Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Terror im Ferienparadies

Wem galt der Anschlag? Wer führte ihn aus? Was sind die Antworten? Eine Presseauswahl

"Watch Indonesia!" stellte eine Auswahl von Presseartikeln zusammen, die das Geschehen am 12. Oktober 2002 beschreiben und analysieren sollen. Fertige Antworten sind noch nicht zu erwarten. Falsche Antworten sind schnell bei der Hand, etwa die Überlegung, wären die USA nur schon weiter in ihrem entschlossenen Krieg gegen den Terror. Vielleicht wird umgekehrt ein Schuh daraus: Der seit einem Jahr rund um den halben Erdball geführte US-Feldzug hat in der Wahrnehmung der Menschen so wenig mit wirklicher Bekämpfung des Terrorismus und so viel mit geostrategischen , politischen und ökonomischen Interessen der USA zu tun, dass irrationale, menschenverachtende, verbrecherische Handlungen geradezu herausgefordert werden. Das heißt nicht, solche Terrorakte in irgendeiner Weise zu beschönigen oder zu entschuldigen. Man muss dennoch den Versuch machen, sie zu erklären.
Die folgende Auswahl an Presseausschnitten erhebt weder den Anspruch, ein vollständiges Bild des Geschehenen abzugeben, noch befriedigende Erklärungen anzubieten. Es ist vielmehr nur ein Spiegel der Wahrnehmung und Interpretationen deutschsprachiger Medien, mit denen man sich auseinandersetzen sollte. - Die Artikel sind alle am 14. Oktober 2002 erschienen.


Der Tagesspiegel lässt Korresondenten aus Indonesien (allerdings nicht von der Insel Bali) und Australien zu Wort kommen: Moritz Kleine-Brockhoff (Jakarta) und Julica Jungehülsing (Sydney). Die Überschrift: "Ein Traum explodiert". Auszüge:

Im Vorgarten, direkt an der Straße, und weiter hinten an der Theke stehen auch an diesem Samstagabend Hunderte. Es ist eine warme Nacht wie fast immer hier in Kuta, Bali, Indonesien. 20 Grad. Die Männer und Frauen tragen kurze Hosen oder Miniröcke, und vielleicht unterhalten sie sich über den vergangenen Urlaubstag. Der Strand, an dem sie ihn verbracht haben, ist nur ein paar Hundert Meter entfernt. ... Aber noch sind sie hier im Sari Club, sie trinken, sie grölen. Es ist "lauter als beim Ballermann auf Mallorca", sagt ein Deutscher, der noch vor zehn Tagen in Kuta war. Die meisten von ihnen sind jung und kommen aus Australien. ...

.. gegen 23 Uhr gibt es zwei Explosionen, die erste vermutlich im Padis, die zweite, lautere wohl kurz darauf im Sari Club. Mehr als 180 Menschen sterben nach dem gewaltigsten Anschlag in Indonesiens Geschichte. Vom Padis sind nur Trümmer übrig, der Sari Club ist ein Schutthaufen. Tags darauf werden nur wenige Augenzeugen hier sein, fast jeder, der in der Nähe war, ist tot oder im Krankenhaus. Überall verstreut werden die Schuhe der Flüchtenden liegen. Unter den Überlebenden bricht Panik aus, viele Häuser brennen und fallen in sich zusammen. Als die ersten Hilfskräfte kommen, sehen sie Staub und Rauch. Und dazwischen zerfetzte Leichen, blutverschmierte Körperteile und Verletzte, die nach Hilfe rufend auf der Straße liegen oder orientierungslos umherirren. ...

...
Dass eine Bombe hochgeht, ist nicht ungewöhnlich in Indonesien, auch in den Gegenden, in denen kein Bürgerkrieg tobt, gab es in den vergangenen drei Jahren Sprengstoffanschläge. Dabei starben 62 Menschen. Und 181 Sprengsätze fand und entschärfte die Polizei, bevor sie explodierten. Meist geht es bei diesen Fällen um Schutzgelderpressung. Im Lauf der Nacht und am Morgen danach wird deutlich, dass der Anschlag auf Bali alles in den Schatten stellt, was bislang in Indonesien geschehen ist. ...
Weil jetzt klar ist, wie gewaltig die Explosion war, sprechen immer mehr Experten vom internationalen Terrorismus. Die relativ kleinen militanten Gruppen, die in Indonesien operieren, könnten einen so großen Anschlag nicht ohne Unterstützung anderer Organisationen aus dem Ausland durchführen, sagen die meisten Kenner der Szene. Diskotheken sind in der Vergangenheit oft angegriffen worden, weil es moslemische Fundamentalisten stört, dass dort in der Regel Prostituierte arbeiten und dass meist nicht nur Alkohol, sondern auch Drogen verkauft werden, mancherorts vom Kellner. Aber die Schlägertrupps der FPI, der "Front zur Verteidigung des Islam" prügeln für gewöhnlich nur und zerstören das Mobiliar. Anfang des Jahres allerdings lagen in Jakarta einmal vor fünf Discos kleine Sprengsätze, zwei explodierten, ein Mann wurde verletzt. Der Anschlag von Bali spielt in einer anderen Liga, er ist der größte seit dem 11. September 2001.

