Münchner "Sicherheitskonferenz":
Geschlossene NATO-Front gegen den Iran
Von Jürgen Wagner*
Es war fast ein bisschen langweilig bei der diesjährigen Münchner
Sicherheitskonferenz, die vom 3 bis 5. Februar wie üblich in München
stattfand. Nachdem letztes Jahr das "weltweit wichtigste Treffen von
Außenpolitikern und Militärs" (Financial Times) von heftigen
Auseinandersetzungen zwischen den USA und Deutschland geprägt war, die
in der Aussage von Zeit-Herausgeber Josef Joffe gipfelten, er habe den
Eindruck, die NATO werde hier augenblicklich "zu Grabe getragen",
begab man sich heuer in ruhigere Fahrwasser. Während man trotz
unverändert bestehenden Meinungsunterschieden hinsichtlich der
künftigen Machtverteilung im Bündnis versuchte, die transatlantische
Freundschaft über den grünen Klee zu loben, war der konsequente
Eskalationskurs, gegenüber dem Iran unübersehbar.
Angriffskriege als gemeinsame internationale Ordnungspolitik
Den Anfang machte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich zunächst
einmal freute, wie erfolgreich sich Europa inzwischen militarisiert
hat, die Union sei "dabei eine gemeinsame europäische
Rüstungsindustrie aufzubauen" und "in eine Rolle hineingewachsen, in
der wir wirklich bereit sind, politische Verantwortung zu übernehmen,
inklusive der militärischen Sicherheiten." Weiter betonte sie, dass
der EU-Verfassungsvertrag trotz der ablehnenden Referenden in den
Niederlanden und in Frankreich keineswegs vom Tisch sei.
Anschließend kam sie dann doch zum von den Veranstaltern ausgegebenen
Hauptthema der Konferenz, der Zukunft der transatlantischen
Beziehungen und damit auch der NATO. Dabei brachte sie schon zu Beginn
ihrer Rede den Kern westlicher Kriegspolitik und damit die Klammer,
die das westliche Bündnis (noch) zusammenhält, ziemlich präzise auf
den Punkt, als sie die NATO-Staaten dazu aufforderte, (noch) stärker
als bisher "eine gemeinsame internationale Ordnungspolitik" zu
betreiben. Denn - und darin ist man sich auf beiden Seiten des
Atlantiks völlig einig - für das reibungslose Funktionieren dieser
Ordnung, deren Regeln vom Westen durch IWF, Weltbank und WTO
aufgestellt werden, wird aufgrund der wachsenden Widerstände und
Konflikte, die mit der westlichen Ausbeutungspolitik einhergehen,
immer häufiger der Rückgriff auf das Militär notwendig. Wie sagte die
französischer Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie auf der
Konferenz: "Wir alle brauchen eine internationale Gesetzgebung, die
von allen befolgt wird, ansonsten herrscht das Gesetz des Dschungels."
Hauptsache der Westen bestimmt dabei die Spielregeln - bzw. kann diese
beliebig im eigenen Sinne zurechtinterpretieren, wie im Falle des Iran.
Ganz in diesem Sinne legte Merkel im Vorbeigehen auch gleich noch das
völkerrechtliche Angriffsverbots ad acta, was im Orwellschen Neusprech
derzeit als "Weiterentwicklung des Völkerrechts" bezeichnet wird. Die
Kanzlerin betonte, "dass die Instrumente der Konfliktprävention und
Krisenbewältigung wirksamer werden müssen und dazu brauchen wir eine
gemeinsame völkerrechtliche Grundlage. Und nach meiner Auffassung muss
die Weiterentwicklung des Völkerrechts im Rahmen der UNO erfolgen ...
damit auch wirklich eine legitimierte, von vielen getragene Basis da
ist, um auf die völlig neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
reagieren zu können." Damit unterstützt die Kanzlerin die aktuellen
Versuche die UNO dergestalt zu "reformieren", dass Kriege nicht mehr
allein zur Selbstverteidigung, sondern auch bei Verstößen gegen die
"internationale Gesetzgebung" als völkerrechtlich legitim gelten,
womit das staatliche Gewaltverbot ganz im Sinne effektiver
Weltordnungspolitik praktisch abgeschafft werden würde.
