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Intelligente Streumunition streut nicht - basta!

Rüstungskonzern Diehl lässt gerichtlich feststellen, dass er keine "Streumunition" produziert - Dokumentation eines Lehrstücks in Sachen Pressefreiheit

Waffenproduzenten sind äußerst sensibel - vor allem wenn es um ihre eigenen Produkte geht. Die Nürnberger Rüstungsfirma Diehl will nicht, dass ihr neues Produkt, SMArt 155, als "Streubombe" bezeichnet wird. Streubomben sind nämlich seit dem Osloer Vertrag verboten, und Diehl hält sich an das gültige Recht. Als ein freier Journalist aus Regensburg das innovative Produkt im vergangenen Jahr dennoch weiterhin als "Streubombe" klassifizierte, ging Diehl vor Gericht. SMArt 155 sei keine Streumunition, sondern "Punktzielmunition". Das Landgericht München I entschied am Montag, 2. März, in Form eines Vergleichs: Der Journalist darf die Behauptung, es handle sich um Streumunition, nicht mehr wiederholen, dafür zieht Diehl seine Klage zurück.
Im Folgenden rekonstruieren wir den interessanten Hergang an Hand einiger Artikel und Stellungnahmen, nämlich:


Streumunition aus Nürnberg

Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung? Rüstungskonzern klagt gegen einen Journalisten

Von Fabian Lambeck *


Ein Regensburger Journalist muss sich seit gestern vor Gericht verantworten. Er hatte in einer Kolumne geschrieben, der bayerische Rüstungskonzern Diehl produziere Streumunition.

Streubomben gelten als heimtückische Killer. Sie bestehen aus einem Metallmantel, der bis zu 2000 Bomblets oder Submunitionen enthält. Das Funktionsprinzip ist denkbar einfach: Kurz über dem Boden öffnet sich der Behälter, und die zahlreichen Minibomben verteilen sich. Ein großer Nachteil dieser Technik ist die hohe Blindgängerquote. Bis zu 25 Prozent dieser Bomblets explodieren nicht und stellen noch Jahre nach Abwurf eine Gefahr für die Zivilbevölkerung dar. Egal ob Kosovo, Libanon oder Irak: Überall dort, wo diese Bomben zum Einsatz kamen, zerfetzt es noch heute tagtäglich Kinder, die die kleinen Bömbchen für Spielzeug halten.

Bis vor Kurzem zählte auch der Nürnberger Rüstungskonzern Diehl zu den Produzenten dieser heimtückischen Munition. Doch die Zeiten haben sich geändert - auch für die Firma Diehl. Denn im Dezember 2008 unterzeichneten beinahe einhundert Staaten den Vertrag von Oslo, der ein Verbot von Streumunition vorsieht. Zwar ist das Abkommen noch nicht in Kraft, doch über die gefährlichen Kollateralschäden, die der Einsatz dieser Munition mit sich bringt, herrscht weitgehend Konsens. Somit will kein Produzent dieser Munition als solcher in Erscheinung treten, auch die Firma Diehl nicht. In Kooperation mit Rheinmetall produziert man nun sogenannte SMArt-Geschosse für Artilleriehaubitzen. Zwar enthalten auch diese Geschosse Submunition, doch das neue Produkt firmiert nun unter der Bezeichnung »Punktzielmunition«.

Alles bestens. Deshalb schien auch nichts gegen die Verleihung des bayerischen Verdienstordens an Konzern-Aufsichtsratsmitglied Werner Diehl zu sprechen. Der Sohn des Wehrmachtsausrüsters Karl Diehl erhielt die hohe Auszeichnung am 11. Juli 2008 aus den Händen des damaligen Ministerpräsidenten Günther Beckstein. Diehl gilt als traditionsreiche Firma, schon im Zweiten Weltkrieg produzierten KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter in dem »Kriegsmusterbetrieb« Zünder für Wehrmachtsbomben.

Während die bayerische Presse wohlwollend über das segensreiche Wirken Diehls berichtete, erinnerte der Regensburger Journalist Stefan Aigner in seiner Kolumne »Verdienstorden und Streubomben« an den wahren Charakter der Produkte aus dem Hause Diehl. Die Antwort des Rüstungskonzerns kam postwendend: Per einstweiliger Verfügung untersagte man Aigner die Behauptung, Diehl wäre an der Produktion von Streumunition beteiligt. Die Konzernjuristen sahen in dieser Aussage eine »unwahre Tatsachenbehauptung«. Punktzielmunition sei keine Streumunition. Wie der »Spiegel« im Dezember 2008 berichtete, war es die Bundesregierung, die aus »intelligenter Streumunition« harmlose »Punktzielmunition« werden ließ. Mit diesem Trick umging man die Streubomben-Konvention von Oslo, die zuvor monatelang von deutschen Verhandlungsteilnehmern blockiert worden war. Dank dieses juristischen Winkelzuges können Diehl und Rheinmetall auch weiterhin ihre SMArt-Geschosse produzieren. Mit allen Mitteln versucht man deshalb, nicht mit dem Begriff Streumunition in Zusammenhang gebracht zu werden. So erklärt sich auch die Vehemenz, mit der Diehl gegen den Journalisten vorgeht.

