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Ohne Krieg kein Profit

Bewertung der Beiträge zur 41. Münchner Sicherheitskonferenz

Im Folgenden dokumentieren wir einen Beitrag von Jürgen Wagner, der als IMI-Analyse 2005/003 herausgegeben wurde.


Von Jürgen Wagner*

'Einigkeit im Zwist', so könnte man die Stimmungslage auf der 41. Münchner Sicherheitskonferenz zusammenfassen. Denn zwei Ziele standen ganz oben auf der Tagesordnung: Als kläglich gescheitert können die verzweifelten Versuche bezeichnet werden, dass stark beschädigte transatlantische Verhältnis zu kitten. Erfolgreich dagegen bastelten die rund 250 Politiker und Militärs weiter an einem neuen Paradigma, dass die militärische Absicherung neoliberaler Ausbeutungsverhältnisse zu einem sicherheitspolitischen Imperativ umdefiniert. Daneben wurden die weiteren 'Highlights' insbesonder! e durch die kaum verhüllten Großmachtambitionen der deutschen Vertreter gesetzt.

Militärischer Investitionsschutz

Schon im Vorfeld wurde versucht dieser weltweit wichtigsten Kriegskonferenz, die dieses Jahr vom 11-13 Februar stattfand, mit dem Motto "Frieden durch Dialog" ein neues Image zu verpassen. Schon bei der Auftaktveranstaltung am Freitag gab Bundespräsident Horst Köhler die Stoßrichtung der Tagung vor, indem er forderte, dass "der Sicherheitsbegriff wesentlich umfassender" verstanden werden müsse. Es gehe deshalb heute um "einen stärkeren Einstieg in die Gestaltung der Globalisierung." Dass dabei neben ex-IWF-Chef Köhler der frisch gewählte Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Jürgen R. Thumann, die wichtigsten Impulse setzte, deutet auf den eigentlichen den Sinn der ganzen Übung hin. Denn unter dem Deckmantel sicherheitspolitischer Notwendigkeiten zog sich ein ebenso falscher wie den Profitinteressen der Wirtschaft dienlicher Argumentationsstrang wie ein roter Faden durch die Konferenz, der folgendermaßen zusammengefasst werden kann: 'Ausbeutung ist die beste Sicherheitspolitik.'

Die Absicherung neoliberaler Ausbeutungsverhältnisse wird dabei versucht über folgendes Konstrukt zu legitimieren: Armut und Konflikte, dies wird immerhin offen eingeräumt, sind untrennbar miteinander verbunden. Da die hieraus resultierenden Kriege und Konflikte zum Scheitern von Staaten (failed states) führen, die damit ihrerseits potenzielle Rekrutierungs- und Rückzugsgebiete für Terroristen sind, stellen solche failed states ein sicherheitspolitisches Risiko dar. So richtig diese Kausalkette ist, so falsch ist die von den außenpolitischen Eliten in München präsentierte Lösung dieser Armutskonflikte. Denn als wichtigste Voraussetzung für die Überwindung von Armut wurde allenthalben die Umsetzung neoliberaler Praktiken wie Freihandel, Privatisierung, Abbau staatlicher Sozialleistungen und die Öffnung für ausländische Investitionen gefordert.

Geradezu unverschämt werden dabei die angeblich segensreichen Auswirkungen neoliberaler Globalisierung zurechtgebogen. US-Senator Richard Lugar gab während seiner Rede auf der Konferenz an, die Globalisierung habe erreicht, dass "die Anzahl der Menschen, die in Armut leben zwischen 1990 und 2002 um 130 Millionen sank." Dabei vergisst er geflissentlich zu erwähnen, dass dieser Rückgang primär in Ländern – insbesondere in China - stattfand, die sich neoliberalen Vorgaben widersetzten. Dort wo die Bedingungen von IWF und Weltbank befolgt wurden, führten sie fast durchweg zu einer dramatischen Verarmung der Bevölkerung.

