Uni Bremen: Rollback der Friedensbindung gestoppt!
Glückwunsch an die Zivilklausel-Schützer!
Von Dietrich Schulze *
Die Bremer Rüstungswirtschaft, das Uni-Establishment und Teile der Bremer Bürgerschaft hatten
vor mehr als zwei Jahren damit begonnen, die Zivilklausel von 1986 zwecks Teilnahme der Uni an
Rüstungsforschung zu kippen. Die Zivilklausel besagt „Der Akademische Senat lehnt jede Beteiligung
an Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die
Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken
dienen können.ʺ Unter dem Eindruck einer engagierten, beharrlichen und immer konsequenter
gestalteten demokratischen Gegenwehr in Gestalt eines Bündnisses aus organisierten Studierenden,
verfasster Studierendenschaft, internen und externen WissenschaftlerInnen, Bremer Friedensforum,
GEW, Linksfraktion in der Bürgerschaft und einzelnen Parlamentariern hat eine 4/5-Mehrheit des
Akademischen Senats am 25. Januar beschlossen, die Zivilklausel beizubehalten und die Verpflichtung
der Universität auf „Frieden und zivile Zwecke“ in den Leitzielen der Universität zu verankern.
Lehrstück in Sachen Demokratie
Der versuchte Rollback der Zivilklausel begann Mitte 2009 mit der Entscheidung der Universität,
das Stifter-Ehepaar Fuchs zu Uni-Ehrenbürgern zu ernennen. Manfred Fuchs gehört das Weltraum-
Rüstungsunternehmen OHB AG in Bremen. Besorgte Wissenschaftler machten auf den
Widerspruch zur Zivilklausel aufmerksam. Später kam die Einrichtung einer Stiftungsprofessur von
OHB hinzu. Der amtierende Rektor Wilfried Müller begegnete allen Einwänden mit drei Argumenten:
Erstens brauche die Uni die Forschungskooperation mit OHB. Zweitens handele sich nur um
Grundlagenforschung, die anwendungsoffen bleiben müsse. Drittens sei die Zivilklausel angesichts
einer neuen „geopolitischen Situation“ überholt und müsse deswegen geändert werden. Ein AStA-Antrag
auf Bekräftigung der Zivilklausel wurde ignoriert. Das Rektorat hingegen versuchte,
externe Friedenswissenschaftler für sich einzuspannen. In einer Podiumsdiskussion würdigte Götz
Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
(IFSH) die Zivilklausel als Alibi herab. Anfang vergangenen Jahres trat jedoch die interne Friedenswissenschaft
in Form eines Appells von 60 Bremer ProfessorInnen und WissenschaftlerInnen an
die Öffentlichkeit, die vor der Fremdsteuerung durch die Wirtschaft mittels Stiftungsprofessuren
warnt und die Autonomie der Uni bedroht sieht.
Herr Fuchs droht der Universität
Schließlich erklärte Mitte vergangenen Jahres der Unternehmer Fuchs unumwunden: „Entweder
die Uni ändert ihre Zivilklausel oder wir lassen die Professur sein.“ Der AStA und viele andere
sehen darin einen Erpressungsversuch. Eine Universität, die dem nachkommt, veräußert ihre
verfassungsrechtlich verbriefte Wissenschaftsfreiheit. Dann ein erster Zwischenerfolg nach zwei
Jahren. Die von Dekan Arnim von Gleich (Fachbereich Produktionstechnik) im Akademischen
Senat eingebrachte Beschlussvorlage mit konkreten Leitsätzen zur „geopolitischen“ Änderung der
Zivilklausel musste aufgrund von starken Protesten vertagt werden. Die Dekane hatten sich
derweil auf von Gleichs Wahl zum neuen Rektor geeinigt. Aufgrund von Kritik am Verfahren der
Kandidatengewinnung musste die für Mitte November geplante Wahl verschoben werden. Der
AStA hatte zuvor eine online-Petition für den Erhalt der Zivilklausel gestartet.
