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"Kluge Bomben" dürfen fallen

In Costa Ricas Hauptstadt San José beginnt am Dienstag die 5. Staatenkonferenz zur Konvention über die Ächtung von Streumunition

Von Wolfgang Kötter *

Erfolg der Zivilgesellschaft

Das seit dem 1. August 2010 völkerrechtlich verbindliche Abkommen, ist der jüngste multilaterale Abrüstungsvertrag und einer der größten Erfolge für die Internationale Kampagne gegen Streumunition (Cluster Munition Coalition - CMC). Weil die Lobby von Bombenproduzenten, Waffenhändlern und Militärs Fortschritte in den traditionellen Verhandlungsgremien jahrelang blockierte, verbündete sich die Kampagne mit abrüstungswilligen Staaten. Gemeinsam mit Norwegen, Neuseeland, Österreich, Peru und Mexiko begannen sie im Februar 2007 den "Oslo-Prozess". Nach weiteren Treffen in Lima, Wien, Wellington und den abschließenden Vertragsverhandlungen in Dublin wurde der Vertrag im Dezember 2008 in Oslo unterzeichnet. Ebenso wie der Ottawa-Vertrag zum Verbot von Anti-Personenminen von 1997 und der 2013 unterzeichnete weltweite Waffenhandelsvertrag ist das Verbot von Streumunition nicht zuletzt den engagierten Aktivitäten der Zivilgesellschaft in der ganzen Welt zu verdanken.

Weitgehende Vertragsverpflichtungen

Bei der Konferenz in Costa Rica werden die Mitgliedsstaaten des Oslo-Vertrags dessen Stand diskutieren – und auch, welche Probleme es aktuell gibt. Alle Mitglieder haben sich verpflichtet, Streumunition nicht einzusetzen, zu entwickeln, zu produzieren, anzuschaffen, weiterzugeben oder zu lagern. Sämtliche vorhandenen Bestände müssen innerhalb von 8 Jahren zerstört werden, und zwar so, dass keine gesundheitlichen Schäden auftreten und auch der Umweltschutz beachtet wird. Blindgänger sollten nach 10 Jahren geräumt und vernichtet sein. Notfalls können die Frist aber auch verlängert werden. Weitgehende Bestimmungen regeln Räumpflichten, Unterstützung der betroffenen Länder und die Opferhilfe sowohl für die betroffenen Einzelpersonen als auch ihre Angehörigen und Familien. Die Vertragsstaaten müssen medizinische Versorgung, physische Rehabilitation, finanzielle, soziale und psychologische Unterstützung der Leidtragenden gewähren. Darüber hinaus enthält der Text eine detaillierte Liste mit konkreten Aktionen, um den Opfern zu helfen. Bisher haben 113 Staaten das Abkommen unterschrieben. In Kraft getreten ist es nach der Ratifizierung für 84 von ihnen. Es fehlen allerdings einige der größten Produzenten von Streumunition wie Ägypten, Brasilien, China, Indien, Israel, Südkorea, Russland und die USA.

Oftmals unschuldige Opfer der heimtückischen Waffen

Streumunition ist ein Waffensystem, das seiner beabsichtigten Funktion nach über einem Zielgebiet eine Vielzahl von kleineren Sprengsätzen freisetzt, sogenannte Submunition oder "Bomblets". Sie wird aus Flugzeugen abgeworfen, aber auch mit Raketen oder Geschützen verschossen. In einer gewissen Höhe öffnet sich die Bombe oder die Rakete und setzt je nach Typ mehr als 200 kleinere Sprengsätze frei, deren Füllung wiederum aus Splittergeschossen oder Minen bestehen kann. Jede Submunition hat etwa die Größe einer Getränkedose. Einige Modelle fahren einen kleinen Fallschirm aus, der zur Stabilisierung dient und sicherstellt, dass die Munition mit dem Vorsprung nach unten aufkommt. Wegen der hohen Explosivkraft der Munition und ihrer flexiblen Einsetzbarkeit können unterschiedliche Ziele bekämpft werden: Feindliche Truppen, Geschützstellungen, Panzer und Fahrzeuge. Streumunition verteilt innerhalb kurzer Zeit enorme Mengen an Sprengkörpern über Flächen, die sich von der Größe einiger Fußballfelder bis zu mehreren Hundert Hektar erstrecken können. Manche explodieren beim Aufprall auf gegnerische Ziele oder auf den Erdboden, oft jedoch funktioniert dies durch eine dichte Vegetation oder weichen Untergrund zunächst nicht.

