Militärische Geographie
von Rachel Woodward *
Dass der Durchsetzung militärischer
Macht durch die Ausübung bewaffneter
Gewalt hinsichtlich ihrer Ursachen
und Auswirkungen von sich
aus geographische Aspekte inhärent
sind, ist eine weit verbreitete Vorstellung.
Militärische Aktivitäten finden
im Raum statt und drehen sich
immer um die Kontrolle von Raum.
Sie haben stets Auswirkungen auf
die Umwelt und geben heutigen
Landschaften ihr Gepräge -- dabei
auch Spuren für die Zukunft hinterlassend.
Bewaffnete Konflikte sind,
wie auch immer sie stattfinden,
räumliche Prozesse.
In der geographischen Forschung besteht
weitgehend Übereinstimmung,
dass die Erforschung der Räumlichkeit
bewaffneter Konflikte nur eine Facette
eines umfassenderen Sets militärischer
Geographien ist, die sowohl konflikthafte
als auch nicht-konflikthafte
Aktivitäten umfassen und zu einem Verständnis
der vielfältigen Möglichkeiten
beitragen, durch die militärische Aktivitäten
und Militarismus geographisch
konstituiert werden und geographisch
zum Ausdruck kommen. Militärische
Aktivitäten (die Tätigkeiten und das Leistungsvermögen
der militärischen Einheiten
selbst) und Militarismus (die Ausweitung
des militärischen Einflusses auf
die ökonomischen, sozialen, politischen
und kulturellen Arenen des zivilen Lebens)
sind gewöhnlich am sichtbarsten in
Zeiten und an Orten bewaffneter Konflikte.
Beide existieren als machtvolle
Faktoren, die die Räume, Örtlichkeiten
und das Umfeld über die Unmittelbarkeit
des Schlachtfeldes hinaus prägen.
Beide arbeiten kontinuierlich daran, die
militärische Kontrolle über den Raum
und die sozialen Beziehungen auszudehnen.
Dieser Beitrag befasst sich mit einigen
Überlegungen, wie diese Kontrolle
konzeptualisiert werden kann, damit unser
Verständnis ihres Ausmaßes und ihrer
Wirkungen erweitert wird.
Als akademische Disziplin, die sowohl
die physischen Charakteristika der Erde
als auch die Gestaltung sozialer Beziehungen
im Raum zu verstehen versucht, hat
die Geographie immer mit militärischen
Institutionen, ihren Aktivitäten und ihren
Wirkungen zu tun gehabt. Das Streben
nach geographischem Wissen als ein
Hilfsmittel zur Ausübung militärischer
Gewalt über ein Territorium ist so alt wie
die Disziplin selbst. Darstellungen der
Disziplin im 19. und 20. Jahrhundert in
Europa und Nordamerika, aber auch in
früheren Epochen und auf anderen Kontinenten
verzeichnen die Generierung und
den Gebrauch geographischen Wissens
und geographischer Methoden explizit für
den Zweck der Ausübung militärischer
Macht. Dieses Erbe prägt noch immer die
Richtung verschiedener Stränge der gegenwärtigen
geographischen Forschung. Eine traditionelle und politisch konservative
Militärgeographie verfügt -- sich selbst
als Subdisziplin kenntlichmachend -- über
eine institutionalisierte Form (zum Beispiel
in Gestalt der gleichnamigen Fachgruppe
innerhalb der Association of American
Geographers) und über curriculare
Verankerung in der Militärausbildung einiger
Militärakademien. Im traditionellen
Verständnis von Militärgeographie hat
diese einen praktischen Schwerpunkt im
Sinne der Anwendung geographischer
Werkzeuge und Verfahren zur Lösung militärischer
Probleme. Ein weiteres Beispiel
ist die Entwicklung geographischer Informationssysteme
und ihre Anwendungen mit engem Bezug zu militärischen Erfordernissen
und militärischer Finanzierung.
Darüber hinaus existiert eine lange Tradition
und fortgesetzter Enthusiasmus für
eine historische Militärgeographie, für
Analysen des Geländes und des taktischen
Vorgehens sowie für geographisch informierte
Interpretationen der Militärgeschichte.