Am Nachmittag spricht Indonesiens Präsidentin Megawati Sukarnoputri persönlich vor Journalisten. Das tut sie selten, weil sie nicht in die vielen Fettnäpfe treten will, die es in ihrem Land gibt, in dem mehr Moslems leben als in jeder anderen Nation der Welt. ... Wer Fundamentalisten kritisiert, wird von islamischen Parteien als unislamisch gebrandmarkt. Megawati hat das bisher vermieden. Sie und ihre Regierung sagten monatelang, es gebe keine Beweise dafür, dass Terroristen aus dem Ausland in Indonesien aktiv seien und mit lokalen Gruppen zusammenarbeiteten.

Die US-Regierung indes überschüttete die Indonesier mit Geheimdienstinformationen, die zwar nicht besagten, dass Touristen in Gefahr seien oder auf Bali etwas zu befürchten sei, die aber deutlich machten, dass Anschläge geplant seien. Megawatis Regierung wollte davon wenig hören. Auch nach der Bombe von Bali wählt sie ihre Worte vorsichtig: "Der Anschlag ist eine Warnung für uns. Terrorismus ist eine reale Gefahr und eine potenzielle Bedrohung der nationalen Sicherheit." ...
...
Die meisten ausländischen Opfer .. kommen aus Australien. Mindestens sieben Australier wurden getötet und 113 verletzt. Der australische Premierminister John Howard wird deshalb auch deutlicher als Megawati. Einen "barbarischen Terror-Akt, der unser Land nachhaltig schockieren wird" nannte Howard den Anschlag auf die Nachtclubs in Kuta. "Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass Terrorismus jederzeit jeden von uns und an jedem Ort der Welt treffen kann." Auch auf der idyllischen Urlaubsinsel vor der eigenen Haustür.

Bali, die Insel, die für Australier ein Feierparadies ist, so wie für Europäer Ibiza, galt bisher als sichere Urlaubsgegend. Drei Viertel der Bali-Reisenden kommen aus Australien, 20.000 hielten sich nach Schätzungen des Außenministeriums zur Zeit des Anschlags auf der Insel auf. Darunter waren mindestens fünf komplette Rugby- und Football-Teams, die in der vergangenen Woche auf die Insel geflogen sind, um das Ende der Spielzeit zu feiern - die beiden zerstörten Clubs Padis und Sari gehörten zu den Lieblingstreffpunkten der Sportler. Der Indonesien-Experte Greg Fealy vermutet deshalb, dass der Anschlag sich gezielt gegen Australien richtet: "Es ist schwer zu glauben, dass diese Bomben nicht uns galten", sagt er in einer Nachrichtensendung am Sonntagabend. Und dem australischen Premier Howard bietet das Attentat eine traurige Gelegenheit, seine Unterstützung für die Irak-Kriegspläne von US-Präsident George W. Bush zu verteidigen: "Dies ist sicherlich nicht der Moment für hitzköpfige Reaktionen", sagt er, "aber wir müssen einsehen, dass wir uns auch nicht in unserer Ecke verstecken können und sagen: Das wird schon vorbeigehen." ...


Die Financial Times Deutschland widmete sich den Folgen, die der Anschlag für die politische und wirtschaftliche Stabilität haben würde. Der Bericht (Titel: "Anschlag bedroht politische Stabilität Indonesiens") kommt von S. Donnan (Jakarta), W. Germund (Bangkok) und M. Huband (London). Auch hieraus Auszüge:

Wenn man vergangene Woche einen gebildeten Indonesier gefragt hätte, ob er die Gefahr eines größeren Terroranschlags in seiner Heimat befürchte, hätte er vermutlich skeptisch den Kopf geschüttelt. Doch die über 200 Millionen Indonesier, die in ihrer Mehrheit eine tolerante, von animistischen Traditionen geprägte Form des Islam praktizieren, sehen ihr Land seit Sonntag mit neuen Augen.

