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Niedergangsschub

Die zehn Jahre nach dem 11. September 2001 bedeuteten weltweit zehn Jahre Krieg. In neueren Büchern zu den Anschlägen auf die USA spielt das kaum eine Rolle

Von Arnold Schölzel *

Publizistisch wurde die Frage »Cui bono? – Wem nützt der 11.September?« rasch entschieden. Der sogenannte Qualitätsjournalismus stellte sie nicht, die von ihm als »Verschwörungstheoretiker« abgetanen Kritiker der offiziellen Darstellungen hatten eine Antwort: Die Attacken lieferten den Vorwand für Kriege, die in Washington fertig vorbereitet waren. Der Feldzug gegen Afghanistan war wenige Stunden nach dem Einsturz des World Trade Center beschlossene Sache, für den Krieg gegen den Irak 2003 bedurfte es allerdings schon einer grotesken Lügenpropaganda.

Zehn Jahre später läßt sich »Cui bono?« so beantworten: Die Anschläge erfüllten ihre Funktion, um Kriegsstimmung zu erzeugen. Militärisch, ökonomisch und politisch ist das, was folgte, ein Desaster – in erster Linie für die überfallenen Länder und ihre Bewohner, für die internationale Sicherheit, aber auch für die USA selbst. Der Nobelpreisträger für Ökonomie Jo­seph Stiglitz wiederholte in einem Beitrag für die Financial Times Deutschland gerade seine Schätzung, daß sich die gesamten Kriegskosten für die USA auf drei bis fünf Billionen Dollar belaufen. Inzwischen seien die Kosten weiter gestiegen, allein für die medizinische und soziale Betreuung der heimgekehrten GIs müßten zusätzlich 600 bis 900 Milliarden Dollar einberechnet werden, die sozialen Kosten, »die sich in Selbsttötungen von Veteranen (über 18 pro Tag in den letzten Jahren) und zerrütteten Familien widerspiegeln«, seien unkalkulierbar.

Faschisierung

Zum zehnten Jahrestag der Angriffe erschienen auch in der Bundesrepublik zahlreiche Bücher, in denen aber die Folgen jenes Tages und seine politische Einordnung zumeist eine untergeordnete Rolle spielen. Nicht wenige Titel sind Überarbeitungen von Publikationen des letzten Jahrzehnts, die einen »inside job«, d.h. die Beteiligung der US-Administration oder eines Teils von ihr an den Anschlägen nahelegen. Darüber hinaus geht das Büchlein des Berliner Friedensforschers Wolfgang Richter »Wer steckte hinter dem Anschlag?« in der Spotless-Reihe des Verlags Das Neue Berlin. Er stellt u.a. die Frage: »Neuer Reichtstagsbrand? Neuer Faschismus?« und trifft damit einen zentralen Punkt. Richter greift eine Analyse des britischen Historikers Robert O. Paxton (»Anatomie des Faschismus«, 2006) auf, der von einer Zäsur »90er Jahre« spricht. Damals sei das Ende des Faschismus »durch eine Reihe von ernüchternden Entwicklungen infrage gestellt« worden. Richter schreibt, der 11. September sei solch eine »ernüchternde Entwicklung«: »Er ist in seiner Konsequenz ein Element der Faschisierung der internationalen Beziehungen durch die Brutalisierung der internationalen Politik auf dem Weg der Pax Americana.«

Auf Indizien für eine interne Verschwörung konzentrieren sich Andreas von Bülow in der Neuauflage seines Buches »Die CIA und der 11. September«, Gerhard Wisnewski in seinem überarbeiteten »Operation 9/11« und auch Paul Schreyer in »Inside 9/11«, ohne die politischen Schlußfolgerungen Richters zu ziehen. Schreyer untersucht die »gescheiterte militärische Luftabwehr am Tag der Anschläge sowie die Abwesenheit der obersten Befehlshaber an jenem Morgen«. Wisnewskis Ausgangspunkt ist, daß selbst US-Behörden Informationen hatten, daß nicht Osama bin Laden der große Drahtzieher war. Von Bülow untermauert erneut seine Auffassung, daß eine Operation dieser Art nicht ohne geheimdienstliche Unterstützung durchzuführen war. Alle diese Arbeiten tragen Indizien zusammen, die den offiziellen Untersuchungsberichten widersprechen oder dort nicht berücksichtigt wurden. Das ist im einzelnen plausibel, dennoch bleibt der Neuigkeitswert gering – das »rauchende Gewehr« hat keiner der Autoren anzubieten.

