Khadr eingesetzt. Im Gegenteil assistierten Vertreter der kanadischen Regierung den US-Behörden im Verfahren gegen Khadr. In Guantánamo wurde Khadr auch von Agenten des kanadischen Geheimdienstes CSIS verhört, die Protokolle wurden anschließend dem US-Militär übergeben. Einstimmig erkannte Kanadas Oberster Gerichtshof nun, sowohl die Teilnahme von CSIS-Agenten an den Verhören als auch die Weitergabe der Verhörprotokolle an US-Beamte verstießen gegen internationales wie kanadisches Recht. Zugleich enthielten sich die neun Richter aber jedes unabhängigen Urteils über die Rechtmäßigkeit der Verfahren in Guantánamo Bay.

* Aus: junge Welt, 5. Juni 2008

9/11-Prozess begann in Guantanamo

Mit einem Eklat hat am Donnerstag (5. Juni) im US-Gefangenenlager Guantanamo das Militärverfahren gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 begonnen. Der Hauptverdächtige Chalid Scheich Mohammed entließ zu Beginn der Anhörung seine Verteidiger und forderte die Militärrichter auf, ihn zum Tode zu verurteilen. »Ich will ein Märtyrer werden, das ist seit langer Zeit mein Wunsch«, sagte Mohammed. Auch der Mitangeklagte Walid bin Attash forderte, »durch die Hand« von US-Vertretern zu sterben.

Zu den drei anderen Mitangeklagten zählt Ramzi Binalshibh, der der Hamburger Zelle um die Attentäter angehört haben soll.

Mohammed gilt als Drahtzieher der Flugzeuganschläge in New York und Washington. Bereits in vorangegangenen Verhören hat er sich nach Angaben des Pentagons selbst der Taten bezichtigt.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2008

Angeklagt

Chalid Scheich Mohammed / Der Terrorist steht in Guantanamo vor einem Militärtribunal

Von Olaf Standke **

»Guantanamo Five« hat die Presse die fünf Terrorverdächtigen getauft, die seit gestern vor dem umstrittenen Militärtribunal auf dem US-amerikanischen Stützpunkt stehen und sich insgesamt 169 Anklagepunkten stellen müssen, darunter Verschwörung, Mord und Flugzeugentführung. Einem gilt dabei die besondere Aufmerksamkeit: Chalid Scheich Mohammed, von den Pentagon-Ermittlern zum »Mastermind«, zum Gehirn der Anschläge vom 11. September 2001 ernannt. Er soll sich in den Verhören geradezu mit den Planungen der Flugzeugattentate in New York und Washington gebrüstet haben – aber was kann man in diesem Prozess wirklich glauben, wenn man weiß, dass die Geständnisse des 44-Jährigen auch ein Resultat des berüchtigten »Waterboarding« der CIA sind. Dabei hat der Verhörte das Gefühl, er werde regelrecht ersäuft. Folter nennen das Menschenrechtsorganisationen, Juristen und auch viele westliche Regierungen; von »harschen Verhörmethoden« spricht USA-Präsident George Bush und hat sie ausdrücklich erlaubt. Selbst FBI-Experten haben darauf hingewiesen, dass der mutmaßliche Terrordrahtzieher unter dieser Folter Anschläge und Anschlagspläne gestanden habe, die er sich nun wahrlich nicht zuschreiben könne. Nicht nur das spottet in diesem Verfahren jeder Rechtsstaatlichkeit, wie groß auch immer die Verantwortung des gebürtigen Kuwaiters für den Tod von 3000 Menschen sein mag.

Als Mohammed 2003 von den Sicherheitsbehörden in Pakistan, wo er in der Provinz Belutschistan aufgewachsen ist, gefasst wird, gilt er als Nr. 3 des Al-Qaida-Netzwerkes. Er wird an das Pentagon übergeben, verschwindet für drei Jahre in Geheimgefängnissen und kommt schließlich 2006 nach Guantanamo. In den 80er Jahren hat er in den USA studiert und soll einen Abschluss als Ingenieur erworben haben. Jetzt droht ihm die Todesstrafe, vorausgesetzt, das Sondergericht selbst hält einer juristischen Prüfung stand. Der Oberste Gerichtshof der USA stoppte schon 2006 eine ähnliche Einrichtung als verfassungswidrig. Er will noch in diesem Monat über die Rechte der Gefangenen in Guantanamo entscheiden, die bisher zum Beispiel nur sehr eingeschränkten anwaltlichen Beistand kannten.

** Aus: Neues Deutschland, 6. Juni 2008




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