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9/11 und ein verlorenes Land

Die Terroranschläge in den USA und die noch immer fragwürdigen Geschichten von Osama und den 19 Mördern

Von René Heilig *

Vorbemerkung des "Neuen Deutschland" zum Start einer ND-Serie zum 11. September 2011
Der 11. September 2001 ist mit keiner anderen politischen Gewalttat vergleichbar. Nicht nur wegen der Anzahl von fast 3000 ermordeten Menschen. Die Vereinigten Staaten von Amerika – die stärkste Macht auf Erden, politischer Wegweiser der westlichen Welt, ökonomischer Gigant, militärischer Riese – waren zum ersten Mal nach dem Bürgerkrieg (140 Jahre zuvor) auf dem eigenen Territorium angegriffen und zumindest psychologisch schwer verwundet worden. Nichts konnte die USA mehr treffen und große Teile der Welt mehr in Angst und Schrecken versetzen als die immer und immer wieder gezeigten Bilder der brennenden und einstürzenden Türme des World Trade Centers in New York. Hinzu kommt die Attacke auf das Verteidigungsministerium, von dem aus die mächtigste Armee der Welt befehligt wird, die plötzlich so hilf- wie sinnlos schien. Die Schockwellen des Anschlages halten an, entladen sich in von den USA angezettelten Kriegen, in denen auch Deutsche töten. Es häufen sich weltweit Anschläge vermeintlich Schwächerer. Toleranz und Wille zur Verständigung ersticken im Kampf ideologischer und politischer Ansichten. Angst und Misstrauen wurden zu alltäglichen Begleitern, Gesetze sind verschärft und Bürgerrechte kassiert.
Die Informationen über »9/11« – wahre, falsche, erlogene – sind so zahlreich, dass gerade diese Üppigkeit uns von der Wahrheit entfernt. Sicher ist: Die gewohnte »Weltzeit« endete um 8 Uhr 46 und 26 Sekunden. Anmerkungen – einen Monat vor offiziellen Gedenkreden – von René Heilig.


Ich habe meinen Mann verloren, aber ich habe auch mein Land verloren«, sagte Kristen Breitweiser. Die Frau und Mutter – heute knapp 40 Jahre alt – trug dabei zwei Eheringe: ihren eigenen links, einen zweiten rechts. Der gehörte ihrem Ehemann Ron und wurde ihr im Oktober 2001 vom New York Police Department übergeben, nachdem man eine abgerissene Hand in den Trümmern des New Yorker Word Trade Centers gefunden hatte. Mehr blieb nicht von Ron nach den Attacken vom 11. September 2001.

»Mir geht's gut, keine Sorge«, hatte ihr Ron – Vizepräsident des Bankhauses Fiduciary Trust – am Telefon versichert. Da sah er schon den Nordturm der Twin-Towers brennen. Um 9.03 Uhr jagte das zweite Flugzeug in den Südturm des World Trade Centers, wo er im 94. Stock sein Büro hatte. Kristen sah den Moment seines Todes im Frühstücks-TV mit an. So wie Millionen andere den Tod ihrer Landsleute hilflos hinnehmen mussten. Erst nach Monaten gestand sich Kristen ein, »dass mein Mann nie mehr zurückkommen wird«.

Alle Untersuchungen beendet – wirklich?

Es ist unter anderem dieser mutigen Frau und anderen am 11. September 2001 zu Witwen gemachten zu danken, dass die US-Administration zumindest einige seltsame Wahrheiten zum Geschehen vor und nach den Anschlägen offenbaren musste. Zu keinem Zeitpunkt hat sich jedoch ein zuständiges Gericht mit der Frage befasst, warum die Menschen sterben mussten, wer die Verantwortung dafür trägt, dass islamistische Fanatiker so grausam zuschlagen konnten. Weltweit zu hören ist die Forderung nach einer unabhängigen Untersuchung.

