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Headlinegoal 2010: Erreichung der globalen Kriegsfähigkeit

Thesen zur Militarisierung der EU

Von Gerald Oberansmayr*

(1) EU-Verfassung:

Die EU-Verfassung ist eine Verfassung der Militärs. Die bisherige Militarisierung der EU soll einzementiert und vorangetrieben werden. Sie beinhält:
  • eine Aufrüstungsverpflichtung vor (Art. I-41: „Die EU-Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.“)
  • den Verfassungsrang für ein Rüstungsamt („Verteidigungsagentur“), um diese Aufrüstung zu koordinieren und anzukurbeln
  • die Selbstmandatierung des EU-Ministerrates zur weltweiten Kriegseinsätzen – auch ohne UNO-Mandat
  • eine militärische Beistandsverpflichtung, die strenger als die der NATO ist.
Die EU-Verfassung ist eine Verfassung der großen Konzerne. Neoliberalismus wird zur Staatszielbestimmung (Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten auf eine Wirtschaftspolitik der „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“). Unbeschränkte Kapitalmobilität und Freihandel werden als Leitlinien globaler Wirtschaftspolitik festgeschrieben. Die Tür in Richtung Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienste im Bereich Bildung, Soziales und Gesundheit wird weiter geöffnet. Die Europäische Zentralbank wird auf die Interessen der großen Vermögensbesitzer (Vorrang Preisstabilität) eingeschworen und faktisch außerhalb demokratischer Einflussnahme gestellt.

Die EU-Verfassung spaltet und hierarchisiert den Kontinent. Die Stimmgewichte werden zugunsten der großen Nationalstaaten und zu Lasten der kleinen und mittleren verschoben. An der Spitze soll ein militärisches Kerneuropa („Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“) etabliert werden.

In ihrer Konsequenz ist diese EU-Verfassung ein antieuropäisches Projekt, denn sie führt nicht zur friedlichen, gleichberechtigten Integration des Kontinents, sondern zur Hierarchisierung, neuen sozialen Spaltungslinien und militärischem Abenteurertum.

(2) Aktuelle Militarisierung

Parallel zur Verfassungsdebatte wird die Militarisierung der EU „mit Lichtgeschwindigkeit“ (Solana) vorangetrieben. Die Zielsetzungen gibt die Europäische Sicherheitsstrategie vor, die Ende 2003 beschlossen wurde: „Bei den neuen Bedrohungen wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen ... Als eine Union mit 25 Mitgliedstaaten, die mehr als 160 Mrd. Euro für Verteidigung aufwenden, sollten wir mehrere Operationen gleichzeitig durchführen können. ... Wir müssen eine Strategie-Kutlur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert.“ Als explizites Einsatzgebiet für EU-Militäroperationen wird der rohstoffreiche Raum des Nahen und Mittleren Ostens genannt. Noch deutlicher wird diese Zielstellung im „European Defence Paper“ ausformuliert, das im Auftrag des EU-Rates zur Vorbereitung eines „Weißbuches“ 2004 erarbeitet wurde: „Die Transformation Europäischer Streitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Intervention und Expeditionskriegszügen ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Europäische Sicherheitsstrategie.“ Ziel sind u. a. „Regionalkriege zur Verteidigung Europäischer Interessen“, deren Mission der „Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen.“ Führen können will man Kriege „von der gleichen oder sogar einer größeren Dimension als der Golfkrieges von 1990-1991“.

Das Headlinegoal 2010, das die EU-Staatschefs im Juni 2004 beschlossen haben, gibt exakte Meilensteine für die Erreichung dieser globalen Kriegsfähigkeit bis 2010 vor:

