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Bin Laden ist tot, der Krieg geht weiter

USA und Deutschland bleiben in Afghanistan / Streit über Sicherheitsgesetze / Pakistan der Mitwisserschaft verdächtigt

Von René Heilig *

Während in den USA nach und nach Einzelheiten zur Tötung des Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden bekannt gegeben werden, begann in Deutschland eine noch unscharfe Debatte darüber, welche Schlussfolgerungen aus dieser neuen Situation zu ziehen sind.

Hochspannung: Die Angst vor Rachereaktionen von Terrorgruppierungen ist global. Vieles ist verdächtig, viele geraten ins Fahndungsraster. So setzte die britische Polizei fünf Verdächtige fest, weil sie Fotos von der Atomanlage Sellafield gemacht hatten.

Sicherheitspolitische Entscheidungen müssten »jetzt schnell und ohne parteipolitisches Korsett getroffen werden«, mahnte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut. Auch er sieht eine »hohe Bedrohungslage durch radikalislamistischen Terrorismus« und fordert die schwarz-gelbe Regierungskoalition auf, die Frist für die Anti-Terror-Gesetze zu verlängern.

Nach den Anschläge vom 11. 9. 2001 waren in Deutschland zahlreiche Sicherheitsgesetze erlassen worden. Dabei geht es um Informationen, die Geheimdienste von Banken, Postdienstleistern, Telekommunikationsfirmen und Fluggesellschaften abfragen. Anfang 2012 würden die Vollmachten auslaufen. Wie Witthaut aus der dann fälligen Verlängerung »jetzt schnell« Hilfe bei der Terrorabwehr erwartet, ist ein Rätsel. Der Verlängerung zugestimmt hat bereits SPD-Chef Sigmar Gabriel und einige Unionsexperten werben für eine Verschärfung der Gesetze. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) fordert die zeitlich unbegrenzte Fortschreibung der Sicherheitsgesetze. Mit der FDP sei er darüber »in einem guten Gespräch«. Das sieht die liberale Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberg anders.

Der Tod des Al-Qaida-Chefs weckte in den USA Wünsche, Präsident Obama möge die Truppen früher aus Afghanistan heimholen. Doch Karl Eikenberry, US-Botschafter in Kabul, dämpfte solche Hoffnungen. Man wolle wie geplant im Juli mit dem Abzug beginnen, erst 2014 sollen die US-Streitkräfte das Land verlassen haben.

Nach Bin Ladens Tod sei ein Hauptgrund für den Krieg in Afghanistan entfallen, betonte auch der deutsche Friedensratschlag. »Zeit, ihn sofort zu beenden!« Doch leider sei davon »in keiner Regierungsstellungnahme die Rede. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele will laut »Neuer Osnabrücker Zeitung« gleichfalls ein rasches Ende der deutschen ISAF-Mission, »denn dessen zentrale völkerrechtliche Rechtfertigung ist entfallen«. Der grüne Bundestags-Verteidigungsexperte Omid Nouripour sprach lediglich davon, das es »einer erhöhten Wachsamkeit der Bundeswehrsoldaten« bedürfe, »weil das Risiko von Anschlägen steigen wird«.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hatte bereits am Montag betont, der Bundeswehreinsatz in Afghanistan sei unverändert notwendig. »Wir sind in Afghanistan, weil wir verhindern wollen, dass Afghanistan wieder ein Rückzugsgebiet für den Terrorismus auf der ganzen Welt wird.«

»Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass die Tötung Osama bin Ladens zu einer Demoralisierung unserer Gegner in Afghanistan führt«, ergänzte Unionsaußenexperte Philipp Mißfelder (CDU). Die politischen Probleme seien in Afghanistan »längst nicht gelöst«.

Mehrfach freute sich die Kanzlerin Angela Merkel »darüber, dass es gelungen ist, bin Laden zu töten. Ich glaube, dass es vor allen Dingen für die Menschen in Amerika, aber auch für uns in Deutschland eine Nachricht ist, dass einer der Köpfe des internationalen Terrorismus, der so viele Menschen schon das Leben gekostet hat, gefasst bzw. getötet wurde.« Sie habe ihren »Respekt« für das Gelingen der Operation Obama übermittelt.

»Gefasst bzw. getötet« – darum geht es. Merkel verunsichert Bundeswehrsoldaten, die im ISAF-Einsatz Terroristen jagen. Für die gilt der Befehl: »Zugriffsoperationen, bei denen deutsche Kräfte die Verantwortung für die Anwendung militärischer Gewalt haben, die Ausführung übernehmen oder an denen sie sich beteiligen, erfolgen ausschließlich mit dem Ziel, die Person festzusetzen.« Wie vereinbart Merkel derart gegensätzliche Rechtsauffassungen?