Sicherheitsexperten befürchten, dass islamische Extremisten im größten muslimischen Land der Welt eine neue Terrorfront aufmachen. "Die größte Überraschung ist, dass es so lange gedauert hat, bis westliche Interessen angegriffen wurden", sagt ein Sicherheitsexperte in der Region. "Wir müssen mit weiteren Anschlägen rechnen. Es könnte sich genauso entwickeln wie in Nahost."
Politische Analysten sind zudem der Überzeugung, dass der Anschlag im Ferienparadies Bali eine schwere Erschütterung für das politische System darstellt und die Regierung von Präsidentin Megawati Sukarnoputri möglicherweise vor ihre bisher größte Herausforderung stellt. "Das ist eine große Sache, das ist sehr schlecht", sagt Joseph Kristiadi vom Centre for Strategic and International Studies (CSIS) in der Hauptstadt Jakarta. ...

Die US-Regierung ist seit längerem überzeugt, dass Abu Bakr Bashir, Führer der Gruppe Jemaah Islamiya, mit der Unterstützung al-Kaidas die Fäden eines Netzes in den Händen hält, das sich in den letzten Jahren auf weite Teile Südostasiens ausgedehnt hat.
Singapur und Malaysia halten seit Anfang des Jahres Dutzende von Mitgliedern der Gruppe, die einen einheitlichen panislamischen Staat in Südostasien verlangt, unter dem Verdacht fest, Anschläge gegen US-Einrichtungen und die internationale Schifffahrt geplant zu haben. Selbst im Süden Thailands, in dem eine kleine islamische Minderheit lebt, soll Jemaah Islamiya mittlerweile aktiv sein. Bashir, der offen in Solo auf der Insel Java lebt, leugnete am Sonntag jedoch gegenüber der FT, dass er etwas mit dem Attentat auf Bali zu tun habe. ...

Seit der Asienkrise und dem Sturz von Diktator Suharto 1998 leidet Indonesien unter politischer und wirtschaftlicher Instabilität. Mit drei Präsidenten in nur fünf Jahren und Auslandsschulden in Höhe von 130 Mrd. $ - fast so viel wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt - fürchten Auslandsinvestoren ein Abrutschen in die Anarchie. Seit Monaten schon laviert Präsidentin Megawati - die oft für ihren nachlässigen Regierungsstil kritisiert wird - zwischen dem Druck der USA, mehr gegen die Gefahr des Terrorismus zu tun, und den politischen Schwierigkeiten, die damit selbst in einem moderaten muslimischen Land verbunden sind.

... Auch die Wirtschaft des Landes, die sich noch immer nicht von der Asienkrise 1997 erholt hat, dürfte unter dem Anschlag am Sonntag leiden. Die mehrheitlich von Hindus bewohnte Insel Bali ist mit ihrer Fülle von Luxushotels und -anlagen der Hauptmotor in Indonesiens Tourismussektor. "Ein Attentat auf Bali ist ein echter Schlag in den Unterleib. Es zielt nicht nur auf die Touristen, sondern auf die gesamte indonesische Wirtschaft", sagt Dewi Fortuna Anwar, eine bekannte politische Kommentatorin.

Diplomaten waren Sonntag der Auffassung, dass die Regierung nun endlich gezwungen sein könnte, die terroristische Gefahr ernst zu nehmen: "Das Problem ist bisher weitgehend geleugnet worden", sagt ein westlicher Diplomat. Andere warnten jedoch, dass ein Schlag gegen die Terroristen unerwünschte Nebenwirkungen haben könnte. "Die Gefahr besteht, dass die Radikalen sich zusammenschließen und die Lage sich weiter radikalisiert", sagt Sidney Jones von der International Crisis Group.


Die "Freie Presse" widmet sich einer in Verdacht geratenen islamistischen Gruppierung: der "Jemaah Islamiyah". Diese "Terrortruppe soll El-Kaida-Kontakte haben"

Nach den Bombenanschlägen auf Bali richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Jemaah Islamiyah, eine rätselhafte Extremistengruppe mit einem schillernden Vordenker. Der australische Außenminister Alexander Downer hält es für "denkbar", dass die indonesische Gruppierung hinter den Attentaten steckt. Sie habe Verbindungen zur El Kaida des mutmaßlichen Top-Terroristen Osama bin Laden. In der Öffentlichkeit tritt die Jemaah Islamiyah allerdings nicht auf. Ihr mutmaßlicher Anführer Abubakar Baasyir, ein bekennender Bin-Laden-Bewunderer, streitet sogar ab, dass die Gruppe überhaupt existiert.

