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Kairo und der Bayerische Hof

Aktuelle Ereignisse schrieben neue Agenda

Von Olaf Standke *

Bis Sonntag (6. Feb.) debattieren 350 Politiker und Experten in München die internationale Lage. Von Bundeskanzlerin Merkel über USA-Außenministerin Clinton und den britischen Premier Cameron bis UN-Generalsekretär Ban und NATO-Generalsekretär Rasmussen reicht die illustere Teilnehmerliste der privat organisierten 47. Sicherheitskonferenz. Friedensaktivisten wollen ihnen einen stürmischen Empfang bereiten.

Eigentlich stand das Programm der diesjährigen Konferenz. Vom Dauerkonflikt Afghanistan bis zum »Cyberwar« und den Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die globale Sicherheit als neue Herausforderungen reichte die Agenda, und auch das Thema Nahost fand sich im Zeitplan. Zumal sich das gleichnamige diplomatische Quartett (USA, EU, Russland, UNO) auf Initiative und unter Vorsitz der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton am Rande der Münchener Veranstaltung zu Beratungen treffen will.

Doch nun dürften der viel beschworene »Krieg via Internet« und die längst bestehenden Militär- und Geheimdienststrukturen auf diesem neuen Schlachtfeld wieder in den Hintergrund treten. Die Entwicklungen in Nordafrika, vor allem der Bürgeraufstand in Ägypten, oder die Frage nach den Auswirkungen dieser Ereignisse auf den Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern diktieren inzwischen die Tagesordnung mehr, als sich das auch der Konferenzchef Wolfgang Ischinger vor vier, fünf Wochen noch vorstellen konnte.

Am Samstagnachmittag (5. Feb.) hat der frühere Spitzendiplomat jetzt Debattenraum freigeschaufelt. Ausreichend Politiker und sonstige Experten aus der Region stehen ja auf der Gästeliste. Auch Obamas Sonderbeauftragter Frank Wisner, der zuletzt in Kairo Präsident Husni Mubarak im Auftrag seines Dienstherrn zur Machtübergabe gedrängt hat, ist angefragt. Ischinger selbst redet einer »verantwortungsvollen« Förderung der Demokratie das Wort und warnte mit Blick auf Kairo vor populistischen Slogans wie »Weg mit Mubarak«. Nicht jeder davongejagte Diktator werde zwangsläufig von einer Demokratie ersetzt. Es gebe keine einfachen Lösungen. Doch bei der »Gratwanderung zwischen Realpolitik und idealen Ansprüchen« müsse die EU den demokratischen Kräften gut zuhören – nicht immer habe sie sich bisher dieser »Aufgabe überzeugend gestellt«. Mehr diplomatische Floskel geht kaum.

An anderer Stelle ließ der Konferenzmacher allerdings die Muskeln spielen und hat den belorussischen Außenminister mit Verweis auf die Vorgänge um die Präsidentenwahlen kurzerhand wieder ausgeladen. Äthiopiens Regierungschef Meles Zenawi dagegen erhielt von Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel eine eindrückliche Einladung zur Konferenz; die Bundesregierung soll in München Gespräche über eventuelle neue Operationen in Somalia planen. Addis Abeba versucht sich seit Längerem als prowestliche Ordnungsmacht am Horn von Afrika zu positionieren. Scharfe Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen gegen die katastrophalen Zustände im Lande sind da offensichtlich zweitrangig.

Noch ist unklar, ob auch Iran wieder einen hochrangigen Vertreter nach München schickt. Aus Afghanistan kommt auf alle Fälle Präsident Hamid Karsai, doch Vorschläge zur baldigen Beendigung des Krieges am Hindukusch sind angesichts der handverlesenen Zusammensetzung der Konferenz nicht zu erwarten.

Auch wenn sich Ischinger immer wieder gegen den Vorwurf wehrt, einem Propagandaforum für NATO-Einsätze vorzustehen, und selbst wenn dort die Außenminister Russlands und der USA in diesem Jahr die Ratifizierungsurkunden für den START-Nachfolgevertrag austauschen wollen und das atomare Abrüstungsabkommen damit in Kraft tritt, in München geht es nun einmal auch darum, wie der militärische Arm des Westens in Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen am effektivsten Krieg führen kann – gesponsert von Rüstungskonzernen wie EADS und der Bundesregierung. Fast 800 000 Euro lässt sich Berlin das Spektakel kosten, 330 Bundeswehrsoldaten werden für diesen Inlandseinsatz abgestellt. Und während man im »Bayerischen Hof« über die Demonstrationen in Kairo oder Tunis redet, wird die Tagungsstätte von tausenden Polizisten gegen Münchener Demonstranten abgeschottet.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Februar 2011

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Von der Wehrkundetagung zur Sicherheitskonferenz

Mindestens zwölf Staats- und Regierungschefs, fast 40 Außen- und Verteidigungsminister sowie die Generalsekretäre von UNO und NATO treffen sich an diesem Wochenende in der bayerischen Hauptstadt mit weiteren Diplomaten, Militärpolitikern und Rüstungslobbyisten in einem Hotel. Sie gehören zu den 350 Teilnehmern aus über 50 Staaten an der »weltweit wichtigsten Konferenz für Sicherheitspolitik«, wie sich das heute beginnende privat organisierte Gesprächsforum ohne Entscheidungsbefugnis selbst ganz bescheiden nennt. Obwohl es keinen regierungsoffiziellen Charakter hat, entwickelte sich das Treffen im Laufe der Jahre tatsächlich zu einem der wichtigsten seiner Art.

Ins Leben gerufen wurde es 1962 als »Wehrkundetagung« vom deutschen Verleger Ewald von Kleist. Bis 1998 moderierte der ehemalige Wehrmachtsoffizier, der zum Widerstandskreis um Stauffenberg gehörte, die Veranstaltung. Bestimmte anfangs vor allem das Ost-West-Verhältnis die Tagesordnung, wurde das Forum nach dem Ende des Kalten Krieges in »Sicherheitskonferenz« umbenannt, um seinen globalen Charakter zu unterstreichen.

Horst Teltschik, einst sicherheitspolitischer Berater Helmut Kohls, übernahm die Leitung und behielt sie auch, als er Präsident von »Boeing Deutschland« beim US-amerikanischen Rüstungs- und Luftfahrtkonzern wurde. Es ist diese Verquickung von Politik, Militär und Rüstungsindustrie, die von Friedensaktivisten scharf kritisiert wird. In den vergangenen Jahren war die von starken Polizeikräften abgeschottete Konferenz immer wieder von massiven Protesten der NATO-Gegner begleitet. Teltschik, der 2008 vom früheren deutschen Botschafter in Washington und London, Wolfgang Ischinger, abgelöst wurde, empfand es denn auch als »Tragik der Demokratie«, dass dort »jeder seine Meinung öffentlich vertreten darf« und politisch Verantwortliche beschützt werden müssten. »In Diktaturen würde so etwas nicht passieren.« Sta




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