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Gefangene werden nicht gemacht ...

Peter L. Bergen über die Jagd auf Osama Bin Laden und Obamas Drohnenkriege

Von Reiner Oschmann *

Die Jagd dauerte fast zehn Jahre, und von Anfang an war klar, Gefangene werden nicht gemacht. Das Ende von Osama bin Laden 2011 im pakistanischen Abbottabad erfolgte in der Art wie der Angriff auf die Zwillingstürme von Manhattan und das Pentagon 2001 - als Akt des Terrors, gnadenlos, rechtsbrüchig, nicht nur mit billigender Hinnahme, sondern geradezu in der Hoffnung auf viele verlöschte Menschenleben. Der Sicherheitsexperte des Fernsehsenders CNN, Peter L. Bergen (49), der Ende der 90er Jahre als erster westlicher Journalist Gelegenheit hatte, den Gründer der Terrororganisation Al-Qaida zu interviewen, hat in seinem neuen Buch die Jagd der USA auf Osama Bin Laden rekonstruiert. Es ist Bergens viertes Buch über den Paten. Es fesselt durch Detailtreue und die dichten Befunde. Offenkundig ist Bergens gute Quellenlage. Sie speist sich sowohl aus seiner Kompetenz als auch seinem kurzen Draht zu US-Geheimdiensten, Beratern des Weißen Hauses und pakistanischen Militärs. Ein solides Sachbuch, das nicht in Chauvinismus abgleitet. Letzteres wäre denkbar gewesen: Der Mann und die Organisation, die hinter Nine-Eleven, dem monströsen Anschlag vom 11. September 2001 standen, haben für die USA ein Trauma erzeugt, dessen Verarbeitung auch mittels einer triumphierenden Beschreibung der Liquidierung Bin Ladens hätte erfolgen können.

Drei wichtige Erkenntnisse zieht der Leser aus Bergens Buch: Es erläutert plausibel das Ausschlussverfahren, das zu Bin Ladens Versteck führte, veranschaulicht, welch große, immer noch unterschätzte Rolle die unbemannten Kampfdrohnen bei der Schwächung Al-Qaidas (und der Ermordung von Zivilisten) spielen. Und es belegt Irrwitz und wachsende Isolierung Bin Ladens sowie die rücksichtslose Großmachtpolitik der USA, sobald deren Interessen angetastet und deren Neurosen offengelegt werden.

Zum Ausschlussverfahren: Alle Indizien deuteten darauf hin, dass Bin Laden nach seiner Beinahe-Ausschaltung Ende 2001 im Kessel von Tora Bora in seinen Hochburgen Afghanistan und Pakistan bleiben würde, weil ihn eine Flucht in andere Länder gefährden könnte. Da Osama und seine Männer um die Gefahr ihrer Entdeckung über Handy-Telefonate und E-Mail-Kontakten wussten, schlossen die Fahnder auf einen stark begrenzten Kontakt Bin Ladens mit wenigen Getreuen, unter Vermeidung unnötiger Ortsveränderungen. Bin Ladens bekannte Familienfreundlichkeit - in Abbottabad lebte er mit drei seiner vier Frauen sowie zwölf seiner Kinder und Enkelkinder - legte einen Aufenthalt im Schutz eines anonym-urbanen und zugleich geräumigen Anwesens nahe. Und nicht in einer Höhle. Zu guter Letzt: Wenn Handy und E-Mail als Verständigungsmittel quasi ausfielen, gewannen Boten, denen Osama Anweisungen mündlich oder per USB-Sticks mitgeben konnte, umso größere Bedeutung. Daraus schlussfolgerte die CIA: Wenn wir Osamas Kurier finden, wird der uns zu dessen Versteck führen.

2010 war es soweit. In Peschawar, zwei Autostunden westlich von Abbottabad und jener Stadt entfernt, in der Bin Laden Al-Qaida 1988 zum Kampf gegen die »Ungläubigen« aus der Sowjetunion gegründet hatte, wurde sein Bote, Abu Ahmed al-Kuwaiti (»der Kuwaiter«) nach fahrlässigem Handy-Gebrauch geortet und bis Abbottabad verfolgt, wo man Bin Ladens Versteck entdeckte. Schon zu dieser Zeit war Al-Qaida stark geschwächt und personell dezimiert worden, vor allem durch den Drohnenfeldzug. Bergen vermerkt: »Unter Bush hatte es alle 40 Tage einen Angriff aus der Luft gegeben, unter Obama steigerte sich die Frequenz auf einen alle vier Tage.« In einem späteren Interview bilanzierte er: »Obama ist eigentlich militärisch ein sehr aggressiver Präsident, auch wenn er den Friedensnobelpreis erhalten hat … Er hat die Ermordung von 1400 bis 2300 Menschen angeordnet.«

Bin Ladens Tötung erfolgte im Mai 2011 mittels einer von Präsident Obama gebilligten Kommandoaktion - im Schutze der Nacht, ohne Genehmigung pakistanischer Behörden, gegen einen Massenmörder zwar, aber als völkerrechtswidriger Akt der USA. Sie gipfelte in der Hinrichtung des Saudis. Bin Ladens Ermahnung an seine Lieblingsfrau Amal (29), »Schalte auf keinen Fall das Licht ein!«, beim Eindringen der Navy-SEALs in die Villa waren die letzten Worte des Terroristenführers. Der 54-Jährige leistete »keinen Widerstand, als man ihm eine ›doppelte Ladung‹ in die Brust und ins linke Auge schoss«. Stunden später wurde der Leichnam, nach muslimischem Brauch in weißes Tuch gehüllt, an Bord des Flugzeugträgers »USS Carl Vinson« gebracht und in einem Sack mit Gewichten ins Meer gekippt. Bergen enthüllt, dass die amerikanischen Geheimdienste für die Jagd auf und schließliche Ermordung von Osama bin Laden eine halbe Billion Dollar benötigt hatten. Er berichtet, dass die Frage, was mit dem toten Bin Laden geschehen sollte, ausführlich erörtert worden worden war. »Obamas Mitarbeiter wollten sicherstellen, dass es kein Grab gab, das sich zu einer Pilgerstätte entwickeln könnte.« Ähnlich hatten die Sowjets nach Hitlers Selbstmord gegen Ende des Zweiten Weltkriegs große Anstrengungen unternommen, den Verbleib von dessen Leiche geheim zu halten.

Peter L. Bergen: Die Jagd auf Osama Bin Laden. Eine Enthüllungsgeschichte. DVA, München, 2012, 368 S., geb.,19,99 €.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 06. September 2012


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