Flächenbrand

Einen anderen Weg schlägt Marcus B. Klöckner mit »9/11. Der Kampf um die Wahrheit« ein. Bei seinem Buch handelt es sich um eine informative Studie, wie sich aus anfangs leisen Zweifeln an der Washingtoner Version der Anschläge eine breite »Wahrheitsbewegung« in den USA und weltweit gebildet hat, er nennt es einen »Wahrheitsflächenbrand«. Klöckner stellt die Akteure dieser Bewegung, ihre Auffassungen und Aktivitäten sachlich und akribisch vor, widmet sich einzelnen Gruppierungen wie den »Architekten und Ingenieuren für 9/11-Wahrheit«, die z. B. technische und physikalische Merkwürdigkeiten beim Einsturz der Türme in New York untersuchen, sowie 9/11-Skeptikern in anderen Ländern. Er setzt sich mit der Verwendung des Kampfbegriffs »Verschwörungstheorie« in den Leitmedien auseinander und analysiert ausführlich an konkreten Beispielen, wie im deutschen Mainstream Zweifel mit »Wahn«, »Antiamerikanismus« oder »Antisemitismus« abgebügelt werden.

Es bleibt der Eindruck: Die Gegenöffentlichkeit zum 11. September hat sich zwar, wie Klöckner schreibt, »in der Mitte der Bevölkerung etabliert«, publizistisch stagniert sie aber. Die Konsequenzen jenes Tages treten dafür um so stärker in den Vordergrund. Die indische Autorin Arundhati Roy sagt es in der Zeit so: »Es war der Beginn des Untergangs des amerikanischen Imperiums, der im Augenblick schneller und schneller voranschreitet.« Wenn das mehr als eine Hoffnung ist, könnten auch neue Fakten zum 11. September zutage kommen. Entscheidend ist das nicht.

  • Wolfgang Richter: Wer steckte hinter dem Anschlag? Fragen zum 11.September 2001 und den Folgen. Spotless, Berlin 2011, 92 Seiten, 5,95 Euro
  • Andreas von Bülow: Die CIA und der 11. September. Internationaler Terror und die Rolle der Geheimdienste. Piper Verlag, München/Zürich 2011, 331 Seiten, 9,95 Euro
  • Paul Schreyer: Inside 9/11. Neue Fakten und Hintergründe zehn Jahre danach. Kai Homilius Verlag, Werder 2011, 119 Seiten, 8,80 Euro
  • Gerhard Wisnewski: Operation 9/11. Der Wahrheit auf der Spur. Knaur Taschenbuch Verlag, München 2011, 480 Seiten, 12,99 Euro
  • Marcus B. Klöckner: 9/11. Der Kampf um die Wahrheit. Heise Zeitschriften Verlag, Hannover 2011, 205 Seiten, 16,90 Euro
* Aus: junge Welt, 10. September 2011


Viele ungeklärte Fragen

Die Angst vor dem Einsturz eines wohlbehüteten und bequemen Weltbilds

Von Matthias Reichelt **


Nicht irgendwelche Theorien über die Hintergründe der Terrorangriffe am 11. September 2001 sind das Problem, sondern die Geheimhaltung zahlreicher Dokumente, die Nichtbefragung von Zeugen, die Nichtfreigabe von Filmmaterial und letztendlich die offizielle Version der US-Regierung, die an allen Ecken und Enden Widersprüche erkennen läßt. Sehr überzeugend charakterisieren die beiden Autoren, Mathias Bröckers und Christian C. Walther, in ihrem neuen und sehr empfehlenswerten Buch mit dem Untertitel »Der Einsturz eines Lügengebäudes« das Märchen von Osama bin Laden und seinen 19 mit Teppichmessern bewaffneten Hijackern als Verschwörungstheorie, die keiner Überprüfung standhält.

In 38 Kapiteln behandeln die Autoren minutiös die Ungereimtheiten, Ermittlungsfehler und -versäumnisse der Behörden und die offenen Fragen, die auch zehn Jahre danach noch einer Untersuchung harren. Denn der Ende 2002 gegen massive Widerstände in der Bush-Adminstration und maßgeblich auf Druck von Opferangehörigen durchgesetzte Untersuchungsausschuß hat in seinem 2004 veröffentlichten Abschlußbericht viele Fragen nicht beantwortet und wesentliche Fragen erst gar nicht gestellt. Die entstandene Verwirrung bei der militärischen und zivilen Luftraumüberwachung wegen der terroristischen Angriffe am 11.September und der vom 9. bis 11. September stattfindenden Militärübungen »Vigilant Warrior« und »Vigilant Guardian« mit der Simulation von Flugzeugentführungen hatte verheerenderweise ein komplettes Versagen der Flugabwehr sogar über dem bestgeschützten Gebäude der Welt, dem Pentagon, zur Folge. Neben dem Einsatz echter Flugzeuge, die auf den Radarschirmen angezeigt wurden, waren auch Signale der simulierten Flüge auf den Schirmen sichtbar, die spätestens nach dem ersten Einschlag zu einer »entwaffnenden« Konfusion bei den Behörden führten. Hinzu kam das Ausbleiben eines Befehls, Abfangjäger aufsteigen zu lassen. Üblicherweise hatte der jeweils diensthabende Offizier die Hoheit über diesen Befehl. Dieses Procedere war aber acht Wochen zuvor geändert und in die Hände von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gelegt worden. Dieser ließ sich offenbar auch nach Bekanntwerden des ersten Einschlags durch nichts aus der Ruhe bringen und setzte sein Tagesprogramm bis zum Einschlag eines »Flugobjekts« im Pentagon weiter fort.

