Der Präsident log – Bin Laden war unbewaffnet
Von Uwe Sattler *
Osama bin Laden ist bei einem Feuergefecht mit US-Soldaten getötet worden. Das erklärte US-Präsident Barack Obama in der Nacht zu Montag (2. Mai MEZ) seinem Volk und der Welt. Nun kommt heraus: Der Al-Qaida-Führer war bei dem Überfall unbewaffnet.
Das Eingeständnis folgte am Dienstagabend (3. Mai) auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus in Washington. »Er war unbewaffnet«, räumte der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, Jay Carney, auf drängende Fragen der Journalisten ein. Allerdings habe sich der Al-Qaida-Führer »auf andere Weise gewehrt«. Wie er das ohne Waffen und angesichts einer 25 Mann starken Elitetruppe getan habe, vermochte Carney nicht zu sagen. Statt dessen verwies er mehrfach auf die Informationslücken, die der Präsident und die engere US-Führung zu dem Geschehen im pakistanischen Abbottabad noch hätten. Und das, obwohl Obama gemeinsam mit Außenministerin Hillary Clinton und dem Sicherheitskabinett den Sturm auf das Anwesen Bin Ladens live über Internet verfolgten und vermutlich sehen konnten, wer schoss. Aber selbstverständlich würden die Journalisten auf dem Laufenden gehalten, versprach der Sprecher.
Auskunftsfreudiger zeigte sich am Mittwoch CIA-Chef Leon Panetta. In einem Interview mit dem US-Fernsehsender NBC bestätigte er, dass Bin Laden unbewaffnet gewesen sei. »Es gab aber Schießereien, als sich die Soldaten ihren Weg in die oberen Stockwerke des Gebäudes freigekämpft haben.« Nach »bedrohlichen Bewegungen, die unsere Jungs gefährdet haben«, hätten die Soldaten das Feuer eröffnet. Zwar haben die Soldaten laut CIA-Chef und Präsidentensprecher durchaus auch eine Festnahme Bin Ladens »vorbereitet«. Ob das jedoch ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, bleibt fraglich: »Sie hatten absolute Befugnis, ihn zu töten«, so Panetta.
Offensichtlich fehlte es Washington an der Bereitschaft, den Terroristenchef festzunehmen und ihm vor einem ordentlichen Gericht den Prozess zu machen. Das rief auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, auf den Plan. Bereits vor der Carney-Pressekonferenz richtete sie eine Demarche an Washington, in der um weitere Aufklärung der Todesumstände Bin Ladens gebeten wird. »Es wäre hilfreich, wenn wir die genauen Fakten der Umstände seiner Tötung kennen würden«, heißt es diplomatisch in der Aufforderung.
In Berlin sorgt die Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Tod Bin Ladens weiter für Aufregung. Merkel hatte in ihrer Stellungnahme direkt nach der US-Aktion gesagt: »Ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, Bin Laden zu töten.« Die Worte müssten im Zusammenhang gesehen werden, versuchte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch die Wogen zu glätten. Die Kanzlerin habe ausdrücken wollen, dass von Bin Laden nun keine Gefahr mehr ausgehe und »die Welt hoffentlich ein Stück sicherer« geworden sei.
Der Meinung ist die NATO offenbar nicht. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen will am Einsatz in Afghanistan festhalten. »Der internationale Terrorismus ist weiterhin eine direkte Bedrohung für die Sicherheit unserer Staaten und die Stabilität der Welt«, sagte er am Mittwoch (4. Mai) in Brüssel.
* Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2011
Abbottabad, das perfekte Versteck?
Widersprüchlich sind die Aussagen darüber, wann wer vom Aufenthalt Bin Ladens erfuhr
Von Robert Ende **
Nach wie vor wuchern die Spekulationen darüber, wie es dem vermeintlich meistgesuchten Mann der Welt gelingen konnte, sich ausgerechnet unweit einer pakistanischen Militärakademie zu verbergen, in der jene gedrillt wurden, die ihn jagen sollten.
