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50 Jahre Friedensdienst

Von der "Wehrkundetagung" zur "Sicherheitskonferenz": Münchner Treffen hat Interessen des deutschen Imperialismus fest im Blick und soll "festes Band" zu den USA knüpfen

Von Peer Heinelt *

Sage niemand, der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Klaus Naumann, sehe Geschichte nicht aus der Perspektive des deutschen Imperialismus. Schon vor der an diesem Wochenende stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz präsentierte er in der Berliner Vertretung des Landes Bayern eine Festschrift zum 50. Jubiläum der wichtigsten militärpolitischen Tagung Deutschlands – und zwar so: »Das Buch ruft dem Leser … die fünfzig Jahre von 1963 bis 2013 in Erinnerung und erinnert an die großen sicherheitspolitischen Weichenstellungen dieser Jahre, die letztlich dazu beitrugen, den fast hundertjährigen Konflikt um die Ordnung Europas und den Platz der Deutschen darin, der im August 1914 begann, in seiner letzten und längsten Phase, dem Kalten Krieg, mit der Einheit Deutschlands und dem Ende der Teilung Europas zu Ende zu bringen.« Zwei von Deutschland begonnene Weltkriege, die Zigmillionen Tote zur Folge hatten und deren letzter explizit als Vernichtungsfeldzug gegen Juden, Kommunisten und »slawische Untermenschen« geführt wurde, sind da natürlich nur Petitessen, diente das große Morden doch einem hehren Ziel: der Einigung Europas unter deutscher Führung.

Alte Kameraden

Es verwundert vor diesem Hintergrund nicht, daß anläßlich der 50. Münchner Sicherheitskonferenz einem vormaligen Offizier der Naziwehrmacht ausgiebig gehuldigt wird. Die Rede ist von Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin, auf dessen Initiative das Treffen von Militärs, Politikern, Rüstungsindustriellen und anderen Vertretern des Kapitals 1963 zum ersten Mal stattfand – seinerzeit noch unter dem Titel »Internationale Wehrkundebegegnung« oder schlicht »Wehrkundetagung«. Der im vergangenen Jahr verstorbene Kleist gilt hierzulande als sakrosankt, zählte er doch zu den Verschwörern um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, die am 20. Juli 1944 erfolglos versuchten, Adolf Hitler zu töten und die Regierungsgewalt zu übernehmen. Daß die Putschisten dabei weniger von antifaschistischer Überzeugung als von der Angst vor der totalen Niederlage geleitet wurden, ließ Kleist selbst anno 2010 in einer Rede vor Bundeswehrrekruten durchblicken: »Sie dachten … nicht nur an die Soldaten an der Front, sondern auch die Menschen in der Heimat erlitten Schreckliches, wenn nach den Bombenteppichen Straßen zusammenstürzten und die Menschen in den Kellern verschüttet waren, nicht wissend, ob sie verbrennen, ersticken oder befreit würden.«

Von jeder grundsätzlichen Kritik an Krieg und Militarismus gänzlich unbeeindruckt rief Kleist bereits 1952 – drei Jahre vor der offiziellen Gründung der Bundeswehr – die »Gesellschaft für Wehrkunde« (GfW) ins Leben, bei der selbst verurteilte Naziverbrecher hoch willkommen waren. Der aus Steuermitteln finanzierte Verein, der mittlerweile zwar »Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik« heißt, aber immer noch unter dem Kürzel GfW firmiert, hat aktuell rund 7000 Mitglieder, darunter zahlreiche hochrangige Funktionsträger aus Staat, Politik, Militär und Rüstungsindustrie. Bis heute sieht die Organisation ihre Aufgabe darin, »Verständnis zu wecken für die stete Notwendigkeit, den Frieden in Freiheit und die Souveränität Deutschlands zu schützen sowie den Gefahren der inneren Schwächung des freiheitlichen Selbstbehauptungswillens entgegenzuwirken«.

