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"Die üble Geißel des Terrorismus": Realität, Konstruktion, Abhilfe

Von Noam Chomsky *


Am 23. März 2010, dem 110. Geburtstag des Psychoanalytikers Erich Fromm (1900-1980), wurde der Sprachwissenschaftler und politische Intellektuelle Noam Chomsky mit dem Erich-Fromm-Preis 2010 ausgezeichnet. Die Internationale Erich-Fromm-Gesellschaft würdigte damit Chomskys akademisches Lebenswerk, vor allem aber »sein von öffentlichen Meinungen unabhängiges Urteil«. Wir dokumentieren die schriftliche Fassung von Chomskys Rede. Redaktionelle Anmerkungen erscheinen in eckigen Klammern. Erstveröffentlichung: junge Welt.

Teil I: Verdrängte Verbrechen

Der Präsident hatte völlig Recht, als er die »üble Geißel des Terrorismus« verurteilte. Ich zitiere hier Ronald Reagan, der bei seiner Amtsübernahme 1981 erklärte, im Mittelpunkt seiner Außenpolitik werde der staatlich gelenkte internationale Terrorismus stehen, »die Plage der Neuzeit« und »die Rückkehr zur Barbarei in unserer Zeit«, um nur einige Begrifflichkeiten zu nennen, wie sie unter seiner Regierung propagiert wurden.

Als George W. Bush zwanzig Jahre später den »Krieg gegen den Terror« erklärte, war das eigentlich nur eine Erneuerung dieser Kriegserklärung, eine wichtige Tatsache, die es wert ist, aus dem Orwellschen Erinnerungsloch hervorgeholt zu werden, wenn wir das Wesen der üblen Geißel des Terrorismus verstehen wollen; oder noch wichtiger, wenn wir uns selbst verstehen wollen. Wir brauchen nicht das berühmte Orakel von Delphi, um zu erkennen, daß es keine wichtigere Aufgabe gibt als die Selbsterkenntnis. Gestatten Sie mir die persönliche Bemerkung am Rande, daß mir diese bedeutende Notwendigkeit schon vor fast siebzig Jahren bei meiner ersten Begegnung mit dem Werk Erich Fromms mit Nachdruck nahegebracht wurde, und zwar durch seinen klassischen Essay über die Furcht vor der Freiheit in der heutigen Zeit und die trostlosen Pfade, die das moderne freie Individuum geneigt ist zu beschreiten in seinem Bemühen, der Einsamkeit und Seelenqual zu entkommen, die einhergeht mit der neuentdeckten Freiheit. Aspekte, die leider heutzutage nur allzu relevant sind.

Beeindruckende Vorwände

Die Gründe, warum Reagans Krieg gegen den Terror im Archiv der unliebsamen Fakten abgelegt wurde, sind nachvollziehbar und sagen viel über uns selbst aus. Denn Reagans Krieg gegen den Terror schlug ja sofort in einen grausamen terroristischen Krieg um mit Hunderttausenden gefolterten und verstümmelten Leichen in den Ruinen Mittelamerikas, weiteren Zehntausenden im Nahen Osten und schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen, die durch den Staatsterror in Südafrika umkamen, der unter Verletzung der vom US-Kongreß verhängten Auflagen nachdrücklich durch die Reagan-Regierung unterstützt wurde. Für jeden Akt dieses mörderischen Handelns gab es natürlich einen Vorwand. So ist das immer, wenn zur Gewalt gegriffen wird. Als Reagan im Nahen Osten 1982 Israels Einmarsch in Libanon maßgeblich unterstützte und 15000 bis 20000 Menschen getötet und weite Teile Südlibanons und Beiruts zerstört wurden, geschah das unter dem Vorwand, es gehe um die Selbstverteidigung gegen Raketenangriffe der PLO auf Galiläa. Ein dreistes Lügenmärchen, denn Israel gab kurz darauf zu, die Drohung seitens der PLO sei reine Diplomatie gewesen, die Israels illegale Übernahme der besetzten Gebiete hätte unterminieren können.

Auch in Afrika wurde die Unterstützung des marodierenden Apartheidstaates offiziell mit dem Krieg gegen den Terror gerechtfertigt. Angeblich bestand die Notwendigkeit, das weiße Südafrika vor einer der »schlimmsten Terrorgruppen« der Welt zu beschützen, nämlich Nelson Mandelas Afrikanischem Nationalkongreß, wie Washington 1988 befand. Die Vorwände in den anderen Fällen waren ähnlich beeindruckend.

Die Opfer des Reaganschen Terrors waren zumeist wehrlose Zivilisten, nur einmal war das Opfer ein Staat, nämlich Nicaragua, der sich auf juristischer Ebene wehren konnte. Nicaragua reichte Klage beim Internationalen Gerichtshof ein, der die Vereinigten Staaten wegen der »ungesetzlichen Anwendung von Gewalt« – laienhaft ausgedrückt: internationaler Terrorismus – verurteilte, weil sie Nicaragua von ihren Militärstützpunkten in Honduras aus angegriffen hatten. Die USA mußten ihre Angriffe einstellen und beträchtliche Reparationszahlungen leisten. Wobei vor allem das Nachspiel sehr aufschlußreich ist.

Die Antwort des US-Kongresses auf das Gerichtsurteil sah nämlich so aus, daß er die Hilfe für die von den USA geführte Söldnerarmee, die Nicaragua angriff, aufstockte. Gleichzeitig verurteilte die Presse den Internationalen Gerichtshof und bezeichnete ihn als »feindseliges Forum« und deshalb als irrelevant. Derselbe Gerichtshof war wenige Jahre zuvor noch als hochgradig relevant angesehen worden, als er zugunsten der USA gegen Iran entschied. Washington mißachtete [im Fall Nicaraguas] das Urteil des Gerichtshofs und befand sich damit in bester Gesellschaft mit Libyens Muammar Al-Gaddhafi und Albaniens Enver Hoxha. Im Unterschied zu den USA haben sich Libyen und Albanien aber seither in diesen Fragen dem Kreis der gesetzestreuen Staaten angeschlossen, weshalb die Vereinigten Staaten jetzt international völlig isoliert dastehen. Nicaragua brachte seine Sache dann vor den UN-Sicherheitsrat, der zwei Resolutionen verabschiedete, mit denen er an alle Staaten appellierte, das Völkerrecht zu achten. Unterstützt von Großbritannien und Frankreich, die sich ihrer Stimme enthielten, legten die USA ihr Veto ein. Dies alles geschah praktisch unbemerkt von der Öffentlichkeit und wurde aus dem Geschichtsbewußtsein gelöscht.

