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Zahnlose "Zivilklauseln"

Wenn Hochschulen untersagt werden soll, ihre Forschung und Lehre in den Dienst militärischer Zwecke zu stellen, ist die Umsetzung ist oftmals schwierig

Von Peer Heinelt *

In der vergangenen Woche hat der Bremer Senat einen Entwurf für ein neues Hochschulgesetz vorgelegt, der besagt, dass in der Hansestadt ausschließlich zu friedlichen Zwecken geforscht werden soll. Was an der Weser noch ein Vorhaben ist, ist an Rhein und Ruhr Realität – zumindest auf dem Papier. Den 11. September vergangenen Jahres dürften die in der Initiative »Hochschulen für den Frieden« organisierten Studierenden, Akademiker und Gewerkschafter in freudiger Erinnerung haben. An diesem Tag verabschiedete der nordrhein-westfälische Landtag das sogenannte Hochschulzukunftsgesetz, das in Paragraph 3 folgendes bestimmt: »Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach.« Die Initiative »Hochschulen für den Frieden« betrachtet den Passus nach eigenem Bekunden als »Zivilklausel«, also als Regelung, die den Universitäten sowohl die Forschung als auch die Lehre im Dienst von Militär und Rüstungsindustrie strikt untersagt.

An dieser Auffassung sind jedoch berechtigte Zweifel angebracht: Noch während die Landtagsabgeordneten zur Abstimmung schritten, veranstaltete die Universität Köln gemeinsam mit der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Strausberg bei Berlin ein Seminar über den »Krieg im 21. Jahrhundert«. Behandelt wurden unter anderem die Kampfführung mittels Drohnen und die staatspolitischen Implikationen des »Gefallenengedenkens«. Nur fünf Tage nach der Verabschiedung des »Hochschulzukunftsgesetzes« eröffneten Vertreter der staatlichen Fraunhofer-Gesellschaft, des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministeriums, des Bundesforschungsministeriums und des Verteidigungsministeriums in der Berliner Vertretung des Landes NRW die Konferenz »Future Security«. Bei der Tagung präsentierten nordrhein-westfälische Hochschulen und namhafte deutsch-europäische Rüstungskonzerne wie OHB und Airbus Defence and Space ihre Neuentwicklungen auf dem Gebiet der Repressions- und Überwachungstechnik.

Nun könnte man einwenden, dass das »Hochschulzukunftsgesetz« erst zum Wintersemester 2014/2015 in Kraft getreten sei, mithin im September letzten Jahres noch keine Gültigkeit hatte. Das allerdings würde bedeuten, dass spätestens jetzt die nordrhein-westfälischen Universitäten ihre seit vielen Jahren betriebene Kooperation mit der Rüstungsindustrie beenden müssten. Davon ist indes nicht auszugehen, wie etwa das Forschungsprojekt ANCHORS zeigt. ANCHORS steht für »UAV-Assisted Ad Hoc Networks for Crisis Management and Hostile Environment Sensing« – »Drohnenunterstützte Ad-hoc-Netzwerke für das Krisenmanagement und das Erfassen einer feindlichen Umgebung«. Beteiligt sind unter anderem die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die Technische Universität Dortmund und die bereits erwähnte Waffenschmiede Airbus Defence and Space. Gefördert wird das Projekt unter anderem vom Bundesforschungsministerium. Erklärtes Ziel ist es, bei der »Erkundung« eines von »großflächigen« Zerstörungen betroffenen Gebiets künftig vermehrt fahrbare Roboter und unbemannte Flugsysteme einzusetzen. Woraus die besagten Zerstörungen resultieren, ob sie Folge einer Naturkatastrophe oder eines Bombardements sind, spielt dabei keine Rolle. Die Zusammenarbeit läuft noch mindestens bis Mai dieses Jahres.

Die referierten Fallbeispiele lassen sich entweder als Verstoß gegen die im »Hochschulzukunftsgesetz« verankerte »Zivilklausel« verstehen oder als im herrschenden Sinne folgerichtige Interpretation derselben. Letzteres hat einiges für sich, spricht das Gesetz doch lediglich von »friedlichen Zielen«, denen Forschung und Lehre verpflichtet seien. Für friedlich wiederum hält sich selbst die Bundeswehr; nach Auffassung des ehemaligen Verteidigungs- und heutigen Innenministers Thomas de Maizière (CDU) ist sie sogar die »größte Friedensbewegung Deutschlands«.

Die Erfahrung, dass eine »Zivilklausel« in ihr Gegenteil verkehrt wird, musste die Tübinger Studentenschaft schon vor einiger Zeit machen: 2010 verpflichtete sich die Universität der schwäbischen Kleinstadt auf ausschließlich »friedliche Zwecke«; nur wenig später ernannte sie den Leiter der Münchner »Sicherheitskonferenz«, Wolfgang Ischinger, zum Honorarprofessor. Am Institut für Politikwissenschaft leitete er Seminare zum Thema »Internationale Krisendiplomatie«. Ischinger, der noch so ziemlich jeden Interventionskrieg des Westens bejubelt hat, macht sich zur Zeit für Waffenlieferungen in die Ukraine stark – selbstverständlich dem Frieden zuliebe.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 19. Februar 2015

Realisierung an den Universitäten

Die Zivilklauseln, die es an Hochschulen gibt, sind unterschiedlich ausgestaltet und zu verschiedenen Zeiten entstanden. Eine Auswahl zeigt die Bandbreite:

An der Universität Bremen gibt es zwei Beschlüsse des Akademischen Senats zur militärischen Forschung. Im Jahr 1986 legte dieser fest: »Der Akademische Senat lehnt jede Beteiligung an Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können.« Später wurde dies durch ein Protokoll der Berufungskommission ergänzt, in dem es heißt: »Der Bewerber / die Bewerberin soll zukünftig an der Universität Bremen keine Militär- und Rüstungsforschung betreiben und sollte nicht aus Bereichen der Rüstungsforschung kommen.«

Die Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg legte im Jahr 2007 in ihrer Grundordnung fest: »Alle an Forschung und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Universität haben die Folgen wissenschaftlicher Erkenntnisse zu bedenken. Werden ihnen Ergebnisse der Forschung, vor allem an der Universität, bekannt, die Gefahren für Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben herbeiführen können, sollen sie die Ethikkommission unterrichten.«

Die Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat im Jahr 2010 in der Präambel der Grundordnung festgeschrieben: »Lehre, Forschung und Studium an der Universität sollen friedlichen Zwecken dienen, das Zusammenleben der Völker bereichern und im Bewusstsein der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen erfolgen.«

(Quelle: www.zivilklausel.de)




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