Mit der GfW und einem Netzwerk alter Kameraden im Rücken unternahm es Kleist, nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg nun zumindest den sogenannten Kalten Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen. Der Münchner »Wehrkundetagung« kam dabei die Funktion zu, ein »festes Band« zwischen den USA und der BRD zu knüpfen, wie General a. D. Klaus Naumann formulierte. Die in diesem Zusammenhang entwickelte Strategie, den alten Feind im Osten – aller öffentlich bekundeten Verhandlungsbereitschaft zum Trotz – durch einen nie gekannten Rüstungswettlauf an den Rand seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu treiben, hatte schließlich Erfolg. Die Sowjetunion sah sich laut Naumann Ende der 1980er Jahre nicht zuletzt aus Mangel an Ressourcen gezwungen, ihre »Außenpolitik zu ändern«: »Damit bot sich dann Deutschland die einmalige … Chance der deutschen Einheit, die Helmut Kohl entschlossen nutzte und vor allem Dank amerikanischer Unterstützung auch erfolgreich verwirklichen konnte.«

1999 übernahm der von Bundeskanzler Kohl hoch geschätzte Berater und Rüstungslobbyist Horst Teltschik (CDU) die Leitung der mittlerweile »Sicherheitskonferenz« genannten Münchner Tagung. Von einer »Friedensdividende«, die nach dem Ende des »Kalten Krieges« Ost wie West in Form drastisch verminderter Rüstungsausgaben zugute kommen sollte, war zu diesem Zeitpunkt längst keine Rede mehr, im Gegenteil: Bereits wenige Wochen nach dem Münchner Treffen fielen deutsche Bomben auf Jugoslawien – zum zweiten Mal in einem Jahrhundert.

Neue Kriegslügen

Der seit 2009 amtierende Leiter der Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, war an der Führung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs ebenso maßgeblich beteiligt wie sein Freund Naumann – ersterer als Staatssekretär im Auswärtigen Amt, letzterer als Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Bis heute verteidigen beide die Aggression mit der vielfach widerlegten Propagandalüge, man habe eine »humanitäre Katastrophe« in der serbischen Provinz Kosovo verhindern müssen. Aber darüber sollte sich nun wirklich niemand mehr wundern, schließlich gilt ihnen auch die Münchner Militärtagung als internationales Forum zur »Förderung friedlicher Konfliktlösung«.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. Februar 2014


Ein Mann deutlicher Worte

Von Peer Heinelt **

Wolfgang Ischinger, seit 2009 Leiter der regelmäßig zu Jahresbeginn stattfindenden Münchner Sicherheitskonferenz, hat einen Traum: die EU-Armee. Schon kurz nach dem Amtsantritt der Großen Koalition aus CDU und SPD gab er folgende Stellungnahme zum Koalitionsvertrag ab: »Die Bundesregierung (wird) die europäische Verteidigungsintegration unterstützen und die Gründung einer europäischen Armee als langfristiges Ziel beibehalten. Dies mag für die Praxis nicht viel bedeuten, doch ist die Sprache in diesem Abschnitt erfreulich deutlicher als an anderen Stellen.«

Deutlich wurde Ischinger auch in einem kürzlich erschienen Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Es sei an der Zeit, sich nicht länger »hinter dem Schutzschild der USA« zu verstecken und die »zweite Geige« zu spielen, erklärte der ehemalige deutsche Spitzendiplomat. Die seit Jahren anhaltende Weltwirtschaftskrise, die unter anderem weite Teile der griechischen Bevölkerung bereits in die völlige Verelendung gestürzt hat, kommt Ischinger da gerade recht – scheint sie doch geeignet, ihn der Verwirklichung seines Traums ein ganzes Stück näher zu bringen: »Infolge der Krise in Europa ist das Gewicht Deutschlands gewachsen. So sind auch die Erwartungen der Welt an die deutsche Führungskraft gestiegen. (…) Es ist die Chance Deutschlands, als Schwergewicht in der EU zu wirken.« Er wünsche sich, »daß wir in der Zusammenarbeit der Verteidigungsministerien von Strukturen des 19. Jahrhunderts wegkommen, wo jeder Staat seine nationalen Armeen pflegt«, erklärte Ischinger und fragte rhetorisch: »Warum sind wir nach 50 Jahren immer noch nicht so weit, auf dem militärischen Feld das Prinzip der Integration zum Leben zu erwecken?«