Weniger eng mit militärischen Institutionen
-- insbesondere angesichts ihres
aktuell kritischen Profils -- beschäftigen
sich die gegenwärtige politische Geographie
und die Geopolitik auch weiterhin
besonders mit der Rolle bewaffneter
Konflikte und militärischer Macht für
die Entstehung von Staaten, Grenzen
und Territorien. So ist die Beschäftigung
der Disziplin mit Militarismus und militärischen
Aktivitäten mannigfaltig und
Veränderungen unterworfen.
In diesem Beitrag, der sich auf meine
bisherigen Arbeiten zur Geographie des
Militarismus und militärischer Aktivitäten
stützt, mache ich zwei Vorschläge, wie
diese Perspektive entfaltet werden kann.
Zunächst trete ich dafür ein, den scheinbar
unbedeutenden, scheinbar alltäglichen,
scheinbar prosaischen Aktivitäten
militärischer Institutionen und Kräfte
größere Aufmerksamkeit zukommen zu
lassen.Nicht ohne gute Gründe schenken
wir den größeren dramatischen Ereignissen
häufig unser Augenmerk und verfolgen
den bewaffneten Konflikt selbst und
seine Auswirkungen territorialer Art und
hinsichtlich der sozialen Beziehungen. Allerdings
gibt es ein Argument dafür, den
nicht-konflikthaften Situationen und den
geographischen Begebenheiten mehr Aufmerksamkeit
zu widmen, die durch jene
militärischen Aktivitäten und Prioritäten
konstituiert und ausgedrückt werden, die
alltägliche Praxen konstituieren, die erst
die Voraussetzungen für den bewaffneten
Konflikt schaffen. Deren vordergründig
undramatische Wirkung mag der Betrachtung
so verborgen sein wie die Steine am
Fuße der Pyramide. Sich jedoch ausschließlich
auf die Spitze der Pyramide zu
konzentrieren, kann dazu verleiten, die
Beschaffenheit der Struktur nicht zu verstehen,
die diese Struktur erst möglich
macht. Dementsprechend sind Aspekte
wie die Entscheidung zur Errichtung von
Kasernen, die Politik der Ausweisung von
Gelände zum Zwecke von Truppenübungen,
die Konversion von Militäranlagen,
soziale Beziehungen in militärischen
Wohnanlagen, ökologische Auswirkungen
des alltäglichen Übungsbetriebes oder die
Entstehung von militärischem Landschaftsraum
als Stätten der Erinnerung,
der Trauer und des Triumphes alle Teil
desselben Sets von Praktiken, die militärische
Aktivitäten und Militarismus in ihrer
Prägewirkung auf soziale Beziehungen
und auf Räume betrachten.
Zweitens kann durch die Erforschung
dieser prosaischen, scheinbar unbedeutenden
Aktivitäten besser verstanden
werden wie militärische Kontrolle über
Räume und Örtlichkeiten, über Landschaft
und Umgebung in der Praxis
funktioniert. Ich bin besonders daran interessiert
Erklärungsansätze zu finden,
die sich auf beobachtbare empirische
Kontexte stützen können und die versuchen,
diese Ergebnisse im Rahmen eines
Verständnisses davon zu konzeptualisieren
wie militärische Macht funktioniert.
Dabei berücksichtige ich besonders vier
Bereiche: die Steuerung, die bereits
durch militärische Präsenz ausgeübt
wird; die Steuerung, die sich aus der Verfügbarkeit
und der Nutzung von Informationen
und Daten ergibt; die Steuerung,
die durch Regierungspraktiken jenseits
militärischer Institutionen ausgeübt
wird; und die Steuerung, die durch die
Rhetorik und den Diskurs über Sicherheitsdefinitionen
ausgeübt wird.
Die Steuerung durch physische Präsenz
Wir können mit der beinahe lapidaren
Tatsache militärischer Präsenz beginnen.