In Vergessenheit geraten – oder besser gesagt, nie zur Kenntnis genommen – ist die Tatsache, daß sich das »feindselige Forum« förmlich dafür zerrissen hat, sich Washington gegenüber als gefällig zu erweisen. Der Internationale Gerichtshof wies fast alle Anträge Nicaraguas, die von einem angesehenen Professor für Völkerrecht von der Harvard University präsentiert wurden, mit der Begründung zurück, daß die USA, als sie 1946 die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs akzeptierten, einen Vorbehalt hinzufügten, durch den sie selbst von Anklagen auszunehmen seien, die auf internationalen Verträgen basierten. Im besonderen bezog sich das auf die Chartas der Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten. Folglich räumten die USA sich selbst das Recht ein, Aggressionen und andere Verbrechen zu begehen, die weitaus schwerwiegender sind als Akte des internationalen Terrorismus. Richtigerweise würdigte der Gerichtshof diese Ausnahmeregelung, die einen Aspekt weitergehender Fragen von Souveränität und globaler Weltvorherrschaft berühren, die ich hier beiseite lasse.

Das Beispiel Kuba

Solche Überlegungen sollten im Vordergrund stehen, wenn wir uns hier mit der üblen Geißel des Terrorismus auseinandersetzen. Wir sollten uns auch daran erinnern, daß die Reagan-Jahre, auch wenn sie in den Annalen des Terrorismus das Kapitel eines ungewöhnlichen Extremismus begründen, nicht das befremdliche Abweichen von der Norm darstellen. Wir finden das Gleiche auch am anderen Ende des politischen Spektrums, der Regierung unter John F. Kennedy. Am Beispiel Kuba wird das gut veranschaulicht. Ein seit langem bestehender und durch die heutige wissenschaftliche Forschung widerlegter Mythos besagt, die USA wären in Kuba 1898 einmarschiert, um die Befreiung der Insel von Spanien sicherzustellen. In Wirklichkeit zielte die Intervention darauf ab, Kubas unmittelbar bevorstehende Befreiung von Spanien zu verhindern und eine Kolonie der USA daraus zu machen. Kuba hat sich dann letztlich im Jahr 1959 selbst befreit und damit in Washington große Bestürzung ausgelöst. Die Eisenhower-Regierung faßte daraufhin innerhalb weniger Monate den geheimen Plan, die neue kubanische Regierung zu stürzen und initiierte dazu Bombenanschläge und Wirtschaftssanktionen. Ein hochrangiger Vertreter des US-Außenministeriums brachte das hinter diesen Plänen stehende grundlegende Denken zum Ausdruck: Castro sollte beseitigt werden durch eine »auf wirtschaftlicher Unzufriedenheit und Not basierende Verdrossenheit und Abkehr (der Bevölkerung), (weshalb) sofort jedes denkbare Mittel zur Schwächung des kubanischen Wirtschaftslebens eingesetzt werden sollte, (um) Hunger und Verzweiflung zu erzeugen und die Regierung zu stürzen.«

Die neu gewählte Kennedy-Regierung übernahm [1961] diese Programme und trieb sie weiter voran. Die Gründe werden in einem mittlerweile freigegebenen internen Geheimbericht ganz offen genannt. Gewaltaktionen und wirtschaftliche Strangulierung waren eine Reaktion auf den »erfolgreichen Widerstand« Kubas gegen die US-Politik in den vergangenen 150 Jahren.

Also lag es nicht an den Russen [1], sondern es war die Monroe-Doktrin, mit der Washington sich das Recht nahm, die Hemisphäre zu dominieren.

Die Besorgnis der Kennedy-Regierung ging weit über die Notwendigkeit hinaus, diesen erfolgreichen Widerstand zu bestrafen. Die Regierung fürchtete, das Beispiel Kuba könnte andere damit infizieren, »die Dinge in die eigene Hand zu nehmen«. Ein Denken, das große Anziehungskraft ausübte auf den ganzen Kontinent, weil »die Verteilung von Land und anderen Formen des nationalen Reichtums vor allem die besitzenden Klassen begünstigte, und die Armen und Unterprivilegierten, angeregt durch das Beispiel der kubanischen Revolution, nun nach Chancen für bessere Lebensbedingungen verlangten«. So lautete die Warnung, die Präsident Kennedy nach seiner Amtseinführung von seinem Berater für Lateinamerika, dem liberalen Historiker Arthur Schlesinger, erhielt. Die CIA bestätigte diese Analyse, indem sie anmerkte, daß »Castros Schatten auf ganz Lateinamerika fällt, weil die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in Lateinamerika Opposition gegen die herrschenden Autoritäten erzeugen und die Agitation für radikale Veränderungen fördern«, für die Castros Kuba als Modell dienen könne.

Die laufenden Planungen für eine Invasion [Kubas] wurden bald in die Tat umgesetzt. Als sie in der Schweinebucht fehlschlug, griff die Kennedy-Regierung zum Mittel eines ausgedehnten terroristischen Krieges. Der Präsident übertrug die Verantwortung dafür seinem Bruder Robert Kennedy, dessen höchste Priorität lautete, Kuba mit »allen Schrecken dieser Welt« zu überziehen, wie sein Biograph Arthur Schlesinger es formulierte. Dieser terroristische Krieg war keine Nebensache. Er war auch ein Hauptfaktor dafür, daß die Welt 1962 an den Rand eines Atomkriegs geriet, und er wurde nach Beilegung der Raketenkrise unvermindert fortgeführt. Dieser vom Boden der USA ausgehende Terrorkrieg zog sich durch das gesamte vergangene Jahrhundert hin, auch wenn Washington in den letzten Jahren keine direkten Terrorakte mehr gegen Kuba unternahm, sondern nur noch die Basis dafür zur Verfügung stellte und bis heute als Rückzugsgebiet für einige der schlimmsten internationalen Terroristen dient, deren Verbrechensregister lang ist: Orlando Bosch, Luis Posada Carilles und zahlreiche andere, deren Namen auch im Westen bekannt wären, wenn man es mit dem Kampf gegen den Terrorismus wirklich ernst meinte. Wohlmeinende Kommentatoren vermeiden es in diesem Zusammenhang, an die Bush-Doktrin zu erinnern, die dieser anläßlich des Angriffs auf Afghanistan propagierte: Wer Terroristen Zuflucht bietet, mache sich genauso schuldig wie die Terroristen selbst und müsse entsprechend behandelt werden, also mit Bomben und Einmarsch rechnen.