Derzeit findet sich auf den Seiten der Online-Zeitung »Regensburg-Digital«, für die Aigner schreibt, zwar noch dessen umstrittene Kolumne, allerdings mit einer Auslassung und dem Hinweis versehen: »Aussage gerichtlich untersagt« [siehe unser Kasten unten]. Seit Montag (2. März) stehen sich beide Parteien nun vor dem Landgericht I in München gegenüber. Die Anwältin des Journalisten, Britta Schön, sieht hier das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gefährdet. Zumal es, wie die Juristin gegenüber ND betonte, in Deutschland »gar keine legale Definition für Streumunition« gebe.

* Aus: Neues Deutschland, 3. März 2009

Dokumentiert

Im Folgenden dokumentieren wir den Kommentar, dessentwegen der Journalist Stefan Aigner sich vor Gericht verantworten muss. Der inkriminierte Satz allerdings, in dem die Fa. Diehl als Produzent von "Streubomben" gekennzeichnet wurde, darf aus rechtlichen Gründen nicht wiedergegeben werden. Man darf gespannt sein, wie das Verfahren vor dem Landgericht I in München ausgeht. Vielleicht darf das jetzt verborgene Zitat dann wieder gezeigt werden.

Verdienstorden und Streubomben

Freitag, 25. Juli 2008. Von Stefan Aigner

Die Landtagswahl steht vor der Tür. Schauen wir doch über die Grenzen unserer Heimatstadt hinaus und betrachten, was unser Landesvater Günther Beckstein so treibt. Verdienstorden verleihen zum Beispiel. Einen solchen erhielt vor 14 Tagen -- aus der Hand unseres Ministerpräsidenten -- der Unternehmer Werner Diehl aus Nürnberg. Damit steht der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrates der "Diehl Stiftung & Co KG" in bester Familientradition. Bereits Vater Karl Diehl erhielt einen solchen Orden. Daneben wurde sein Unternehmen während des Dritten Reichs für seine rege Rüstungsproduktion, die besagter Karl Diehl nicht zuletzt mit Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen voran trieb, auch als "Kriegsmusterbetrieb" ausgezeichnet.

Einer Ehrenbürgerwürde der Stadt Nürnberg und dem weiteren erfolgreichen Aufstieg des Unternehmens nach dem II. Weltkrieg tat das keinen Abbruch. Bereits in den 50ern stieg man wieder in die Waffenproduktion ein. Karl Diehl starb im Alter von 100 Jahren diesen Januar (Ein passender Nachruf: hier).

Heute ist das Unternehmen Diehl einer der erfolgreichsten deutschen Waffenproduzenten. Nach eigenen Angaben stammt rund ein Drittel des Umsatzes von 2,3 Milliarden Euro aus der Rüstungsproduktion. [AUSSAGE GERICHTLICH UNTERSAGT] Gleich nach den Landminen so ungefähr das Mieseste, was sich ein Waffentechniker ausdenken kann (Ein interessanter Beitrag dazu bei Deutschlandradio Kultur). Doch egal! Die Produktion schafft Arbeitsplätze. Die Homepage des Unternehmens quillt geradezu über vor Stellenangeboten. Das Geschäft blüht! Insgesamt beschäftigt Diehl über 11.000 Menschen. Das lässt über Manches großzügig hinwegsehen. Sozial ist schließlich, was Arbeit schafft und sei es der Krieg. Deshalb: Ein Orden für Werner Diehl. Danke, Günther Beckstein!

Quelle: http://www.regensburg-digital.de/?p=1411




Presseerklärung zu Diehl Stiftung & Co. KG ./. Stefan Aigner

Dienstag, 3. März 2009. Von Stefan Aigner

Ein Vergleich. Das ist das Ergebnis in der Auseinandersetzung Diehl ./. Stefan Aigner am 2. März 2009 vor dem Landgericht München I. Unsere Redaktion hat die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung zugunsten von Diehl akzeptiert, um die wirtschaftliche Existenz von regensburg-digital.de nicht zu gefährden. Diehl hat daraufhin die Klage zurückgenommen.