Die militärische Kontrolle von Raum ist
vermutlich in Konfliktsituationen am
sichtbarsten -- durch die Anwesenheit von
Truppen und die durch Informationsund
Kommunikationstechnologien ermöglichten
Erkenntnisse über die unsichtbaren
Einflussnahmen auf dem
Schlachtfeld. In nicht-konflikthaften Situationen
ist die militärische Kontrolle
über den Raum möglicherweise weniger
sichtbar bzw. offensichtlich, obwohl sie im
Falle der militärischen Nutzung des Gebietes
anderer souveräner Nationalstaaten
nicht weniger umstritten ist. Betrachten
wir jedoch hier diemilitärischeNutzung
von Raum im eigenen Land. Militärische
Einheiten benötigen, um tödliche Gewalt
ausüben zu können und die Kompetenz
für bewaffnete Gewalt zu entwickeln,
Örtlichkeiten und Raum, in denen diese
Fähigkeiten entstehen können, entwickelt
und mit entsprechender Ausrüstung trainiert
werden. Eine Reihe von Vorgängen
und Wirkungen sind mit der Tatsache der
Anwesenheit solcher einheimischer militärischer
Liegenschaften -- welcher Größe
und Funktion auch immer -- verbunden.
Militärische Stützpunkte beeinflussen
die örtlichen ökonomischen Strukturen
und Versorgungsketten und prägen regionale
bzw. lokale Produktionskapazitäten
bzw. Distributionsnetzwerke. Zugleich
tun sie dies nicht: Argumente zugunsten
der Existenz von Militärstützpunkten verweisen
häufig auf den ökonomischen
Nutzen für den Ort und die Region aufgrund
der Militärausgaben und der Folgeaktivitäten.
Tatsächlich ist die Forschung
zu den ökonomischen Auswirkungen militärischer
Liegenschaften hinsichtlich ihrer
Vor- und Nachteile uneindeutig.
Den Nutzen bzw. den Beitrag für lokale
oder regionale Arbeitsmärkte
bzw. zu Lieferketten in ökonomischen
Kennziffern zu quantifizieren, ist offenkundig
schwierig, variieren diese doch erheblich
mit dem Umfang, der Funktion
und der Beschaffenheit der jeweiligen militärischen
Anlage sowie mit der Struktur
der gegebenen örtlichen zivilen Wirtschaft.
Out-sourcing und Lieferketten
können sich über Kontinente erstrecken.
Außerdem können informelle, unregulierte
und illegale ökonomische Aktivitäten
nicht mit der nötigen Genauigkeit quantifiziert
werden. In manchen Fällen können
die ökonomischen Auswirkungen militärischer
Anlagen mit einer gewissen Genauigkeit
erst nach deren Schließung festgestellt
werden. Die Erforschung der feinkörnigen
politischen Ökonomien militärischer
Aktivitäten ist daher notwendigerweise
eine empirische Aufgabe.
Die Steuerung, die durch die physische
Präsenz militärischer Einrichtungen
ausgeübt wird, umfasst auch die sozialen
Einflüsse solcher Anlagen. Militärische
Stützpunkte haben Auswirkungen auf
die örtlichen sozialen Beziehungen.
Schlagzeilen produzierendes Verhalten
von fehlgeleitetem Militärpersonal, das
Gewalttaten gegen die örtliche Zivilbevölkerung
begeht, stellt eine Extremform
des breiten Spektrums an sozialen Beziehungen
und Interaktionen zwischen Militärpersonal
und den zivilen Gemeinden
dar. Diese Beziehungen können nicht
zwangsläufig in einer direkten Art und
Weise als Macht- und Dominanzbeziehungen
verstanden werden. Sie enthalten
auch diese Aspekte, allerdings ist die ganze
Bandbreite von Ausbeutung und Solidarität,
Abneigung und Liebe, Antipathie
und Unterstützung anzutreffen. Verbunden
mit einer Politik des Nationalismus,
Patriotismus und Lokalismus und
einem wechselnden Verhältnis der zivilen
und militärischen Bevölkerung als distanziert
und verleugnend oder als stolz
gefeiert, findet sich erneut ein große
Vielfalt von Erfahrungen bei den sozialen
Beziehungen militärischer Anlagen,
die nähere Untersuchung verdienen, um
zu entdecken, wie genau einzelne Orte
über die Elemente Zaun und Wachhäuschen
hinaus militarisiert werden.