Die Bombardierung Libyens

Vielleicht ist damit ausreichend illustriert, daß internationaler Staatsterrorismus im gesamten politischen Spektrum als probates Mittel der Politik gilt. Gleichwohl war Reagan der erste neuzeitliche Präsident, der so dreist war, zur »üblen Geißel des Terrorismus« zu greifen und das unter dem Deckmantel eines »Krieges gegen den Terror« zu verbergen.

Die Dreistigkeit des Reaganschen Terrors an sich war nicht weniger beeindruckend als sein Ausmaß. Ich will dazu nur ein Beispiel nennen, für das Ereignisse in Deutschland einen Vorwand lieferten. Im April 1986 bombardierte die US-Luftwaffe Libyen, wobei Dutzende Zivilisten ums Leben kamen. Ich möchte persönlich anmerken, daß ich am Tag der Bombardierung, etwa um halb sieben Uhr abends, aus Tripolis den Telefonanruf meines alten Freundes ­Charles Glass erhielt, der als Nahost-Korrespondent für den Fernsehsender ABC arbeitet. Er riet mir, die 19-Uhr-Nachrichten anzuschauen. 1986 liefen bei allen Fernsehsendern die Hauptnachrichten um 19 Uhr. Genau um 19 Uhr machten die Nachrichtensprecher ihre Schaltungen nach Libyen und zeigten live die Bombardierung von Tripolis und Bengasi durch US-Maschinen. Es war das erste Mal in der Geschichte, daß eine Bombardierung für die Hauptsendezeit des Fernsehens inszeniert wurde, was logistisch gar nicht so einfach zu lösen war. Die Kampfbomber bekamen damals keine Überfluggenehmigung für Frankreich und mußten einen weiten Umweg über den Atlantik fliegen, um rechtzeitig zum Beginn der Abendnachrichten vor Ort zu sein. Nach den aufregenden Szenen mit den brennenden Städten in Libyen schalteten die Sender zu ihren Studios nach Washington, wo dann sachlich darüber berichtet wurde, gemäß der neu entwickelten Doktrin der »Selbstverteidigung gegen künftige Angriffe« verteidigten die USA sich nur gegen Libyens Terror. Regierungssprecher informierten das Land darüber, es lägen gewisse Erkenntnisse vor, daß Libyen ein paar Tage zuvor einen Bombenanschlag auf eine Diskothek in Berlin ausgeführt hätte, wobei ein US-Soldat ums Leben gekommen war. Die vorgebliche hohe Gewißheit sank kurze Zeit später auf Null, wie man schließlich einräumte, nachdem die Falschinformation ihren Zweck erfüllt hatte. Kaum jemand schien sich zu fragen, ob der Anschlag auf die Diskothek den mörderischen Angriff auf libysche Zivilisten überhaupt rechtfertigte.

Geschicktes Timing

Die Medien gingen auf die merkwürdige zeitliche Abstimmung des US-Luftangriffs nicht näher ein. Die Kommentatoren waren vielmehr von der Solidität der – in Wirklichkeit nicht vorliegenden – Beweise und Washingtons Achtung vor dem Gesetz begeistert. In einer typischen Reaktion erklärten die Redakteure der New York Times, daß »selbst der äußerst gewissenhafte Bürger den amerikanischen Angriffen auf Libyen nur zustimmen und applaudieren kann. … (D)ie Vereinigten Staaten haben (Gaddhafi) mit Sorgfalt, unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit und gerecht bestraft«, die Beweise für die Verantwortung Libyens für den Bombenanschlag auf die Diskothek seien »vor den Augen der Öffentlichkeit klar dargelegt« worden, und »dann ging es vor die Jury, die europäischen Regierungen, zu denen die Vereinigten Staaten Emissäre bemühten, um ihnen die Beweise vorzulegen und sie um eine konzertierte Aktion gegen den libyschen Staatsführer zu ersuchen.« Völlig außer acht gelassen wurde dabei, daß überhaupt keine glaubwürdigen Beweise vorgelegt wurden und daß die »Jury« in Wahrheit sehr skeptisch reagierte, vor allem die Regierung in Deutschland, wo man trotz intensiver Ermittlungen keinerlei Hinweise auf die Täter gefunden hatte. Da war es auch nicht mehr relevant, daß die »Jury« die USA aufgefordert hatte, jedwede Aktion zu unterlassen.

Die Bombardierung Libyens war geschickt abgestimmt auf die anstehende Abstimmung des Kongresses über die Hilfe für die von den USA gegen Nicaragua ins Feld geführten Terrorkräfte. Um sicherzustellen, daß das Timing seinen Zweck erfüllte, stellte Reagan ausdrücklich den Zusammenhang her. Einen Tag nach der Bombardierung erklärte er in einer Rede: »Ich darf das Haus (Repräsentantenhaus), vor der für diese Woche anstehenden Abstimmung daran erinnern, daß dieser Erzterrorist (Gaddhafi) 400 Millionen US-Dollar und ein Waffenarsenal sowie Berater nach Nicaragua geschickt hat, um seinen Krieg in die Vereinigten Staaten zu tragen. Er hat damit geprahlt, er helfe den Nicaraguanern, weil sie auf heimischem Boden gegen Amerika kämpften.« Nämlich Amerikas heimischen Boden in Nicaragua. Der Gedanke, daß der »verrückte Hund« seinen Krieg zu uns trägt, indem er ein Land, das wir mit einer von der CIA geführten Terrorarmee, die auf dem Gebiet des von uns abhängigen Honduras stationiert ist, mit Waffen versorgt, hatte seinen besonderen Reiz, der nicht unbeachtet blieb. Wie die landesweite Presse erklärte, sollte die Bombardierung Libyens »Reagan im Umgang mit dem Kongreß in Fragen wie dem Militärhaushalt und der Hilfe für die ›Contras‹ in Nicaragua stärken«.

