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NEIN zum Krieg aus NRW

Rede von Sevim Dagdelen auf der Friedensdemo in Kalkar *


Am 3. Oktober demonstrierten Friedensaktivisten in Kalkar am Niederrhein gegen die Kommandoeinrichtungen von Bundeswehr und NATO. Wir dokumentieren im Folgenden die Rede der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen (Die Linke).


Liebe Freundinnen und Freunde des Friedens!

Eines vorweg, weil hier in den Medien gerade während der Phase der Regierungsbildung und der Koalitionssondierungen immer neue Märchen in Deutschland auch über den Charakter der NATO verbreitet werden. Die NATO ist kein Verteidigungsbündnis oder so etwas wie eine bewaffnete Friedensbewegung, wie es leider auch immer wieder von SPD und Grünen verbreitet wird. Nein die NATO ist schlicht ein globales Kriegsführungsbündnis, dass für über 75% aller weltweiten Rüstungsausgaben steht. Wer eine friedliche Außenpolitik will, muss NEIN zur NATO sagen. DIE LINKE fordert ihre Auflösung ohne Wenn und Aber. Als ersten Schritt wollen wir den Austritt aus den militärischen Strukturen der NATO. Kalkar und Uedem könnten dann sofort dichtmachen. Und auch die anderen NATO-Kriegsstandorte in Deutschland. Ich versichere euch: Die Linke wird sich nicht an einer Regierung beteiligen, die die Bundeswehr weiter in NATO-Kriege und andere Auslandseinsätze schickt.

Und obwohl laut einem Bericht der Vereinten Nationen jedes vierte Kind in Deutschland ohne Frühstück zur Schule geht hat Deutschland seit 1992 für Auslandseinsätze der Bundeswehr sage und schreibe 17 Milliarden Euro ausgegeben. Wir müssen endlich in Deutschland sagen: Keinen Cent mehr für die NATO. Die NATO steht für globalen Krieg, Tod und Mord.

DIE LINKE will nicht, dass Kriege weiter von deutschem Boden geführt werden. Wir treten für die Schliessung der NATO-Stützpunkte ein. Das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, mit dem Folterflüge und die Infrastruktur für völkerrechtswidrige Kriege bereitgestellt werden, muss endlich gekündigt werden. Wir wollen, dass endlich eine soziale und demokratische Souveränität hergestellt wird. Wir sagen auch deshalb NEIN zum Krieg von deutschen Boden. Wir sagen NEIN zum NATO-Standort-Kalkar/Uedem!

In den vergangenen Jahren mussten wir erleben wie die deutsche Beteiligung an Kriegen immer wieder verschleiert wurde. Die enge Verzahnung und das ungeheuerliche Ausmaß der Zusammenarbeit deutscher Geheimdienste mit den USA offenbarte erst kürzlich der Whistelblower Edward Snowden. Über die tödlichen Folgen dieser Zusammenarbeit und ihre Konsequenzen für die moderne Kriegsführung schweigt man bis heute. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass bei dem Austausch und Abgleich gewonnener Lagebildinformationen die deutschen Standorte Ramstein, Kalkar und Uedem eine wichtige Rolle spielen. Doch diese Arbeit geschieht im verborgenen und unter Geheimhaltung. Es gibt nicht wenige, die sich damit abgefunden haben. Die Politik der Geheimhaltung als gerechtfertigt ansehen. Auch wenn damit das wahre Gesicht unserer demokratischen Mitgestaltungs-Rechte in ihr Gegenteil verkehrt wird.

Die Menschen sollen offenbar daran gewöhnt werden, Kriege aus der Vogelperspektive zu beobachten. Verzerrte Computerbilder aus dem Cockpit eines Kampfjets oder das verwackelte Bild ganz gewöhnlicher Kriegsverbrechen der Kampfdrohnen zu sehen. Doch wo findet dieser Krieg statt? Wer trägt dafür die Verantwortung? Die Bilder die wir sehen, suggerieren, der Krieg sei fern. Er finde auf entfernten Kontinenten statt. Täter und Opfer seien unbestimmt. Doch die Wahrheit dieser Kriege ist eine andere meine lieben Freundinnen und Freunde. Wir sind heute hier, weil wir weitere Täuschungsmanöver gegenüber der Öffentlichkeit kategorisch ablehnen. Wir wollen diese NATO-Kriege und die NATO-Täuschungen nicht! Wir wollen den NATO-Stützpunkt Kalkar/Uedem dichtmachen!

Liebe Freunde!