Geopolitischer Dekan fällt bei Rektorwahl durch
In einer Podiumsdiskussion hoffte von Gleich mit „Steher-Qualitäten“ Punkte sammeln zu können.
Den vier Zivilklausel-Schützern auf dem Podium warf er vor, keine Freunde der Wissenschaftsfreiheit
zu sein. Heute müsse Frieden auch mit Waffen geschützt werden. Den OHB-Gegnern warf er vor, Skandalisierung zu betreiben und ein „Problem für die Demokratie“ zu sein. Er forderte
„eine Kontrolle der Skandalisierer". Bei der Neuwahl des Rektors im Dezember fiel er durch. Der
neu gewählte Rektor Bernd Scholz-Reiter versicherte dem AStA in einem ersten Gespräch, dass er
zur Zivilklausel stehe. Viel Zustimmung aufgrund von exzellenten Recherchen fand eine Broschüre
des Bremer Friedensforums über den Rüstungsstandort Bremen. Darin wird von Rudolph Bauer
die interessante Vorgeschichte der Bremer Zivilklausel nachgezeichnet, der Protest gegen Reagans
Strategische Verteidigungsinitiative SDI.
Ein letzter abgeschwächter Aufweichungs-Versuch
Am Tag vor der Senatsabstimmung trat Dekan von Gleich mit dem „Kompromiss“ vor die Presse,
die Bestimmung „Forschung und Lehre für friedliche Zwecke“ in die Grundordnung aufzunehmen.
An der Universität Tübingen wird derzeit versucht, die dortige Zivilklausel mit der Bestimmung „für
friedliche Zwecke“ in Umkehrung der ursprünglichen Absichten als vereinbar mit Rüstungsforschung
auszulegen. Das ist bei einer Bestimmung „für zivile Zwecke“ bzw. „gegen militärische
Zwecke“ praktisch nicht möglich. Eine umstrittenere Bestimmung sollte also höherwertiges Recht
werden (Grundordnung steht über Senatsbeschluss). Der AStA und andere hatten jedoch das
Manöver durchschaut. Der AStA-Vertreter Sören Böhrnsen verlangte in der Diskussion den Ersatz
durch den Begriff „zivile Zwecke“. Genau so wird es in Bekräftigung und im Einklang mit der
Zivilklausel künftig in den Leitzielen der Universität Bremen stehen. Auch dieser Aufweichungs-
Versuch in letzter Minute ist gescheitert.
Der Fuchs und die sauren Trauben
Vor der Abstimmung gab es eine bemerkenswerte Umfaller-
Erklärung, die an die Fabel vom Fuchs und den Trauben erinnert. Im Stil eines Pressesprechers von OHB verkündete
Rektor Wilfried Müller, dass OHB dem Akademischen Senat alle
Freiheit lassen und die Stiftungsprofessur unabhängig von dessen
Entscheidung finanzieren wolle.
Der Fuchs biss die Zähne
zusammen, rümpfte die Nase
und meinte hochmütig: "Sie
sind mir noch nicht reif
genug, ich mag keine sauren
Trauben." Mit erhobenem
Haupt stolzierte er in den
Wald zurück.
150 Studierende mit Transparenten
und Wandmalereien wie "Kriegsforschung ist mordsleicht: Hirn
aus, abnicken." wiesen dessen erneut vorgetragenes Argument
eines „grundsätzlich veränderten Kontextes der Militärpolitik“ zurück. Niemand sprach sich für die
als notwendig erklärte Änderung der Zivilklausel aus. Einem taz-Bericht zufolge erklärte Rektor
Müller zur getroffenen Entscheidung wörtlich: "Es ist das, was ich mir gewünscht habe." Unglaublich,
wenn man sich an dessen frühere Erklärung erinnert. Wenn AStA und Friedensforum die
OHB-Stiftungsprofessur weiter ablehnen, ist das nur allzu berechtigt. Da der amtierende Rektor
aufgrund der bestätigten Zivilklausel keine Auswirkungen auf die Einrichtung der Stiftungsprofessur
sieht, müsste er doch zumindest verlangen, dass in den Stiftungsvertrag eine Bestimmung
aufgenommen wird, wonach OHB und Dritten gemäß Zivilklausel die militärische Nutzung
von Forschungsergebnissen aus der Stiftungsprofessur untersagt ist. Und auch OHB wird nach der
überraschenden Kehrtwende doch wohl eine solche Bestimmung gegenzeichnen können. Oder?