Dies war jetzt nur ein kurzer Einblick in Reagans Beiträge zum internationalen Terrorismus. Der am längsten andauernde war sein begeisterter Aufbau der Dschihad-Bewegung in Afghanistan. Die Gründe dafür erläuterte der Stationschef der CIA in Islamabad, der das Projekt persönlich leitete. Nach seinen Worten ging es darum, »sowjetische Soldaten zu töten«, ein »edles Ziel«, das er genauso »liebe« wie sein Chef in Washington. Der Agentenführer betonte auch, es gehe »nicht um die Befreiung Afghanistans« – und nach Meinung von Fachleuten hat [die Politik der USA] wahrscheinlich sogar den Rückzug der Sowjetunion noch hinausgezögert. Mit seinem zielsicheren Instinkt zur Begünstigung der gewalttätigsten Verbrecher wählte Reagan als Empfänger großzügiger Hilfsleistungen Gulbuddin Hekmatyar aus, der bekannt dafür war, jungen Frauen in Kabul Säure ins Gesicht zu schütten, und jetzt einer der Anführer der Aufständischen in Afghanistan ist, wenngleich er sich vielleicht schon bald den anderen Warlords der vom Westen gestützten Regierung anschließen mag, wie aktuellen Berichten zu entnehmen ist. Reagan ließ auch Zia ul-Haq, dem schlimmsten unter Pakistans Diktatoren, großzügige Unterstützung zukommen, indem er ihm bei der Entwicklung seines Atomwaffenprogramms und der Durchführung seines von Saudi-Arabien finanzierten Projekts der radikalen Islamisierung Pakistans half. Es ist leicht nachvollziehbar, welche Bürde das für diese geschundenen Länder und die Welt bedeutet.

Krieg gegen die Kirche

Außer gegen Kuba richtete sich die Plage des Staatsterrorismus in der westlichen Hemisphäre 1964 auch gegen Brasilien, das durch einen Staatsstreich in einen der ersten in einer ganzen Reihe von neofaschistischen Nationalen Sicherheitsstaaten verwandelt und eine bis dahin in dieser Hemisphäre nicht gekannte Plage der Repression entfesselt wurde. Dahinter stand immer Washington, weshalb sich dort eine besonders gewalttätige Form des staatlich gelenkten internationalen Terrorismus entwickelte. Die Kampagne [in Brasilien] war in hohem Maße ein Krieg gegen die Kirche. Es war mehr als nur symbolhaft, daß sie im November 1989, nur wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer, ihren Höhepunkt fand in der Ermordung von sechs führenden lateinamerikanischen Intellektuellen. Diese sechs Jesuitenpriester wurden durch ein salvadorianisches Elitebataillon ermordet, das gerade frisch von einem Lehrgang an der John F. Kennedy Special Forces School in North Carolina kam. Wie erst im letzten November bekannt wurde – offensichtlich ohne auf ein sonderliches Interesse zu stoßen –, war der Mordbefehl durch den Armeechef und seinen Stab unterzeichnet worden, die alle so eng mit dem Pentagon und der US-Botschaft verbunden waren, daß es kaum vorstellbar ist, daß Washington nichts von den Plänen dieses Musterbataillons gewußt haben soll. Diese Eliteeinheit hatte bereits eine Blutspur hinterlassen mit den in diesem fürchterlichen Jahrzehnt der 1980er Jahre in El Salvador üblichen Opfern. Das erste war Erzbischof Romero, die »Stimme der Unterdrückten«, dessen Mörder aus eben diesen Kreisen kamen.

Die Ermordung der Jesuitenpriester war ein vernichtender Schlag gegen die Befreiungstheologie, jene bemerkenswerte Wiederbelebung des Christentums, initiiert von Johannes XXIII. auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das er 1962 eröffnet hatte. Eine Veranstaltung, mit der eigentlich »eine neue Ära in der Geschichte der katholischen Kirche eingeleitet« werden sollte, wie es der herausragende Theologe und Historiker Hans Küng damals ausdrückte. Inspiriert durch das Zweite Vatikanische Konzil, nahmen die lateinamerikanischen Bischöfe die »Option für die Armen« an und erneuerten den radikalen Pazifismus des Evangeliums, der praktisch gegenstandslos geworden war, seit Kaiser Konstantin der Große das Christentum zur offiziellen Religion des Römischen Reiches gemacht hatte. »Eine Revolution«, so Küng, die aus der »verfolgten Kirche« eine »verfolgende Kirche« machte. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde versucht, die Lehre des Christentums aus der Zeit vor Konstantin dem Großen neuzubeleben. Priester, Nonnen und Laien trugen die Botschaft des Evangeliums zu den Armen und Verfolgten [Lateinamerikas], schlossen sie in »Basisgemeinden« zusammen und ermutigten sie, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und gemeinsam das Elend des Überlebenskampfs im brutalen Herrschaftsbereich der USA zu überwinden.

Die Reaktion auf diese schwere Ketzerei folgte schon bald. Die erste Salve war der noch zu John F. Kennedys Lebzeiten geplante und 1964 durchgeführte Militärputsch in Brasilien, mit dem eine leicht sozialdemokratisch angehauchte Regierung gestürzt und ein mit Folter und Gewalt herrschendes Regime errichtet wurde. Die Kampagne endete mit der Ermordung der jesuitischen Intellektuellen vor 20 Jahren. Es ist viel darüber diskutiert worden, wer den Anstoß zum Fall der Berliner Mauer für sich reklamieren kann, aber es wird kein Wort darüber verloren, wer die Verantwortung trägt für die brutale Zerschlagung des Versuchs, die Kirche des Evangeliums wiederzubeleben. Washingtons School of the Americas, berüchtigt wegen ihrer Ausbildung lateinamerikanischer Mordkommandos, warb voller Stolz damit, daß die Befreiungstheologie »mit Unterstützung der US-Armee besiegt wurde« – sicher nicht ohne Unterstützung des Vatikan, der dazu die sanfteren Mittel des Kirchenausschlusses und der Unterdrückung abweichender Lehre einsetzte.

