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Krieg ohne Ende / War without end

Nur durch Gerechtigkeit, nicht durch Bomben, kann unsere gefährliche Welt sicherer werden / Only justice, not bombs, can make our dangerous world a safer place

Von Robert Fisk

Im vergangenen Jahr erschien der „Krieg gegen den Terror“ – ein widerwärtiger Ausdruck, den wir nach dem 11. September 2001 alle nachplapperten – fast so endlos, wie George Bush einst vorausgesagt hatte. Und erfolglos. Denn kann irgendjemand nach all den Bombardierungen Afghanistans, dem Sturz der Taliban, der Invasion des Irak und seinen entsetzlich tragischen Folgen behaupten, sich sicherer zu fühlen als vor einem Jahr?

Auf den Menschenrechten, die wir den Russen und Arabern während des Kalten Krieges entgegengehalten hatten, haben wir weiter herumgetrampelt. Wir haben alle Bestimmungen, die in der Folge des zweiten Weltkriegs in Verträgen und Abkommen niedergelegt worden waren, um die Welt sicherer zu machen, auf eine Weise abgeschwächt, die vielleicht verhängnisvoll sein wird. Und wir fühlen uns dabei als Sieger.

Wo findet man denn zum Beispiel den Terror? Ganz sicher in den Straßen von Bagdad. Und vielleicht auch wieder in unserem großartigen Westen, wenn wir mit diesem Wahn weitermachen. Terror findet man aber auch in den Gefängnissen und Folterkammern des Nahen Ostens. Man findet ihn in denselben Gefängnissen, in die wir in den letzten drei Jahren frisch vergnügt gefesselte Gefangene geschickt haben. Die Behauptung Jack Straws, dass die Männer nicht zur Folter geschickt werden, ist sicher eine der ungewöhnlichsten Erklärungen, die im „Krieg gegen den Terror“ abgegeben worden sind, wobei absurd vielleicht ein treffenderer Ausdruck wäre. Wenn sie nicht gefoltert werden sollen, wie der unglückliche Kanadier, der von New York nach Damaskus geschickt wurde, warum werden sie dann überhaupt irgendwohin geschickt?

Und wie sollen wir denn bitte diesen Krieg „gewinnen“, wenn wir all die Ungerechtigkeiten ignorieren, die wir dem Teil der Welt zufügen, aus dem die Flugzeugentführer des 11. September ursprünglich herkamen? Wie oft haben die Herren Bush und Blair über „Demokratie“ gesprochen? Wie selten haben sie über „Gerechtigkeit“ gesprochen, über die Korrektur vergangenen Unrechts, über die Abschaffung der Folter? Unsere Hauptopfer beim „Krieg gegen den Terror“ befanden sich natürlich im Irak, (wo wir selber eine ordentliche Portion Folter ausgeteilt haben).

Seltsamerweise schweigen wir jedoch über die Schrecken, die die Menschen im Irak jetzt ausstehen müssen. Wir wissen nicht einmal, dürfen nicht wissen, wie viele von ihnen den Tod gefunden haben. Wir wissen, dass allein im Juli 1.100 Iraker in Bagdad durch Gewalt ums Leben kamen. Das ist Terror.

Aber wie viele sind in den anderen Städten des Irak gestorben, in Mosul und in Kirkuk, in Erbil und Amara, in Falludscha und Ramadi, in Nadschaf und Kerbela und Basra? Dreitausend im Juli? Oder viertausend? Und wenn diese Zahlen zutreffen, sind das 36.000 bzw. 48 000 im Lauf des Jahres, wodurch die im April 2003 vorausgesagte Zahl von 100.000 Toten, die Blair als lächerlich bezeichnete, eher als konservative Schätzung erscheint, nicht wahr?

Ich kann mich daran erinnern, wie Bush vor gar nicht so langer Zeit erklärte, dass alle Araber eines Tages hoffen würden, so viele Freiheiten zu haben wie der Irak. Heute kann ich mir keinen einzigen Araber vorstellen, der sich ein solches Unglück wünschen würde, nicht zum wenigsten wegen der wachsenden Isolation der Behörden und Regierungsstellen, seien sie auch gewählt worden.