Doch seit nunmehr fast zehn Jahren haben Lügner und Verschwörungstheoretiker die Macht der Deutung. Statt gesicherter Erkenntnisse also nur Theorien. Wie sollte es anders sein, wenn nur die Folgen der Tat gewiss sind. Offiziell sind die staatlichen Untersuchungen zu 9/11 jedoch beendet. Die USA gaben am 22. Juli 2004 den Untersuchungsbericht frei. Geleitet wurde die Untersuchung von einer Kommission, der je fünf Abgeordnete der Demokraten und Republikaner angehörten. Das Material ist eindrucksvoll: 2,5 Millionen Seiten mit Dokumenten, über 1200 Interviews, rund 1000 Stunden Audioprotokolle haben die 80 Mitarbeiter der Kommission zusammengetragen, 19 Hearings mit 160 Zeugen gab es. Und doch: Der lediglich teilweise publizierte Bericht ist – so das Urteil neutraler Experten– schlampig recherchiert, von Interessen gelenkt. Er stützt die offizielle Version der damaligen Regierung Bush: Die Anschläge seien unter der Führung von Osama bin Laden und Khalid Sheikh Mohammed geplant worden. 19 Attentäter des Terrornetzwerkes Al-Qaida führten die Mordtaten aus und benutzten dazu vier Linienfugzeuge als kerosingefüllte Bomben. Zugleich übt der Bericht Kritik an den US-Geheimdiensten. Deren Versäumnisse hätten es den Terroristen erst erlaubt, die Anschläge auszuüben, die hätten verhindert werden können. Die Formel lautet also: 9/11 = Osama bin Laden. Osama bin Laden ist nach gut neunjähriger Hatz bei einem Einsatz von US-Spezialtruppen in Pakistan hingerichtet und im Meer versenkt worden. Der Gerechtigkeit ist genüge getan.

Vielleicht stimmt das ja in den Augen Betroffener. Irgendwie ... Doch was ist mit der Wahrheit? Zu viele Ungereimtheiten über Täter und Motive sowie über die Reaktionen der USA sind in der Welt. Einige wenige Beispiele.

Bush hörte sich Ziegengeschichten an

Die meisten Menschen wissen noch, wo und wie sie die Nachricht von diesem spektakulären Angriff auf die Supermacht USA ereilte. Ich war in Wiesbaden, nahe dem Bahnhof. Vor einem Schaufenster liefen Menschen zusammen. Ihre Gesichter zeigten zunächst Fassungslosigkeit, dann Entsetzen. Viele konnten die Tränen nicht stoppen, suchten Halt bei anderen Betrachtern des Infernos. Mich leitete – wie tausende Kollegen – bald schon journalistische Pflicht in schützende Rationalität. Da war unter anderem zu berichten über das Pflichtverständnis des ersten Mannes Amerikas.

Präsident George W. Bush jun. besuchte an jenem 11. September die Emma-Booker-Grundschule im US-Bundes(sonnen)staat Florida. Er wollte Stimmung machen für die Wiederwahl seines Bruders Jeb als Gouverneur. Bei seiner Ankunft vor der Schule in Saratoga – es war kurz vor 9 Uhr – erfuhr er von dem bis dahin noch vermuteten Absturz einer Linienmaschine in den Nordturm des Trade Centers. Er unternahm nichts. Dann raste der zweite Jet in den Südturm. Der Stabschef des Weißen Hauses, Andrew Card flüsterte dem Präsidenten zu: »America is under attack!« Bush lauschte weiter den Ziegengeschichten, die ihm die Grundschüler vorlasen. Um 9.29 Uhr erst meldete sich der Präsident zu Wort. Nichtssagend.

Doch nicht nur Bush blieb faktisch untätig. Außenminister Colin Powell, erfahrener US-General und vermutlich gerade deshalb ein Gegengewicht zum (nicht erreichbaren, doch im Büro anwesenden) erzkonservativen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, war in Peru. Nicht erreichbar war auch General Hugh Shelton, Chef der Vereinigten Stabschefs der Streitkräfte. Er flog gerade zu einer NATO-Tagung. Umsonst suchte man den Chef der Sicherheitsabteilung der US-Luftfahrtbehörde FAA, General Michael Canavan.