Sie werden sich erinnern, daß im letzten November der 20. Jahrestag der Befreiung Osteuropas von der russischen Tyrannei gefeiert wurde, ein Sieg der Kräfte »der Liebe, Toleranz, Gewaltlosigkeit, des menschlichen Geistes und der Vergebung«, wie es Václav Havel erklärte. Weniger Aufmerksamkeit – besser gesagt: null Aufmerksamkeit – erfuhr jedoch die brutale Ermordung seiner salvadorianischen Zeitgenossen ein paar Tage nach dem Fall der Berliner Mauer. Und ich bezweifle, daß man auch nur eine Anspielung finden würde auf das, was diese brutale Ermordung bedeutete: Das Ende eines Jahrzehnts grausamsten Terrors in Mittelamerika und den endgültigen Triumph der »Rückkehr zur Barbarei in unserer Zeit«, begonnen mit dem Putsch in Brasilien 1964, bei dem viele religiöse Märtyrer auf der Strecke blieben, und mit dem die aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil hervorgehende Irrlehre beendet wurde. Nicht gerade das, was man sich unter einer Ära »der Liebe, Toleranz, Gewaltlosigkeit, des menschlichen Geistes und der Vergebung« vorstellt.

Warten wir ab, wie viel Aufmerksamkeit morgen dem 30. Jahrestag der »Stimme der Unterdrückten« zuteil wird, der ermordet wurde, während er eine Messe las, und nur wenige Tage nachdem er Präsident Carter einen Brief geschrieben hatte, in dem er ihn flehentlich – und leider vergeblich – bat, die Hilfe für die Militärjunta einzustellen, »die nur weiß, wie man das Volk unterdrückt und wie man die Interessen der salvadorianischen Oligarchie schützt«. Romero warnte davor, die Junta werde die Hilfe dazu nutzen, »die Volksorganisationen zu zerschlagen, mit denen das Volk seine fundamentalen Menschenrechte verteidigt«. Aber genau das trat ein. Und für uns wird es sehr lehrreich sein, wenn wir sehen, wie der morgige Jahrestag begangen wird.

Teil II: Dreischritt aus der Gewalt

Der Gegensatz zwischen den Feierlichkeiten im letzten November anläßlich des Sturzes der Tyrannei des Feindes [2] und dem Stillschweigen über die Höhepunkte scheußlicher Grausamkeiten in unserem eigenen Bereich ist so kraß, daß man sich schon sehr anstrengen muß, ihn zu übersehen. Das wirft kein gutes Licht auf unsere moralische und geistige Kultur.

Das Gleiche trifft zu auf die retrospektiven Einschätzungen der Ära von [US-Präsident Ronald] Reagan. Die Mythologie von dem, was damals erreicht wurde, können wir beiseite lassen, auch wenn sie Kim Il-Sung sicher beeindruckt hätte. Was Reagan vollbrachte, hat sich praktisch in Nichts aufgelöst. Präsident Barack Obama würdigt ihn dennoch als »transformative Persönlichkeit«. Am namhaften Hoover Institute der Stanford University bezieht man sich auf Reagan als Riesen, der »das Land zu durchschreiten scheint, und der auf uns herabschaut wie ein warmherziger und freundlicher Geist«. Wenn wir die Hauptstadt Washington per Flugzeug erreichen, landen wir entweder auf dem Reagan International Airport oder, wenn uns das lieber ist, auf dem John Foster Dulles International Airport, womit ein weiterer prominenter Terroristenbefehlshaber geehrt wird, zu dessen Ruhmestaten es gehört, die demokratisch gewählten Regierungen in Iran und Guatemala gestürzt und anschließend den Terror- und Folterstaat des Schah von Persien und einige der schlimmsten Terrorstaaten Mittelamerikas errichtet zu haben. Die terroristischen Heldentaten von Washingtons guatemaltekischen Klienten erreichten in den 1980er Jahren im Hochland Guatemalas Ausmaße eines Völkermordes, während Reagan Ríos Montt, den schlimmsten Killer des Landes, als »einen Mann von großer persönlicher Integrität« pries, der sich »völlig der Demokratie gewidmet« habe, aber von Menschenrechtsorganisationen »mit falschen Anschuldigungen unfair behandelt« werde.

Ich habe über den internationalen Terrorismus geschrieben, seit Reagan 1981 den »Krieg gegen den Terror« erklärte. Dabei habe ich mich an die offiziellen Definitionen von »Terrorismus« gehalten, wie sie übereinstimmend in US-amerikanischen und britischen Gesetzen verankert und in Armeehandbüchern dargelegt sind. Nach einer knapp gehaltenen offiziellen Definition ist Terrorismus »der kalkulierte Einsatz von Gewalt oder die Drohung mit Gewalt, um Ziele zu erreichen, die politischer, religiöser oder ideologischer Natur sind (…) durch Einschüchterung, Zwang oder das Einflößen von Angst«. Alles, was ich bisher beschrieben habe, erfüllt diese Definition, aber noch einiges mehr fällt im technischen Sinne US-amerikanischer und britischer Gesetze in diese Kategorie des Terrorismus, nämlich der staatlich gelenkte internationale Terrorismus.

Genau aus diesem Grund sind die offiziellen Definitionen jedoch unbrauchbar. Sie machen den entscheidenden Unterschied nicht deutlich: Diese Definition des »Terrorismus« muß irgendwie so entworfen werden, daß zwar ihr Terrorismus gegen uns enthalten ist, unser Terrorismus gegen sie, der oftmals viel extremer ist, aber davon ausgeschlossen bleibt. Die Aufgabe, eine umfassendere Definition zu entwickeln, ist eine echte Herausforderung. Entsprechend hat es seit den 1980er Jahren viele wissenschaftliche Konferenzen, akademische Publikationen und internationale Symposien gegeben, die sich der Aufgabe widmeten, den Begriff »Terrorismus« zu definieren. Im öffentlichen Diskurs tritt dieses Problem nicht auf. Gebildete Kreise haben die offizielle Bedeutung des Begriffs »Terrorismus« verinnerlicht, welcher zur Rechtfertigung staatlichen Handelns und zur Kontrolle der einheimischen Bevölkerungen dient. Das Abweichen von dieser Maßgabe wird üblicherweise ignoriert; wird es jedoch bemerkt, löst man eindrucksvolle Wutausbrüche aus.