Pakistan sieht sich von aller Welt beschuldigt, behauptet zu haben, Osama bin Laden halte sich gewiss nicht im Land auf. CIA-Chef Leon Panetta sagte dem US-Kongress ganz unverblümt: »Entweder ist Pakistan involviert oder inkompetent.«
Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari ging deshalb zum Gegenangriff über. Ohne Pakistans Hilfe, so Zardari, hätten die USA Bin Laden nie gefunden. Salman Bashir, Staatssekretär im Außenministerium Pakistans, präzisierte gegenüber der BBC am Mittwoch, man habe die USA bereits 2009 über das Anwesen in Abbottabad als mögliches Versteck Bin Ladens informiert. Die Geheimdienste der USA hätten die nötige Ausrüstung gehabt, diesem Hinweis nachzugehen. Es sei damals allerdings keinesfalls klar gewesen, dass sich Bin Laden in Abbottabad aufhielt. Es habe vielmehr auch »Millionen« anderer mutmaßlicher Verstecke gegeben.
Die Aussage der CIA, die pakistanischen Behörden seien deshalb nicht vorab über den Angriff auf Bin Laden informiert worden, weil die Gefahr bestanden habe, er könne gewarnt werden, bezeichnete Bashir als »beunruhigend«. »Was den Erfolg im weltweiten Antiterrorkampf betrifft, so hat Pakistan da eine entscheidende Rolle gespielt, deshalb finden wir solche Kommentare etwas beunruhigend«, sagte der Staatssekretär.
Es sollte nicht vergessen werden, dass Bin Laden schon immer als Meister der Verstellung und der Täuschung gerühmt wurde, als Chamäleon, das sich unsichtbar machen und Verfolger abschütteln konnte.
Nach den Regeln der Verstellung und der Täuschung war das ummauerte Anwesen im ruhigen Abbottabad ein fast perfekt gewähltes Versteck. Wer vermutete den »Paten des Bösen« ausgerechnet einen Steinwurf entfernt von der Kaserne Kakul, wo jene gedrillt werden, die Bin Laden eigentlich jagen sollten? Auch Anwohner wagten offenbar nicht zu fragen, wer auf dem Gelände wohnte, das einem reichen Paschtunen zu gehören schien. Flog ein Ball von spielenden Kindern über die Mauer, bekamen sie nicht ihr Spielzeug, sondern Geld zurück. Niemand stellte weiter Fragen im ruhigen Abbottabad, einer bei pensionierten Beamten und Offizieren beliebten Altersresidenz.
Wissenschaftler der University of California allerdings vermuteten Bin Laden bereits im Jahre 2009 in der Umgebung Islamabads. In einer Studie stellten sie damals fest, der Gesuchte halte sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 88,9 Prozent in der Stadt Abbottabad auf. Ihrer Theorie zufolge geht jemand, wenn er überleben will, eher in eine große Stadt, wo er weniger auffällt, als in eine Berghöhle oder ein schlecht zugängliches Tal, deren Zugänge relativ einfach zu überwachen wären. Die Studie wurde 2009 in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht, doch die Sicherheitsbehörden hätten sich nie an ihn gewandt, erklärte Professor Thomas Gillespie, einer der Verfasser.
Dabei hätte den US-Amerikanern das Areal bereits 2008 aufgefallen sein können. Wie der britische »Guardian« ermittelte, standen US-Truppen schon damals nur ein paar hundert Meter vor Bin Ladens Anwesen, als sie in Abbottabad pakistanische Grenzoffiziere ausbildeten.
John Brennan, Präsident Barack Obamas oberster Antiterrorberater, erklärte am Dienstag im Fernsehsender CNN, die Hinweise zum Aufenthaltsort des Al-Qaida-Chefs seien »im Lauf mehrerer Jahre gesammelt« worden. »Wir haben in keinem bestimmten Moment spezifische Informationen erhalten, die uns nach Abbottabad führten«, widersprach Brennan Aussagen, die Informationen stammten von zwei Gefangenen, die in Guantanamo gefoltert wurden. Dagegen bestand Michael Hayden, CIA-Chef unter George W. Bush, gegenüber CNN darauf, dass die Hinweise sehr wohl »von bestimmten Gefangenen« gewonnen wurden. – Widersprüchlich wie so vieles, was aus Washington verlautet.
