Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Obamas Coup

Widersprüchliches in den offiziellen Darstellungen und Rechtfertigungen der Kommandoaktion gegen Osama bin Laden

Von Rainer Rupp *

Politiker und Mainstreammedien hierzulande zeigen großes Verständnis für die Jubelausbrüche der Amerikaner über die kaltblütig geplante Ermordung des Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden und weiterer Menschen in einem pakistanischen Landhaus in Abbottabad. Die Anschläge vom 11. September 2001 hätten die Psyche der Leute doch sehr getroffen, so die landläufige Erklärung. Dabei hatte Osama bin Laden laut FBI mit »9/11« offiziell gar nichts zu tun. Laut FBI-Homepage führte er die Fahndungsliste »nur« wegen der Terroranschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam (www.fbi.gov/wanted/wanted_terrorists/usama-bin-laden). Dort steht laut FBI-Pressesprecher Rex Cob dessen Name nicht, weil es für seine Beteiligung an den Anschlägen in Washington und New York vor fast zehn Jahren keine Beweise gebe.

Auch als die US-Regierung Osama bin Laden hätte haben können, wollte sie ihn nicht. Schon nach dem Bombenangriff auf das Kriegsschiff USSCole im Hafen von Aden am 12.Oktober 2000 hatten die damals in Afghanistan herrschenden Taliban Washington in Geheimverhandlungen angeboten, bin Laden an ein Gericht in einem westlichen Land zu überstellen, nur nicht an die Vereinigten Staaten. Washington aber verlangte eine bedingungslose Auslieferung. Ein Jahr später, am 20.September 2001, gab es laut der britischen Tageszeitung Guardian ein ähnliches Angebot der Taliban. Sie wollten den Gesuchten ausliefern, falls die USA ihre Anschuldigungen in Sachen »9/11« mit Beweisen belegen könnten. Die Amerikaner zogen es vor, unter dem Vorwand, Osama bin Laden verhaften oder töten zu wollen, Afghanistan zu bombardieren und einen Krieg zu beginnen, der bis heute andauert. Damit begann die Saga von Osama bin Ladens mindestens neun Leben (siehe Spalte).

Sie endete damit, daß bin Laden in einer US-Geheimdienstoperation in Pakistan in der Nacht zum Montag (Ortszeit) erschossen und seine Leiche anschließend ins Meer geworfen wurde. Die von Washington verbreiteten Darstellungen sind aus mehreren Gründen seltsam. Nicht zuletzt wäre zu erwarten gewesen, daß unter Beisein von unabhängigen Experten eine Obduktion mit dem Zweck der einwandfreien und glaubwürdigen Identifizierung stattgefunden hätte. Die Nichtuntersuchung erinnert auf seltsame Weise daran, daß auch nach dem Terrorangriff auf das World Trade Center in New York alle Beweismittel, die den methodischen Zusammenbruch der mächtigen Stahlsäulen hätten erklären können, ohne vorherige forensische Analyse schnellstmöglich zur Verschrottung nach Indien und Taiwan abtransportiert und somit für immer beseitigt wurden.

Die enge Zusammenarbeit zwischen Osama bin Ladens Gotteskriegern und den westlichen Geheimdiensten im Kampf gegen die Sowjetunion in Afghanistan ist hinlänglich bekannt. Die Tatsache aber, daß der britische Geheimdienst MI6 im Jahr 1996 Al-Qaida bei einem Mordversuch gegen den libyschen Staatschef Muammar Al-Ghaddafi tatkräftig unterstützt hatte, und daß es Libyen war, das 1998 bei Interpol den ersten internationalen Haftbefehl gegen bin Laden beantragte, dürften nur wenige wissen. Und nun unterstützen laut New York Times Großbritannien und die USA unter den libyschen Rebellen gegen die Regierung von Oberst Ghaddafi auch wieder Al-Qaida-Gruppen, darunter frühere Insassen des US-Sonderlagers Guantánamo sowie ehemalige Kämpfer gegen die US-Truppen in Irak und Afghanistan.

Der frühere britische Außenminister Robin Cook, der mit Verweis auf die »illegale und unmoralische Zerstörung des Irak« unter Premierminister Anthony Blair von seinem Amt zurückgetreten war, erklärte 2006 im britischen Parlament: »In Wahrheit gibt es keine islamische oder terroristische Organisation mit dem Namen Al-Qaida. Jeder Nachrichtendienstler weiß das. Es gibt aber eine Propagandakampagne, mit der die Öffentlichkeit überzeugt werden soll, daß Al-Qaida existiert. Und das Land, das hinter dieser Propaganda steckt, sind die Vereinigten Staaten von Amerika.«