Der bereits vollzogene Paradigmenwechsel der Transformation der Streitkräfte von einer Verteidigungs-Armee zu einer global agierenden Intervention-Armee ist Teil dieses Täuschungsmanövers. Die Verantwortlichen für den staatlich sanktionierten Mordauftrag sollen unsichtbar gemacht werden. Der politische Zusammenhang zwischen dem Finger am Abzug und dem gesamten politischen System der diesen Mord in Auftrag gibt wird verschleiert.

Es ist solchen mutigen Whistleblowern wie Bradley Manning und Julian Assange zu verdanken, dass das brutale Ausmaß der Kriegsverbrechen der NATO und ihrer Verbündeten offengelegt wurde. Ihnen gebührt unser Dank! Sie sind die Helden unserer Zeit!

An der Architektur der weltweiten Unterdrückung hat dies jedoch leider bei den politisch Verantwortlichen noch zu keinen Konsequenzen geführt. Die Kriegstreiber sind vielleicht vorsichtiger geworden. Sie geben sich mehr Mühe um die Täuschungen besser zu verschleiern. Ihre rücksichtslose Politik besser zu rechtfertigen.

Zunehmend wird deutlich, dass die NATO ohne raffinierte Kriegslügen und einen ganzen Apparat zur Produktion von Falschmeldungen in einer modernen Welt nicht bestehen kann. Dieser Aspekt ist auch bedeutsam für Kalkar/Uedem, worüber ich noch sprechen werde.

Der Luftkrieg, das bestätigt auch die Postille des in Kalkar ansässigen und bei der NATO akkreditierten Kompetenzzentrums JAPCC steht m Mittelpunkt des zukünftigen Engagements der NATO. Dies sei eine Konsequenz aus dem Ende des Kalten Krieges. NATO-Mitgliedstaaten sollten damals in der Nähe eigener Staatsgrenzen operieren werden. Heute engagiert sich die NATO in sog. Expeditions-Missionen (Expeditionary Operations -EO). Schon die gewählte Begrifflichkeit erinnert an die Kolonialzeit. Die Mittel haben sich verändert. Geblieben ist aber der Militäreinsatz außerhalb ihrer geographischen Grenzen.

Auch deshalb rühmt sich die Deutsche Luftwaffe, dass dank des „Zentrums Luftoperationen" in Kalkar/Uedem sie „die Fähigkeit zur Führung von Luftstreitkräften für den Einsatz- und Übungsflugbetrieb in Deutschland sowie im Auslandseinsatz" besitzt.

Heute wissen wir, dass die sog. Neugestaltung der Bundeswehr nur das Ziel verfolgte die Streitkräfte zu einer Armee im Einsatz aufzurüsten. Sicherheitspolitische Überlegungen sollten als notwendiger Teil außenpolitischer Entscheidungsprozesse ermöglicht werden.

Interessant sind dabei die Standorte, die in der Logik des Militärs aufgewertet wurden. Dabei handelt es sich u.a. um die in Euskirchen und Bonn, wo Fähigkeiten zur Aufklärung potentieller Einsatzgebiete weltweit bereitgestellt werden. Am stärksten war der prozentuale Anstieg von 420 auf 820 Dienstposten jedoch in Kalkar. Nach den Worten des dort beschäftigten Abteilungsleiters für Informationsmanagement, Oberstleutnant Andreas Klein, verfügt es »über eine einzigartige Fähigkeit« im Bereich der Luftwaffe. Es besitzt nämlich ein verlegbares nationales Hauptquartier (Joint Force Air Component Headquarter – JFAC HQ). damit sind streitkräftegemeinsame, multinationale Out-of Area-Einsätze im Rahmen der NATO Response Force (NRF) oder der Battle Group der Europäischen Union möglich.

„Die Gewährleistung der Einsatz- und Führungsfähigkeit eines deutschen JFAC HQ", so Oberstleutnant Klein weiter, sei „die Voraussetzung für den deutschen Beitrag zur Führung von Luftstreitkräften und zur Projektion von Luftmacht im Einsatz."

Im April 2012 unterstrich der Befehlshaber des Luftwaffenführungskommandos, Generalleutnant Peter Schelzig bezüglich des benachbarten Uedem: „dass derzeit mehrere hundert Soldatinnen und Soldaten der Luftwaffe sehr erfolgreich auf drei Kontinenten an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr beteiligt" wären.

„In Kalkar und Uedem … [sei] das Thema Auslandseinsatz allgegenwärtig" - berichtete die Interessensgemeinschaft Deutsche Luftwaffe e.V.