Sie alle fielen aus im Befehlsgefüge, das möglicherweise die Angriffe hätten stoppen können. Auch wenn man sich bemüht, mit der gebotenen Genauigkeit zu ergründen, warum nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, die entführten Maschinen abzufangen, bleibt das Versagen der US-Luftverteidigung rätselhaft. Oder verdächtig, wie viele meinen.

Nur einer war in den angegriffenen USA jederzeit »an Deck«: Vizepräsident Dick Cheney, der Falke von Washington, regierte aus dem Befehlsbunker. Wider die Regeln der Verfassung. Wie regierte er? Übersah er das Geschehen – möglicherweise in der doppelten Bedeutung des Wortes? Man weiß kaum etwas darüber, wie er den unmittelbaren Gegenschlag organisierte, doch noch immer sterben auf dieser Grundlage Menschen in Afghanistan und anderenorts.

Bei all den Pannen jener Stunden ist es schon erstaunlich, wie schnell US-Geheimdienste die Täter benennen konnten, die angeblich von Osama bin Laden gegen die Ungläubigen ausgeschickt wurden. Mohammed Atta war danach der Anführer der 19 Terrorselbstmörder. Sein letzter Tag des Lebens begann am 11. September 2001 um 4 Uhr in einem drittklassigen Hotel. Am Vortage war er aus Boston nach Portland gereist. Warum? Nicht einmal das FBI, das jede Minute und jede Bewegung Attas in den USA rekonstruiert haben will, kann die Frage beantworten. Atta flog, kaum angekommen, wieder zurück nach Boston, um Flug 11 von Amercan Airlines nach LA zu erreichen. Die dann entführte Todes-Boeing 767 krachte als erste in die Twin-Towers. Am Steuer soll »Pilot« Atta gesessen haben.

Wie kam man ihm – und den anderen islamistischen Verschwörern – so schnell auf die Spur? Die angeblich total geheim operierenden Terroristen hinterließen Spuren, die man einfach nicht übersehen konnte. Beim Umladen blieb beispielsweise Attas Koffer – so wie der seines Mitverschwörers Abdulaziz al-Omari – in Boston stehen. Und, oh Wunder, er enthielt so viele Hinweise auf Täter und Tat: Attas Testament, einen Pilotencomputer, Instruktionen für einen Flugsimulator, Lehrvideos zum Führen einer Boeing 747 und einer 757. Sogar seine Meldebescheinigung aus Hamburg-Harburg, wo er an der TU studiert hatte, fand sich samt Prüfungsergebnissen der deutschen Universität. Sollte der streng gläubige Atta, der sich – wider die Gebote seiner Religion – durch Saufen und andere westliche Eskapaden vollendet getarnt hatte, so unvorsichtig gewesen sein und Beweise gegen sich und seine Terrorzelle herumgetragen haben?

Möglich, denn auch andere Mitverschwörer waren so unbedarft. Marwan Al-Shehis – angeblich Todespilot von United Airlines, Flug 175 – ließ am Bostoner Flughafen in seinem Mietwagen die Adresse der Flugschule zurück, die er und Atta in Florida besucht hatten, um kleine Sportflugzeuge steuern zu lernen. Im Papierkorb seines Hotels fanden sich Handbücher einer Boeing 757. Klar, die brauchte er nicht, auch er steuerte eine 767.

Ziad Jarrah, Chef der Viererbande, die Flug United Airlines 93 nahezu trümmerlos in einen Acker in Pennsylvania gesteuert haben soll, hinterließ seiner Verlobten in Bochum einen Abschiedsbrief mit zahlreichen beigefügten Dokumenten. Nur schickte er das Paket an die falsche Adresse, so kam es mit dem Vermerk »Absender unbekannt« zurück – in die Hände des FBI. Derartige Fehler der angeblichen Top-Terroristen, die aussehen wie für Ermittler gemacht, finden sich dutzendfach in den Untersuchungsberichten. Sie nähren Zweifel an der offiziellen Version der US-Regierung. Wer redet, wird mundtot gemacht