Auch der unter internationalen Investoren bestens bekannte Londoner Berater Nadeem Walayat geht davon aus, daß der Coup gegen Osama bin Laden von den USA inszeniert wurde. »OBL« sei aller Wahrscheinlichkeit nach längst tot gewesen. Aus geostrategischen Gründen hätte ihn Washington bisher am Leben gehalten. Aber die zunehmend vom finanziellen Ruin bedrohte US-Regierung müsse dringend die kostspielige Besetzung Afghanistans beenden. Der Hauptgrund für die Invasion des Landes sei die Suche nach bin Laden gewesen, woran Präsident Obama in den letzten Stunden wieder erinnert habe. Daher sei es an der Zeit gewesen, daß der als Staatsfeind Nummer eins Gejagte »plötzlich« gefunden, getötet und im Meer versenkt wurde, um so den Weg frei zu machen für einen Abzug aus Afghanistan, ohne Gesichtsverlust.

Kein Grund zum Feiern

Es gebe »keine einzige ernstzunehmende Stimme der Kritik« in den USA an der von Präsident Barack Obama angeordneten Tötung des Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden und den anschließenden Jubelbildern, verlautete am Montag abend in den hiesigen Nachrichtensendungen.

Für ein Ende des Krieges gegen den Terror plädiert Katrina van den Heuvel vom Magazin The Nation: »Es ist an der Zeit, den ›globalen Krieg gegen den Terror‹ zu beenden, mit dem wir in der vergangenen Dekade gelebt haben. Es ist an der Zeit, den Kampf gegen staatenlose Terroristen nach dem 11. September als ›Krieg‹ zu bezeichnen. Und es ist an der Zeit, den sinnlosen Krieg in Afghanistan zu beenden, der diese Nation so viele Menschenleben und Geld gekostet hat. (…) Präsident Obama hat tragischerweise viel zu viele Maßnahmen der Nationalen Sicherheitspolitik der Ära George W. Bushs fortgesetzt. Er ist aber auch ein Präsident, der versteht, wie Krieg Reformpräsidentschaften und die Grundwerte dieses Landes zugrunde richten kann.«

Es gebe keinen Grund zum Feiern, schreibt Kristen Breitweiser, deren Ehemann bei den Anschlägen vom 11.September 2001 ums Leben gekommen ist, in der Huffington Post: »Ich denke an die Tausenden verlorenen Leben von Amerikanern, Afghanen, Irakern. Ich weiß aus erster Hand, welchen Schmerz ihre Familien empfinden. Ich denke an die Milliarden – vielleicht Billionen – Dollar, die besser hätten ausgegeben werden können. Ich bleibe beunruhigt über die fortgesetzte Expansion absoluter Macht der Exekutive im Namen dieses scheinbar nicht enden wollenden Krieges ›gegen den Terror‹. Ich bin besorgt über die weitere Erosion unserer Verfassungsrechte. Ich frage mich, ob unsere Truppen jemals nach Hause zurückgerufen werden. Ich weiß zu gut, daß Tausende junger Amerikaner nie die Möglichkeit haben werden, nach Hause zurückzukehren. (…) Kann es jemals ein wahrer Sieg sein, wenn so viele nicht einmal begreifen, wieviel auf dem Weg dorthin verlorengegangen ist?«

Trotz seiner Niederlage war Bin Laden enorm erfolgreich, schreibt Ezra Klein in der Washington Post: »Nach dem Terrorexperten Daveed Gartenstein-Ross hatte Osama bin Laden eine Strategie, die wir nie so recht zu begreifen bemüht waren und gegen die wir uns daher nie wirklich zu verteidigen versuchten. Was er wirklich erreichen wollte – und was er dachte, erreichen zu können –, war es, die Vereinigten Staaten in den Bankrott zu treiben. Immerhin hat er diese Treibe-eine-Supermacht-in-die-Pleite-Sache schon vorher einmal geschafft. Und auch wenn es dieses Mal nicht ganz funktioniert hat, funktionierte es besser, als es viele von uns insbesondere in diesem jubelnden Moment zugeben würden.«

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verkündet auf ihrer Website: »Sein Tod beendet seine Rolle als Organisator und Inspirator solch krimineller Vorgehensweisen. Wir kennen bislang keine Details der Umstände seiner Erschießung und der Tötung der anderen Opfer, und wir werden diese nun untersuchen.«

Krieg ist nicht die Antwort gegen Terror, meint der Journalist Cenk Uygur von den Young Turks: »Wir erklärten zwei Kriege mit dem Ziel, gegen Al-Qaida und Osama bin Laden vorzugehen. Sie waren in Afghanistan und Irak. Bin Laden töteten wir in Pakistan. (...) Das heißt im Ergebnis: Ein unendlicher Krieg hat nicht funktioniert.«

