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US-Senator droht mit Militärschlag

Iranische Vorschläge auf Münchener Sicherheitskonferenz brüsk zurückgewiesen

Vor dem Hintergrund des Afghanistan-Einsatzes strebt die NATO in Zukunft nach engerer Zusammenarbeit mit Russland, China und Indien. Dies äußerten Politiker des Militärpaktes am Wochenende auf der Münchener Sicherheitskonferenz. Im Fokus der Tagung stand jedoch das Thema Iran.

Die Tagesordnung der Münchener Sicherheitskonferenz wurde kurz vor Beginn ihrer diesjährigen Auflage am Freitagabend (5. Feb.) praktisch neu geschrieben. Das lag am Überraschungsgast Manutschehr Mottaki. Die vorher nicht angekündigte Teilnahme des iranischen Außenministers machte den Streit um das iranische Atomprogramm zum Schwerpunkt der Tagung. Laut Konferenzleiter Wolfgang Ischinger nahm Mottaki auf Initiative Teherans an der Runde teil.

Der iranische Außenminister erklärte eine Einigung in den Streitfragen um sein Atomprogramm für greifbar. »Ich denke, wir nähern uns einer endgültigen Vereinbarung, die von allen Seiten akzeptiert werden kann«, sagte Mottaki am Freitagabend. Eine Verständigung über die Entsendung von iranischem Uran zur Anreicherung ins Ausland sollte »in nicht allzu ferner Zukunft« möglich sein. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte Anfang der Woche bereits ein mögliches Einlenken im Atomstreit signalisiert, ohne allerdings auf die von der Internationalen Atomenergiebehörde gestellten Bedingungen näher einzugehen.

Bei den in München anwesenden Vertretern der NATO-Staaten stieß der Auftritt des iranischen Außenministers allerdings auf Zurückhaltung, manche sprachen von Eskalation. »Unsere Hand bleibt ausgestreckt, aber bisher greift sie ins Leere«, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle am Samstag (6. Feb.) auf der Konferenz. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg bezeichnete Mottakis Rede als »vertane Chance«. Iran biete nur die Fortsetzung eines »durchschaubaren Spiels auf Zeit«.

Der Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama, General James Jones, sagte in München, die iranischen Atompläne seien die derzeit »größte Bedrohung« für die internationale Sicherheit. Die schärfste Entgegnung in München lieferte der US-Politiker Joseph Lieberman. Der Hardliner der Demokraten im US-Senat drohte offen mit einem Angriff auf Iran. Dabei hatte Mottaki eine mögliche militärische Nutzung der Atomkraft für sein Land ausgeschlossen. Von einem Bedarf an Energie sprach er, von Hunderttausenden Kranken, die mit Hilfe der Erkenntnisse aus der Nuklearforschung behandelt werden könnten. »Die Zeiten von Atomwaffen sind längst vorbei«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow betonte das Recht Irans auf ein friedliches Atomprogramm. Allerdings müsse Iran »einige Fragen« der Internationalen Atomenergiebehörde »klar beantworten«. In Teheran ordnete am Sonntag Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad in seinem Land die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent an. Das ist der für medizinische Forschung benötigte Anreicherungsgrad. Für den Bau von Atomwaffen würde zu 85 Prozent hoch angereichertes Uran benötigt.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010


Eskalation

Von Jürgen Reents **

Über das iranische Regime und seine Repression im Innern lässt sich wahrlich nichts Gutes sagen. Doch ist es kurzschlüssig, daran auch den Verdacht einer atomaren Bedrohung zu knüpfen. Tatsächlich beansprucht Iran im so genannten Atomstreit etwas für sich, was anderen Staaten selbstverständlich ist: die zivile Nutzung der Atomenergie. Das ist bei genereller Ablehnung der Atomenergie unerfreulich und man kann mutmaßen, ob dies die ganze Wahrheit ist, oder Iran – wie Pakistan, Indien und Israel, jeweils mit US-Segen – nicht doch in den Club der Atommächte strebt. Beweise dafür gibt es keine. Mit seiner in der Vorwoche erklärten und von Außenminister Mottaki wiederholten Bereitschaft, sein Uran zur Anreicherung ins Ausland zu liefern, was vor allem der Westen immer verlangte, hatte Iran die Zeichen auf einen Kompromiss gestellt. Es scheint aber so, dass gerade dies den Hardlinern in Washington und anderswo missfiel. Sie konnten den Iran nicht mehr wie gewohnt als unnachgiebig anklagen. Senator Lieberman unterstellte, dass Mottaki »uns alle einfach anlügt«. Nun kennt man sich bei US-Politikern mit Lügen auf dem internationalen Parkett sicher gut aus (man denke nur an den Beginn des Irak-Krieges). Doch angenommen, Lieberman referierte ohne eigene Lüge und Finesse: dann ist der offen angedrohte Militärschlag die wahre Eskalation von München – mit Zustimmung Obamas? Die Pläne für einen neuen »Präventivkrieg« lauern schon lange in den Schubladen.