Krieg als kleinster gemeinsamer Nenner der NATO
Die Kanzlerin bestätigte in München, was ohnehin schon fast jeder
wusste, nämlich dass die US-amerikanische und die europäische
Militärpolitik sich kaum voneinander unterscheiden, weil für beide die
"internationale Ordnungspolitik", also die militärische Administration
des neoliberalen Systems im Zentrum steht: "Die Europäische
Sicherheitsstrategie, das strategische Konzept der NATO und die
Nationale Security Strategy der Vereinigten Staaten von Amerika bilden
eine geeignete Grundlage für einen vertieften Dialog über die weitere
Gestaltung unserer gemeinsamen Sicherheitsagenda. Und wenn das dann
mal durchgeht, dann sieht man, dass das Maß an Übereinstimmung
erstaunlich ist - ich will jetzt mal über die Unterschiede
"preemptive" und "preventive" nicht weiter philosophieren - aber es
ist hochinteressant, dass sich die Dinge doch in eine gemeinsame
Richtung entwickeln."
Die wichtigsten Leitlinien beider Strategien beschrieb Merkel bereits
während ihres Auftritts bei der Sicherheitskonferenz im Jahr 2004: Um
"Politik und Handeln anderer Nationen zu beeinflussen" und um "den
Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen", müssten wir "alle
Mittel in Betracht ziehen ... von freundlichen Worten bis zu
Marschflugkörpern." Diese "verblüffend einfache Definition" müsse
nicht nur für die US-Politik Gültigkeit haben, "sondern sollte -
besser muss - auch Maßstab einer europäischen Außen- und
Sicherheitspolitik sein."
Die ungeklärte Frage im Binnenverhältnis der westlichen Mächte bleibt
allerdings - und zwar schon seit längerem - wer wie viel vom Kuchen
bekommt und wer sozusagen als oberster Weltordnungshüter fungiert,
eine Rolle die nicht nur die USA für sich beanspruchen. Auch die
Staaten der Europäischen Union und insbesondere Deutschland pochen
zunehmend darauf, endlich auf gleicher Augenhöhe die Geschicke der
restlichen Welt gemeinsam zu lenken. Schon kurz vor der
Sicherheitskonferenz hatte Hans-Ulrich Klose (SPD), stellvertretender
Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, betont, man
müsse sich, was die Frage einer neuen Sicherheitsarchitektur
anbelange, "mit aller Brutalität mit den USA unterhalten." Die
ständigen US-amerikanischen Alleingänge sind auch der neuen
Bundesregierung ein Dorn im Auge. Deshalb erfordert die angestrebte
gleichberechtigte Partnerschaft bei der Führung (bzw. Ausbeutung) der
Welt, dass Washington künftig sämtliche Schritte im Rahmen der NATO
eng mit den Verbündeten abstimmt und ihnen somit weit reichende
Mitsprache- und Vetomöglichkeiten einräumt. In Merkels Worten: "Die
Nato muss der Ort sein, in der die politischen Konsultationen über
neue Konflikte geführt werden ... Die Diskussion muss in der Nato
beginnen und darf nicht nur gelegentlich dort stattfinden", weshalb
sich die Kanzlerin vehement dafür einsetzte, dass die NATO künftig
wieder "ein Primat hat." Zwar ähneln also Merkels Aussagen denen der
rot-grünen Vorgängerregierung, jedoch wurde der Ton drastisch entschärft.
