Teilnahmepflicht bei Armeewerbung
Debatte über Bundeswehrveranstaltungen an Schulen im Rathaus Lichtenberg
Von Aert van Riel *
Der Saal im Lichtenberger Rathaus war am Montagabend (5. Juli) mit Menschen
unterschiedlicher Altersstufen prall gefüllt. Kein Wunder, denn das
Thema der Diskussionsrunde »Militär raus aus der Schule?«, zu der die
Fraktion der LINKEN in der Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg
eingeladen hatte, polarisiert. Etwas überraschend war, dass auch zwei
streng dreinblickende Jugendoffiziere in Uniform zugegen waren.
Oberstleutnant Köhnke stellte sich als »bekennender Christ« vor. Er sei
1976 Soldat geworden, um dem Gemeinwesen zu dienen. Auch die im Kalten
Krieg vorherrschenden Feinbilder schienen seine Entscheidung beeinflusst
zu haben. »Ich war als junger Mann sicher, auf der richtigen Seite der
innerdeutschen Grenze zu leben«, erzählte Köhnke. Sein deutlich jüngerer
Kamerad Janke habe sich 1998 für einen Beruf entschieden, bei dem man
viel mit Menschen zu tun hat.
Zu Beginn der Diskussion waren die Wortbeiträge noch recht sachlich.
Sebastian Schlüsselburg, Mitglied im Berliner Landesvorstand der LINKEN,
erläuterte die rechtliche Lage. Er kritisierte die Anwesenheitspflicht
der Schüler bei Auftritten von Wehrdienstberatern. Zudem müsse bei
Bundeswehrveranstaltungen an Schulen das staatliche Neutralitätsgebot
gewahrt bleiben. »Eine einseitige Beeinflussung darf nicht stattfinden.
Ausgewogenheit durch gleichzeitige Anwesenheit von Anti-Militaristen
wird nur sehr selten gewährleistet«, so Schlüsselburg.
Dass zu diesen Anti-Militaristen keineswegs, wie häufig von Politikern
angenommen, alle Vertreter des Bundesamtes für den Zivildienst gehören,
sagte Ralf Siemens von der Arbeitsstelle für Frieden und Abrüstung. Denn
diese seien häufig selber ehemalige Bundeswehrsoldaten.
Nicht nur wegen der drückend heißen Temperaturen im Ratssaal wurde die
Debatte mit fortschreitender Dauer immer hitziger. Der
Landesschülervertreter Jerome Lombard erklärte, dass ein Jugendoffizier
und ein Wehrdienstberater im November letzten Jahres am
Paulsen-Gymnasium in Steglitz gleichzeitig über außenpolitische Fragen
diskutierten und über Karrieremöglichkeiten beim Militär informierten.
Ein Fakt, der vom anwesenden Hauptmann Schneider bestätigt wurde. Ein
solcher gemeinsamer Auftritt sei jedoch ansonsten eher die Ausnahme.
»Wegen Protestankündigungen der Schüler fand die Veranstaltung unter
Polizeischutz statt«, fuhr Lombard fort. »Die Schulleitung hat dabei auf
Anwesenheitspflicht bestanden, diese aber im Nachhinein bestritten.«
Lombard geht davon aus, dass die Bundeswehr an Gymnasien künftiges
Führungspersonal werben will.
Dem widersprachen die Jugendoffiziere heftig. Janke bemerkte leicht
beleidigt, dass durch die Proteste ein Klima der Intoleranz gegen die
Bundeswehr geschaffen werde. Diese sei ganz bestimmt kein Kriegswerber.
»Die Schüler haben ein Recht auf Informationen über die Bundeswehr. Und
die wollen wir ihnen nicht vorenthalten.« Jugendliche würden nicht
indoktriniert, sondern sollten sich ihre eigene Meinung bilden.
Mit welchen Standpunkten der Jugendoffiziere sich Schüler
auseinandersetzen müssen, wurde deutlich, als Köhnke aus dem Publikum
auf den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien Ende der 1990er Jahre
angesprochen wurde. Statt auf die Frage nach dem Völkerrechtsbruch
einzugehen, berichtete er detailliert von Vergewaltigungsbrigaden
bosnischer Serben. Auf Nachfrage, ob die vom damaligen Außenminister
Josef Fischer (Grüne) und Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD)
geäußerten Völkermord- und Auschwitz-Vergleiche mit den im
jugoslawischen Bürgerkrieg begangenen Verbrechen berechtigt seien,
antwortete der Oberstleutnant lapidar, dass die Politiker damit wohl
versucht hätten, die grauenhaften Zustände in Worte zu fassen.
Eine wesentliche Schwäche der Diskussionsrunde war, dass weder
Schulleiter noch Lehrer teilnahmen. Denn sie laden Bundeswehrangehörige
ein und sind dafür verantwortlich, in welchem Rahmen die Veranstaltungen
ablaufen. Diesen Aspekt griff der Lichtenberger Bezirksstadtrat Andreas
Prüfer (LINKE) auf. »Mit der Parole 'Jugendoffiziere raus' wird das
Problem nicht gelöst«, monierte er. Prüfer plädierte vielmehr dafür, den
Dialog mit den Schulen über dieses Thema zu intensivieren.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2010
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