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"Das Töten von Menschen war nie ein normaler Beruf"

Berliner Bündnis fordert Ende der Bundeswehr-Werbung im öffentlichen Nahverkehr. Ein Gespräch mit Ricardo Remmert-Fontes


Ricardo Remmert-Fontes ist Vorstandsmitglied des Aktions­bündnisses »Freiheit statt Angst«, das Teil des Berliner Bündnisses »Schule ohne Militär« ist.

Das Aktionsbündnis »Freiheit statt Angst« und das Berliner Bündnis »Schule ohne Militär« fordern die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in einem offenen Brief auf, künftig keine Werbung mehr für die Bundeswehr in S- und U-Bahnen zu plakatieren. Wie ist die Werbung gestaltet, und was kritisieren Sie daran konkret?

Sie zeigt fröhliche junge Männer und Frauen in Uniformen im Bundeswehrdesign. Geworben wird dafür, Karriere beim Militär zu machen. Dabei wird der Spruch »Zukunft gestalten« in den Vordergrund gestellt. Wir fragen uns, welche Zukunft denn damit gemeint sein soll. Soll es etwa darum gehen, daß Bewerber die Möglichkeit erhalten, früher zu sterben oder verstümmelt zu werden? Oder geht es um die Gestaltung der Zukunft der Bewohner ferner Länder, die die Bundeswehr, wie in Kundus, durch Bombardierungen verkürzt? Oder ist hier die Rede von der Zukunft der Flüchtlinge, die in Schlauchbooten versuchen, Europa zu erreichen und sich plötzlich hochgerüsteten Frontex-Schnellbooten gegenüber sehen, die sie aufs offene Meer zurückdrängen.

Vermutlich werden die Berliner Verkehrsbetriebe uns sagen, bei einer solchen Werbung gehe es einfach nur um ein Geschäft. Das sehen wir anders. Der Soldatenberuf ist ein Job, in dem das Töten erlernt wird. Dafür zu werben – und auf diese Weise in öffentlichen Verkehrsmitteln junge Männer und Frauen anzusprechen, halten wir für verwerflich.

Welche Gefahr sehen Sie, wenn eine solche Werbung sich vor allem an Jugendliche wendet?

Das Soldatenhandwerk, das aus dem Erlernen von Tötungstechniken besteht, wird hier als normale Profession dargestellt. Dieses Bild bei jungen Leuten zu verankern, halten wir für völlig fehl am Platz in einer demokratischen Gesellschaft. Das Töten von Menschen war nie ein normaler Beruf. Das ist es auch heute nicht und darf es auch künftig nicht sein. Der grundgesetzliche Auftrag der Bundeswehr zur Landesverteidigung hat sich mangels »Feinden« erledigt. Die sogenannten Auslandseinsätze seither waren Kriege in Jugoslawien, Somalia, Afghanistan, die mit dem verfassungsgemäßen Auftrag der Selbst- oder Landesverteidigung nichts zu tun haben.

In Ihrem Brief kritisieren Sie auch, daß die BVG mit der Bundeswehr offenbar gern Geschäfte macht, während sie andere Inhalte aus politischen Gründen abgelehnt hat. Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Die Berliner Verkehrsbetriebe haben beispielsweise erst kürzlich eine Werbung atheistischer Gruppen abgelehnt. Diese wollten plakatieren »Es gibt wahrscheinlich keinen Gott«. Da hat man sich ganz anders verhalten und mit der Begründung, das würde religiöse Gefühle verletzen, auf die entsprechenden Werbeeinnahmen verzichtet. Die Propaganda der Bundeswehr nimmt man hingegen ohne Bedenken einfach an. Somit trägt man dazu bei, daß Kriegsführung als normaler Beruf dargestellt wird und Jugendliche so über deren Konsequenzen getäuscht werden. Zugleich wird die Öffentlichkeit an eine Außenpolitik gewöhnt, die sich ausdrücklich zum Krieg als Mittel bekennt – auch um wirtschaftliche Interessen zu realisieren.

Diese Bundeswehrwerbung erscheint ausgerechnet im öffentlichen Nahverkehr eines Bundeslandes, das von SPD und Linkspartei regiert wird ...

Ich vermute, die Parteien werden sich darauf zurückziehen, daß die BVG ein eigenständiges Wirtschaftsunternehmen ist, obwohl es sich letztlich in öffentlicher Hand befindet. Bei der SPD wundert mich das überhaupt nicht, das war noch nie eine friedenspolitisch besonders engagierte Partei. Aber von der Berliner Linken sind wir enttäuscht. Sie hat bisher auch kaum Aktivitäten gezeigt, um zu unterbinden, daß – unter anderem sogar an Schulen – für den Dienst an der Waffe geworben wird. Dagegen positionieren sich Schüler und Lehrer deutlich, indem sie Jugendoffiziere der Bundeswehr wieder ausladen.

Welche Reaktion erhoffen Sie sich auf Ihren Brief?

Wir erwarten, daß die BVG und auch die S-Bahn Berlin GmbH mit uns das Gespräch aufnimmt. Unsere Forderung ist klar: In ihren Zügen und auf ihrem Gelände soll sie künftig keine Werbung für die Bundeswehr mehr gestatten.

Interview: Gitta Düperthal

* Aus: junge Welt, 14. Juni 2011


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