Bin Laden und zehn Todesmeldungen
Wohl kaum ein Mensch ist so oft totgesagt worden wie Osama bin Laden. Nur wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington vermeldeten US-Medien unter Bezug auf angeblich sichere Quellen, der Al-Qaida-Führer sei im November 2001 an den Folgen einer schweren Nierenerkrankung gestorben. Kurze Zeit später gab es neue Mitteilungen über das Ableben Bin Ladens: Im Januar 2002 hieß es aus pakistanischen Regierungskreisen, der Erzterrorist sei verstorben – diesmal ohne Angabe der Todesumstände. Im Laufe des Jahres 2002 gab es noch mehrfach Berichte über einen Tod des Al-Qaida-Chefs. Sie kamen im Juli von den Terrorfahndern des US-Bundeskriminalamtes FBI und im Oktober von Afghanistans Präsidenten Hamid Karsai.
Neue Spekulationen über das Ende Bin Ladens gab es im November 2005. Bei dem schweren Erdbeben einen Monat zuvor sei der Terrorist umgekommen, hieß es in Washington. Im September 2006 wurde ein Bericht des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE an die Presse lanciert, wonach der Kopf der Al Qaida an einer Typhusinfektion verstorben sei. Eine andere Version hatte im November 2007 die damalige pakistanische Oppositionsführerin Benazir Bhutto, die selbst von Al Qaida bedroht wurde und Ende 2007 bei einem Attentat ums Leben kam. Sie sagte in einem Interview, Bin Laden sei von Taliban-Führer Mullah Omar erschossen worden. Beweise für den Tod konnte Benazir Bhutto ebenso wenig liefern wie der Terrorfahnder im US-Geheimdienst Angelo M. Codevilla im März 2009. Codevilla war der Ansicht, alles würde auf den Tod von Bin Laden hindeuten. Auch Pakistans Staatschef Asif Zardari konnte kurz darauf, im Mai 2009, keine Belege für seine These bringen, der Al-Qaida-Chef sei bereits seit Jahren tot. Und obgleich Bin Laden am 1. Mai 2011 nun wohl tatsächlich getötet wurde – die handfesten Beweise dafür legte auch US-Präsident Obama bislang nicht vor. (ND)
** Aus: Neues Deutschland, 5. Mai 2011
USA verdächtigen Pakistan ***
Entscheidende Teile« des pakistanischen Geheimdienstes ISI haben schon lange die Hand über den Al-Qaida-Gründer Osama bin Laden gehalten. Das sagte ein hochrangiger Angehöriger des US-amerikanischen Auslandsnachrichtendienstes CIA am Mittwoch der Nachrichtenagentur dapd in Washington. In Kreisen des afghanischen Geheimdienstes NDS wird diese Einschätzung geteilt.
Weiter erklärte der CIA-Mann: »Wir haben jetzt ernstzunehmende Hinweise, daß bin Laden nicht nur durch den ISI, sondern auch durch Teile des pakistanischen Militärs geschützt worden ist«. Die pakistanische Armee sei »offenbar von Al-Qaida unterwandert«.
Der pakistanische Botschafter in Washington, Husain Haqqani, sicherte der US-Regierung eine »vollständige Untersuchung« der Frage zu, warum dem ISI der Aufenthalt von bin Laden in seinem Land entgangen sei. »Offensichtlich hatte bin Laden ein Unterstützungssystem«, hatte Haqqani dem Sender CNN erklärt.
Laut Islamabad seien die USA dagegen bereits 2009 über das Anwesen in Abbottabad als möglichem Versteck von Osama bin Laden informiert worden. Der pakistanische Geheimdienst habe die der USA auf das Gelände aufmerksam gemacht, sagte der Staatssekretär im Außenministerium, Salman Baschir, am Mittwoch der britischen BBC. Jedoch sei damals keinesfalls klar gewesen, daß sich bin Laden dort aufhalte. Die Aussage der CIA vom Dienstag, die pakistanischen Behörden seien deshalb nicht vorab über den Angriff auf bin Laden informiert worden, weil dieser hätte gewarnt werden können, bezeichnete Baschir als »beunruhigend«.
CIA-Kreise vermuten, daß der Krieg in Afghanistan ziemlich schnell beendet werden könnte, wenn Al-Qaida und mit ihr die Taliban keinen »Nährboden« auf pakistanischem Gebiet mehr hätten. Das sei aber »leider eine Illusion«.
(dapd/AFP/jW)
*** Aus: junge Welt, 5. Mai 2011
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