Aus diesem Grund sah sich auch US-Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld dieses Jahr nicht dazu veranlasst zurückbellen zu müssen,
sondern überhörte die Forderung nach prinzipiellen Konsultationen im
Rahmen der NATO einfach stillschweigend. Einig war man sich aber auf
alle Fälle darin, dass die NATO nun endgültig zu einem global
agierenden Kriegsbündnis aufgestiegen ist. Bundesverteidigungsminister
Franz-Josef Jung formulierte dies unmissverständlich: "Die NATO ...
ist nunmehr zu einer global operierenden Allianz geworden ... Die alte
NATO als reine Verteidigungsallianz ist Geschichte." Als Speerspitze
der NATO-Kriegsambitionen fungiert die neu gebildete schnelle
Eingreiftruppe (NATO Response Force, NRF), deren Aufstellung auf dem
Prager Gipfel 2002 beschlossen worden war. NATO-Generalsekretär Jaap
de Hoop Scheffer kündigte auf der Konferenz an, er strebe an, die
volle Einsatzbereitschaft der insgesamt anvisierten 21.000 Soldaten
auf dem Novembergipfel der Allianz in Riga verkünden zu können.
Insgesamt wurde bezüglich der NATO aber wenig Neues auf den Tisch
gebracht. Allenfalls Merkels Vorschlag, in zwei bis drei Jahren das
strategische Konzept der NATO rundzuerneuern, sprich es an die
nochmalig gestiegene Kriegsbereitschaft anzupassen und ihr Bekenntnis
zur NATO-Politik der offenen Tür, also dem grundsätzlichen
Einverständnis, Mazedonien, Kroatien, Albanien in absehbarer Zeit ins
Bündnis aufzunehmen (den diesbezüglichen Ambitionen der Ukraine und
Georgiens erteilte sie einen kleinen Dämpfer), sind hier noch
erwähnenswert. Somit war die brisanteste Frage, wie sich die
westlichen Vertreter angesichts der sich zuspitzenden Krise mit dem
Iran verhalten würden.
Eskalation gegenüber dem Iran und erneute Atomkriegsdrohung
Die volle Härte internationaler Ordnungspolitik bekam auf der
Konferenz der Iran zu spüren. Merkel gab die Steilvorlage, als sie dem
Land in ihrer Eröffnungsrede vorwarf, es habe "mutwillig die roten
Linien überschritten" und von der "berechtigten Befürchtung" sprach,
dass sein Atomprogramm nicht der friedlichen Nutzung, sondern
militärischen Optionen diene. Trotz der Lippenbekenntnisse, den
Konflikt friedlich lösen zu wollen, standen die Zeichen auf Sturm,
denn eine erfolgreiche Beilegung, so Merkel, "setzt die Bereitschaft
voraus, auf die angebotenen Verhandlungslinien einzugehen." Die
bislang präsentierten Optionen für eine Verhandlungslösung sind
allerdings aus Sicht Teherans völlig inakzeptabel, was aber offenbar
außer dem Iran kaum jemanden aufzufallen scheint. Insbesondere das
angesichts permanenter Kriegsdrohungen verständliche Interesse an
einer Nicht-Angriffsgarantie seitens der USA stand bisher zu keinem
Zeitpunkt ernsthaft zur Debatte.
"Der Iran hat es selbst in der Hand", eine drohende Eskalation
abzuwenden, so die Kanzlerin, aber nur dann, wenn er sich vollständig
den westlichen Vorgaben unterordnet - internationale Ordnungspolitik
eben. Da Merkel gleichzeitig betonte, dass sich der Westen in dieser
Frage "nicht klein kriegen lässt" scheint derzeit eine weitere
Eskalation vorprogrammiert: "Wir wollen und müssen die Entwicklung
iranischer Nuklearwaffen verhindern", so Merkel.