In diesem Jahr erreichte Ariel Sharon sein Ziel, den eigenen Kolonialkrieg zum Bestandteil des „Kriegs gegen den Terror“ zu machen. Al Kaida konnte wiederum ihre Gewalt auf weitere arabische Länder ausdehnen. Zu Ägypten kam Jordanien. Wehe unseren Landsleuten, die in die gewaltige Militärmaschine des Nahen Ostens eingebunden sind. „Warum sind amerikanische Truppen, in Usbekistan seien es Land- oder Luftstreitkräfte?“, werde ich manchmal von Irakern gefragt. Und in Kasachstan, Afghanistan, der Türkei und Jordanien (und Irak), in Kuwait und Katar, in Bahrain, Oman und im Jemen, in Ägypten und Algerien? (Eine US-Sondereinheit ist in der Nähe von Tamanrasset stationiert und arbeitet mit der gleichen algerischen Armee zusammen, die in den neunziger Jahren bei den Massakern an Zivilisten Jahren beteiligt war.)

Tatsächlich muss man nur auf die Landkarte schauen, um zu sehen, dass die Amerikaner in Grönland und Island sind und in Großbritannien und Deutschland und Ex-Jugoslawien und Griechenland, das wiederum an die Türkei grenzt, wo wir weitere Truppen haben. Wie kam dieser Eiserne Vorhang von der Polarzone bis an die Grenzen des Sudan zustande? Wofür dient er? Mit diesen Schlüsselfragen, sollte sich jeder beschäftigen, der versucht, den „Krieg gegen den „Terror“ zu verstehen.

Und was ist mit den Bombenlegern? Woher kommt diese Armee von Selbstmördern? Immer noch sind wir besessen von der Suche nach Osama bin Laden. Ist er am Leben? Ja. Aber ist er von Bedeutung? Sehr wahrscheinlich nicht. Denn er hat Al Kaida geschaffen. Das Ungeheuer wurde geboren. Unsere Millionen bei der Suche nach Leuten wie Bin Laden zum Fenster hinauszuschmeißen, ist ungefähr so nutzlos wie die Verhaftung eines Atomwissenschaftlers nach der Erfindung der Atombombe. Das Ungeheuer befindet sich unter uns.

Leider wird es - Al Kaida – uns noch begleiten, solange wie wir uns nicht um die wirklichen Probleme im Nahen Osten kümmern, um seine Geschichte des Leidens und der Ungerechtigkeit. Dieses Jahr begann für mich mit einer gewaltigen Explosion in Beirut, als eine Bombe in nur 400 Metern Entfernung von mir den ehemaligen Premierminister Rafiq Hariri tötete. Es ging weiter mit dem siebten Juli, als zwei Züge nach mir auf der Piccadilly-Linie eine Bombe in die Luft ging. Ach, was ist das doch für eine gefährliche Welt! Vermutlich müssen wir alle heutzutage unsere persönliche Wahl treffen. Meine Wahl besteht darin, dass ich es dem 11. September 2001 nicht erlauben werde, meine Welt zu verändern. Bush glaubt vielleicht, dass 19 arabische Mörder seine Welt veränderten. Aber ich lasse es nicht zu, dass sie meine Welt verändern. Hoffentlich behalte ich Recht.

Erschienen am 30.12.2005 in "The Independent"

Übersetzung: Doris Werder



War without end

Only justice, not bombs, can make our dangerous world a safer place

By Robert Fisk

This was the year the "war on terror" - an obnoxious expression which we all parroted after 11 September 2001 - appeared to be almost as endless as George Bush once claimed it would be. And unsuccessful. For, after all the bombing of Afghanistan, the overthrow of the Taliban, the invasion of Iraq and its appallingly tragic aftermath, can anyone claim today that they feel safer than they did a year ago?