Nachdem klar ist, dass der weltweit gesuchte Bin Laden sechs Jahre im pakistanischen Abbottabad gelebt hat, gerät Islamabad in Erklärungsnot. Mitglieder des US-Kongresses stellten die Finanzhilfe in Frage, Pakistans Präsident Asif Ali Zardari wies jedoch in einem Gastbeitrag für die »Washington Post« alle Anschuldigungen zurück.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011


Der CIA-Chef schaute live zu

Nach 40 Minuten Einsatz gab es "ziemlich kräftigen Applaus", doch wirklich getroffen hat man Al Qaida nicht

Von René Heilig **


Der Tod Ôsama bin Ladens gilt als vor allem innenpolitischer Erfolg für Barack Obama. Der US-Präsident hatte seinem Vorgänger vorgeworfen, nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 nicht entschlossen genug gegen Al Qaida vorgegangen zu sein und schickte immer mehr Truppen zum Anti-Terror-Kampf nach Afghanistan. Nun erledigten eine handvoll Entschlossener den Job? Ein Trugschluss!

Abbottabad ist gut eine Autofahrstunde von der pakistanischen Hauptstadt Islamabad entfernt. Gegründet wurde die von Kennern als sauber und schön bezeichnete Distrikthauptstadt 1853 in der britischen Kolonialzeit. Sie trägt den Namen ihres Gründers: Major James Abbott – Abbottabad.

Es gibt Schulen und andere höhere Bildungseinrichtungen, allein vier Medizinhochschulen, davon eine ausschließlich für Frauen. Kürzlich wurde vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie eine Universität für Informationstechnologien eröffnet. Hier leben von allem Paschtunen, die Nähe zu Afghanistan ist so durch Volkszugehörigkeit gegeben.

Hubschrauber landeten in Abbottabad

Doch das alles wird künftig bei der Nennung des Namens Abbottabad nur eine untergeordnete Rolle spielen. Abbottabad ist jener Ort, an dem der von den USA mit 25 Millionen Dollar Kopfgeld gesuchte Terrorist, der Fürst politischer Hinterlist, Osama bin Laden, offenbar unbehelligt von allen Jägern bis zum Wochenende lebte. Und wo er nun getötet wurde.

»Nach einem Feuergefecht töteten sie Osama bin Laden«, sagte der US-Präsident in seiner Fernsehansprache. Er beschreibt ganz bewusst eine Hinrichtung. Nur wenige Stunden nach der Tötung wurde die Symbolgestalt des islamistischen Terrorismus auf hoher See bestattet. Nach islamischen Regeln, heißt es. Was immer das bedeutet. Und welche neuen Verschwörungstheorien damit auch immer angeregt werden. Es soll – wenn die US-Angaben zum Hergang der Jagd stimmen – offenbar verhindert werden, dass es eine Pilgersstätte für nachfolgende Terroristen-Generationen gibt.

Wer hat bin Laden getötet? »Ein kleines Team von Amerikanern hat die Operation mit außergewöhnlichem Mut und Fähigkeiten ausgeführt«, sagte Obama. Der Rest ist geheim. Sicher scheint, das Team bestand aus Navy-Seals. Diese bestens gedrillten Angehörigen von Marine-Spezialeinheiten erledigen öfter Drecksarbeit für die CIA. Neben dem Terroristenführer seien drei weitere Männer – angeblich auch ein Sohn bin Ladens – sowie eine Frau, die den Angegriffenen »als Schutzschild« dienen sollte, getötet worden. Auf US-Seite habe es keine Verletzten gegeben, obwohl einer der vier Helikopter während des Angriffs abstürzte.

Insgesamt 40 Minuten habe die Operation gedauert. Pakistans Geheimdienst ISI spricht zwar von vier Stunden Kampf und behauptet, dass seine Truppen einbezogen waren, doch das ist kaum glaubhaft. Die USA haben keinen Fremden einbezogen, schon gar nicht Pakistans ISI-Leute, die mit den Taliban und den Al-Qaida-Führern stets eng kooperierten.

Die 40-minütige Aktion war live ins CIA-Hauptquartier bei Washington übertragen worden. Geheimdienstchef Leon Panetta und einige aus seiner Führungsmannschaft hätten die Aktion am Bildschirm verfolgt. »Als klar war, dass der Einsatz ein Erfolg war, gab es von den CIA-Leuten einen ziemlich kräftigen Applaus«, berichtete ein US-Sprecher.

Wie war man bin Laden auf die Spur gekommen? Offenbar fühlte der sich zu sicher. Jahrelang war er in den Bergen von Tora Bora im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet vermutet worden und mehrere Sterbemeldungen – auch eine von der CIA verbreitete – befriedigt zur Kenntnis genommen. Später hatte es geheißen, Bin Laden habe sich in entlegene Stammesgebiete im Westen Pakistans zurückgezogen.