Putsch in Lateinamerika

Halten wir uns also einfach an die Konventionen und beschränken unsere Aufmerksamkeit auf den Terror, den sie gegen uns richten. Das ist nicht zum Lachen und erreicht manchmal ein extremes Niveau. Das wohl ungeheuerlichste Einzelverbrechen des internationalen Terrorismus der Neuzeit war die Zerstörung des World Trade Centers am 11. September [2001]. Heute nennt es jeder schlicht »9/11«. Fast 3000 Menschen kamen bei diesem »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« um, ausgeführt mit »niederträchtiger Boshaftigkeit und unglaublicher Grausamkeit«, wie [der britische Nahost-Korrespondent] Robert Fisk schrieb. Man ist sich weithin einig, daß »9/11« die Welt verändert hat.

So fürchterlich das Verbrechen auch war, ist dennoch eine Steigerung vorstellbar. Nehmen wir einmal an, Al-Qaida wäre durch eine Supermacht unterstützt worden, die die Absicht hegte, die Regierung der Vereinigten Staaten zu stürzen. Nehmen wir an, der Angriff wäre erfolgreich gewesen, Al-Qaida hätte das Weiße Haus bombardiert, den Präsidenten getötet und eine brutale Militärdiktatur installiert, die 50000 bis 100000 Menschen umgebracht und 700000 brutal gefoltert hätte. Sodann hätte man in Washington eine Schaltzentrale des Terrors und der Subversion aufgebaut, um von dort aus Mordanschläge in aller Welt zu verüben und um dazu beizutragen, im Ausland »Nationale Sicherheitsstaaten« zu errichten, in denen nicht weniger hemmungslos gefoltert und gemordet würde. Nehmen wir weiter an, der Diktator hätte sich Wirtschaftsberater ins Land geholt, die innerhalb weniger Jahre die einheimische Wirtschaft in die schlimmste Katastrophe ihrer Geschichte getrieben hätten, während ihre stolzen Mentoren Nobelpreise und weitere Auszeichnungen einheimsten. Das alles wäre weitaus entsetzlicher gewesen als »9/11«.

Und wir alle sollten eigentlich wissen, daß wir uns dieses Szenario nicht ausdenken müssen, weil es in Wirklichkeit passiert ist: in Chile, an einem Tag, den die Lateinamerikaner mitunter »den ersten 9/11« nennen, weil es [der Militärputsch] am 11. September 1973 geschah. Ich habe in meiner Schilderung nur eine einzige Veränderung vorgenommen, indem ich die Bevölkerungszahlen [Chiles und der USA] in Relation zueinander gesetzt und die Opferzahlen hochgerechnet habe, um zu einem angemessenen Vergleich zu kommen. Der erste »9/11« hat jedoch die Geschichte aus guten Gründen nicht verändert. Die Ereignisse waren zu normal. Tatsächlich war die Errichtung des Pinochet-Regimes nur ein Ereignis im Rahmen der Plage, die 1964 mit dem Militärputsch in Brasilien begonnen hatte, sich dann mit ähnlichen oder noch schlimmeren Schrecken auf andere Länder ausbreitete und schließlich in den 1980er Jahren unter Reagan Mittelamerika erreichte. In Übereinstimmung mit seiner Grundhaltung zur staatlichen Gewalt stand für Reagan das Regime der argentinischen Generäle in Lateinamerika an erster Stelle. Die argentinische Militärjunta war unter allen Putschregimen mit Abstand das grausamste und befand sich im Einklang mit seiner Einstellung gegenüber staatlicher Gewalt.

Politisch motivierte Folter

Lassen wir all diese unangenehmen Realitäten einmal beiseite und wenden uns wieder der konventionellen Betrachtung im Rahmen der Doktrin der offiziellen Definition von »Terrorismus« zu. Stellen wir uns also vor, der Krieg gegen den Terror, wie ihn George W. Bush am 11. September 2001 erneut erklärt hat, sei tatsächlich darauf ausgerichtet gewesen, der Plage des internationalen Terrorismus ein Ende zu bereiten. Zur Erreichung dieses Zieles wären vernünftige Schritte möglich gewesen. Die mörderischen Anschläge von »9/11« wurden ja selbst aus den Reihen der Dschihad-Bewegung aufs schärfste verurteilt. Ein möglicher konstruktiver Schritt wäre gewesen, Al-Qaida zu isolieren und die Opposition gegen Al-Qaida zu einen bis hin zu jenen, die sich von diesem Projekt angezogen fühlten. Aber nichts dergleichen scheint je auch nur in Erwägung gezogen worden zu sein. Statt dessen trafen die Bush-Regierung und ihre Verbündeten Entscheidungen, die einen Einigungsprozeß der Dschihad-Bewegung zur Unterstützung [Osama] Bin Ladens und die Mobilisierung weiterer Kräfte für seine Sache noch begünstigten, indem sie seine Behauptung, der Westen befinde sich im Krieg mit dem Islam, bestätigten: durch den Einmarsch zuerst in Afghanistan, dann in Irak, durch Folter an und Verlegung von Gefangenen in ausländische Geheimgefängnisse und durch den generellen Einsatz von Gewalt zum Zwecke der Sicherung der Staatsmacht. Aus gutem Grund kommt Michael Scheuer, der seit Jahren die Aufgabe hatte, Bin Laden im Auftrag der CIA aufzuspüren, zu dem Schluß, daß »die Vereinigten Staaten von Amerika der einzig verbliebene unentbehrliche Verbündete von Bin Laden sind«.