We have gone on smashing away at the human rights we trumpeted at the Russians - and the Arabs - during the Cold War. We have perhaps fatally weakened all those provisions that were written into our treaties and conventions in the aftermath of the Second World War to make the world a safer place. And we claim we are winning.

Where, for example, is the terror? In the streets of Baghdad, to be sure. And perhaps again in our glorious West if we go on with this folly. But terror is also in the prisons and torture chambers of the Middle East. It is in the very jails to which we have been merrily sending out trussed-up prisoners these past three years. For Jack Straw to claim that men are not being sent on their way to torture is surely one of the most extraordinary - perhaps absurd is closer to the mark - statements to have been made in the "war on terror". If they are not going to be tortured - like the luckless Canadian shipped off to Damascus from New York - then what is the purpose of sending them anywhere?

And how are we supposed to "win" this war by ignoring all the injustices we are inflicting on that part of the world from which the hijackers of September 11 originally came? How many times have Messrs Bush and Blair talked about "democracy"? How few times have they talked about "justice", the righting of historic wrongs, the ending of torture? Our principal victims of the "war on terror", of course, have been in Iraq (where we have done quite a bit of torturing ourselves).

But, strange to say, we are silent about the horrors the people of Iraq are now enduring. We do not even know - are not allowed to know - how many of them have died. We know that 1,100 Iraqis died by violence in Baghdad in July alone. That's terror.

But how many died in the other cities of Iraq, in Mosul and Kirkuk and Irbil, and in Amara and Fallujah and Ramadi and Najaf and Kerbala and Basra? Three thousand in July? Or four thousand? And if those projections are accurate, we are talking about 36,000 or 48,000 over the year - which makes that projected post-April 2003 figure of 100,000 dead, which Blair ridiculed, rather conservative, doesn't it?

It's not so long ago, I recall, that Bush explained to us that all the Arabs would one day wish to have the freedoms of Iraq. I cannot think of an Arab today who would wish to contemplate such ill fortune, not least because of the increasingly sectarian nature of the authorities, elected though they are.

The year did allow Ariel Sharon to achieve his aim of turning his colonial war into part of the "war on terror". It also allowed al-Qa'ida's violence to embrace more Arab countries. Jordan was added to Egypt. Woe betide those of us who are now locked into the huge military machine that embraces the Middle East. Why, Iraqis sometimes ask me, are American forces - aerial or land - in Uzbekistan? And Kazakhstan and Afghanistan, in Turkey and Jordan (and Iraq) and in Kuwait and Qatar and Bahrain and Oman and Yemen and Egypt and Algeria (there is a US special forces unit based near Tamanrasset, co-operating with the same Algerian army that was involved in the massacre of civilians the 1990s)?

In fact, just look at the map and you can see the Americans in Greenland and Iceland and Britain and Germany and ex-Yugoslavia and Greece - where we join up with Turkey. How did this iron curtain from the ice cap to the borders of Sudan emerge? What is its purpose? These are the key questions that should engage anyone trying to understand the "war on terror".

And what of the bombers? Where are they coming from, these armies of suiciders? Still we are obsessed with Osama bin Laden. Is he alive? Yes. But does he matter? Quite possibly not. For he has created al-Qa'ida. The monster has been born. To squander our millions searching for people like Bin Laden is about as useless as arresting nuclear scientists after the invention of the atom bomb. It is with us.

Alas, as long as we are not attending to the real problems of the Middle East, of its record of suffering and injustice, it - al-Qa'ida - will still be with us. My year began with a massive explosion in Beirut, just 400 metres from me, as a bomb killed the ex-prime minister Rafiq Hariri. It continued on 7 July when a bomb blew up two trains back from me on the Piccadilly line. Oh, the dangerous world we live in now. I suppose we all have to make our personal choices these days. Mine is that I am not going to allow 11 September 2001 to change my world. Bush may believe that 19 Arab murderers changed his world. But I'm not going to let them change mine. I hope I'm right.

12/30/05 "The Independent"

Source: www.informationclearinghouse.info



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