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"Jugendoffiziere stellen nur die militärische Sicht dar"

Die Bundeswehr vereinbart immer mehr Kooperationen mit den Schulministerien. Ein Gespräch mit Stephan Lippels

Stephan Lippels ist Lehrer und in der AG Friedliche Schule der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) München aktiv.

In vier Bundesländern gibt es bereits Kooperationsvereinbarungen zwischen Bundeswehr und Schulministerien - am morgigen Donnerstag soll eine weitere für Mecklenburg-Vorpommern unterzeichnet werden. Warum protestieren Sie dagegen?

Lehrer müssen die Freiheit haben, Experten in ihren Unterricht einzuladen oder auch nicht. Mit den Kooperationsvereinbarungen und den darin vorgesehenen jährlichen Evaluationen wird Druck auf die Lehrkräfte ausgeübt, die Armee in den Unterricht zu holen. Für die Schüler haben Bundeswehr-Einsätze im Schulunterricht den Nachteil, daß kein kontroverser Unterricht stattfinden kann, sondern nur einseitig aus Sicht der Armee informiert wird. Unsere Kritik geht aber noch weiter: Die Bundeswehr wird immer öfter völkerrechtswidrig im Ausland und grundgesetzwidrig im Inland eingesetzt. Es geht darum, die Militarisierung der gesamten Gesellschaft zu verhindern.

Befürworter dieser Abkommen führen an, Jugendoffiziere seien durch ihre Erfahrung viel besser für die Vermittlung sicherheitspolitischer Themen geeignet als Lehrer. Das klingt doch erst einmal einleuchtend ...

Die politische Bildung - auch in Fragen der Sicherheitspolitik - gehört in die Hände dafür ausgebildeter Pädagogen und nicht in die von Offizieren. Der Einsatz der Militärs hat darüber hinaus den Nachteil, daß nur eine einseitige Sicht präsentiert wird - die Jugendoffiziere sind nämlich verpflichtet, die Position des Verteidigungsministeriums und der Bundesregierung wiederzugeben.

Da lernen die Kinder dann zum Beispiel, daß man nicht dafür belangt wird, wenn man 140 Afghanen tötet - wie es Bundeswehr-Oberst Klein beim Kundus-Massaker vorgemacht hat. Den Schülern wird der Einsatz von Soldaten als etwas Normales präsentiert, dabei sollten militärische Mittel gerade in Hinblick auf die Geschichte Deutschlands geächtet werden.

Anders als Jugendoffiziere sind Lehrer verpflichtet, bei politischen Themen beide Seiten darzustellen. die Bundeswehr versucht aber auch, die Lehrkräfte zu »Experten« zu machen: Sie fordert, die Ministerien sollen immer mehr Veranstaltungen der Bundeswehr als Aus- und Fortbildungsmaßnahmen anerkennen.

Die Bundeswehr behauptet - was auch in den bisherigen Vereinbarungen festgehalten ist - die Jugendoffiziere würben nicht für den Dienst an der Waffe, sondern informierten nur über die Sicherheitspolitik.

Und genau das stimmt nicht. Der Einsatz der Jugendoffiziere hat offenbar nicht das vordergründige Ziel, Nachwuchs zu rekrutieren - es geht wohl mehr darum, eine für das Militär günstige Stimmung in der Bevölkerung zu erzeugen. Aber dennoch haben solche Schulveranstaltungen einen Werbeeffekt. In den verteilten Bundeswehr-Broschüren und Flugblättern kann man denn auch nachlesen, wo der nächste Wehrdienstberater zu finden ist. Die kommen mitunter aber auch direkt in die Schulen.

Sowohl Landesverbände als auch der Bundesverband der GEW haben sich schon mit dem Thema befaßt. Wie steht die GEW zu den Kooperationsabkommen?

Im März hat der Hauptvorstand einen Beschluß gegen den Einsatz der Bundeswehr an Schulen gefaßt. Darin wird gefordert: »Keine Pädagogin und kein Pädagoge und keine Schülerin und kein Schüler dürfen zur Teilnahme an und Durchführung einer Veranstaltung mit Angehörigen der Bundeswehr gezwungen werden.« Auch Waffenschauen auf Schulgelände oder Exkursionen in Kasernen fallen darunter. Wenn ein Jugendoffizier in den Unterricht eingeladen wird, soll laut GEW auch ein Friedensaktivist eingeladen werden.

Zudem ruft die Gewerkschaft zu Aktionen gegen Bundeswehr-Werbeveranstaltungen an Schulen auf. Viele Jugendgruppen sind schon gegen die Militarisierung der Bildungseinrichtungen aktiv - wir wollen versuchen, sie zu unterstützen. Wir hoffen auch auf den nächsten Bildungsstreik Anfang Juni. Wir werden die Gelegenheit nutzen, um das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.

Interview: Michael Schulze von Glaßer

* Aus: junge Welt, 2. Juni 2010


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