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"Abzugsperspektive ist nichts weiter als Propaganda"

Münchner Antikriegsgruppen erwarten 5000 Demonstranten gegen die "Sicherheitskonferenz" am Wochenende. Ein Gespräch mit Claus Schreer


Claus Schreer ist Mitorganisator und Pressesprecher des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz.

Wie ist der Stand der Protestvorbereitungen?

Die Mobilisierung läuft auf Hochtouren. Mehr als 90 Organisationen aus München und anderen Städten haben unseren Aufruf gegen die NATO-Kriegstagung in München unterzeichnet. Zur Großdemonstration am Samstag erwarten wir 5000 Teilnehmer.

Während andere Friedenskundgebungen über Teilnehmerschwund klagen, ist die Demo gegen die Münchner Siko seit Jahren der größte Antikriegsprotest bundesweit. Wie kommt das?

Wir haben in München einen sehr konkreten Anlaß und den Gegner direkt vor Ort. Im Bayerischen Hof versammeln sich die Verantwortlichen für die völkerrechtswidrigen Aggressionskriege der USA und der EU-Staaten. Das bringt jedes Jahr ein sehr breites Bündnis aus Friedensorganisationen, Jugendverbänden, Umwelt- und Dritte- Welt-Gruppen, linken Organisationen und Parteien bis zu Gruppen aus dem autonomen Spektrum zusammen.

Der Demoaufruf ist dezidiert antikapitalistisch – was hat Kritik am Kapitalismus mit der Siko zu tun?

Die NATO ist ja kein Verteidigungsbündnis. Sie ist dazu da, die Wirtschafts- und Vorherrschaftsinteressen der reichen und mächtigen kapitalistischen Staaten und ihrer global operierenden Konzerne notfalls mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Zentrale Aufgabe der NATO ist heute die Ressourcensicherung, also die Kontrolle der Länder mit den größten Öl- und Gasreserven der Welt. Das war auch der Hintergrund für den völkerrechtswidrigen Angriff auf den Irak und ist der Grund für die Kriegsdrohungen gegen den Iran. Der Iran besitzt sowohl die zweitgrößten Öl- als auch die zweitgrößten Gasreserven der Welt. Im Afghanistankrieg geht es den USA und den EU-Staaten vor allem um die strategisch einmalige Lage des Landes mitten in Zentralasien, zwischen Rußland, China, Indien und dem Iran. Die NATO braucht Afghanistan als Energiekorridor für den Öl- und Gas-transport aus den Kaukasusrepubliken. Das Stichwort Energiesicherheit gehört auch zu den Themen auf der NATO-Militärtagung in München.

Zu den Gästen der Konferenz gehören bisweilen auch iranische und russische Politiker – ist sie tatsächlich ein Ort des Dialogs?

Einen Dialog mit dem Iran hat es auf der Siko bisher nicht gegeben, sondern offene Kriegsdrohungen. Außenminister Westerwelle verlangte letztes Jahr harte Sanktionen, um Teheran zur vollständigen Einstellung seiner Urananreicherung zu zwinge, und US-Senator Joe Lieberman drohte unwidersprochen mit einem militärischen Angriff.

Rußland dagegen soll in die Kriegspolitik der NATO eingebunden werden und ist dazu offensichtlich auch bereit. Beispiele dafür sind das Transitabkommen mit der NATO, eine Unterstützung für den Krieg in Afghanistan, die Zustimmung zu den Sanktionen gegen den Iran im Weltsicherheitsrat oder die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei der NATO-Raketenabwehr.

Die von der NATO für Afghanistan angekündigte »Abzugsperspektive« kommt in Ihren Presseerklärungen nicht gut weg ...

Das Gerede von der »Abzugsperspektive« ist nichts weiter als Propaganda. Der Krieg werde erst dann beendet, »wenn die Lage es erlaubt«, sagte Guttenberg bei der Parlamentsdebatte über die Mandatsverlängerung für den Bundeswehreinsatz. Das ist auch der Standpunkt der NATO. Zu diesen Kriegstrommlern gehört auch der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger. In Interviews warnt er vor einem baldigen Truppenabzug. Über Rückzugsdaten der Bundeswehr solle »man erst reden, wenn die NATO ihr Ziel erreicht hat«.

Wann gehen die Proteste los, und was sind die wichtigsten Termine?

Am Freitag um 18 Uhr gestalten Künstler und Musikbands auf dem Marienplatz das Programm »Kultur gegen den Krieg«. Am Samstag um 13 Uhr findet die Großdemonstration statt. Sie beginnt auf dem Marienplatz und endet auch wieder dort. Reden werden unter anderem Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung, die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen und Eugen Drewermann.

Interview: Frank Brendle

* Aus: junge Welt, 4. Februar 2011

Lesen Sie auch:

Friedensbewegung gegen Münchner (Un)Sicherheitskonferenz
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag




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