Das sollte nicht weiter überraschen, denn das damalige „Kommando Operative Führung Luftstreitkräfte" in Kalkar, dass nun in das „Zentrum Luftoperationen der Luftwaffe (ZentrLuftOp)" integriert wurde, stellte im Jahre 2012 das Luftwaffenhauptquartier der „NATO Response Force", der schnellen Eingreiftruppe des Militärpakts.

Am den Standort Kalkar/Uedem als Schnittstelle für die Kriegsführung aus einem Guss, spielen aber auch weitere Einrichtungen eine besondere Rolle.

Hier befinden sich, neben dem Zentrum Luftoperationen der Luftwaffe (ZentrLuftOp), das Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) sowie das Combined Air Operations Centre Uedem (CAOC Uedem) und schließlich das Nationale Lage- und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum (NLFZ SiLuRa).

Das letztgenannte „Nationale Lage- und Führungszentrum" konzentriert sich auf die innere Sicherheit, also die militärische Luftüberwachung im Innern. Dem Führungszentrum obliegt die taktische Einsatzleitung als zentraler Informationsknotenpunkt für den deutschen Luftraum.

Die vom LuftSiG geforderten Erkenntnisse durch Aufklärungs- und Überprüfungsmaßnahmen sollen in Theorie den Verteidigungsminister dazu befähigen im Ernstfall auch ein Passagierflugzeug abzuschießen zu können. Doch verlässliche Informationen können von dieser Stelle tatsächlich nicht erbracht werden. Die Vereinigung Cockpit wies in der Befragung durch das Bundesverfassungsgericht darauf hin, es sei „für diejenigen, die auf der Erde unter extremem Zeitdruck entscheiden müssten, praktisch unmöglich, verlässlich zu beurteilen, ob die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 LuftSiG vorliegen. Die Entscheidung könne im Regelfall deshalb nur auf Verdacht, nicht aber auf der Grundlage gesicherter Erkenntnisse getroffen werden."

Da die Verantwortlichen für dieses Gesetz sicherlich über diese Einwendungen unterrichtet waren, liegt es nahe, dass das LuftSiG weniger zum „Schutz des Luftraums vor Terroristen" bestimmt war (für den es offensichtlich ungeeignet ist), sondern viel eher als Ansatz dienen sollte, die Bundeswehreinsätze im Innern beschränkende Gesetzeslandschaft zu verändern.

Dagegen ist das in der Seydlitz-Kaserne in Kalkar untergebrachte „Combined Air Operations Centre" ein taktischer Gefechtsstand der NATO. Es plant, führt, beauftragt und koordiniert die Luftoperationen aller ihm zugeordneten Kräfte der NATO. Es entfaltet dabei eine tragende Rolle in der nördlichen Region der NATO, von den Niederlanden bis Estland, von den Alpen bis zur Ostsee.

Eine bislang kaum beachtete Rolle spielt in Kalkar das „Joint Air Power Competence Centre" (Kompetenzzentrum JAPCC). Dieses „Kompetenzzentrum" wurde in Januar 2005 gegründet und nahm bereits ein halbes Jahr später seine Arbeit auf. Der Schwerpunkt dieses „Kompetenzzentrums" liegt im Bereich der Weiterentwicklung der strategisch/operativen Führungs- und Einsatzgrundsätze zur Nutzung des Luft- und Weltraums durch die Streitkräfte der NATO.

Was bedeutet das alles liebe Freundinnen und Freunde? Es bedeutet: Hier wird das Wissen produziert das die Enthebung von politischer und tatsächlicher Verantwortung für Krieg und seine Opfer erst möglich macht. Hier wird Militarisierung zur politischen Größe erhoben und als gleichberechtigter Partner zur Lösung globaler gesellschaftlicher Probleme verkauft. Hier wird jenes Wissen produziert, damit Krieg als technisch-abstrakte Machbarkeitsstudie die politischen Verantwortlichen am Abzug, aus den moralisch verstandenen Kategorien von Gut und Böse enthebt.

Liebe Freunde!

Die modernen Kriege werden in der Luft geführt. Deshalb ist der Standort Kalkar/Uedem und auch das genannte „Kompetenzzentrum" für die strategische Entwicklung der Kriegsführung der NATO von enormen Gewicht. Und deshalb gehört der Standort sofort geschlossen!

Die Bedeutung des „Kompetenzzentrums (JAPCC)" und der Luft-Streitkräfte der NATO für die Kriegsführung ist auch daran ablesbar, dass der ehemalige Direktor des „Kompetenzzentrums" in den Jahren 2012-2013 General Philip M. Breedlove nun zum Alliierten Oberbefehlshaber des Bündnisses für Operationen (Supreme Allied Commander Europe -SACEUR) aufgestiegen ist.