Die Regierungen in der Region sehen das anders. Für sie ist die Jemaah Islamiyah eine radikale Organisation, die in den traditionell toleranten moslemischen Ländern Südostasiens einen Gottesstaat errichten will, der neben Indonesien noch Malaysia, Singapur, Brunei und die südlichen Philippinen umfassen soll. Erst vor einer Woche hatte Downer auf einer Regionalkonferenz in Malaysia gesagt, die Gruppe sei derzeit "die Organisation, die uns am meisten beunruhigt". Singapur beschuldigt die Jemaah Islamiyah der Vorbereitung mehrerer Anschläge auf westliche Einrichtungen, 32 mutmaßliche Anhänger sitzen in Haft.
Baasyir lebt derzeit noch unbehelligt in Indonesien. Die Behörden hatten Forderungen der Nachbarländer nach einer Festnahme des 64-jährigen Religionsgelehrten stets mit der Begründung abgelehnt, es gebe keine Beweise gegen ihn. Offiziell firmiert Baasyir als Vorsitzender des Indonesischen Mudschahidin-Rats, einer Dachorganisation mehrerer religiöser Gruppen, die für die Einführung des islamischen Rechts in Indonesien eintreten.
Terrorismus-Vorwürfe bezeichnete Baasyir als "Lüge". ...

In eine ähnliche Richtung argumentieren die "Salzburger Nachrichten". Willi Germund aus Jakarta lässt "Verdacht" auf "El Kaidas Verbündete" fallen.

... Die US-Regierung ist davon überzeugt, dass Abu Bakar Bashir, Führer der radikalen Islamistengruppe "Jemaat Islamiyah", in einem kleinen Dorf nahe der Stadt Yogdschakarta mit der Unterstützung von El Kaida die Fäden für ein Netzwerk in den Händen hält, das sich während der vergangenen Jahre über weite Teile Südostasiens ausgedehnt hat. Singapur und Malaysia haben seit Anfang dieses Jahres Dutzende von Mitgliedern der Gruppe, die einen einheitlichen panislamischen Staat in Südostasien verlangt, unter dem Verdacht festgenommen, Anschläge gegen US-Einrichtungen und die internationale Schifffahrt geplant zu haben. Selbst im Süden Thailands, wo eine kleine islamische Minderheit lebt, soll "Jemaat Islamiyah" mittlerweile aktiv sein.
Zwar gibt es in Indonesien noch andere Extremistengruppen, die in der Vergangenheit mit gewaltsamen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht haben. Doch die Serie von Bombenanschlägen auf Bali war so gut geplant und von derart verheerender Wirkung, dass der Verdacht sofort auf El Kaida und die Verbündeten von "Jemaat Islamiyah" in Indonesien fällt. Deren Führer Bashir machte in der Vergangenheit keinen Hehl aus seinen Ansichten. "Die USA sind der größte Feind des Islam", erklärte der 64-jährige Mullah im August. Osama Bin Laden betrachtet er als einen "Helden".

Aber die USA sowie ihre wichtigsten regionalen Verbündeten Singapur und Australien sind davon überzeugt, dass hinter der freundlichen Fassade von Bashir mehr steckt. Abu Jibril, einer seiner Getreuen, sitzt auf den Philippinen wegen Terroranschlägen in Haft. Sein Stellvertreter Ridfuan Isamuddin alias Hambali, der direkte Verbindungen zu Osama Bin Ladens Gruppe El Kaida unterhalten soll, ist auf einer der 13.000 Inseln Indonesiens untergetaucht. Anfang September soll dann ein Mann namens Omar al Faruk, der in Indonesien festgenommen und von den USA nach Afghanistan gebracht wurde, "ausgepackt" haben.

Laut seinen eigenen Aussagen hat Mullah Bashir direkte Kenntnisse über die Terrorpläne von El Kaida in Südostasien. ...