** Aus: Neues Deutschland, 8. Februar 2010 (Kommentar)


Drohung gegen Teheran

Von Knut Mellenthin ***

Präsident Mahmud Ahmadinedschad hat am Sonntag die iranische Atomenergiebehörde beauftragt, mit der Anreicherung von Uran auf 20 Prozent zu beginnen. In einer ersten Reaktion rief US-Verteidigungsminister Robert Gates »die Welt« auf, gegen Iran »fest zusammenzustehen« und neue scharfe Sanktionen zu beschließen.

Das Uran wird für den Betrieb eines Reaktors in Teheran benötigt, der Isotope zur Behandlung von Krebspatienten herstellt. Iran hat seit September 2009 vergeblich versucht, das Material unter Einschaltung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) auf dem internationalen Markt zu erwerben. Die IAEA schlug statt dessen ein Tauschgeschäft vor, bei dem Iran die dringend benötigten Brennplatten für den Reaktorbetrieb erst in einem Jahr erhalten würde. Außerdem soll Iran mit der Lieferung von 70 Prozent seines Vorrats an schwachangereichertem Uran in Vorleistung treten.

Teheran versucht seit Monaten, Verhandlungen über die technischen Details des IAEA-Vorschlags zu erreichen. Das wird von der US-Regierung und ihren europäischen Verbündeten kategorisch abgelehnt. Am Dienstag voriger Woche deutete Ahmadinedschad in einem Fernsehinterview Bereitschaft an, die westlichen Bedingungen weitgehend zu akzeptieren. Ob es sich dabei nur um einen persönlichen Vorstoß oder um eine Kursänderung der iranischen Führung handelte, blieb unklar. Die – entmutigende – Reaktion der USA, Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens bestand lediglich darin, einen Resolutionsentwurf für neue Sanktionen des UN-Sicherheitsrats in Umlauf zu bringen. Bisher widersetzen sich Rußland und mehr noch China einem solchen Schritt.

Bei seinen Auftritten während der »Münchner Sicherheitskonferenz« am Wochenende kam Außenminister Manuchehr Mottaki nicht auf Ahmadinedschads spektakuläre Äußerungen zurück, sondern wiederholte im wesentlichen die alte iranische Position. Diese sieht vor, das eigene schwach­angereicherte Uran in mehreren Schüben direkt gegen die Brennplatten zu tauschen.

Letztlich haben die Diskussionen um das Material für den Teheraner Reaktor mit dem grundsätzlichen Streit um das iranische Atomprogramm nichts zu tun und könnten so oder so wenig zu dessen Lösung beitragen. USA und EU wollen den Iran im Widerspruch zum Atomwaffensperrvertrag dazu zwingen, seine Urananreicherung und alle damit in Zusammenhang stehenden Arbeiten zeitlich unbefristet einzustellen. Darüber hinaus soll Iran seine gesamten Vorräte an schwachangereichertem Uran vollständig abliefern. Diese rechtlich unbegründeten Forderungen, mit denen Iran einen Paria-Status akzeptieren müßte, würden selbst dann auf dem Tisch bleiben, wenn Teheran den von der IAEA vorgeschlagenen Deal mit dem auf 20 Prozent angereicherten Uran akzeptieren würde.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz war es vor allem US-Senator Joseph Lieberman, der ganz offen mit »militärischen Aktionen« gegen Iran drohte, falls »harte Wirtschaftssanktionen« am Widerstand von Rußland und China scheitern sollten. Unterdessen meldeten arabische Medien, daß zwei mit Raketen bewaffnete israelische Kriegsschiffe am Donnerstag den Suezkanal passiert haben und zum Persischen Golf unterwegs sind.

*** Aus: junge Welt, 8. Februar 2010


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