Bei einer Blindgängerquote von bis zu 40 Prozent verwandelt sich Cluster-Munition dann zu Landminen, die ganze Landstriche verseuchen und willkürlich Menschen töten oder verstümmeln, die in den betroffenen Gebieten leben oder arbeiten. Besonders häufige Opfer sind Hirten, Bauern oder Feuerholz sammelnde Frauen und spielende Kinder. Weil die sehr zahlreichen explosiven Überreste oft klein und empfindlich sind, können sie von Kindern leicht mit Spielzeug verwechselt oder unbeabsichtigt ausgelöst werden. Schätzungen zufolge wurden Weltweit insgesamt 55.000 Menschen Opfer von Streumunition. Allein im vergangenen Jahr wurden 1.038 Opfer von Streubomben bekannt, davon 1.001 in Syrien.

Zuletzt wurden Streubomben Informationen von humanen Hilfsorganisationen zufolge im gegenwärtigen Bürgerkrieg in Syrien, in Südsudan und im Ukraine-Konflikt angewendet. Auch im Libanonkrieg Israels vom Sommer 2006, im Kaukasuskonflikt 2008 und 2010 in Jemen war Streumunition eingesetzt worden. Die Organisation „Handicap International“ ist seit dem Sommer 2012 im Libanon, in Jordanien und seit Anfang 2013 auch in Syrien selbst für die Opfer des syrischen Konfliktes im Einsatz. Die Organisation hat zahlreiche Risikoaufklärungsaktivitäten durchgeführt, um die syrischen Flüchtlinge über die Gefahren von Streubomben und nicht explodierten Kriegsresten zu sensibilisieren. Über 140 Länder haben den Einsatz von Streubomben in Syrien verurteilt, darunter auch dutzende Nicht-Mitgliedstaaten, wie etwa die USA. Der internationale Protest gegen den Einsatz dieser Waffen zeigt, dass die Oslo-Konvention als weithin anerkannte internationale Norm gilt – auch für die Länder, die dem Vertrag nicht beigetreten sind, wie in diesem Fall Syrien.

Fortschritte bei der Vertragsumsetzung

Es gibt weitere positive Entwicklungen. Nach Angaben des soeben veröffentlichten jährlichen Berichts über die weltweite Einhaltung der Oslo- Konvention, dem „Cluster Munition Monitor 2014“, konnten im Jahr 2013 130.380 Streubomben und über 24 Mio. Submunition vernichtet werden, u.a. in Deutschland, Frankreich, Italien und Japan. Insgesamt zerstörten bisher 22 Staaten 1,6 Mio. Streubomben und über 140 Mio. Submunition, das sind 80 Prozent ihrer Arsenale an Streubomben und 78 Prozent an Submunition. Neue Staaten, die durch Streubomben belastet sind, darunter der Tschad und der Irak, ratifizierten die Oslo-Konvention im vergangenen Jahr. 26 Länder und Territorien sind zwar noch immer durch diese Waffen verseucht und in weiteren 15 werden Munitionsrückstände vermutet, aber die Dekontaminierung macht rasche Fortschritte. So wurden im vergangenen Jahr etwa 31 km² Land von 54.000 Stück Streumunition gesäubert. Die Mehrheit der Streubombenopfer lebt heute in Vertragsstaaten, die sich damit verpflichten, den Opfern die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Diese Erfolge unterstreichen die Wichtigkeit, sich weiter gegen diese Waffen einzusetzen, damit die Fortschritte sich in den kommenden Jahren festigen.

Verhängnisvolle Ausnahmen und Schlupflöcher

Trotz des Verbots ist die Entwicklung und Produktion neuer Bombentypen allerdings nicht ausgeschlossen. Hinter dem Beharren auf den "klugen Bomben" stecken nach Ansicht der Kritiker handfeste wirtschaftliche Interessen. Dass diese weiterhin erlaubt bleiben, trifft wie auch einige andere inkonsequente Regelungen zu recht auf Kritik. So sind bestimmte Arten von High-Tech-Munition vom Verbot ausgenommen, z.B. sensorengesteuerte Punktzielmunition, mit elektronischen Selbstzerstörungs- und Deaktivierungseinrichtungen ausgerüstete Streuminen wie auch Dispenserwaffen, mit denen Streumunition verschossen werden kann. Die Internationale Kampagne für das Verbot von Streumunition fordert die Anwendung einer effektorientierten Definition. Das heißt, Waffen, die wie Streumunition wirken, sollen als verboten gelten, ungeachtet der technischen Eigenschaften, die sie aufweisen. Die Nachweispflicht, dass Waffen keine Wirkungsmerkmale von Streumunition aufweisen, soll bei den Staaten, also den Herstellern und Anwendern, liegen.

* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - in: neues deutschland, Montag 1. September 2014.


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