Für problematisch hält Ischinger in diesem Zusammenhang allerdings, daß im Fall der Entsendung der Bundeswehr in ausländische Kriegsgebiete nach wie vor der sogenannte Parlamentsvorbehalt gilt. Diesen würde er am liebsten sofort auf den Müllhaufen der Geschichte werfen, wie er bereits in seiner Kritik am Koalitionsvertrag deutlich machte: »Die Sorge ist, daß Deutschlands Partner kaum (…) Entscheidungen im Sinne einer weitergehenden Integration ihrer Streitkräfte zustimmen würden, wenn der Bundestag ein uneingeschränktes Veto bei allen militärischen Einsätzen behielte.«

Künftige Einsatzgebiete sieht Ischinger nach eigenem Bekunden vor allem in Afrika, das er »nicht den Chinesen überlassen« möchte. Der Nachrichtensender n-tv, der Ischinger mit dieser Äußerung zitierte, weiß auch, warum etwa die Zentralafrikanische Republik ganz oben auf der Interventionsagenda des Leiters der Münchner Sicherheitskonferenz steht: Hier »gibt es Gold, Diamanten, Uran, Holz, Kaffee und zahlreiche andere Rohstoffe. Allerdings rangiert das Land mit einem Handelsvolumen von nur etwa fünf Millionen Euro im Jahr 2012 gerade einmal an 175. Stelle der deutschen Handelspartner«. Da muß man sich fast freuen, daß sich Ischinger im Fall der Ukraine noch auf die politische Unterstützung der mit Faschisten durchsetzten Opposition beschränkt. Der Mann kann auch anders.

** Aus: junge Welt, Samstag, 1. Februar 2014

Hintergrund: Gesellschaft für Wehrkunde

Als der vormalige Leutnant der Naziwehrmacht, Ewald-Heinrich von Kleist-Schmenzin, 1952 die »Gesellschaft für Wehrkunde« (GfW) gründete, waren ihm selbst verurteilte Kriegsverbrecher hoch willkommen. Zu diesen zählte Georg-Hans Reinhardt, der von 1954 bis 1963 das Amt des Vorsitzenden der Organisation bekleidete. Reinhardt, der es in Hitlers Armee bis zum Generaloberst gebracht hatte, war erst im Gründungsjahr der GfW aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen worden. Das US-Militärtribunal in Nürnberg hatte ihn 1948 in einem Prozeß gegen Angehörige des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) für schuldig befunden, sowohl Massenerschießungen als auch die Tötung jüdischer Kriegsgefangener der Roten Armee befohlen zu haben. Nachgewiesen wurde ihm zudem die Zusammenarbeit mit den SS-Einsatzgruppen, die vor allem in Polen und der Sowjetunion systematisch Hunderttausende Juden und Kommunisten ermordet hatten.

Die GfW, die sich mittlerweile »Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik« nennt, hat heute rund 7000 Mitglieder. Den Vorsitz des als gemeinnützig anerkannten Vereins führt die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Merten; zu den diversen Vizepräsidenten der Organisation zählt unter anderem Generalleutnant a. D. Kersten Lahl, ehemals Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), des zentralen militärpolitischen Thinktanks des Bundes. Im »Kuratorium« der GfW, das dem Vorstand beratend zur Seite steht, finden sich so illustre Persönlichkeiten wie der vormalige Chef der Soldatengewerkschaft »Deutscher Bundeswehrverband«, Oberst Ulrich Kirsch, und der ehemalige Rüstungsmanager Werner Dornisch (CSU). Aktuell leitet Dornisch die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik (DWT), die analog zur GfW eine Scharnierfunktion zwischen Politik, Bundeswehr und Waffenschmieden wahrnimmt.

Der in der Satzung festgelegte Zweck des Vereins, dürfte sich seit dessen Gründung kaum verändert haben: Es gehe darum, heißt es, »die allgemeine Verteidigungsbereitschaft unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Streitkräfte zu erhalten«. Auch so läßt sich ein Bekenntnis zur Militarisierung der Gesellschaft und zum Führen von Kriegen in aller Welt formulieren.

(ph)




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