Ein Grund zum Jammern? Nein! Den Verlauf des Verfahrens wollen wir nicht kommentieren (Wir verweisen auf den Pressespiegel unter www.waffen-diehler.de). Den Ausgang werten Stefan Aigner und Rechtsanwältin Dr. Britta Schön – wenn auch mit einem weinenden Auge – als Erfolg für eine engagierte und wehrhafte Zivilgesellschaft.

Diehl dürfte klar geworden sein: Um die erwünschten euphemistischen Bezeichnungen für seine „Mordwerkzeuge“ (taz) zur allgemeingültigen Regelung zu erheben und die Sprache von geschäfts- und imageschädigenden Begriffen zu säubern, reicht es nicht, ein kleines lokales Online-Magazin mit Drohgebärden einzuschüchtern. Dafür müsste der Rüstungskonzern dem Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit den totalen Krieg zu erklären.

Für sehr fundiert und der öffentlichen Meinungsbildung mehr als angemessen halten wir den Artikel von Andreas Zumach in der taz vom 02. März. Ob die ebenfalls von der taz gewählte Bezeichnung „Mordwerkzeug“ als Meinungsäußerung oder Tatsachenbehauptung zu werten ist, überlassen wir den Durchschnittslesern.

NGOs wie Handicap International oder das Bündnis Landmine.de, die sich seit Jahrzehnten für die Opfer jener Produkte engagieren, werden diesen Kampf auch weiterhin ohne sprachliche Einschränkungen führen. Ebenso Munitionsexperten, die sich nicht der Definitionshoheit von Diehl unterwerfen. Sie haben sich, ebenso wie engagierte Journalistinnen und Journalisten, Blogger und Menschen jeden Alters vor und hinter uns gestellt. Mit diesem Bewusstsein haben wir das Verfahren bestritten und konnten einen Vergleich akzeptieren, der für uns persönlich einen Maulkorb bedeuten mag, uns unsere Meinung aber nicht nehmen kann.

Das Thema einer engen Verquickung zwischen Bundesregierung und Waffenindustrie, die humanitäre Interessen den wirtschaftlichen unterordnen, erreicht zunehmend den Durchschnittsleser. Dazu haben wir einen Beitrag geleistet. Was will Journalismus mehr? Es bleibt abzuwarten, ob Diehl weitere Medien, NGOs und Experten verklagt. Wir alle werden uns zu wehren wissen.

Stefan Aigner, Herausgeber von www.regensburg-digital.de

Quelle: www.regensburg-digital.de


Bundesregierung verhilft Rüstungskonzern DIEHL zu Geschäften mit Streumunition

Presseerklärung Inge Höger, MdB, Fraktion DIE LINKE
03. März 2009


Gestern wurde in München auf Betreiben des Rüstungskonzerns DIEHL vor Gericht in einem Vergleich mit dem Journalisten Stefan Aigner bestätigt, dass die von DIEHL hergestellte Streumunition "SMArt 155" nicht als "Streumunition" bezeichnet werden darf.
Inge Höger, Mitglied im Verteidigungsausschuss für die Bundestagsfraktion DIE LINKE, kommentiert dazu:


"Die Bundesregierung hat in den Verhandlungen über das Oslo-Abkommen zum Verbot von Streubomben die Interessen der deutschen Rüstungsindustrie vertreten und mit massivem Druck eine Ausnahmeregelung durchgesetzt. So genannte Zielpunktmunition - deren Definition exakt auf das DIEHL-Produkt "SMArt 155" zutrifft - gilt nicht als Streubombe. Nun verweist im nächsten Schritt ein deutsches Gericht auf dieses Abkommen und kommt zu dem Schluss, dass DIEHL's moderne Streumunition nicht als solche bezeichnet werden darf.

In Österreich fällt so genannte Zielpunktmunition bereits seit 2007 unter das Streubombenverbot. In den Verhandlungsdokumenten der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz wurde Zielpunktmunition unter dem Titel "Ausnahmen für weiterhin erlaubte Streumunitionstypen" geführt. Die dort formulierten Vorschläge wurden dann im parallel verhandelten Oslo-Vertrag festgeschrieben.

Ob die Selbstzerstörung der sensorgesteuerten Streumunition SMArt 155 tatsächlich funktioniert, ist nicht erwiesen. Internationale Militärexperten zweifeln dies an und verweisen auf negative Erfahrungen vergleichbarer Munition im Irakkriegs-Einsatz, die Blindgänger hinterließ. Trotzdem vertraute das Münchner Gericht den Herstellerangaben. Unabhängige Testergebnisse gibt es nicht.