Denselben Schluß zog US-Major Matthew Alexander, unter den Vernehmungsoffizieren vielleicht der am meisten respektierte, der einer Quelle die Informationen entlockte, durch die man Abu Mussab Al-Sarkawi, den Kopf der Al-Qaida in Irak, festsetzen konnte. Alexander hat nur Verachtung für brutale Vernehmungsmethoden übrig, wie sie die Bush-Regierung verlangte. Wie seine Vernehmungskollegen vom FBI, so glaubt auch er, daß die von [Verteidigungsminister Donald] Rumsfeld und [Vizepräsident Richard] Cheney bevorzugte Folter zu keinen nützlichen Informationen führt, im Gegensatz zu humaneren Vernehmungsmethoden, mit denen man sogar einige Zielpersonen erfolgreich umdrehen und sie zu verläßlichen Informanten und Kollaborateuren machen konnte. Alexander stellt Indonesien wegen der dort üblichen zivilisierten Vernehmungsmethoden heraus und drängt die USA dazu, dem Beispiel dieses Landes zu folgen. Die von Rumsfeld und Cheney bevorzugte Folter verhindert nicht nur nützliche Informationen, sie züchtet vielmehr neue Terroristen heran.

In Hunderten Verhören mußte Alexander feststellen, daß viele aus dem Ausland stammende Kämpfer in Reaktion auf die Mißhandlungen an Gefangenen in Abu Ghraib und Guantánamo nach Irak kamen und daß sie und ihre einheimischen Verbündeten aus den gleichen Gründen mit Selbstmordattentaten und anderen terroristischen Aktionen begannen. Alexander ist der Meinung, daß der Einsatz von Folter und Gewalt wahrscheinlich mehr US-Soldaten das Leben gekostet hat, als die terroristischen Anschläge des »9/11« insgesamt an Opfern forderten. Die signifikanteste Offenbarung in freigegebenen Folterprotokollen ist die, daß die Verhörenden unter »erbarmungslosem Druck« seitens Cheney und Rumsfeld standen, endlich zu härteren Methoden zu greifen, um Beweise zu finden für die phantastische Behauptung, Saddam Hussein kooperiere mit Al-Qaida.

Der »gute Krieg« in Afghanistan

Der Überfall auf Afghanistan im Oktober 2001 wird als »guter Krieg« bezeichnet, als gerechtfertigter Akt der Selbstverteidigung mit dem edlen Ziel, die Menschenrechte vor den bösen Taliban zu schützen. Mit diesem zum allgemeingültigen Anspruch erhobenen Argument gibt es allerdings einige Probleme. Zum einen war es zu Beginn nicht das erklärte Ziel, die Taliban zu beseitigen. Bush informierte vielmehr das Volk Afghanistans, das Bombardement werde solange fortgesetzt, bis die Taliban Bin Laden an die USA auslieferten, was sie vielleicht auch getan hätten, wenn die USA auf ihre Forderung eingegangen wären, irgendeinen Beweis seiner Mitverantwortung für »9/11« zu liefern. Diese Forderung wurde aus guten Gründen verächtlich zurückgewiesen. Wie der FBI-Chef acht Monate später einräumen mußte, hatten sie nach den aufwendigsten internationalen Ermittlungen der Geschichte immer noch keinerlei Beweise dafür. Und sie hatten ganz sicherlich auch im Oktober [2001] über keine derartigen Beweise verfügt. Sie hatten nichts in der Hand, das FBI »glaubte« lediglich, die Anschläge seien in Afghanistan ausgeheckt und dann in den Emiraten am Golf und in Deutschland umgesetzt worden.

Drei Wochen nach Beginn der Bombardierung [Afghanistans] verlagerten sich die Kriegsziele auf den Sturz des Taliban-Regimes. Der britische Admiral Michael Boyce verkündete, das Bombardement werde fortgesetzt, bis »die Bevölkerung des Landes (…) einen Wechsel der Führung erreicht hat« – ein Musterbeispiel aus dem Lehrbuch des internationalen Terrorismus.

Es stimmt auch nicht, daß es keine Einwände gegen den Angriff gegeben hätte. Die internationalen Hilfsorganisationen haben praktisch einstimmig und lautstark Einwände erhoben, weil mit dem Krieg all ihre so dringend benötigten Hilfsprogramme beendet waren. Damalige Schätzungen besagten, daß das Überleben von fünf Millionen Menschen von dieser Hilfe abhing und daß noch einmal 2,5 Millionen gefährdet waren zu verhungern, wenn die USA und England angreifen würden. Die Bombardierung war deshalb ein Beispiel absolut kriminellen Handelns, egal ob die befürchteten Folgen eintraten oder nicht.

Außerdem wurde das Bombardement von führenden Afghanen, die in Opposition waren gegen die Taliban, aufs heftigste verurteilt, unter ihnen auch der von den USA geschätzte Abdul Haq, den Präsident Hamid Karsai nach dem Krieg als Märtyrer pries. Unmittelbar bevor er nach Afghanistan kam und [von den Taliban] ergriffen und getötet wurde, hatte er das laufende Bombardement verurteilt und die USA kritisiert, weil sie es ablehnten, seine Bemühungen und die von anderen zu unterstützen, »eine Revolte innerhalb der Taliban anzuzetteln«. Das Bombardement sei »ein herber Rückschlag für diese Bemühungen«, sagte Abdul Haq, erläuterte seine Absichten näher und appellierte an die USA, ihnen finanziell und durch andere Arten der Unterstützung zu helfen, statt ihre Bemühungen mit Bomben zu zerschlagen. Die USA, so Haq, »versuchen, ihre Muskeln spielen zu lassen, einen Sieg zu erringen und die ganze Welt einzuschüchtern. Sie scheren sich nicht um das Leiden der Afghanen oder darum, wie viele Menschenleben wir dabei verlieren«.

Kurz darauf versammelten sich 1000 afghanische Anführer im pakistanischen Peshawar, wo ein Teil von ihnen im Exil lebte, andere kamen direkt aus Afghanistan. Aber alle waren sich darin einig, das Taliban-Regime stürzen zu wollen. Die Presse schrieb: »Es war eine der seltenen Manifestationen der Einheit unter den Stammesführern, Islamwissenschaftlern, Vertretern politischer Fraktionen und früheren Guerillakommandeuren.« Sie stimmten in vielen Fragen nicht überein, waren sich aber darin einig, »die USA zu ermahnen, die Luftangriffe einzustellen«, und an die internationalen Medien zu appellieren, ein Ende der »Bombardierung unschuldiger Menschen« zu fordern. Sie baten dringend darum, andere Mittel einzusetzen, um das verhaßte Taliban-Regime zu stürzen. Ein Ziel, das sie für erreichbar hielten, ohne daß es weitere Tote und Zerstörungen geben mußte. Die Bombardierungen wurden auch von der prominenten Frauenorganisation RAWA heftigst verurteilt, was aber erst später Beachtung fand, als es ideologisch dienlich schien, (kurzzeitig) Besorgnis über das Los der Frauen in Afghanistan zum Ausdruck zu bringen.