Zweifelhaft ist auch deren Umgang mit Zeugen und Dokumenten, die die Rolle von US-Geheimdiensten vor und nach dem grausamen Geschehen beleuchten könnten. Vor einem Jahr erschien in den USA ein Buch über eine Gemeinschaftsoperation des Pentagon-Geheimdienstes DIA und des Special Operations Command des Militärs namens »Able Danger«. Autor war der wegen offensichtlich konstruierter Verfehlungen gefeuerte Oberstleutnant Anthony Shafter. Er hat an dem 1999 gestarteten Programm zur Aufklärung und Unterwanderung des Terrornetzwerkes Al Qaida mitgearbeitet und behauptet, dass Mohammed Atta lange vor den Anschlägen als Terrorist bekannt war. Auf einem Diagramm zur sogenannten Brooklyn-Zelle habe bereits im Jahr 2000 sein Foto ebenso geprangt wie die der Mitattentäter Marwan Al-Shehhi, Khalid Al-Midhar und Nawaf Al-Hazmi. Kollegen von Shafter erinnerten sich gleichfalls.

Alles Geschwätz, nichts dran, sagte die Regierung und wusste auch nichts von einer einschlägigen Kooperation von DIA und CIA. Fantasiegeschichten? Warum kaufte das Pentagon dann die komplette Auflage des Buches auf? Die Daten von »Able Danger« sind gelöscht – in Übereinstimmung mit den Vorschriften, sagt das Pentagon.

»Wir müssen die Wahrheit über den Terror aussprechen. Lasst uns niemals frevelhafte Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September tolerieren, boshafte Lügen, die bezwecken, die Schuld von den Terroristen selbst abzulenken, weg von den Schuldigen.« Worte, gesprochen von Georg W. Bush, damaliger Präsident der USA, vor der UN-Vollversammlung am 10. November 2001.

In den Geschichtsbüchern

So steht es in den offiziellen Geschichtsbüchern zum 11. September 2001, einem Dienstag: Vier Verkehrsflugzeuge wurden von jeweils fünf, eines von vier Tätern, zwischen 8.10 Uhr und etwa 9.30 Uhr Ortszeit auf Inlandsflügen entführt. Die Täter lenkten zwei davon (Flug American Airlines 11 und United Airlines 175) in die Türme des World Trade Centers in New York City und eines (Flug American Airlines 77) in das Pentagon bei Washington D.C. Das vierte Flugzeug (Flug United Airlines 93), wahrscheinlich mit einem weiteren Anschlagsziel in Washington D.C., brachten die Entführer während Kämpfen mit Passagieren um 10.03 Uhr über dem Ort Shanksville zum Absturz.

Als die 19 Flugzeugentführer werden genannt: American-Airlines-Flug 11: Mohammed Atta (Pilot), Abdul al Omari, Satam al Suquami, Wail al Shehri, Waleed al Sherhri; United-Airlines-Flug 175: Marwan Al-Shehhi (Pilot), Fayez Banihammad, Mohand al Shehri, Ahmed al Ghamdi, Hamza al Ghamdi; American-Airlines-Flug 77: Hani Handschur (Pilot), Khalid al Mihdhar, Majid Moqed, Nawaf al Hazmi, Salem al Hazmi; United-Airlines-Flug 93: Ziad Jarrah (Pilot), Saeed al Ghamdi, Ahmed al Nami, Ahmed al Haznawis. Die Täter gehörten zur islamistischen Terrororganisation Al Qaida, deren Begründer und Führer Osama bin Laden die Planung der Anschläge zunächst abstritt, später aber angeblich zugab. Die USA leiteten aus den Anschlägen Anfang Oktober 2001 die Berechtigung zum Krieg in Afghanistan ab und begründeten auch den im März 2003 begonnenen Irak-Krieg mit der notwendigen Bekämpfung des islamistischen Terrorismus.

* Aus: Neues Deutschland, 11. August 2011


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