Steinmeier präsentiert sich gerne als der Vorreiter von Abrüstung und Rüstungskontrolle. Dies ist ein scheinheiliges Manöver. In enger Kooperation mit deutschen Waffenproduzenten werden Strategien mit voran gebracht, die mit neuen "intelligenten Wirksystemen" eine gewinnbringende Sonderstellung auf dem weltweiten Markt ermöglichen."

Quelle: e-mail der Abgeordneten an die Redaktion


Vergleich im Prozess um "Streumunition"

Darf die Smart "155" als Streumunition bezeichnet werden? Das ist auch nach dem Prozessende weiterhin unklar.

VON ANDREAS ZUMACH **


Mit einem Vergleich endete am Montagabend (2. März) der Rechtsstreit zwischen der Nürnberger Rüstungsfirma Diehl und dem Regensburger Journalisten Stefan Aigner vor dem Landgericht München. Gegenstand des Prozesses war Aigners Aussage, Diehl produziere Streumunition (die taz berichtete).

Aigner akzeptierte vor dem Einzelrichter des Landgerichts eine einstweilige Verfügung als endgültig, mit der ihm dieser Richter auf Antrag von Diehl bereits Ende Juli 2008 die damals in einem Internetkommentar veröffentlichte Behauptung untersagt hatte. Diehl zog damit seine Klage auf eine Unterlassungserklärung des Journalisten zurück.

Aigner gab seine Erklärung ab, nachdem der Richter deutlich gemacht hatte, er werde Diehls Klage stattgeben. Das hätte ruinöse finanzielle Folgen für den Online-Journalisten gehabt. Der Rüstungskonzern hatte in seiner Klageschrift die Androhung eines Ordnungsgeldes von 250.000 Euro gegen Aigner gefordert. Der Streitwert des Prozesses war auf 75.000 Euro festgesetzt worden. Aigners Gewerkschaft Ver.di hatte dem Journalisten bis zuletzt keine Rechtsschutzzusage gegeben, obwohl sich die Fachgruppe Journalismus innerhalb Ver.dis dafür stark gemacht hatte.

Der Anwalt des Rüstungskonzerns war angesichts der großen, überwiegend kritischen Aufmerksamkeit, die Diehls Klage gegen Aigner in den Medien gefunden hatte, darum bemüht, den Imageschaden für seinen Arbeitgeber zu begrenzen. Diehl übernahm die gesamten Verfahrenskosten, die sich auf 15.000 bis 20.000 Euro belaufen. Aigner muss lediglich Kosten in Höhe von rund 1.600 Euro tragen, die im Zusammenhang mit der einstweiligen Verfügung gegen ihn entstanden sind.

Zumindest bis zur einer schriftlichen Veröffentlichung des Vergleiches durch das Gericht bleibt allerdings unklar, was Aigner künftig über Diehl und seine Streumunitionsproduktion sagen darf und was nicht. Der Richter erklärte, die Aussage, Diehl produziere Streumunition - beziehungsweise "bei der von Diehl hergestellten ,Smart 155' handele es sich um Streumunition" -, sei weiterhin zulässig, solange dabei zwischen der "Smart 155" und anderen Typen von Streumunition differenziert werde. Oder wenn diese Aussage eindeutig als Meinungsäußerung und nicht als Tatsachenbehauptung formuliert werde.

Die führend an der weltweiten Kampagne gegen Streumunition beteiligte Nichtregierungsorganisation "Handicap Internationale" erklärte, sie fühle sich durch den Ausgang des Verfahrens "nicht in unserer Kommunikation über diese Waffen eingeschränkt". Diehl habe "mit seiner Klage gegen Aigner nicht erreicht, dass wir in Verbindung mit der Smart 155 nicht mehr von Streumunition reden dürfen".

Ohne ein eindeutiges Urteil gegen Aigner in der Hand und um weiteren Imageschaden zu vermeiden, hat Diehl nach Informationen der taz aus dem Konzern inzwischen die Absicht aufgegeben, gegen andere Journalisten und Medien vorzugehen, die die Smart 155 weiterhin als Streumunition bezeichnen, beziehungsweise gegen die österreichische Regierung, die die Smart 155 per Gesetz als Streumunition definiert und verboten hat.

