Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Baustopp für Schnöggersburg?

Vogelschutz ignoriert: EU-Kommission hat Bedenken gegen Genehmigung der Militärstadt in Sachsen-Anhalt

Von Susan Bonath *

Das Landesverwaltungsamt (LVWA) Sachsen-Anhalt hätte den Bau der Kriegsübungsstadt Schnöggersburg im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide nicht genehmigen dürfen. Zu diesem Schluß kommt der umweltpolitische Sprecher der sachsen-anhaltischen Grünen-Fraktion, Dietmar Weihrich, nach einer Antwort der Europäischen Kommission auf eine Anfrage der Grünen im EU-Parlament. Wie aus dieser hervorgeht, hat die Landesbehörde den Vogelschutz nicht ausreichend beachtet.

Weihrich geht davon aus, daß die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten wird. Das sagte er am Freitag im Gespräch mit junge Welt. »Es gibt keine andere Möglichkeit; das ist ein Verstoß, den die EU nicht tolerieren kann.« Er sieht sich in seiner Annahme bestätigt, die er in seiner Beschwerde vom Januar 2013 geäußert hatte. Danach hätte das LVWA das Vorhaben nicht ausschließlich auf der Grundlage der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie genehmigen dürfen, sondern die strengeren Bestimmungen der europäischen Vogelschutzrichtlinie beachten müssen.

»Nun müßte der Bau der Übungsstadt sofort gestoppt werden«, erwartet der Politiker. Weihrich befürchtet aber, daß »die Bundeswehr das nicht interessieren könnte«. »Bisher setzte sie sich immer über alles hinweg«, kritisierte er. Bereits im November wurde der Grundstein für Schnöggersburg auf dem GÜZ-Gelände gelegt.

Die um einen künstlichen Fluß herum geplante Geisterstadt soll 6,5 Quadratkilometer groß werden und den Staat mehr als 100 Millionen Euro kosten. Außer mit Anwohnern soll sie mit allem ausgestattet werden, was westliche Metropolen auch haben: Hochhäuser, Infrastruktur samt Kanalisation, Stadion, Flugplatz, Industriegebiet und Elendsviertel sowie Bahn- und U-Bahnnetz. Ab 2017 sollen in Schnöggersburg bis zu 1500 NATO- und Bundeswehrsoldaten gleichzeitig für den Einsatz in Krisengebieten trainieren.

Schon jetzt erhalten Soldaten im GÜZ den letzten Schliff für Kriegs­einsätze in aller Welt. Betrieben wird der europaweit modernste Truppenübungsplatz mit einer Fläche von 232 Quadratkilometern vom Düsseldorfer Waffenproduzenten Rheinmetall. Auch Schnöggersburg soll künftig unter dessen Obhut fallen. In den vergangenen fünf Jahren verdiente Rheinmetall einen dreistelligen Millionenbetrag am GÜZ. Das lange geheim gehaltene »Projekt Schnöggersburg« wurde umfänglicher erstmals im Frühjahr 2012 publik. Seitdem wehren sich Linke und Kriegsgegner dagegen. Sie befürchten, daß Soldaten in der Übungsstadt auch für Einsätze in Europa und im Inland ausgebildet werden. Zwei Protestaktionen im September 2012 und im Juli 2013 begegneten Polizei und Bundeswehr mit einem Großeinsatz. Von vielen Landes- und Kommunalpolitikern sowie in lokalen Medien wird das GÜZ vor allem als Arbeitsplatzbeschaffer und Wirtschaftsfaktor gelobt.

* Aus: junge Welt, Samstag, 24. August 2013


Zurück zur Seite "Stützpunkte, Militärstandorte, Übungsplätze"

Zurück zur Homepage