Ab 2004
  • Einrichtung einer eigenen militärischer Planungszelle im Rahmen des EU-Militärstabes, um EU-Militäraktionen unabhängig von der NATO durchzuführen
  • Einrichtung einer Rüstungsagentur, um militärische Großprojekte anzukurbeln und abzustimmen
Ab 2005
  • Einrichtung einer strategischen EU-Militärtransport-Koordination
  • Einrichtung eines Europäischen Lufttransportkommandos (EAC)
Ab 2007
  • Vollständige und globale Einsatzbereitschaft der superschnellen EU-„Schlachtgruppen“ (englisch: „battle-groups“), die innerhalb weniger Tage weltweit einsetzbar sein und den Boden für langfristige Besatzungsmissionen aufbereiten sollen.
Ab 2008
  • Verfügbarkeit eines maritimen Transportkommandos (inkl. Flugzeugträger) für weltweite EU-Militäroperationen
Ab 2010
  • Herstellung einer umfassenden Netzwerkkriegsführung unter Einbeziehung des Weltraum: „Geeignete Vernetzung aller Kommunikationsebenen, sowohl der terrestrischen als auch der im Weltraum stationierten“.
Die entsprechenden Rüstungsprogramme für Angriffskriege a´la Jugoslawien, Afghanistan oder Irak laufen auf Hochtouren: Eurofighter, Transportflugzeug A400M, Kampfhubschrauber Tiger, Satellitennavigationssystem Galileo, neue Schlachtschiffe,Flugzeugträger und U-Boote, Marschflugkörper, präzisionsgesteuerte Munition, Raketenabwehrsysteme, uswusf. Bis 2010 will Frankreich auch sog. „Mini-Atombomben“ zum „präventiven“ Einsatz verwendungsfähig haben. Alleine die 20 größten Rüstungsprojekte, die derzeit in den EU-Staaten laufen, summieren sich von den Gesamtkosten auf rd. 550 Mrd. Euro, das entspricht dem jährlichen Sozialprodukt von Schweden, Finnland und Dänemark zusammengenommen. Genährt von diesen Großaufträgen boomt die Rüstungsindustrie. Der größte kontinentaleurpäische Rüstungskonzern EADS konnte seit 2002 seinen militärischen Auftragsbestand von 22 auf 50 Milliarden steigern.

(3) Finalität: Militärische Supermacht EU

Das Ziel dieses Prozesses wird in den „Denkfabriken“ hinter den Kullissen bereits offen formuliert: „Nur im Szenario Supermacht Europa wird das große Europa seinem objektiven Weltmachtpotentital gerecht. ... der Aufbau der Vereinten Europäischen Strategischen Streitkräfte, die sich unter einem gemeinsamen europäischen Oberkommando des Atomwaffenpotenzials Frankreichs und Großbritanniens bedienen können, wird die internationale Rolle der EU verändern.“ Dann sei "Machtparität mit den USA" erreicht: „Die Supermacht Europa verabschiedet sich endgütlig von der Idee einer Zivilmacht und bedient sich uneingeschränkt der Mittel internationaler Machtpolitik." (aus dem Strategiepapier des Centrums für Angewandte Politikforschung (CAP) „Europas Zukunft, Mai 2003)