Nicht die Uni braucht OHB, sondern OHB will die Uni gebrauchen.
AStA und Linke für Zivilklausel im Bremischen Hochschulgesetz
In Presse-Erklärungen nach der positiven Senatsentscheidung setzten sich der AStA und Linksfraktion
in der Bremischen Bürgerschaft erneut dafür ein, die Zivilklausel im Landeshochschulgesetz
für alle Bremischen Hochschulen verbindlich zu machen. Hier steht ein interessanter
Stresstest auf die Glaubwürdigkeit der Rot-Grünen Landesregierung auf der Tagesordnung. Diese
hatte die Zivilklausel der Uni Bremen als vorbildlich auch für die anderen Bremischen Hochschulen
bezeichnet, allerdings unter der Maßgabe von notwendigen Änderungen, die in der Uni diskutiert
würden. Auf Initiative der Jusos beschloss der SPD-Landesparteitag im September 2011 die
Aufforderung an Parlament und Senat der Bürgerschaft, eine Zivilklausel im Bremischen Hochschulgesetz
zu verankern. Damit sollen die Hochschulen zu einer „Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung“ verpflichtet werden, die zugunsten einer friedlichen und zivilen Gesellschaftsentwicklung
beiträgt.
Bremer Bürgerschaft finanzierte Kriegsdrohnen
Wie die Realitäten in der „Waffenschmiede Bremen“ aussehen, ist gerade bekannt geworden. Die
Rüstungsfirma Rheinmetall hat vom Bremer Senat 1,5 Millionen Euro für die Entwicklung ziviler
Drohnen erhalten. Aus dem zivilen Haushalt unter dem Segel der Konversionsförderung, obwohl
bekannt ist, dass die Firma nur militärische Drohnen produziert. An Peinlichkeit kaum zu überbieten.
Zu dem Projekt namens Competitive Aerial Robot Technologies (CART) gehört ein
Forschungs- und Entwicklungsverbund, an dem neben Rheinmetall das Deutsche Zentrum für
Luft- und Raumfahrt (DLR), die Hochschule Bremen und das Deutsche Forschungszentrum für
Künstliche Intelligenz (DFKI) aus dem Umfeld der Universität Bremen beteiligt sind. Nach all dem
darf man gespannt sein, ob sich bezüglich der von Rot-Grün gelobten Zivilklausel der Uni etwas
Ähnliches wiederholt wie bei Grün-Rot im Ländle.
Appell an Grün-Rot: Zivilklausel für KIT-Gesetz und Hochschulgesetz
Entgegen Wahlaussagen von Grünen und SPD in Baden-Württemberg, in denen Zivilklauseln für
alle Landeshochschulen gefordert werden, hatten sich die Grüne Wissenschaftsministerin Mitte
2011 und der Grüne Ministerpräsident Ende 2011 öffentlich dagegen ausgesprochen, eingeknickt
vor der Rüstungslobby. Man wolle den Unis keine gesetzlichen Vorgaben machen. Aber genau
eine solche Vorgabe steht im Wahlprogramm und genau eine solche Vorgabe wurde von beiden
persönlich kurz vor der Wahl für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT – Zusammenschluss
von Uni und Forschungszentrum Karlsruhe) unterzeichnet.
Denken wir aber positiv ...