... Jakarta blieb tatenlos, obwohl erst vorige Woche US-Botschafter Ralph Boyce erneut bei der Regierung vorgesprochen hatte. Der Grund: Washington habe Beweise, dass Bashir am 23. September in einen fehlgeschlagenen Anschlag auf das Haus eines US-Entwicklungshelfers in Jakarta verwickelt war. Eine Granate war in einem Fahrzeug explodiert und hatte einen der Insassen getötet, einem anderen ein Bein abgerissen. Die Anklagen von Boyce stellen eine bemerkenswerte Kehrtwende dar: Denn Washington hatte zunächst behauptet, die Attacke habe sich nicht gegen eine ihrer Einrichtungen gerichtet.


Die Hannoversche Allgemeine schreibt in einem Leitartikel ("Perfide Botschaft") von Moritz Kleine-Brockhoff u.a.:

... Es gibt viele Hinweise darauf, dass Al Qaida oder eine Organisation, die mit Osama bin Ladens Terror-Netzwerk zusammenarbeitet oder zumindest sympathisiert, diesen Anschlag verübt hat. Nur eine Gruppe, die sehr gut organisiert ist, kann einen derartigen Anschlag ausführen. Auf einer Länge von mehreren hundert Metern sind alle Gebäude in der Legian-Straße im Ort Kuta zerstört.

Eine große Menge Sprengstoff, die indonesische Polizei spricht von TNT, musste beschafft, unbemerkt auf eine Insel geschifft oder geflogen und dort zur Explosion gebracht werden. Das ist keine Arbeit, zu der Amateure in der Lage wären. Dazu braucht man Geld, Wissen, Erfahrung und wahrscheinlich auch lokale Kontakte. Keine der wenigen kleinen, militanten Moslemorganisationen Indonesiens hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie fähig wäre, ein Verbrechen dieser Größenordnung zu begehen. Vielleicht waren Indonesier beteiligt, aber die Hintermänner sitzen höchstwahrscheinlich woanders.
... Ja, die USA haben vor wenigen Tagen noch vor Anschlägen in Südostasien gewarnt. Indonesien stand dabei ganz oben auf der Liste. Aber die Rede war fast ausschließlich von US-Bürgern und US-Einrichtungen, die in Gefahr seien. Die Geheimdienste haben anscheinend keinen Hinweis darauf geben können, dass Touristen auf der Urlaubsinsel Bali Zielscheibe sein könnten. ...

Der Bali-Anschlag war leider gut geplant. Er fand in Indonesien statt, weil dort jeder unentdeckt einreisen kann, der das tun will. Nach den Anschlägen vom 11. September des vergangenen Jahres sind in vielen Ländern Sicherheitsvorkehrungen und Einreisebestimmungen verstärkt worden. Aber Indonesien kann seine Grenzen - vor allem die langen Küsten der zahllosen Inseln - nicht lückenlos schützen. ...
...
Über Australien, die Heimat der meisten Toten, wird international wenig gesprochen. Dabei unterstützt gerade die Regierung von Ministerpräsident John Howard die Politik von US-Präsident George W. Bush so rigoros wie sonst wohl nur der britische Premier Tony Blair. Als die USA Afghanistan angriffen, waren dort sehr früh auch australische Spezialeinheiten im Einsatz.

Es mag gut sein, dass die Terroristen genau aus diesem Grund eine Diskothek aussuchten, die vorwiegend von Australiern besucht wurde - eben um eine perfide Botschaft an den Westen zu senden: Bürger aus Staaten, die die USA in ihrem Anti-Terror-Kampf unterstützen, sollen sich nirgendwo auf der Welt mehr sicher fühlen.


Arne Perras von der Süddeutschen Zeitung sieht Indonesien ins "Zentrum des Kampfs gegen den internationalen Terrorismus" gerückt.

Über den Grad der terroristischen Bedrohung, die von Indonesien für die Welt ausgeht, war sich der Westen lange im Unklaren. Weil ein Großteil der etwa 180 Millionen Muslime in diesem Staat stets eine tolerante Form des Islam praktizierte und fundamentalistische Gruppen keine breite Basis in der Bevölkerung fanden, argumentierten manche Beobachter, dass der Nährboden für den internationalen Terrorismus dort eher begrenzt sei. Andererseits gibt es in Indonesien seit längerem kleinere militante Gruppen, die eine extreme Gewaltbereitschaft zeigen, und auch die inner-indonesischen Spannungen erheblich verschärft haben. ...