In direkter Antwort auf Merkels Rede äußerte sich der stellvertretende
iranische Außenminister Abbas Araghchi denn auch folgendermaßen: "Das
bedeutet eine Eskalation des Konflikts. Ich hoffe, dass Europa sich
nicht für diesen Weg entscheidet." So scheinen die Fronten verhärtet,
eine Lösung ist nicht in Sicht. Zwar ist schon allein aufgrund der
US-amerikanischen militärischen Überdehnung im Irak schwer
vorstellbar, dass tatsächlich ein groß angelegter Eroberungskrieg
gegen den Iran vom Zaun gebrochen wird, dennoch könnte das ganze
Säbelrasseln eine gefährliche Eskalationsspirale in Gang setzen.
Darüber hinaus dürfte ein Bodenkrieg derzeit auch nicht die
präferierte westliche Militäroption darstellen. Viel wahrscheinlicher
ist die Option iranische Nuklear- und Militäranlagen eventuell sogar
mit Atomwaffen aus der Luft zu zerstören. Mit besonderer Aggressivität
tat sich diesbezüglich Frankreichs Verteidigungsministerin Michèle
Alliot-Marie auf der Konferenz hervor. Sie betonte, ihr Land sei in
der Lage und auch bereit, mit Atomwaffen gezielt gegen
"Entscheidungszentren" in Staaten vorzugehen, von denen es sich
terroristisch bedroht fühle. Demnach könne Frankreich "durch die
Fähigkeit, nicht ein ganzes Land, sondern Entscheidungszentren
anzugreifen, direkt jene treffen, die für unsere Bedrohung
verantwortlich sind." Ferner meinte sie, die Erklärung von Frankreichs
Präsident Jacques Chirac, das Land behalte sich das Recht zum Einsatz
von Atomwaffen gegen Staaten vor, die es terroristisch bedrohten, sei
"nichts Neues". Dies ist zwar richtig, macht es jedoch keineswegs
besser. Zudem sind die nun wiederholt in direktem Zusammenhang mit der
Iran-Krise öffentlich ausgestoßen Drohungen mit einem Atomkrieg ein
klarer Fall nuklearer Erpressung. Zu Recht beklagte sich Araghchi,
sein Land, das keine Atomwaffen besitze, werde als Bedrohung
angesehen, während europäische Staaten, die den Einsatz von
Nuklearwaffen androhten, nicht als Bedrohung betrachtet würden.
Nach derlei aggressiver Vorarbeit mussten die US-Vertreter gar nicht
mehr groß mit dem Säbel rasseln, die EU-Kämpfer hatten hier schon den
Löwenanteil erledigt. Den US-Senatoren John McCain und Joseph
Lieberman blieb es schließlich vorbehalten den Kriegskurs verbal
festzuklopfen. Lieberman schlug vor, dass die "NATO jetzt mit der
Planung beginnt, wie ihre militärischen Kapazitäten für unser
gemeinsames Ziel eingesetzt werden können, das militärische
Nuklearprogramm des Iran zu stoppen." John McCain betonte ebenfalls,
dass "jede Option auf dem Tisch bleiben muss. Es gibt nur eine Sache,
die schlimmer ist als eine militärische Aktion und das ist ein nuklear
bewaffneter Iran."
McCain fiel schon im Vorfeld der Sicherheitskonferenz mit massiven
Drohungen gegenüber Teheran auf. Ausgerechnet McCain wurde in München
die von den Veranstaltern der Sicherheitskonferenz vergebene
"Friedenmedaille" verliehen. "Mit der Plakette ehrt Organisator Horst
Teltschik Persönlichkeiten für ihre Verdienste, die dem Motto der
Konferenz 'Frieden durch Dialog' in besondere Weise gerecht geworden
sind", heißt es in einer Pressemitteilung der Veranstalter. So gesehen
lässt sich ein anderer Orwellscher Satz bemühen, der das Motto der
Sicherheitskonferenz gekonnt zusammenfassen würde: "Krieg ist Frieden".
* Aus: IMI-Analyse 2006/2 - in: AUSDRUCK (Februar 2006)
Im Internet: www.imi-online.de
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