Kurz gesagt: Dieser unbestreitbar »gute Krieg« sieht schon gar nicht mehr so gut aus, wenn wir uns näher mit den unangenehmen Fakten auseinandersetzen.

Wurzeln des Terros bekämpfen

Es ist sicher nicht notwendig, jetzt länger auf den Einmarsch in Irak einzugehen. Weil man sich ausschließlich auf die Auswirkungen des Dschihad-Terrors konzentrierte, stand zu erwarten, daß die Invasion zu einem Anwachsen des Terrorismus führen würde. Genau das geschah auch, allerdings in einem Ausmaß, das alle Erwatungen übertraf. Nach den Analysen von Terrorismusexperten in den USA stieg der Terror um das Siebenfache an. Nun könnte man fragen, warum die Angriffe dann überhaupt unternommen wurden, aber es ist eigentlich ganz klar, daß der Kampf gegen die üble Geißel des Terrorismus dabei nicht die höchste Priorität hatte, wenn er überhaupt erwogen wurde.

Wäre es darum gegangen, dann hätte es Optionen gegeben, denen man hätte folgen können. Einige habe ich bereits erwähnt. Ganz allgemein hätten die Amerikaner und Engländer die angemessenen Verfahren einsetzen können, wie sie im Umgang mit Schwerstverbrechen üblich sind: Die Täter ermitteln, Verdächtige festnehmen (falls nötig, mit internationaler Unterstützung, die man leicht bekommen hätte) und ihnen dann einen fairen Prozeß machen. Außerdem sollte man den Wurzeln des Terrorismus mehr Aufmerksamkeit schenken. Das kann äußerst effektiv sein, wie die USA und England gerade in Nordirland erfahren konnten. Der Terror der IRA war eine sehr ernste Angelegenheit. Solange London mit Gewalt, Terror und Folter reagierte, war die britische Regierung selbst »der unentbehrliche Verbündete« der eher gewaltorientierten Elemente innerhalb der IRA, und der Terror eskalierte ständig weiter. Ende der 1990er Jahre fing London dann an, sich um die Mißstände zu kümmern, die die Wurzeln des Terrors waren, und sich der legitimen Anliegen anzunehmen – was völlig unabhängig vom Terror das richtige Handeln war. Innerhalb weniger Jahre gab es praktisch keinen Terror mehr. Ich war 1993 in Belfast. Es war ein Kriegsgebiet. Und ich war im vorigen Herbst wieder da. Man spürt Spannungen, aber sie haben jetzt einen Grad, der für einen Besucher kaum zu spüren ist. Man kann wichtige Lehren aus der Situation dort ziehen. Aber auch ohne diese Erfahrung sollten wir wissen, daß Gewalt neue Gewalt erzeugt. Sympathie und Verständnis für berechtigte Sorgen hingegen können die Leidenschaften beruhigen und Kooperation und Empathie erzeugen.

Wenn wir also ernsthaft die Plage des Terrorismus beenden wollen, dann wissen wir, wie das geht. Erstens müssen wir uns von unserer eigenen Täterrolle verabschieden. Schon das allein würde beträchtliche Auswirkungen haben. Zweitens müssen wir uns um die Ursachen kümmern, die typischerweise den Hintergrund von Konflikten bilden, und wenn die Anliegen legitim sind, müssen wir uns mit ihnen befassen. Drittens: Wenn sich ein Terrorakt ereignet, müssen wir ihn wie eine Straftat behandeln, die Verdächtigen ermitteln und festnehmen und sie einem ordentlichen Gerichtsverfahren überantworten. Das funktioniert tatsächlich. Im Gegensatz dazu erhöhen die heute eingesetzten Techniken die Terrorgefahr. Beweise gibt es dazu wirklich genug, und sie decken sich mit weiteren Erkenntnissen.

Es ist ja das nicht der einzige Fall, bei dem gute Ansätze, die eine ernsthafte Bedrohung verringern könnten, systematisch mißachtet werden und statt dessen untaugliche Herangehensweisen zur Anwendung kommen. Der »Krieg gegen die Drogen« könnte hier als weiteres Beispiel dienen. In über 40 Jahren ist es in diesem Krieg noch nicht einmal gelungen, den Drogenkonsum auch nur einzuschränken oder den Preis der Drogen im Straßenverkauf zu verringern. In zahlreichen Studien, sogar solchen, die die US-Regierung in Auftrag gegeben hat, wurde nachgewiesen, daß Prävention und Therapie die bei weitem kostengünstigsten Methoden sind. Aber dieser Ansatz wird in der Regierungspolitik beständig außer Acht gelassen und statt dessen lieber auf teure Gewaltmaßnahmen gesetzt, die keinerlei Einfluß haben auf den Drogenkonsum, aber beständig jede Menge andere Konsequenzen nach sich ziehen.

Fälle wie diese lassen nur einen einzigen vernünftigen Schluß zu, nämlich den, daß die erklärten Ziele nicht die wirklichen Ziele sind, und wenn wir über letztere etwas erfahren wollen, dann müssen wir einen auch auf der Ebene des Rechts üblichen Ansatz wählen: sich auf vorhersehbare Ereignisse als Beweis für die Absichten stützen. Ich glaube, daß dieser Ansatz zu sehr plausiblen Schlußfolgerungen führen kann sowohl für den »Krieg gegen Drogen«, für den »Krieg gegen den Terror« als auch für viele andere. Das wäre jedoch eine Aufgabe für einen anderen Tag.

(Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch: Jürgen Heiser)

Anmerkungen:

[1] Chomsky bezieht sich hier auf die kurzzeitige Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen auf Kuba im Jahr 1962

[2] Chomsky bezieht sich hier auf den Zusammenbruch der sozialistischen Staaten in Europa vor 20 Jahren

* Dieser Beitrag erschien in zwei Teilen in der "jungen Welt" vom 30. und 31. März 2010


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