Die CIA hatte bei ihrer Suche einfach eine Checkliste abgearbeitet. Im Raster war das dreistöckige repräsentative Haus in Abbottabad hängen geblieben – es war extrem gut bewacht und wurde häufig von einem Boten aufgesucht, der Funktionen im Geflecht der pakistanischen Al-Qaida-Struktur ausfüllte. Im vergangenen August begann die CIA mit einer gründlichen Aufklärung. Am 14. März hielt US-Präsident Obama laut »New York Times« ein erstes Treffen mit seinen engsten Sicherheitsexperten ab, um über die Kommandoaktion zu beraten. Das letzte Treffen fand am vergangenen Freitag statt. Obama hat den Befehl erteilt, den Staatsfeind Nr. 1 zu – ergreifen? Nein, das war offenbar nie geplant.

Bleibt die Frage, ob der nun irgendwo im Meer versenkte Körper wirklich einst Obama bin Laden war. Ja, sagt Washington. Der Einsatztrupp habe an Ort und Stelle Techniken zur Gesichts- und Körpererkennung eingesetzt, um die Identifizierung des Gesuchten zu sichern. Zudem besitze man DNA-Proben, die nun ausgewertet werden. So wie man in Washington keinen Wert auf einen international geltenden Richterspruch gelegt hat, so legt man auch keinen Wert auf die Expertise unabhängiger Gerichtsmediziner. Der Fall Osama bin Laden soll erledigt sein. Ist er das wirklich? Und wie ist das mit Al Qaida, der gefürchtetsten aller internationalen Terrororganisationen?

Vom US-Handlanger zum 9.11.-Ideengeber

Im Grunde ist der Mann aus Saudi-Arabien »nur« ein aus dem Ruder gelaufener Handlanger der USA. Dachte man bei der CIA lange Zeit. Die hatte sich seiner bedienen wollen im Kampf gegen die Sowjets in Afghanistan. Als deren Truppen 1979 Afghanistan besetzten, ging der Saudi bin Laden nach Pakistan, wo die Fäden des Widerstands zusammenliefen. Zusammen mit dem Dschihad-Theoretiker Abdullah Assam gründete er ein »Zentrum für Dienstleistungen für die Mudschaheddin«. Der engagierte junge Familienvater war Werber, Geldbeschaffer, Rekrutierer. Er errichtet Ausbildungscamps zunächst für arabische Freiwillige, die geschlossen an die Front zogen. Die CIA unterstütze den Organisator dabei tatkräftig.

Doch der so Benutzte wollte seinerseits die US-Amerikaner nur benutzen, denn: Der heilige Krieg gegen die Ungläubigen, Dschihad genannt, müsse nicht nur in Afghanistan und nicht nur gegen die Sowjetunion geführt werden. Davon war der stets Bescheidenheit predigende Milliardärssohn aus Dschidda, den sie »Abu Abdullah« nannten, überzeugt. So wirkte er in Südjemen, Somalia, Bosnien und anerswo als Mentor tausender Gotteskrieger. Und er gründete Al Qaida.

Al Qaida war anders als bisherige streng gegliederte Terrororganisationen. Al Qaida ist eine Idee, die Menschen anzieht, sie zu einem Netzwerk webt. Al Qaida gibt logistischen Rückhalt. Selbst wenn eine ihrer Zellen ausgehoben wird, funktionieren die anderen weiter. Denn verbunden sind die Jünger Osamas – wenn überhaupt – über das Internet.

Terrorismus als Selbstläufer – nur so konnte Osama bin Laden als einer der gefährlichsten Terroristen aller Zeiten in die Geschichte eingehen: vom Anschlag 1993 auf das New Yorker World Trade Center über den Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi 1998 mit mehr als 200 Toten, den Angriff auf den US-Zerstörer »Cole« im November 2000 im jemenitischen Aden mit 17 Toten, den 11. September 2001 in New York und Washington mit fast 3000 Todesopfern bis zu den Bomben von Bali, Madrid und London. Bin Laden inspirierte Widerständler in Bagdad ebenso wie in Kandahar. Und in Europa. Deutschland hat Grund zur Furcht – es besetzte mit anderen NATO-Mitgliedern abermals Afghanistan.

Es mag der CIA gelungen sein, bin Laden zu töten. Ein Prestigesieg. Die mächtigste Nation der Welt hat einen Massenmörder getötet. Doch Osama bin Laden wird weiterleben – als Symbol, hinter dem sich noch mehr fanatischer Widerstand versammelt. Der von den USA ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus ist nicht gewonnen. Seine Ursachen bestehen fort.

** Aus: Neues Deutschland, 4. Mai 2011


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