Militärische Präsenz bringt notwendig
die Kontrolle über die physikalische Umgebung
mit sich -- sowohl hinsichtlich der
Einwirkung auf die Umwelt durch militärische
Aktivitäten als auch bezüglich der
hierfür gelieferten Erklärungen. Nichtkonfliktbezogene
militärische Aktivitäten
sind der Umwelt abträglich und beinhalten
den Abfall militärischer Aktivitäten,
Veränderungen der Umwelt (einschließlich
der Modifizierung von Lebensräumen)
und die Verpestung durch Kohlenwasserstoffe
und andere giftige Verbindungen,
die beim alltäglichen Betrieb von
Fahrzeugen und Waffen anfallen. Auch
dies ist jedoch keine simple Geschichte. In
vielen entwickelten kapitalistischen Nationalstaaten
verhindern militärische Nutzungen,
die selbst umweltschädlich sein
können, andere Aktivitäten, die selbst zerstörerisch
oder giftig sein können. Quer
zu diesen Nutzungs- und Wirkungsmustern
gibt es aus verschiedenen politischen
Richtungen Kontroversen über die -- häufig
als nutzbringend bezeichneten -- Auswirkungen
dieser Blockaden. Zu den gefeierten
Beispielen gehören die Naturschutzrefugien
auf Truppenübungsplätzen. Auch hier wäre empirisch zu untersuchen,
wie und warum Militär seine Ansprüche
auf Raumnutzung mit ökologischen
Argumenten stützt und wie diese
dazu beitragen, die Kontrolle über die
Örtlichkeiten zu festigen.
Es sollte zudem berücksichtigt werden,
wie die Anwesenheit von Militär Landschaften
gestaltet. Die Morphologie von
Orten wird getränkt mit Ideen, Argumenten,
Gefühlen, Politik und Emotionen,
die die Interpretation eines Ortes gegenüber
einer anderen betonen. Am sichtbarsten
sind Landschaften offenkundiger
und lang andauernder bewaffneter Gewalt;
Friedhöfe, die die Toten des Krieges
aufnehmen, sind gesättigt mit spezifischen
Ausdrucksformen von Trauer und Verlust
auch noch lange nach dem Ende des Konflikts.
Weniger unmittelbar sichtbar sind
die Art und Weisen, in denen gewöhnlichere,
weniger dramatische militärische
Einsatzorte ihre eigenen Lesarten der jeweiligen
Landschaften fördern. Die Geographie
militärischer Aktivitäten befasst
sich auch mit diesen Aspekten.
Die Steuerung von Information
Um zu verstehen wie militärische Aktivitäten
und Militarismus sowohl geographisch
konstituiert werden als auch in
der Geographie ihren Ausdruck finden,
bedarf es des Verständnisses insbesondere
des Wesens solcher Aktivitäten und Prozesse.
Dies wiederum erfordert Informationen
und Daten über die jeweils untersuchte
Thematik, den Prozess oder die
materiellen Objekte. Militärische Macht
ist -- das ist seit langem anerkannt -- abhängig
von der Kontrolle von Informationen.
Ich vertrete die Ansicht, dass die
Steuerung von Information anhand einiger
ganz grundlegender Aktivitäten beobachtet
werden kann und dass auch diese
Aufmerksamkeit verdienen, wenn wir
verstehen wollen, wie militärische Macht
im Raum operiert.
Im Zentrum dieser Frage steht der
Aspekt der Verlässlichkeit von Informationen.
Militärische Organisationen mögen
verlässliche statistische Daten oder Information
über eine Vielzahl von Aktivitäten
sammeln oder auch nicht -- von den
Hektarflächen militärischer Liegenschaften
und den jeweiligen Verwendungszwecken
über die Ausgaben für Ausrüstung
und Beschaffung bis hin zu Aufstellungen
über die Dislozierung und die Charakteristika
des militärischen Personals. Diese
Informationen können innerhalb oder außerhalb
der jeweiligen Organisation verfügbar
sein oder nicht. Dabei mögen Anforderungen
an Sicherheit, Geheimhaltung
oder Vertraulichkeit (k)eine Rolle
spielen oder das niedrige Kompetenzoder
Sorgfaltsniveau der jeweiligen Organisation
spielt eine Rolle. Was auch immer
der Grund ist -- aus dem Fehlen von
Information ergeben sich Auswirkungen
für die militärische Kontrolle des Raumes.
