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Folter sei Dank

Nach dem Tod Osama bin Ladens wollen US-Republikaner Bush und Guantánamo rehabilitieren

Von Philipp Schläger, New York *

Osama bin Laden war bei seiner mutmaßlichen Erschießung am Montag nicht bewaffnet. Das bestätigte der Sprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, am Dienstag nachmittag bei einer Pressekonferenz in Washington und widersprach somit früheren Darstellungen. In der ersten Schilderung der Ereignisse, die der Antiterrorberater Obamas, John Brennan, einen Tag vorher präsentiert hatte, war davon die Rede gewesen, daß Osama bin Laden aktiv an einem Feuergefecht gegen die in den Gebäudekomplex eindringenden Navy Seals beteiligt gewesen sei. »Er war nicht bewaffnet«, las Carney nun am Dienstag aus einer vorbereiteten Stellungnahme vor. Der Al-Qaida-Chef habe während der knapp 40minütigen Kommandoaktion allerdings unbewaffnet Widerstand geleistet und sei daraufhin erschossen worden. Auf die Frage eines Reporters, wie sich bin Laden denn ohne Waffe zur Wehr gesetzt habe, verwies der Sprecher auf das vorgelesene Statement und erklärte, daß mehr Details erst in den kommenden Tagen veröffentlicht würden, sobald diese verfügbar seien. Er erklärte zudem auch, daß bin Laden seine Ehefrau nicht als menschliches Schutzschild mißbraucht habe, wie es zunächst geheißen hatte. Sie habe sich vielmehr auf einen der US-Soldaten geworfen, und ihr sei daraufhin in den Fuß geschossen worden, so Carney.

Unterdessen versuchen Konservative in den USA, den Erfolg der Aktion auf die Existenz des Gefangenenlagers Guantánamo und die dortige Anwendung von Foltermethoden zurückzuführen und lobten Expräsident George W. Bush. »Wir danken Präsident Bush, daß er die richtigen Entscheidungen getroffen hat, die diesen Erfolg vorbereitet haben«, erklärte Sarah Palin, die Obamas Namen in ihrer Rede am Montag nicht erwähnte. Bushs Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz erklärte, daß die erfolgreiche Operation gegen bin Laden den Wert der illegalen Verhörmethoden belege. »Die von Bush eingeführten Instrumente, Gitmo, Auslieferung und harsche Verhörmethoden (…) kamen seinem Nachfolger offensichtlich sehr gelegen«, sagte Bushs Berater Karl ­Rove im Gespräch mit dem Fernsehsender Fox News. »Wir erhielten diese Information durch Waterboarding«, erklärte auch der republikanische Kongreßabgeordnete Peter King aus New York ohne Umschweife. Und Bushs Verteidigungsminister Donald Rumsfeld behauptete, daß Guantánamo eine »essentielle Rolle bei diesem Erfolg« gespielt haben könnte.

Auch wenn Effizienz für die Frage der Zulässigkeit von Folter keine Rolle spielen sollte, sind solche Behauptungen nach derzeitigem Kenntnisstand auch sachlich nicht begründet. Übereinstimmenden Medienberichten zufolge hatte beispielsweise Khalid Scheich Mohammed trotz der gegen ihn mehr als 180 Mal angewendeten brutalen Foltermethode des Waterboarding einen persönlichen Kurier Osama bin Ladens nicht verraten. Erst Jahre später sagte er ohne äußeren Zwang aus, daß er den Mann tatsächlich kenne, auch wenn er keine bedeutende Rolle gespielt habe.

Die Ereignisse, die zum mutmaßlichen Tod bin Ladens geführt haben, nahmen ihren Anfang offenbar im Verkehr nahe der ostpakistanischen Stadt Peschawar. Nach Angaben der New York Times machten pakistanische Agenten der CIA im Juli 2010 genau diesen Kurier in einem weißen Suzuki ausfindig und notierten das Kennzeichen. Nach wochenlanger Beobachtung fuhr dieser zu dem Haus in Abbottabad und lieferte dem Geheimdienst damit das Versteck bin Ladens, das daraufhin bis zum Sturmangriff intensiv beobachtet wurde. Während dieser Zeit diskutierte das Weiße Haus verschiedene Pläne. Eine Option sei die Bombardierung des Komplexes aus der Luft gewesen. Dieser Plan hätte der USA allerdings keine Leiche geliefert. Daher entschied sich das Weiße Haus für den Sturmangriff mit Helikoptern.

* Aus: junge Welt, 5. Mai 2011


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