(4) Alternativen und Gegenmacht

Alternativen zu Krieg, Militarisierung und Blockbildung brauchen nicht neu erfunden werden. Sie gibt es auf allen Ebenen und müssen sich zur den Wurzeln vorarbeiten:
  1. Konfliktverschärfung bekämpfen: Das beginnt damit, dass wir den eigenen Machteliten entgegentreten müssen, wenn sie Öl ins Feuer der Konflikte gießen, um sich selbst die Legitimation für militärischen Eingreifen zu organsieren. Denn die Kriege der westlichen Großmächte funktionieren nach dem uralten Motto: „Ihr laßt den Armen schuldig werden, dann überlaßt ihr ihn der Pein.“ (Goethe, "Wilhelm Meisters Lehrjahre") Letztlich sind es die Brandstifter diesseits und jenseits des Atlantiks, die sich selbst als Feuerwehr anrufen, um politische und ökonomische „Machtprojektion“ unter Deckmantel des „Antiterrorkampfes“ oder der „humanitären Intervention“ zu betreiben. Bei allen aktuellen Konfliktherden und Kriegen (Balkan, Afghanistan, Irak, Kongo, Palästina,...) sind es maßgeblich die Verstrickungen und Interessen der westlichen Großmächte selbst, die eskalierenden wirken.
  2. Kooperative Konfliktlösungen fördern, die auf Vorbeugung, Ausgleich, Abrüstung und zivile Konfliktvermittlung statt militärischer Gewalt orientiert. Nicht die Militärmacht/blöcke wie USA, NATO und EU sondern UNO und OSZE können dafür geeignete Foren sein. Doch auch diese Organisationen können nur dann eine friedenspolitisch bedeutende Rolle spielen, wenn sich die Kräfteverhältnisse auf internationaler Ebene nachhaltig zu Gunsten der Länder des Südens verschiebt und die Neubelebung einer Blockfreienbewegung gelingt. Neutrale und allianzfreie Staaten in Europa können in diesem Prozess eine wichtige Rolle spielen.
  3. Globale Umverteilung von Reichtümern. Neben dem Schuldenerlass setzt das die Möglichkeit für die Länder des Südens voraus, eigenständige sozialökonomische Entwicklungswege zu gehen und über ihre Ressourcen verfügen zu können, statt – nicht zuletzt mit militärischer Gewalt(androhung) - in die Abhängigkeit von Weltmarkt und westlichen Konzernen gezwängt zu werden.
Das Problem ist nicht, dass es nicht eine Fülle von Alternativen gäbe, das Problem ist, wie es gelingen kann, ausreichend Gegenmacht zu entwickeln. Drei strategische Ansatzpunkte sehe ich für die Friedensbewegungen auf dem europäischen Kontinent:
  1. Bedingungsloses Festhalten an einer internationalistischen Orientierung. Es gibt viele Versuche der EU-Machteliten, auch der Friedensbewegung die Bildung einer europäischen „Gegen-Supermacht“ zur US-amerikanischen schmackhaft zu machen. Das müssen wir entschieden zurückweisen. Je stärker die Rivalität zwischen USA und EU beim Kampf um die Aufteilung der globalen Einflussphären, desto größer sind die strukturellen Gemeinsamkeiten dieser Blöcke. Unsere Verbündeten sind die amerikanische Friedensbewegungen und unsere gemeinsamen Gegner sind Bush, Schröder, Chirac, Blair und Co. Die Verhinderung der EU-Verfassung, der laufenden Aufrüstungsprogramme, der Aufstellung und des Einsatzes von EU-Interventionstruppen gehört daher zu unseren vordringlichen Aufgaben.
  2. Wir brauchen den Schulterschluss zwischen Friedens-, Sozial-, globalisierungskritischen und Umweltbewegungen. Denn die strukturellen Wurzeln für Krieg und Gewalt liegen in der enormen Ungleichverteilung von Macht und Reichtum. Wir sehen, dass Aufrüstung und Krieg einerseits Sozialabbau, Privatisierung und Ressourcenraubbau andererseits zwei Seiten einer Medaille sind.
  3. Wir dürfen nicht nur gegen die Inhalte der Herausbildung der europäischen Supermacht opponieren (Militarismus, Neoliberalismus), sondern auch gegen deren Formen (Zentralisierung und Hierarchisierung). Beide Prozesse können nicht voneinander entkoppelt werden. Die Verteidigung und Weiterentwicklung friedenspolitischer Errungenschaften auf nationaler Ebene (Neutralität, Paktfreiheit, Angriffsverbot) muss gegen die Zentralisierung der Sicherheits- und Rüstungspolitik (und der dazugehörigen Apparate) auf der imperialen Ebene verteidigt werden. Denn sie sind ein wichtiger Ansatzpunkt für die Schaffung eines vielfältigen Europas, das auf Solidarität und Gleichberechtigung beruht. Je mehr Länder und Wirtschaftskraft aus dem Prozess der Formierung der militärischen Supermacht herausgebrochen werden können, desto eher hat eine weltoffene Alternative zum „Europa der Konzerne und Generäle“ eine Chance. In Österreich dient das Friedensvolksbegehren diesem Ziel.
* Gerald Oberansmayr, Linz, Werkstatt für Frieden und Solidarität, trug diese Thesen auf der alternativen Friedenskonferenz in München am 11. Februar 2005 im Saal des Alten Rathauses vor. Diese Konferenz war als Gegenveranstaltung zur Münchner "Sicherheitskonferenz" (früher: "Wehrkundetagung") von der Friedensbewegung veranstaltet worden.
Literaturhinweis:
Gerald Oberansmayr: Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der Europäischen Union
Wien: Promedia 2004, 144 Seiten, 9,90 Euro
Eine Kurzbeschreibung des Buches finden Sie hier!
Bestellungen bitte an: Friedenswerkstatt Linz, Waltherstr. 15b, A-4020 Linz
Tel. (0732) 77 10 94, e-mail: friwe@servus.at


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