Die verheerenden Anschläge auf Bali, die mehr als 180 Menschen in den Tod rissen, haben Indonesien nun über Nacht ins Zentrum der internationalen Anti-Terror-Ermittlungen katapultiert. Es gibt kaum einen Zweifel, dass der Angriff auf zwei Diskotheken im Ferienzentrum Kuta darauf zielte, möglichst viele ausländische Touristen zu töten. Australiens Außenminister Alexander Downer deutete schon wenige Stunden nach den Explosionen einen ersten Verdacht an. Die radikale Moslemorganisation Jemaah Islamiyah mache "besonders große Sorgen", sagte er.

Auch Washington hat diese Gruppe offenbar als Hauptverdächtigen im Visier. Ihr Führer ist der Islamist Abu Bakar Baasyir. ...

Es gibt aber auch noch andere Islamisten-Gruppen in Indonesien, die in Verdacht geraten. Da ist zum einen die Gruppe Laskar Dschihad, die durch ihren Kampf gegen die Christen auf den Molukken berüchtigt geworden ist. Ihr Anführer, Jafar Umar Thalib, sitzt wegen seiner Aktivitäten auf den Molukken seit Mai im Gefängnis. Nach Einschätzung des Indonesien-Experten Bernhard Dahm passen Diskotheken als Tatort gut in das Feindbild von Laskar Dschihad oder auch einer anderen radikalen Gruppe, der Front zur Verteidigung des Islam (FPI), die unter Führung von Muhamed Rizieq Shihab steht. ... Andererseits spricht die Perfektion, mit der die Anschläge durchgeführt wurden, eher gegen einen Drahtzieher aus diesen beiden Gruppen. Denn es gilt als zweifelhaft, dass FPI oder Laskar Dschihad über die logistischen und technischen Mittel verfügen, um einen Terroranschlag dieser Größe auszuführen. Damit kommt wieder al-Qaida ins Spiel ...

Angeblich steht die Gruppe Jemaah Islamiyah und ihr Führer Baasyir über einen Mittelsmann namens Hambali mit dem Al-Qaida-Netzwerk von Osama bin Laden in Verbindung, und das bereits seit dem Jahr 1995. Alle drei radikalen Gruppen - Laskar Dschihad, Jemaah Islamyiah und die FPI - sind von der indonesischen Führung in Jakarta bisher keineswegs geächtet worden. Vor nicht allzu langer Zeit empfing der indonesische Vize-Präsident und Führer der muslimischen Partei PPP, Hamzah Haz, noch führende Mitglieder aus allen drei Organisationen. ...


In der taz handelt es sich um einen "Hausgemachten Fundamentalismus" in Indonesien. Sven Hansen schreibt u.a.:

... Indonesien ist in den vergangenen Jahren immer wieder von Gewalt erschüttert worden. Die Ursachen waren oft sozialer Natur, sie äußerten sich jedoch religiös verbrämt. Oder sie standen im Zusammenhang mit Unabhängigkeitsbewegungen und deren Unterdrückung. Das mehrheitlich hinduistische Bali blieb im Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt, dessen Hauptströmung ein toleranter und moderater Islam ist, immer eine Oase des Friedens. Warnten ausländische Regierungen gelegentlich vor Reisen nach Indonesien, so wurde Bali davon stets ausgenommen. Da die Insel vom Tourismus lebt, ist es unwahrscheinlich, dass die Täter von dort kamen und es sich etwa um "normale" Schutzgelderpresser handelte.

Auffällig ist jetzt nicht nur die hohe Zahl westlicher Opfer, sondern auch das Datum. Der 12. Oktober ist der zweite Jahrestag des Selbstmordanschlags auf den US-Zerstörer "USS Cole". Damals starben beim Zusammenstoß eines mit Sprengstoff gefüllten Bootes im jemenitischen Hafen Aden 17 US-Soldaten. Die USA machen dafür die al-Qaida von Ussama bin Laden verantwortlich. Verbindungen von al-Qaida zu indonesischen Islamisten hat die Regierung in Jakarta stets bestritten. In den letzten Wochen hat es jedoch ein Umdenken gegeben. Ausschlaggebend war die Verhaftung des Kuwaiters Omar al-Faruk in Indonesien Anfang Juni. Faruk galt als Einsatzchef al-Qaidas in Südostasien und wurde kurz nach seiner Verhaftung den US-Behörden übergeben. Die verhörten ihn laut dem US-Magazin Time wochenlang auf der afghanischen US-Basis Bagram bei Kabul und brachten ihn durch folterähnliche Methoden wie Schlaf- und Essensentzug dazu, dass er Anfang September auspackte.