** Aus: taz, 4. März 2009


"Eine hübsche Beschreibung für moderne Waffe"

Ein freier Journalist darf nicht mehr behaupten, das »SMArt 155«-Geschoß von Diehl sei Streumunition. Ein Gespräch mit Eva Maria Fischer ***

Eva Maria Fischer ist Kampagnensprecherin von Handicap International

Der freie Journalist Stefan Aigner darf nicht mehr behaupten, der Rüstungskonzern Diehl produziere international geächtete Streumunition. Aigner hatte sich am Montag (2. März) vor dem Münchner Oberlandesgericht (OLG) auf einen entsprechenden Vergleich eingelassen, um eine hohe Geldbuße zu vermeiden. Andere Medien hatten allerdings dieselbe Behauptung aufgestellt – warum pickt sich Diehl einen freien Journalisten heraus?

Wahrscheinlich deswegen, weil sich freie Journalisten keine teuren Rechtsstreitigkeiten leisten können. Für Diehl ist es letztlich einfacher, jemanden wie Herrn Aigner herauszugreifen, weil er einen solchen Prozeß nicht bis in die letzte Konsequenz durchstehen kann. Darüber hinaus geht es der Geschäftsführung dieser Rüstungsfirma wohl auch darum, in die freie Berichterstattung einzugreifen und die eigene Definition dessen, was Streumunition ist und was nicht, in der Öffentlichkeit durchzusetzen.

Hat sich das OLG denn ernsthaft mit den Argumenten Aigners auseinandergesetzt?

Eigentlich nicht. Auch nicht mit dem, was dem Gericht schon vorlag: Expertisen von Gutachtern oder Aussagen von Technikern und Waffenexperten. Der Militärexperte Rae McGrath z. B., der für Handicap International an den Verhandlungen über ein Verbot von Streumunition teilgenommen hat, war zu dem Schluß gekommen, daß es technisch sinnvoll sei, das Artilleriegeschoß »SMArt 155« von Diehl als Streumunition zu betrachten. Er hatte in diesem Kontext auf die »BLU 108« verwiesen, eine ebenfalls sensorgesteuerte Munition, die im Irak im Gegensatz zu ihrer eigentlichen Bestimmung genau wie herkömmliche Streumunition gefährliche Blindgänger hinterließ.

Wie wirkt »SMArt 155« nach Ihren Erkenntnissen?

Genau können wir das nicht sagen, diese Waffe wurde noch nie in der Praxis verwendet. Bei verschiedenen Arten von Streumunition haben wir jedoch in den Ländern, in denen sie eingesetzt worden ist, beobachten können, welche Wirkung sie hat. Es gibt außerdem Berichte von Räumungsteams, und es konnten auch Blindgänger untersucht werden. Für »SMArt 155« gibt es derartige Erfahrungen noch nicht. Natürlich hat Diehl selbst die Munition erprobt – die Testergebnisse wurden jedoch nie veröffentlicht. Und das ist eigentlich der Kern unserer Kritik: Es gibt lediglich eine hübsch klingende Beschreibung der Herstellerfirma, wonach »SMArt 155« eine moderne und ausgefeilte Waffe ist.

Die Firma Diehl behauptet laut Presseberichten, die Sprengkörper könnten zielgenau programmiert werden und zwischen zivilen und militärischen Zielen unterscheiden. Wie soll das denn gehen?

Das ist mir auch ein Rätsel. »SMArt 155« ist ein Artilleriegeschoß, das zahlreiche kleinere Sprengkörper enthält. Jeder von diesen hat mehrere Sensoren, die angeblich exakt das zugewiesene Ziel ansprechen. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, daß so etwas auf einem modernen Kriegsschauplatz überhaupt möglich ist.

Und wie wirken diese kleinen Sprengkörper?

Sie sind oft panzerbrechend konzipiert, haben also eine extrem starke Sprengkraft. Sie zünden entweder sofort, zeitverzögert oder auch erst bei der Berührung von Menschen, die dann durch die Explosion zerfetzt werden.

Streumunition ist international durch den Osloer Vertrag verboten. Ist es vielleicht ein Schachzug von Diehl, für »SMArt 155« einfach ein anderes Etikett zu wählen, um das Verbot zu umgehen?

Im Kontext des Oslo-Prozesses war mit Blick auf die »SMArt«-Waffe anfangs durchaus von Streumunition die Rede.

Der Kollege Aigner hat trotz des Vergleichs für diesen Prozeß enorme Kosten aufwenden müssen. Wer bezahlt das?

Die Kosten sind erfreulicherweise nicht so hoch, wie er befürchtet hat, außerdem gibt es eine Spendenaktion, um die Ausgaben für den Prozeß zu decken.

Interview: Peter Wolter

*** Aus: junge Welt, 4. März 2009


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