Das klingt alles unglaublich und ist doch nur ein kleiner Teil aller Ungereimtheiten und Widersprüche, die einer dringenden Klärung bedürfen. Auch die Frage der Finanzierung der Angriffe ist nach wie vor unklar. Der Kommissionsbericht schätzt die Kosten auf 500000 US-Dollar, hat aber keinerlei Erklärung über Quellen und Geldfluß. Überhaupt war die Kommission von vorneherein nicht ausreichend mit Kompetenzen ausgestattet. Fragen stellen durfte sie, aber keine Antworten erzwingen. Viele Zeugen bekamen kein Aussagerecht. Die Verhörprotokolle des 183mal des Waterboarding unterzogenen und in Guantánamo inhaftierten Khalid Scheich Mohammeds blieben der Kommission ebenso verschlossen, wie es ihr verwehrt war, den Zeugen selbst oder die »Verhörenden« zu befragen. Nur gefilterte Berichte bekam sie zu sehen. Dennoch beruhen ca. 40 Prozent aller Quellenangaben im Kommissionsbericht auf seinen unter Folter gemachten Aussagen. »Wir waren zum Versagen verurteilt«, lautete das ernüchternde Resümee der Kommissionsvorsitzenden, die Senatoren Thomas Kean und Lee H. Hamilton, die nicht gerade als Skeptiker gegenüber der offiziellen Version bekannt waren.

Zahlreiche Vorkommnisse vor »9/11«, wie das unbehinderte Einreisen von »registrierten« und seit 1998 unter Beobachtung stehenden Terrorismusverdächtigen mit offiziellen Kontakten zu Diplomaten, wurden nicht genauer untersucht. Die Dolmetscherin Sibel Edmonds, nach den September-Anschlägen vom FBI eingestellt, stieß bei der Übersetzung von abgehörten Gesprächen im Vorfeld des »9/11« auf einen Coup mit Personen der Geheimdienste aus der Türkei, Israel, Pakistan und den USA. Keiner ihrer Vorgesetzten wollte dem nachgehen. Als sie sich an immer höhere Dienststellen wandte, wurde sie im März 2002 mit einem Schweigegebot entlassen.

Ohne eine eigene Theorie in den Vordergrund zu stellen, die die Autoren sich für ihr Nachwort vorbehalten, befassen sie sich sehr faktenreich mit den Widersprüchen und Defiziten der offiziellen Version und listen am Ende jedes Kapitels die vorzuladenden Zeugen und Involvierten für eine neue Untersuchung auf.

Nachdem das Buch wider Erwarten im ARD-Magazin »Titel, Thesen, Temperamente« eine positive Behandlung erfuhr, regte sich in der FAZ Raphael Gross in völliger Unkenntnis des Buches auf und schwang die bekannten Keulen, mit denen im gegenwärtigen Klima Denkverbote ausgesprochen werden: Verschwörungstheorie, Antiamerikanismus und Antisemitismus. Wie der Vorwurf des Antisemitismus als Herrschaftsinstrument in Israel und auch in Deutschland funktionalisiert wird, hat Moshe Zuckermann im vergangenen Jahr in seinem gleichnamigen Buch nachgewiesen. Dieser Vorwurf wird an allen Fronten eingesetzt, so auch gegen alle, die Zweifel an der offiziellen »9/11«-Version hegen.

Es ist gut, daß Mathias Bröckers sich ein dickes Fell zugelegt hat. Der Publizist Henryk M. Broder hatte ihn schon gleich am 14. September 2001 öffentlich pathologisiert und insgeheim gehofft, daß Bröckers eines Tages als Fettfleck an einer Hochhauswand enden werde. Die Vermeidungsstrategien aus Angst, daß das eigene und wohlbehütete Weltbild vom Einsturz gefährdet sein könnte, werden auf die Dauer nichts nützen. In den USA ist das Heer der Skeptiker größer. In vielen Berufsgruppen– Feuerwehr, Ingenieure, Architekten, Statiker – haben sich Fachleute zu Verbänden zusammengeschlossen und kämpfen für eine neue Untersuchung.

In Folge der offiziellen »9/11«-Version wurden zwei Kriege geführt, die mehrere hunderttausend Tote verursachten. Gründe genug, eine neue Untersuchung zu fordern.

Mathias Bröckers, Christian C. Walther: 11.9. Zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes. 320 Seiten, Westend Verlag, 16,99 €

** Aus: junge Welt, 10. September 2011


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