Faruks Aussagen führten nicht nur zur vorübergehenden Schließung der US-Botschaft in Jakarta um den Jahrestag des 11. September und zur Verhaftung des ägyptischstämmigen Deutschen Seyam R. in Jakarta am 18. September, der Verbindungen zu al-Qaida haben soll. Faruk bezichtigte laut Time auch den indonesischen Islamgelehrten Abu Bakar Bashir der Verantwortung für Terroranschläge in Indonesien und behauptete, dessen Organisation Dschamaat-i-Islami sei der indonesische Ableger von al-Qaida. Australiens Außenminister Alexander Downer verdächtigte Dschamaat-i-Islami gestern öffentlich des Anschlags auf Bali.

Laut Faruk stand Bashir bereits hinter dem Bombenanschlag auf eine Moschee in Jakarta 1999, mit dem Muslime zum Angriff auf Christen ermuntert werden sollten, und hinter Anschlägen auf Kirchen an Weihnachten 2000, bei denen 18 Menschen starben. Der 64-jährige Bashir, der bei Solo auf Java eine Koranschule führt und dem radikalen Rat der indonesischen Gotteskrieger (MMI) vorsteht, weist die Vorwürfe zurück. Er macht zwar keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Bin Laden und seinem Ziel, in Indonesien einen Gottesstaat zu errichten, was nicht strafbar ist. Aber er habe weder jemals Faruk getroffen noch gebe es eine Organisation namens Dschamaat-i-Islami.

Die Regierungen in Malaysia und Singapur machen Bashir schon länger für geplante Terroranschläge verantwortlich und fordern von Indonesien, wo er unbehelligt lebt, seine Auslieferung. Die US-Regierung will nach Zeitungsberichten Dschamaat-i-Islami auf ihre Liste terroristischer Organisationen setzen, doch wollte sie vorab der Regierung von Megawati Sukarnoputri die Chance geben, selbst gegen Bashir und Dschamaat-i-Islami vorzugehen. Dazu wurde eigens eine hochkarätige Emissärin von Washington nach Jakarta geschickt, die der Regierung Material vorlegte. ...

Die Anschläge dürften den Druck auf Megawati erhöhen, gegen mutmaßliche Al-Quaida-Zellen vorzugehen, und damit Proteste von Islamisten und Menschenrechtlern provozieren. In einem Bericht über Dschamaat-i-Islami und mögliche Verbindungen zu al-Qaida stellt die International Crisis Group fest, dass die Gruppe, die nur als loses Netz beschrieben wird, erst durch die Unterdrückung der Suharto-Diktatur an Stärke gewann und heute viele repektierte Personen einschließt.


In der Hamburger Morgenpost fragte Olaf Wunder: "Bombte El Kaida in Bali?"

Richtig ist zwar, dass die überwiegende Zahl der Menschen im größten moslemischen Staat der Welt eine äußerst moderate Form des Islam praktiziert. Wahr ist aber auch, dass seit den 80er-Jahren der Fundamentalismus langsam, aber sicher an Boden gewinnt. Nicht von ungefähr kam es in den vergangenen Monaten in der indonesischen Hauptstadt Jakarta regelmäßig zu anti-amerikanischen Protesten. Mitglieder radikaler Gruppen zogen in ihrem selbst erklärten Kampf gegen westliche Dekadenz durch Kneipen, um Kunden zu verprügeln oder das Mobilar kurz und klein zu schlagen. Im September schloss die US-Botschaft für eine Woche - aus Angst, zum Angriffsziel Radikaler zu werden.

