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Vögel statt Panzer

Sachsen-Anhalt: Grüne legen EU-Beschwerde gegen geplante Kriegsübungsstadt "Schnöggersburg" ein. Sie vermuten Verstöße gegen Umweltschutz

Von Susan Bonath *

Die geplante Militärübungsstadt »Schnöggersburg« in der Colbitz-Letzlinger Heide beschäftigt Sachsen-Anhalts Parlament weiter. Gut zwei Monate nach dem ersten Spatenstich hat der Grünen-Abgeordnete Dietmar Weihrich Beschwerde bei der EU-Kommission in Brüssel gegen das Bauvorhaben eingelegt, wie er am Sonntag nachmittag junge Welt informierte. »Das betroffene Gelände ist als Europäisches Vogelschutz- und Fauna-Flora-Habitat-Gebiet ausgewiesen. Baumaßnahmen mit Versiegelung einer Fläche von dieser Größe verstoßen daher gegen EU-Recht«, begründete er den Schritt. Mit »Schnöggersburg« soll im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark ein 100 Millionen Euro teures und 6,5 Quadratkilometer großes »urbanes Zentrum« mit Wohn- und Industrievierteln, Autobahn, ¬U-Bahntunnel und Flugplatz entstehen. Bundeswehr- und ausländische Soldaten sollen dort auf Kampfeinsätze in Großstädten vorbereitet werden.

Weihrich hatte den Gang zur EU-Kommission bereits Mitte Dezember im Magdeburger Landtag angekündigt. Dies sei die einzige Möglichkeit, gegen das Bundesprojekt vorzugehen, »weil wir kein Klagerecht haben«, erklärte er damals. Die Debatte hatte die Linkspartei initiiert, um die nach Ansicht der Opposition »unzureichenden« Antworten der Landesregierung auf ihre große Anfrage auszuwerten, die seit November vorliegen. Weder sei sie darin genügend auf Schutzregelungen für Vögel und Fledermäuse eingegangen, noch habe sie die Themen »erhöhtes Verkehrsaufkommen« und »Wasser« ausreichend beachtet, hieß es. Die Colbitz-Letzlinger Heide ist eines der größten Trinkwasserschutzgebiete in der Bundesrepublik.

Weihrich bezeichnete die Angaben der Landesregierung als »widersprüchlich und fehlerhaft«. So liege noch nicht einmal eine komplette Kartierung des Areals vor, was es unmöglich mache, die Auswirkungen für das gesamte Schutzgebiet abzuschätzen. »Einerseits heißt es, daß Verkehrsaufkommen und Lärmpegel nicht steigen, andererseits soll eine Behelfslandebahn für Flugzeuge entstehen – das paßt nicht«, erklärte Weihrich. Am Montag kritisierte er auf jW-Nachfrage zudem »die Geheimniskrämerei« von Bundeswehr und Behörden. »Die Regierung hat sich geweigert, uns Einsicht in Umweltschutzgutachten und Baugenehmigungen des Landesverwaltungsamtes zu gewähren, weil dies Verschlußsachen seien«, sagte er.

Die Linksfraktion unterstützt die Beschwerde des Grünen-Politikers, wie deren Abgeordneter Uwe Volkmar Köck am Montag gegenüber jW versicherte. »Allerdings sehen wir wegen der vielen Ausnahmen im EU-Recht keine großen Erfolgschancen«, räumte er ein. Die Linke will weiterhin auf die Unterlagen dringen, um so gezielt gegen einzelne Punkte vorgehen zu können. »Trotz Geheimhaltung gibt es da besondere Regelungen für Abgeordnete«, betonte Köck. Schließlich sei eine Versiegelung des Bodens einer der schwersten Eingriffe in unbebautem Gelände. »Es gibt gesetzliche Bestimmungen, an die sich auch die Bundeswehr halten muß«, meinte er.

Doch nicht nur in Sachen Naturschutz stößt die Opposition bei CDU und SPD auf taube Ohren. Die Warnungen der Linken, daß Soldaten in der Modellstadt für die Bekämpfung sozialer Unruhen im Aus- und Inland ausgebildet würden, verhallten bisher ebenso. Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) warf den Abgeordneten sogar vor, das Ehrgefühl der Soldaten mit derartigen Äußerungen zu verletzen. Sie seien immerhin Teil einer »Parlamentsarmee« und der Staat müsse sie bestens ausbilden. Und schließlich seien die Anrai¬nergemeinden mit dem Ausbau einverstanden und profitierten wirtschaftlich davon, so Stahlknecht im Dezember. »Geheimniskrämerei« könne er nicht erkennen. Ein Beleg dafür sei, daß der GÜZ-Betreiber und Waffenproduzent Rheinmetall »gerade einen Auftrag von Rußland gekriegt hat – und das in aller Transparenz –, dort genau das nachzubauen, was wir hier haben.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 08. Januar 2013


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