Dennoch wurde auf der Sicherheitskonferenz die Umsetzung neoliberaler Politiken als Lösung aller sicherheitspolitischer Probleme propagiert: "Es liegt im Grundinteresse eines jeden funktionierenden Staates, der Privatwirtschaft breite Entfaltungsmöglichkeiten einzuräumen. Handel ist die beste Hilfe zur Selbsthilfe," äußerte sich ! Köhler. "Zwischen Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung besteht ein Zusammenhang. Das ist fast schon eine Binsenweisheit. Ohne Sicherheit kann es keine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung geben. Umgekehrt zeigt die Erfahrung auch, dass anhaltende Armut breiter Bevölkerungsschichten die staatliche Stabilität bedrohen kann. Risiken für die politische Stabilität eines Landes mehren sich auch dann, wenn die Bevölkerung nicht am natürlichen Reichtum dieses Landes oder an der politischen Willensbildung teilhaben kann."

Dabei wird die Akzeptanz der neoliberalen Weltwirtschaftsordnung aufgrund der postulierten sicherheitspolitischen Kausalkette von Köhler recht unverblümt zum sicherheitspolitischen Imperativ erklärt: "Die Forderung an die Entwicklungsländer, der eigenen Verantwortung Rechnung zu tragen, ist übrigens keine neokoloniale Einmischung, sondern eine Verpflichtung, welche sich aus der gemeinsamen Verantwortung für die eine Welt ergibt." Die konsequente Schlussfolgerung, L! änder gegebenenfalls auch militärisch in die neoliberale Weltwirtschaftsordnung zu integrieren wurde von US-Senator Lugar präsentiert: "Die anzustrebende Politik für eine sicherere Zukunft ist deshalb, die Länder außerhalb des globalen ökonomischen Netzwerks zu integrieren ... Wenn Staaten einmal mit den globalen Finanz-, Handels- und Technologieströmen verbunden sind, wird Krieg zu verheerend, dass rationale Staatenlenker ihn vermeiden."

Einen Tag vor der Tagung fand die 1. Finanzierungskonferenz Nordafrika Mittelost im Rahmen der Nordafrika Mittelost Initiative der Deutschen Wirtschaft (NMI) mit dem bezeichnenden Titel „Mehr Sicherheit durch Investitionen“ statt. Dieser Titel wurde laut BDI-Erklärung gewählt, "weil spezifische Sicherheitsrisiken und politische Unsicherheiten Handel und Investitionen in der Region Nordafrika und Mittelost behindern," weshalb die Konferenz laut Veranstalter auch bewusst an die Sicherheitskonferenz angekoppelt wurde. Dort wie auch auf der eige! ntlichen Münchner Sicherheitskonferenz ging es primär darum, die Forderung nach militärischer Absicherung westlicher Investitionen und die Herstellung eines investitionsfreundlichen Umfeldes zu einer militärischen Aufgabe zu machen: „Zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Sicherheit gibt es eine klare Wechselwirkung,“ so BDI-Chef Jürgen Thumann. „Investitionen in Entwicklungsländern schaffen Jobs und Einkommen ... Dort wo unsere Unternehmen aktiv sind, stärken sie die Wirtschafts- und Finanzstrukturen. ABER DIE WIRTSCHAFT BRAUCHT SICHERE RAHMENBEDINGUNGEN. MANGELNDE RECHTSSICHERHEIT UND RECHTSTAATLICHKEIT MACHEN INVESTITIONEN SCHWER VERANTWORTBAR.“ (Hervorhebung JW) In seiner Rede auf der Sicherheitskonferenz kam Thumann dann auch zu dem Ergebnis: "Die Grundhypothese 'ohne Entwicklung keine Sicherheit' stellt sich häufig genau anders herum dar. 'Ohne Sicherheit keine Entwicklung'."

Hiermit machen die sicherheitspolitischen Eliten den Bock zum Gärtner. Militärisch soll abgesich! ert werden, dass neoliberale Politiken umgesetzt werden können, obwohl diese nachweislich für Armut und damit auch Konflikte in der Dritten Welt verantwortlich sind. Der Teufelskreis wird dadurch komplettiert, dass es diese Armutskonflikte seien, die ihrerseits wiederum Investitionsmöglichkeiten der Wirtschaft behindern und ebenfalls militärisch bekämpft werden müssen. Natürlich kam es auf der Konferenz auch zu den allseits bekannten Absichterklärungen die Entwicklungshilfe aufzustocken und den internationalen Handel künftig fairer zu gestalten: "Ohne weltweite Armutsbekämpfung wird es für uns langfristig keine Sicherheit geben können", so Köhler. "Entwicklungspolitik ist die beste Konfliktprävention! Deshalb sollte es uns alle doch nachdenklich machen, dass die weltweiten Militärausgaben von über 900 Milliarden US$ mehr als das Zehnfache der Entwicklungsleistungen der OECD-Länder betragen!" Solange aber wenig bis nichts davon umgesetzt und gleichzeitig Unsummen in militärischen Investitionsschutz investiert werden, sind diese Äußerungen nicht mehr als Deckmäntelchen für die fortgesetzte Ausbeutung der Dritten Welt, der zunehmend eine militärische Komponente beigefügt wird. Herrscht diesbezüglich auf beiden Seiten des Atlantiks weitgehende Einigkeit, traten auf der Konferenz aber auch erhebliche Konflikte zu Tage.