Materielle Dinge werden durch statistische
und faktische Information Teil unserer Betrachtung; eine Sache muss zunächst beschrieben werden, damit sie verstanden
werden kann. Im Falle des Fehlens
von Information werden Macht und
Kontrolle über Aktivitäten und Prozesse
durch solche Aktivitäten und Prozesse
ausgeübt, die unsichtbar oder sogar unbeschreibbar
geleistet werden. Sie sind nicht
deshalb unbeschreibbar, weil sie jenseits
unseres Begriffsvermögens liegen, sondern
weil uns die Bezeichnungen und Daten
für ihre Beschreibung fehlen.
Ein entsprechendes Beispiel wäre das
Begreifen von militärischen ökonomischen
Geographien -- das Verstehen der
Netzwerke ökonomischer Beziehungen,
welche militärische Aktivitäten unterstützen
und mittels derer militärischer Einfluss
ausgeübt wird. Die Vorstellung eines
militärisch-industriellen Komplexes -- eine
weit verbreitete Art, mit der wir die Beziehungen
zwischen dem Militär und der
Ökonomie, welche dieses stützt, konzeptualisieren
-- wird in der Öffentlichkeit
durch Informationen gestützt, die die Verbindungen
zwischen den Streitkräften
und der Ausstattung bereitstellenden Industrie
aufzeigen. Wir nehmen an, dass
wir -- gestützt auf die öffentlich zugänglichen
Informationen -- wissen wie dieses
komplexe Netzwerk arbeitet. Was jedoch
schwieriger zu entwirren ist, sind die ökonomischen
Netzwerke, die Einrichtungen
wie Militärbasen oder Kasernen in den lokalen
Kontext einbinden. Wie bestimmen
wir etwa mit einem hinreichenden Maß
an Genauigkeit das Ausmaß, das Wesen
und die Auswirkungen des Beitrages eines
militärischen Stützpunktes in einem Ort?
Es könnte sich als unmöglich erweisen,
aussagekräftige Statistiken über die örtliche
(zivile) Beschäftigung zu bekommen.
Dies ist keine unbedeutende Frage. Ob im
eigenen Land oder in Übersee -- militärische
Basen egal welcher Größe generieren
Vermutungen und Spekulationen über
ihre positiven wie negativen Auswirkungen.
Wenn verlässliche Informationen
nicht vorliegen, treten bezüglich der
Stützpunktpolitik Spekulationen an die
Stelle von Argumentation. Manchmal
entsteht auch erst im Zuge eines Konversionsprozesses
von militärischer zu ziviler
Nutzung ein vollständigeres Bild des Wesens
der lokalen ökonomischen Netzwerke
und Beziehungen; erst das Verschwinden
macht das, was untersucht wird, plötzlich
sichtbar.
Ein weiteres Beispiel für militärische
Kontrolle über Raum, die mit dem Vorhandensein
bzw. Fehlen von Daten und
Informationen zusammenhängt, ist die
Frage nach den genauen Eigenschaften
und Effekten militärischer Aktivitäten
hinsichtlich der physikalischen Umwelt.
Dabei geht es um mehr als nur um den
präzisen Nachweis und das Messen der
Umweltvergiftung und -veränderung.
Selbstverständlich spielt auch dies eine
Rolle, denn die Geschichte der Militärstützpunkte
in Europa ist die Geschichte
der nicht gemessenen und ungeprüften
Immissionsereignisse. Obwohl in der Zeit
nach dem Kalten Krieg umfangreiche Informationen
über die Auswirkungen militärischer
Aktivitäten der USA, Großbritanniens
und der Sowjet-Union auf den
Lebensraum und die Umwelt Zentraleuropa
bekannt geworden sind, ist dies wegen
der Geheimhaltung und -- noch banaler
-- der Unangemessenheit der Verwaltung
der Unterlagen zugleich eine Geschichte
der Unsicherheit. Außerdem gibt
es im militärischen Kontext Aspekte, die
hinsichtlich ihrer ökologischen Auswirkungen
in unterschiedliche Typen von Information
übersetzt werden und dementsprechend
unterschiedliches Gewicht haben.