»USA, USA!«-Rufe seien die falsche Antwort auf die Tötung Osama bin Ladens, meint David Sirota vom Internetportal salon.com: »In den Jahren seit 9/11 haben wir in gewisser Weise begonnen, das Verhalten derer, die wir verachten, nachzuahmen. Manchmal feiern wir Blutvergießen gegen diejenigen, die wir als ›Bad Guys‹ betrachten, so energisch, wie unsere Feinde das Blutvergießen gegen unschuldige Amerikaner feiern, die sie (fälschlicherweise) als Bad Guys einstufen. In der Tat liebäugelt Amerika, das sich einst bei der Zurschaustellung grauenvoller Bilder unserer Opfer zurückhielt, inzwischen mit der Veröffentlichung von Bildern der Leichen Udais and Qusais, es jubelt über die Erhängung Saddam Husseins und schmeißt eine Party angesichts der Nachricht, daß bin Laden in den Kopf geschossen wurde.«

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2011


Rache statt Recht

Völkerrechtsnihilismus total: UNO "begrüßt" Tötung Osama bin Ladens durch US-Spezialkommando in Pakistan

Von Knut Mellenthin **


Nach den Glückwünschen von Politikern vornehmlich aus der westlichen Welt hat US-Präsident Barack Obama für die Tötung Osama bin Ladens auch Grüße von der UNO erhalten. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen und der Weltsicherheitsrat gratulierten am Montag abend (Ortszeit) zum Coup gegen den Al-Qaida-Chef und gaben damit der rechtsstaatswidrigen Mordaktion ihren Segen. Ban Ki Moon sprach von einer »Wasserscheide«, das höchste UN-Gremium von einer »entscheidenden Entwicklung« im Kampf gegen den Terrorismus. Kein Wort über die vereitelte Möglichkeit, dem als »Terrorpaten« und »Staatsfeind Nummer eins« Gejagten einen rechtsstaatlichen Prozeß zu machen.

AFP klärt auf: »Die Tötung von bin Laden erspart den USA etliche Schwierigkeiten«, die eine Festnahme mit sich gebracht hätte. Haft und Prozeß wären zum »Zirkus« geworden, zitiert die Agentur den früheren US-Offizier Andrew Exum von der Washingtoner Denkfabrik Center for a New American Security. Die von Präsident Obama angeordnete und im Weißen Haus live verfolgte Search- und Kill-Aktion auf pakistanischem Territorium werde in den USA zu keinen Kontroversen führen. »Es ist unwahrscheinlich, daß es einen lauten Aufschrei über die Entscheidung geben wird, bin Laden eher zu töten, als ihn lebend festzunehmen«, zitiert AFP Joshua Keating von der Internetseite Foreignpolicy.com. Denn damit sei ein »umstrittener Prozeß« vermieden worden.

Der US-Präsident hat den Ausgang des Kommandoeinsatzes gegen bin Laden mit den markigen Worten gewürdigt, »Justice has been done – der Gerechtigkeit wurde Genüge getan«. Obama adressierte diese Behauptung ausdrücklich an die Familien, »die ihre Lieben an den Terror Al-Qaidas verloren haben«. Er hat damit offensichtlich einer weit verbreiteten Stimmung in seinem Land Ausdruck verliehen, wonach Hinrichtungen ohne Urteil einem rechtsstaatlichen Verfahren zumindest absolut gleichwertig, wenn nicht sogar weit überlegen sind. Obamas »justice« hat mit juristischen Standards allerdings nichts zu tun, sondern stellt einen Mix aus dem Zorn Gottes und dem vermeintlichen Volksbegehren nach Lynchjustiz dar.

»Justice has been done« im Sinne Obamas und seines Vorgängers ­George W. Bush bedeutet letztlich: Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat immer noch kein Prozeß gegen die Hauptbeschuldigten stattgefunden. Es gibt noch nicht einmal eine Anklageschrift, obwohl doch angeblich längst alles klar ist. Soweit die Hauptbeschuldigten in amerikanischem Gewahrsam sind, werden sie bis heute sorgfältig und total vor der Öffentlichkeit abgeschirmt. Und der Mehrheit ist es so offensichtlich am liebsten.

Doch es gibt auch kritische Stimmen. In Berlin meldete sich am Dienstag (3. Mai) die Neue Richtervereinigung zu Wort und verurteilte »die beschämende, ausdrücklich und öffentlich ausgesprochene Freude« seitens der Bundeskanzlerin, des Bundespräsidenten und des Bundesinnenministers. »Osama bin Laden war einer der gewalttätigsten Verbrecher nach den Weltkriegen. Die Erklärung eines schmutzigen Krieges durch Terrororganisationen vermag es aber nicht zu legitimieren, auf derselben Ebene zu agieren. Wie jeder Verbrecher hätte er vor Gericht gestellt werden müssen. Dies ist ein Eckstein der Zivilisation.

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2011


Zurück zur "Terrorismus"-Seite

Zurück zur Homepage