Rot-Grün Bremen beschließt eine gesetzliche Zivilklausel und trotzt der starken Bremer Rüstungsstandort-
Kulisse und Grün-Rot Baden-Württemberg nimmt den demokratischen Impuls der Uni
Bremen auf und löst das Wahlversprechen ein. Dazu gibt es einen hochaktuellen Grund. Noch vor
der für die zweite Hälfte 2012 geplanten Novellierung des baden-württembergischen Hochschulgesetzes
soll im März/April die Novellierung des Landesgesetzes für KIT unter Dach und Fach
gebracht werden. Das Anhörungsverfahren ist am 15. Januar abgeschlossen worden. Die Studierendenvertretung
der Uni Karlsruhe, ver.di, GEW und viele andere fordern die Aufnahme der Zivilklausel
in das KIT-Gesetz und zwar in der Formulierung, die von den früheren Oppositionsparteien
SPD und Grüne im Juni 2009 für das KIT-Errichtungsgesetz gefordert worden war.
Bremer Impuls für die Demilitarisierung aller Hochschulen
An der beschriebenen Entwicklung in Bremen wird vor allem zweierlei deutlich. Die Zivilklausel ist
ein wertvolles Mittel, die Wissenschaft an ihre Verantwortung für den Frieden zu erinnern. Sie kann
und muss geschützt werden durch stetiges, wachsames und solidarisches Zusammenwirken von
Studierenden, Lehrenden und Beschäftigten der Hochschulen mit der demokratischen Öffentlichkeit.
Die durch die Pläne zur KIT-Gründung vor drei Jahren ausgelöste Zivilklausel-Bewegung hat zu
Initiativen an drei Dutzend Hochschulen, zu einer bundesweiten Koordinierung und zu internationalen
Appellen geführt. In seinem Grußwort zu einem Zivilklausel-Kongress an der Uni Tübingen
Ende Oktober hatte der antifaschistische Widerstandskämpfer Martin Löwenberg an den gesellschaftlichen
Konsens nach der Befreiung 1945 erinnert, an die vier „D“s – Demilitarisierung,
Denazifizierung, Demonopolisierung, Demokratisierung. Die deutsche Geschichte mahnt.
26.01.2012
* Über den Autor: Dr.-Ing. Dietrich Schulze war von 1966-2005 im Kernforschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT
Campus Nord) tätig, anfangs als wiss. Mitarbeiter in Hochenergiephysik-Projekten und später als Betriebsratsvorsitzender.
Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit
e.V. und arbeitet in der Initiative gegen Militärforschung an Universitäten. Viele Infos zur Zivilklausel-Bewegung
finden sich in der Web-Dokumentation www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf
Kontakt: dietrich.schulze@gmx.de
Studierende stimmen für zivile Forschung
(nd). In einer Urabstimmung hat sich die große Mehrheit der Studierenden der Universität Frankfurt am Main für die Aufnahme einer Zivilklausel in die Grundordnung der Hochschule ausgesprochen. 76,3 Prozent wollen darin festschreiben, dass »Lehre, Forschung und Studium zivilen und friedlichen Zwecken dienen«, gab der Wahlausschuss am Montag bekannt. Damit fordern die Studierenden die Universität auf, keine Kooperationen oder Drittmittelprojekte mit der Rüstungsindustrie oder der Bundeswehr einzugehen. »Das ist ein eindeutiges Zeichen für eine friedliche Hochschule«, sagte Beate Steinbach vom Arbeitskreis Zivilklausel. Die Studierenden erwarten nun von Präsidium und Senat, dieses Votum ernst zu nehmen.
Drei Wochen lang war in Frankfurt über Kriegsforschung, Friedensorientierung und die Verantwortung von Wissenschaft diskutiert worden. Das große Interesse an diesen Fragen zeigte sich auch daran, dass die Beteiligung an der Zivilklausel-Abstimmung bei der Urnenwahl um fast zehn Prozent höher lag als bei der Wahl zum Studierendenparlament. Selbst am Fachbereich mit dem niedrigsten Zustimmungswert, den Wirtschaftswissenschaften, gab es eine eindeutige Mehrheit von 63,3 Prozent für eine Zivilklausel.
(nd, 01.02.2012)
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