Informationen über Umweltauswirkungen,
die mit Methoden erhoben wurden,
die den offiziellen Techniken der
Quantifizierung und Qualifizierung zuwiderlaufen,
werden als unwissenschaftlich
abgestempelt. Einige Arten von Informationen
gelten als legitim, andere nicht.
Obwohl wir zur Kenntnis nehmen sollten,
dass es in militärischen Einrichtungen
wachsende Aufmerksamkeit für ökologische
Belange selbst der alltäglichsten
militärischen Aktivitäten gibt, sollten wir
doch auch alarmiert sein bezüglich der
Repräsentationstechniken, mit denen »offizielle« Informationen und Daten zu einem Bezugssystem beitragen, durch das
bestimmte Formen ökologischer Auswirkungen
als legitim und akzeptabel angesehen
werden.
Die Steuerung des Regierens
Ein dritter Bereich, der uns alarmieren
sollte, wenn wir uns damit befassen, wie
militärische Aktivitäten und Militarismus
Kontrolle über Räume und Orte
ausüben, ist die Art wie das Regieren --
die Verfahren und Praktiken staatlicher
Gesetzgebung -- in Verbindung gebracht
wird mit Kontrolle jenseits der Gesetze,
die von militärischen Institutionen selbst
ausgeht. Es ist axiomatisch, dass militärische
Einrichtungen und Praktiken durch
den Staat mit Legitimtät versehen werden.
Tatsächlich entstehen reguläre Militärkräfte
in Nationalstaaten unmittelbar
aufgrund der Legitimität, die ihnen
und nur ihnen zuteil wird bezüglich
der Ausübung tödlicher Gewalt auf
staatlichen Geheiß hin. Aber es ist
aufschlussreich, diese Überlegung weiterzuführen
und ein umfassenderes Set von
Mechanismen in die Betrachtung einzubeziehen,
durch das militärische Raumkontrolle
weniger direkt durch militärische
Einheiten in Form vonMechanismen
des Regierens ausgeübt werden.
Diese können verschiedene Gestalt annehmen.
Am direktsten zu beobachten ist
die Bevorzugung militärischer Richtwerte
gegenüber zivilen in der Gesetzgebung
und die Ausnahmeregelungen, die militärischen
Institutionen in Gesetzen gegenüber
der zivilen Sphäre zugebilligt werden.
Hier wären beispielsweise Gesetzgebungsund
Regierungspraktiken bezüglich der
Landnutzung oder der Beschäftigung militärischen
Personals zu nennen. In beiden
Fällen beeinflusst die auf nationaler und
supra-nationaler Ebene beschlossene Gesetzgebung
Verfahren jenseits der Territorien
der Nationalstaaten und der sozialen
Beziehungen, die innerhalb dieser Räume
wirksam werden. In beiden Fällen können
wir unzählige Beispiele dafür finden, wie
nationale Regierungen handeln (oder das
Handlungspotential demonstrieren), um
hinsichtlich der Anforderungen solcher
öffentlicher Gesetzgebung gegenüber militärischen
Institutionen Beschränkungen
oder Ausnahmen zu machen. Staatlich
sanktionierte Nicht-Einhaltung, für die
gewöhnlich das Argument der »nationalen
Sicherheit« herhalten muss, stellt dennoch
eine Ausnahmeregelung dar und beeinflusst
daher die Art, in der militärische
Aktivitäten auf Räume, Orte, Umgebungen
und Landschaften Einfluss nehmen.
Weniger unmittelbar zu beobachten,
aber ebenso wichtig, ist die Totalität von
Regierungspraktiken jenseits der unmittelbaren
Gesetzgebung, durch die die soziale
Akzeptanz und Legitimität von militärischen
Aktivitäten und Anstrengungen
gefördert wird. Während in modernen
fortgeschrittenen kapitalistischen
Demokratien diese Prozesse, durch die
die zivile Akzeptanz hergestellt wird, in
relativ gutgemeinter Absicht oder als
Spiegelung historischer Prioritäten und
Glaubensbekenntnisse stattfinden mögen,
bleibt zu betonen, dass die Priorisierung
militärischer Angelegenheiten innerhalb
ziviler Bereiche ständige Akte der
Verfestigung der Vorstellung ihrer Legitimität
erfordern. Dieses sind Handlungen
des Staates jenseits der Gesetzesebene.