"Die NATO zu Grabe tragen"

Heftige Auseinandersetzungen gab es hinsichtlich der künftigen Rollenverteilung im transatlantischen Bündnis. Im Kern geht der Streit darum, ob die USA weiterhin darauf bestehen im Alleingang ihre Interessen wahrzunehmen, oder ob sie bereit sind, den europäischen Verbündeten in relevanten Fragen - beispielsweise einem Angriff auf den Iran - ein substanzielles Mitspracherecht einzuräumen.

US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld machte in seiner Rede unmissverständlich klar, dass die amerikanische Regierung auch künftig nicht gewillt ist, sich von den Europäern reinreden zu lassen. Mehrmals b! etonte er, dass weiterhin die "Aufgaben die Koalitionen bestimmen" und nicht umgekehrt, was der fortgesetzten Abwertung der NATO als zentralem Abstimmungsgremium gleichkommt. Während Rumsfeld damit unterstrich, dass Washington die NATO ausschließlich als amerikanisches Erfüllungsorgan betrachtet, versuchten europäische Sicherheitspolitiker, unter anderem Ex-NATO-Oberbefehlshaber Klaus Naumann, den Pentagon-Chef zu einer Revidierung oder Abmilderung dieser Aussage und zu einem Bekenntnis zur Relevanz der NATO zu bewegen, was dieser aber mit stoischer Ruhe vermied.

Die Konflikte traten in der Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder, die aufgrund einer Erkrankung von Verteidigungsminister Peter Struck verlesenen wurde, offen zutage. Trotz der üblichen Treueschwüre ("Eine enge transatlantische Bindung ist im deutschen- europäischen und amerikanischen Interesse.") zeugte die nüchterne Bestandsaufnahme von dem tiefen Riss in den transatlantischen Beziehungen: Die Nato sei heute "nic! ht mehr der primäre Ort, an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren." Auch der Dialog zwischen den USA und der Europäischen Union entspreche in seiner heutigen Form "weder dem wachsenden Gewicht der Union noch den Anforderungen transatlantischer Zusammenarbeit." Die offensichtlich angestrebte Aufwertung der Europäer im Bündnis und die Re-Etablierung von Konsultations- und Abstimmungsmechanismen solle, so Struck/Schröder, von einem transatlantischen Gremium erarbeitet werden, das hierfür bis 2006 konkrete Vorschläge unterbreiten solle. Bezeichnenderweise wurde dies von Rumsfeld ebenso freundlich wie bestimmt abgeschmettert. Die Stoßrichtung der Reden von Rumsfeld und insbesondere Schröder wurde von Zeit-Herausgeber Josef Joffe pointiert auf den Punkt gebracht, als er die Frage stellte, ob hier eigentlich im Augenblick die "NATO zu Grabe getragen wird."

Verschiedene Wege nach Teheran

Insgesamt bemühte man ! sich zwar um einen freundlichen Umgangston, die Differenzen in der Substanz waren allerdings unübersehbar, wie sich auch anhand der Iran-Frage zeigte. Nicht zuletzt aufgrund der hervorragenden Handelbeziehungen mit Teheran betonten Struck/Schröder die Notwendigkeit einer diplomatischen 'Lösung' im Bestreben, das Land zur Aufgabe seines Atomprogramms zu bewegen: "Diesem Ziel dienen die Verhandlungen mit dem Iran, die wir zusammen mit unseren britischen und französischen Freunden und der Europäischen Union führen. Wir tun dies mit der festen Entschlossenheit, den Prozess zu einem Erfolg zu führen. Erfolg heißt: Teheran muss objektive und überprüfbare Garantien gewähren, dass sein Nuklearprogramm ausschließlich friedlichen Zwecken dient. In diesem Ziel sind wir uns auch mit unseren amerikanischen Freunden einig. Ich ermuntere die amerikanische Regierung ausdrücklich, in diesem Einverständnis die diplomatischen Bemühungen der Europäer aktiv zu unterstützen."

