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Afghanistan, Ölpest und diese Typen aus Guantanamo

Zwei angebliche Terroristen dürfen nach Deutschland - die Solidarität mit Obama fällt bescheiden aus

Von René Heilig *

Ein heftiger interner Streit über Deutschlands innere Sicherheit ist beendet: Hamburg und Rheinland-Pfalz werden je einen Guantanamo-Gefangenen aufnehmen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) erfüllt damit ein Versprechen des Ex-Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD) und erweist den USA einen Gefallen - einen ganz, ganz kleinen.

Dankbar hat die US-Regierung auf die Ankündigung von de Maizière reagiert, zwei Guantanamo-Insassen aufzunehmen. Diese humanitäre Geste sei ein starkes Zeichen für Deutschlands Engagement, den Vereinigten Staaten bei der Schließung des Lagers in Guantanamo zu helfen, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums.

So funktioniert Diplomatie. Denn natürlich sind die USA sauer, dass Deutschland nicht mehr Gefangene übernimmt. Das Guantanamo-Problem wächst sich für Barack Obamas Demokraten zu einem innenpolitischen Debakel aus. Im Herbst sind Kongresswahlen, da kommt dem ehrgeizigen Präsidenten und seinen Demokraten allerlei Ungemach entgegen. Als er versuchte, das Wahlversprechen einer Gesundheitsreform durchzusetzen, bekam Obama Dresche. Afghanistan ist ein latentes Problem. Bei der BP-verursachten Ölpest zeigt sich präsidiale Ohnmacht. Und nun noch diese Terroristen, die in ihrer Mehrheit gar keine sind ...

Nach seiner Wahl hatte der Präsident versprochen, das von seinem Vorgänger Bush ererbte Problem Guantanamo binnen eines Jahres - also bis Anfang 2010 - zu lösen. Von Anfang an hatte man in Washington auf die Verbündeten gehofft. So wie die meisten ja auch beim globalen »Wegfangen« Terrorverdächtiger geholfen haben.

Bushs und Obamas Verteidigungsminister Robert Gates - er ist verantwortlich für das Gefangenencamp Guantanamo - hatte erklärt, man wolle 116 der damals 215 Festgehaltenen in andere Länder überstellen. Die Obama-Administration versuchte, US-konforme Lösungen zu finden. Eine, zum Jahreswechsel 2009/2010 erörterte, hieß Thomson-Haftanstalt. Das Hightech-Gefängnis in Illinois war für 120 Millionen Dollar für 1600 Insassen fertiggestellt worden, doch finanzielle Engpässe führten zu einem Sparbetrieb. Hier, so einigte man sich, könnten die Guantanamo-Insassen weiter schmoren. Daraus wurde nichts: »Terroristen« auf US-Territorium? Nie und nimmer, wetterten die Republikaner und auch Demokraten fielen ihrem Obama in den Rücken.

So sind noch immer über 180 Menschen auf der US-Karibik-Festung eingeschlossen. In Europa erklärten sich lediglich neun EU-Staaten - darunter die Slowakei, Albanien, Spanien und die Schweiz - bereit, einige der Entrechteten ins Land zu lassen. Noch als Innenminister hatte der heutige Finanzminister Wolfgang Schäuble( CDU) erklärt, die USA sollten ihr Problem alleine lösen. Er versteckte sich dabei hinter der deutschen Gesetzlichkeit, nach der Asylrechtsverfahren Ländersache sind.

Trotzdem: Parallel zur Ablehnung schauten sich Schäubles Leute vom Bundeskriminalamt und vom Bundesamt für Migration auf der kubanischen Sonneninsel um. Die Prüfungskommission gab für drei Leute grünes Licht. Es handelte sich um einen Syrer, einen Jordanier und einen Palästinenser. Null Sicherheitsbedenken, hieß es.

Irgend etwas scheint sich geändert zu haben, denn der Jordanier ist nun nicht mehr willkommen. Über ihn und weitere »Überstellungen« sei zu verhandeln, sagt Schäubles Nachfolger de Maizière.

Die beiden Ausgewählten werden in den kommenden Monaten in Deutschland eintreffen. Einer soll als (mehr oder weniger) freier Mann in Rheinland-Pfalz leben dürfen, der andere ebenso »frei« in Hamburg. Verwandschaftliche Beziehungen hätten beide in Deutschland nicht - wohl aber eine neunjährige Haft hinter sich, weshalb sie eine neue Chance verdient haben, sagte de Maizière.

Die schwarz-grüne Regierung des Hamburger Stadtstaates hat sich übrigens ganz besonders erfreut gezeigt, einen Guantanamo-Mann aufnehmen zu dürfen. Eine Sprecherin des Senat sagte, der 11. 9. 2001 werde immer mit Hamburg in Verbindung gebracht. Hier hätten schließlich einige der mutmaßlichen Terrorflieger, die über 3000 US-Bürger auf dem Gewissen haben sollen, gewohnt und Pläne ausgeheckt. »Aus diesem Grund wie auch aus humanitären Gründen haben wir der Bundesregierung daher zugesagt, einen aus der Haft entlassenen Insassen des US-Gefangenenlagers Guantanamo aufzunehmen.«

Fair wäre es gewesen, wenn die Hamburger Sprecherin gesagt hätte, dass die Kollaboration mit US-Terrorjägern, die nur allzu oft Recht und Gesetz missachteten, in keinem Bundesland größer war als in Hamburg.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2010


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