Hierzu zählen etwa die Formen, in denen
der Staat das Gedenken und die Erinnerung
an die Opfer vergangener Konflikte
rahmt und organisiert, oder die
Praxis der Behandlung ehemaligen Militärpersonals
und ihrer Familien. Solche
Praktiken und Effekte eines erweiterten
Regierens bei militärischen Angelegenheiten
zu ignorieren, würde ein unvollständiges
Bild der Formen ergeben, in
denen militärische Aktivitäten und Militarismus
ständig ausgehandelt werden.
Die Steuerung der Rhetorik und des Diskurses über Sicherheit
Der letzte Bereich ist das eher abstrakte
Gebiet der Rhetorik und des Diskurses
über Sicherheit, durch das militärischem
Dasein und seinen Praktiken Bedeutung
verliehen wird. Dabei beziehe ich mich
sowohl auf die Sprachen, in denen militärische
Kontrolle und militärische Macht
diskutiert wird, als auch auf die Ideensysteme,
durch die diese Steuerung zusammengeführt
wird. Die materiellen Ergebnisse
militärischer Strategien zur Landnutzung
beispielsweise werden untermauert
durch begriffliche Praktiken, die Argumente
bezüglich der Legitimität solcher
Landnutzung und seiner Auswirkung sowie
hinsichtlich der Priorisierung militärischer
Praktiken gegenüber anderen
Raumansprüchen hervorbringt. Die analytische
Aufgabe besteht dabei darin zu
prüfen, wie die Rhetorik und die Diskurse,
durch die militärische Fertigkeiten gerahmt
werden, sich in Praktiken umsetzen,
d.h. in die Gestaltung sozialer Beziehungen
in Räumen und in materielle Manifestationen
militärischer Macht vor Ort.
Dies ist ein Aspekt, bei dem nationale
Besonderheiten herausragen. Streitkräfte
sind zu aller erst nationales Militär, das
hinsichtlich seiner Existenz von der Legitimation
des Nationalstaates abhängig
ist. Die Bedeutungen, die militärischer
Macht zugeschrieben werden, erhalten
ihren Stellenwert im Rahmen von Argumenten
und Interpretationen, die vor allem
der staatlichen Ebene entspringen.
Letztlich leiten die Bedeutungen, die den
nationalen Streitkräften gegeben werden
und die Mechanismen, durch die das geschieht,
die Argumentationen, die bezüglich
der Legitimität der Praktiken dieser
Streitkräfte gemacht werden, wenn es um
die Raumnutzung für Basen und Training,
die Werturteile hinsichtlich der
ökonomischen Auswirkungen des Militärs
auf lokale, regionale und nationale
Ökonomien oder um die moralische
Erörterung über die Akzeptabilität von
ökologischen und landschaftlichen Auswirkungen
militärischer Aktivitäten geht.
Die Abdrücke auf der Erde, die diese Aktivitäten
hervorrufen, und die Lebenswege,
die sie gestalten und bewegen, umgeben
uns. Militärische Geographien beinhalten
nicht nur die materiellen Effekte
militärischer Aktivitäten in konflikthaften
und nicht-konflikthaften Situationen,
sondern auch das System von Vorstellungen,
das diesen Bedeutung zuweist
und auf diese Weise stark daran beteiligt
ist, diese aufrecht zu erhalten.
Literatur-
Woodward, R. (2004): Military Geographies. Oxford:
Blackwell.
-
Woodward, R. (2005): From Military Geography
to militarism's geographies: disciplinary engagements
with the geographies of militarism and
military activities. Progress in Human Geography
29:6, 718-740.
* Dr. Rachel Woodward lehrt an der School of Geography and Sociology der Newcastle University.
Übersetzung: Fabian Virchow
Dieser Beitrag erschien in: Wissenschaft & Frieden 1/2009, S. 46-50.
Die Zeitschrift Wissenschaft & Frieden erscheint vier Mal im Jahr und ist zu beziehen bei:
BdWi-Verlag
Gisselberger Str. 7
35037 Marburg
Tel. 06421/21395; e-mail:
bdwi@bdwi.de
Zur Seite "Militärstandorte"
Zur Seite "Friedenswissenschaft, Friedesnforschung"
Zurück zur Homepage