Die Forderung an Teheran, "objektive und überprüfbare Garantien" zur Einhaltung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrags abzugeben – der im übrigen bislang ohnehin noch nicht verletzt wurde – wird dabei vorgebracht, obwohl auch europäische Staaten beharrlich gegen internationale Verträge verstoßen. Zwar will man sich eine militärische Option offen halten, falls dem nicht nachgekommen werden sollte, die Präferenz liegt jedoch, ganz im Gegenteil zu den USA, eindeutig auf einer Verhandlungslösung.

Schon während des Europa-Besuchs der frisch gebackenen US-Außenministern Condoleezza Rice kurz vor der Sicherheitstagung ist deutlich geworden, dass Washington eine härtere Gangart bevorzugt. Bemerkenswerterweise beklagten sich westliche Sicherheitspolitiker nach einem Treffen mit Rice sowohl über ihre aggressive Rhetorik gegenüber Teheran als auch darüber, dass sie keinerlei Anstalten machte "die diplomatischen Bemühungen der Europäer aktiv zu unterstützen." Dem Grundsatz folgend, das Verhältnis trotz! schwer überbrückbarer Meinungsverschiedenheiten nicht weiter eskalieren zu lassen, schwieg sich deshalb Rumsfeld auf der Sicherheitskonferenz hinsichtlich der Iran-Frage konsequent aus. Gerade diesbezüglich dürften die Gespräche im kleinen Kreise am Rande der Tagung von entscheidender Bedeutung gewesen sein. Man darf gespannt sein, wie und ob sich beide Seiten diesbezüglich auf ein gemeinsamen Vorgehen einigen wollen und können.

Dass der Grundimpetus aber der völlig gleiche ist, machte Struck für Schröder deutlich: "Unser Engagement muss dazu beitragen, die Modernisierungskrise in weiten Teilen der Welt, nicht zuletzt der islamisch-arabischen, zu überwinden." Der Streit geht also nicht um das Ziel (Regime-Change im Iran) sondern nur um die Methoden.

Deutsche Großmachtambitionen

Gerade im Hinblick auf das Verhältnis zu den USA war es besonders interessant wie stark in der Struck/Schröder-Rede die Relevanz die "Strategische Partnerschaft mit Russland" hervorgeh! oben wurde, ein klarer Hinweis auf die Versuche einen Partner zu finden, um Gegengewicht gegen die Vereinigten Staaten zu schaffen.

Auch was die deutsche Rolle anbelangt wollten Struck/Schröder klotzen nicht kleckern indem nachdrücklich untermauert wurde, dass der zunehmende deutsche Militarismus auch Früchte in Form eines UN-Sicherheitsratssitzes und damit mehr Macht tragen soll: "Gegenwärtig sind rund 7.000 deutsche Soldaten im Ausland eingesetzt. Aber aus der Mitverantwortung folgt auch Mitsprache. Unser Wunsch, Deutschland als Ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Uno zu sehen, entspringt diesem auf Legitimation abzielenden Zusammenhang."

Von hoher Brisanz sind auch Strucks Äußerungen auf die Frage, ob der NATO im Konflikt zwischen Israel und Palästina eine Rolle zukommen solle, falls sie von beiden Seiten angefordert werde. Er bejahte dies nicht nur und betonte, dass sich Deutschland hierfür einsetzen werde, sondern setzte noch einen drauf, indem er klarstellte, d! ass sich in diesem Falle auch deutsche Soldaten vor Ort beteiligen würden. Offensichtlich sind dem deutschen Militarismus wirklich keine Grenzen mehr gesetzt. Und die NATO scheint fest entschlossen, diesen Vorschlag umzusetzen.

* Jürgen Wagner ist Vorstandsmitglied der Infromationsstelle Militarisierung IMI e.V., Tübingen;
Im Netz: www.imi-online.de (pdf-Datei)



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