Indonesiens Nachbarländer fordern von Jakarta schon seit langem ein härteres Vorgehen gegen Mitglieder der Gruppe Jemaah Islamiyah, die aus ganz Südostasien einen einzigen gigantischen islamischen Gottesstaat machen will. Singapur behauptet, Hinweise dafür zu haben, dass Jemaah Islamiyah Teil des Terrornetzwerkes El Kaida ist. Trotzdem nahmen die indonesischen Behörden den mutmaßlichen Führer der Gruppe, Abu Bakar Baschir, bisher nicht fest. Jakarta erklärte immer wieder, es lägen einfach nicht genug Beweise gegen ihn vor. Beobachter sagen voraus, dass die indonesische Regierung im Umgang mit den Islamisten nun eine Kursänderung vollziehen wird. Das wird auch Zeit. Denn spätestens seit sechs Wochen weiß die Regierung, dass Osama bin Ladens El Kaida im Land eine weit größere Rolle spielt, als offiziell bisher eingestanden wurde. Denn Anfang September wurde in Jakarta ein Araber festgenommen, der im Verdacht steht, der Kopf der El Kaida in Südostasien gewesen zu sein. Bemerkenswert an ihm: Er hat einen deutschen Pass. Der Verdächtigte heißt Seyam R., ist 42 Jahre alt und mit einer Deutschen verheiratet. R., der zuletzt im Badischen gemeldet war und sich zeitweise auch Hans K. nannte, gab im Verhör an, als Fernsehjournalist tätig zu sein. In Terroristenkreisen soll er den Kampfnamen "Abu Daud" führen. Was hat dieser Mann in Indonesien geplant? Hat er auch die Anschläge von Bali vorbereitet?
Er selbst bestreitet, terroristische Absichten verfolgt zu haben. Einer seiner ehemaligen Gefolgsleute dagegen hat dem CIA etwas ganz anderes erzählt: Der kuwaitische Staatsbürger Omar el-Faruk, der sich in amerikanischer Gefangenschaft befindet, gestand, er habe gemeinsam mit Seyam R. Anschläge auf die indonesische Präsidentin Megawati Sukarnoputri und auf zahlreiche westliche Botschaften in Jakarta, Kuala Lumpur, Manila und Singapur geplant. ...


In der Schweizer Zeitung "Bieler Tagblatt" schrieb Arne Perras (wir kennen ihn schon von der "Süddeutschen") u.a.:

Ausgerechnet Bali. Lange Zeit hatte man geglaubt, dass diese Insel immun bleiben könnte gegen den religiösen und ethnischen Hass, der das riesige Inselarchipel Indonesien mit seinen mehr als 200 Millionen Einwohnern an vielen Stellen immer wieder auseinander zu reissen droht. Im Norden Sumatras kämpfen islamistische Rebellen noch immer gegen die Zentralmacht Jakartas, die den Aufstand mit brutaler Militärmacht unterdrückt. Radikale Islamisten schüren auf den Molukken und der Insel Sulawesi nach wie vor Spannungen zwischen Muslimen und Christen, auch dort kommt es immer wieder zu blutigen Schlachten zwischen den religiösen Gruppen. Und ganz im Westen, im indonesischen Teil der Insel Neuguinea, verschärfte Jakarta durch eine Mischung aus wirtschaftlicher Ausbeutung und kultureller Arroganz den Widerstand der einheimischen Papua-Bevölkerung.

Die Konflikte wirken wie zentrifugale Kräfte und bedrohen noch immer die fragile Einheit des Inselstaats. Angesichts dieser Turbulenzen blickten viele staunend auf die Insel Bali, die durch ihre hinduistische Prägung ohnehin eine Sonderstellung im überwiegend muslimischen Indonesien einnimmt.
Die so genannte "Insel der Götter" Bali war wie das Auge eines Wirbelsturms, ein ruhender Pol, der kaum aus dem Gleichgewicht zu bringen war. Spielend schien hier auch zu gelingen, was an vielen anderen Orten der Welt kläglich gescheitert ist. Millionen Touristen strömten jedes Jahr ins Land, und man durfte sich wundern, wie viel kulturelle Eigenständigkeit die balinesische Gesellschaft trotz dieser gigantischen Invasion aus Australien, Amerika und Europa noch bewahren konnte. So wurde der Mythos Bali geboren, und er hat sich zunehmend verselbstständigt. ...

Dies hat aber auch dazu geführt, dass man die Welt Balis zuweilen als heiler verkaufte, als sie es gerade in den vergangenen Jahren tatsächlich war. Denn bei aller integrativen Kraft der hinduistischen Lebensart konnte sich die Insel keineswegs völlig abschotten von den sozialen und religiösen Spannungen, die Indonesien an vielen Stellen destabilisieren. Der Druck von Zuwanderern aus anderen Gegenden steigt auch in Bali, und er stösst dort auf zunehmenden Widerstand, aller gepriesenen Toleranz der Balinesen zum Trotz. Geredet wurde darüber nicht gerne, weil Jakarta erhebliche Image-Kratzer für Bali befürchtete. ...


Zurück zur "Terrorismus-Seite"

Zur Indonesien-Seite

Zurück zur Homepage