In einem Interview für die Postille des Kompetenzzentrums sagte Breedlove: „Gegenwärtig und aus einer politischen Perspektive, sind Bodentruppen nicht die bevorzugte Option zur Leitung bewaffneter Konflikte. Die öffentliche Meinung ist weniger gewillt Operationen zu akzeptieren, welche die Entsendung tausender Truppen für längere Perioden vorsehen. Luftwaffe kann daher als probates Mittel betrachtet werden, um auf zukünftige Entwicklungen zu reagieren (…)"

Aus Sicht der Spin-Doktoren des „Kompetenzzentrums" erscheint offenbar Frieden als Bedrohung. Die zivile Bearbeitung von Konflikten löst in der NATO offenbar auch Endzeitstimmung aus. Das überrascht nicht. Wer braucht denn eigentlich noch die NATO? Die NATO scheint Bedrohungen ja regelrecht zu beschwören. Die NATO ist das Problem und nicht der Schlüssel zu einer Lösung.

Die NATO-Mitgliedstaaten hinterlassen weltweit verbrannte Erde. Libyen dass im Namen der Menschenrechte in Schutt und Asche gebombt wurde, der Irak, Afghanistan und nun soll offenbar auch Syrien folgen. Im Namen der Menschenrechte! Was für eine unerträgliche Heuchelei! Wo sind die Menschenrechte in den zerbombten Ländern heute?

Offenbar ist es die kritische Öffentlichkeit selbst die es zu bekämpfen geht angesichts der Gefahr des Wegfalls der Geschäftsgrundlage für die NATO. Breedlove spricht im Kontext der Operation Unified Protector, dem Krieg der NATO und der USA gegen Libyen von der Gefahr einer „declassifying imagery". Es sind also die enthüllten Bilder über die Realität des NATO-Krieges, die Gegenöffentlichkeit die den Generälen Kopfschmerzen bereitet. Mit Breedloves Worten: „Das Umfeld unserer zukünftigen Operationen, selbst in den ärmsten Ländern, wird ‚verkabelt' und durch soziale Netzwerke miteinander verbunden sein, die es erheblich beeinflussen und verlagern werden. (…) deshalb müssen wir ganz genau schauen, wie wir Bilder und Informationen nutzen zu unserem besten Vorteil".

Und das „Kompetenzzentrum" hängt dabei nicht im luftleeren Raum. Es trägt maßgeblich dazu bei entsprechenden Druck auf den Bundeshaushalt auszuüben. Weitere Skandale wie der Euro-Hawk oder der sich anbahnende neue Skandal um den „Global Hawk" sind vorprogrammiert.

Einst ist sicher liebe Freundinnen und Freunde, mit den Spin-Doktors der NATO aus Kalkar werden in Zukunft noch mehr Steurer-Gelder im sicherheitspolitischen Nirwana versenkt. In der Praxis entfalten die hier entwickelten logistischen und strategischen Analysen aber einen bedeutsamen Einfluss auf Mitgliedstaaten der NATO und ihre Abhängigkeit von der Militär-Industrie. Besonders wichtig ist dabei der Druck der dank der Überlegungen des „Kompetenzzentrums" über die Treffen der „Defence Requirements Review (DRR)", die Mitgliedstaaten zu bestimmten militärischen Investitionen und Ankäufen nötigt.

Kalkar und Uedem machen deutlich welchen Einfluss die NATO und der militärisch-industrielle Komplex mittlerweile auf die Mitgliedstaaten besitzt.

Eine friedliche Außenpolitik in Deutschland wird es nur geben, wenn wir NEIN zur NATO sagen. Wir brauchen kein globales Kriegsführungsbündnis. Wer wie die anderen Parteien in Nibelungentreue zur NATO steht, der will nichts anderes als die Beteiligung Deutschlands am globalen NATO-Krieg um Ausbeutung und Armut zu zementieren. Seit Jahrzehnten zieht die NATO eine Blutspur durch die Welt. Hier in Deutschland befindet sich ihre Infrastruktur für ihre mörderischen Aktionen und imperialistischen Kriege. Ich will, dass die NATO Kalkar und Uedem verlassen muss. Nicht morgen oder übermorgen, sondern am besten heute! Es muss die Zeit geben, wo wir hierher zurückkommen und zurückdenken an den erfolgreichen Kampf gegen die Mordzentralen hier!

Nie wieder Krieg! Nein zur NATO!

Quelle: Website von Sevim Dagdelen; http://www.sevimdagdelen.de


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